Längst sind sie zur Volkskrankheit mutiert: Depressionen, Angstzustände und andere psychische Leiden sind keine seltene Ausnahmeerscheinung mehr, sondern betreffen mittlerweile richtig viele Menschen.
Für manche Betroffene hilft da nur eine Medikation mit Anti-Depressiva, aller Nebenwirkungen zum Trotz. Laut der Ärztin, Ernährungswissenschaftlerin und Spitzenköchin Uma Naidoo gibt es aber eine viel wirkungsvollere und gesündere Methode, seinen Gemütszustand zu verbessern: die richtige Ernährung.
Eine optimierte Ernährung kann sich heilend auf Körper, Gehirn und Psyche auswirken. Allerdings ist es schwer, evidenzbasierte Erkenntnisse zu gewinnen.
Das Mikrobiom des Darms ist ein hochkomplexes Ökosystem. Noch weiss man zu wenig über die spezifischen, vielfältigen Wirkungen und Interaktionen von Darmbakterien. Fest steht: Viele physische, neurologische und psychische Erkrankungen gehen mit einer Veränderung der Darmflora einher.
Die Stimmen von Mikrobiom-Forschern werden mittlerweile auch in der Psychiatrie gehört, vorab im jungen Zweig der «Ernährungspsychiatrie» (nutritional psychiatry). Zu deren Vertretern zählt Dr. Uma Naidoo.
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Ein ungesundes Darmmikrobiom beeinflusse das Gehirn negativ - und umgekehrt, so die Psychiaterin und Ernährungsforscherin, die am Massachusetts General Hospital in Boston Patienten mit psychischen Beschwerden behandelt, darunter Angst-, Schlaf- und Zwangsstörungen, Depressionen, ADHS, Schizophrenie und bipolare Störungen.
Laut WHO wird sie bis 2030 die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in den Industrieländern sein. Nehmen wir die Depression. Uma Naidoo hat beobachtet, dass «viele depressive Menschen Mahlzeiten auslassen und ungesund essen. Manche haben keinen Appetit, andere Heisshunger». Beides könne eine Depression verschlimmern.
Sie ist überzeugt, dass chemische Botenstoffe aus dem Darm am Entstehen von Depressionen beteiligt sind.
Die innige Fernbeziehung zwischen Darm und Gehirn
Um die innige Fernbeziehung zwischen Darm und Gehirn zu verstehen, bedarf es einer Prise Physiologie: Die Milliarden von Bakterien im menschlichen Darm produzieren zahlreiche gesundheitsschützende Substanzen. Darunter Hormone, Vitalstoffe, Immunbotenstoffe, Neurotransmitter sowie kurzkettige Fettsäuren. Diese gelangen durch die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf und werden im ganzen Körper verteilt, auch im Gehirn. So beliefern z.B.
Für den innigen Austausch zwischen Darm und Hirn sorgt auch der Nervus vagus. Er hüllt den Darm in ein dichtes Netz aus Nervenzellen, das einer feinmaschigen Socke gleicht. Auf der «Daten-Autobahn» des Vagus fliessen 80 Prozent der Informationen vom Darm zum Gehirn. So kann der Darm nicht nur unseren Appetit steuern.
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Er kann auch unsere Stimmung verändern, Suchtverhalten erzeugen und unsere kognitiven Fähigkeiten beeinflussen, z.B.
Ernährungstipps bei Depressionen
Und welche praktischen Tipps gibt Dr. Naidoo Patienten mit einer leichten, mittleren oder schweren Depression? Erstens: «Machen Sie im Supermarkt einen grossen Bogen um bestimmte Nahrungsmittel!», sagt sie.
Ja, denn Studien legen einen Zusammenhang zwischen einem hohen Zuckerkonsum und Depressionen nahe. Uma Naidoo erklärt: «Das Gehirn geht mit Zucker sehr energieeffizient um. Eine Zuckerflut im Körper kann Entzündungen im Gehirn hervorrufen.
Aus dem gleichen Grund rät die Psychiaterin, hochglykämische Lebensmittel wie Weissbrot oder Backwaren und Pasta aus Auszugsmehl zu meiden. Zur Liste der «Gute-Laune-Killer» zählen auch Transfette und rotes Fleisch. Erstere, weil sie die Gehirnzellen direkt schädigen, Letzteres, weil es entzündungsfördernd wirkt. Ein Teufelskreis!
Weitere Ernährungsempfehlungen
- Regenbogen-Diät: Nehmen Sie unterschiedliche Farben von Gemüse und Obst zu sich. Es geht dabei um die verschiedenen Mikroben, die sie in unser Verdauungssystem bringen.
 - Fermentierte Nahrung: Lebensmittel, bei denen enthaltener Zucker von Bakterien, Hefen und Pilzen verstoffwechselt worden ist. Hilft, Entzündungen zu lindern.
 
Auch wenn der Fokus einer gesunden Ernährung vor allem auf Gemüse liegt, gehe es nicht darum, Fleisch komplett aus dem Speiseplan zu verbannen. Allerdings sollte man dies in Massen tun und von verarbeiteten Fleisch-Produkten wie beispielsweise Salami die Finger lassen. Sie erhält Nitrate - und die fördern Depressionen.
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Zucker macht nicht nur dick, sondern schädigt laut Naidoo auch das Gehirn. Auch wenn er nicht das gleiche Suchtpotenzial wie Drogen habe, sei er trotzdem problematisch: «Er kommt in sehr vielen Gerichten vor, wo man ihn gar nicht vermutet, beispielsweise in Ketchup, Salatsaucen oder in Pommes frites.» Verarbeitetes Essen sei darauf ausgelegt, dass man immer mehr davon will.
Naidoo setzt weniger auf Verbote, sondern vielmehr auf ein gesundes Mass: auch beim Thema Alkohol. «Unter bestimmten Umständen kann Rotwein sogar hilfreich für die Gesundheit sein». Aber: Zu viel Alkohol schädige das Gehirn - und auch von zuckerhaltigen Cocktails sollte man eher die Finger lassen.
Die Rolle des Mikrobioms
Derweil hat die ayurvedische Medizin bereits vor Tausenden von Jahren entdeckt, dass die meisten körperlichen und psychischen Störungen in einer geschwächten Verdauungskraft wurzeln. Ayurveda berücksichtigt das Prinzip der Individualität und empfiehlt eine Ernährung im Einklang mit dem persönlichen Konstitutionstyp.
Auch das Auslassen von Mahlzeiten und der Verzehr «energetisch unvereinbarer» Lebensmittel beschreibt Ayurveda als Mit-Ursachen von Depressionen. Danach sollten beispielsweise Milchprodukte nicht zusammen mit Früchten verzehrt werden. Doch in der europäischen Naturheilkunde finden wir denselben Rat.
Fest steht jedoch: «Der Darm ist ein hochkomplexes Organ - ja ein Sinnesorgan. Wer also seinem Darm und seinem Körper etwas Gutes tun und die Psyche positiv unterstützen möchte, der sollte bei den Nahrungsmitteln genauer hinschauen.
Zuckerreiche Nahrung wie Süsses oder auch einfache Kohlenhydrate (z.B. Weissbrot) führt vor allem zu zwei Problemen, die unsere Psyche belasten: Zum einen aktiviert Zucker das Belohnungssystem in unserem Gehirn, welches das Glückshormon Dopamin ausschüttet. Das führt zu einem Teufelskreis: Um den positiven Effekt des Dopamins zu fühlen, müssen wir immer mehr Zucker essen.
Zum anderen führt zuckerreiche Nahrung dazu, dass unser Insulinspiegel rasch in die Höhe schnellt, um den Zucker im Blut abzubauen. Haben wir ständig Hunger, sorgt das für Unwohlsein und Gereiztheit - zudem essen wir dann auch mehr, was wiederum zu mehr Gewicht und psychischen Problemen führen kann. Auch das wirkt sich negativ auf die Psyche aus. Oft fühlen sich Betroffene unfähig, gestresst oder sie schämen sich. Sie verlieren an Selbstwertgefühl.
Diesen Nahrungsmitteln fehlen praktisch alle Nährstoffe, da sie stark verarbeitet wurden. Was übrig bleibt: ungesunde Fette, viel Zucker und Salz, Konservierungsstoffe. Der Dickdarm ist der Teil des Verdauungstrakts, in dem Nährstoffe viel differenzierter verdaut werden. Er zieht die für unseren Körper gesunden Nährstoffe aus der Nahrung. Essen wir also Fast-Food kommt in diesem Teil des Darms nichts zur Verdauung an.
Oft betäuben wir mit Alkohol negative Gefühle. Mit dem Kater folgt jedoch das emotionale Tief - und wir fühlen uns noch schlechter als zuvor. Kaffee wirkt stark stimulierend auf unser Nervensystem. Ein hoher Konsum kann zu Zuständen von innerer Unruhe, Angst, Gereiztheit und Anspannung führen - oder diese verstärken.
Praktische Tipps für eine gesunde Ernährung und Psyche
«Für unsere Psyche ist es jedoch noch viel wichtiger, wie wir essen», sagt Professor Gregor Hasler.
- Kochen Sie selbst! Verwenden Sie dazu frische Nahrungsmittel - besonders Gemüse, keine Fertigprodukte, vermeiden Sie viel Zucker oder Salz. Selbstgekochte Gerichte sind voller wichtiger Nährstoffe für den Körper. Fühlt sich der Körper genährt, spürt dies auch die Psyche.
 - Ihr Körper und Ihre Psyche benötigen täglich Mineralstoffe, Vitamine, gesunde Fette, Proteine und Ballaststoffe. Essen Sie daher ausgewogen.
 - Vermeiden Sie es, ständig das Gleiche zu essen. Das macht einerseits den Darm träge. Er hat kaum Arbeit, um komplexe Nährstoffe aus der Nahrung zu lösen.
 - Nehmen Sie sich Zeit fürs Essen - ohne Handy oder Fernseher und nicht zwischen Tür und Angel. Setzen Sie sich hin und kauen Sie bewusst - aktivieren Sie dabei Ihre Sinnesorgane: Schmecken und riechen Sie, was auf Ihrer Zunge und an ihrem Gaumen liegt. Nehmen Sie die Textur der Nahrung wahr. Das hat eine positive Wirkung auf Ihre Psyche - besonders bei Menschen, die zu Stress-Essen oder emotionalem Essen neigen.
 - Auch der soziale Aspekt des Essens ist wohltuend für die Psyche. Essen Sie daher öfter mit Freund:innen und Familie. Kochen Sie zum Beispiel für Gäste.
 - Fangen Sie klein an, um mehr Kontrolle in Ihre Essgewohnheiten zu bringen: Ernährungsexperte Gregor Hasler empfiehlt dazu das «Mini-Fasten». Das bedeutet: Lassen Sie die Zwischenmahlzeiten und Snacks weg. Essen Sie Frühstück, Mittag- und Abendessen. Das stärke die Selbstwirksamkeit und das Selbstwertgefühl.
 - Hören Sie mehr auf Ihren Bauch. Wer die positiven Ernährungsstrategien für eine gesunde Psyche kennt, sollte in einem nächsten Schritt die richtige Wahl bei den Lebensmitteln treffen.
 
Studienlage zum Einfluss von Ernährung auf die Stimmung
Insgesamt ist die Datenlage zum Einfluss von Ernährung bei Depressionen noch ausbaufähig, da kaum randomisierte, kontrollierte, doppelblinde, klinische Studien bei depressiven Patienten vorliegen. Präbiotika können beim Gesunden zu niedrigeren Stresshormonkonzentrationen führen und die Aufmerksamkeit für positive Stimuli erhöhen.
Jüngst wurde eine erste kontrollierte, randomisierte Studie mit einem probiotischen Getränk bei gesunden Kontrollen durchgeführt, die zeigte, dass dieses die Stimmung über 3 Wochen signifikant verbessern konnte. Auch die 30tägige Einnahme einer Kombination aus Lactobacillus helveticus und B. longum reduzierte depressive und Angstsymptome bei gesunden Menschen.
Der Cortisolspiegel war in der Behandlungsgruppe zudem niedriger. Des Weiteren wurde in einer aktuellen randomisierten, kontrollierten, doppelblinden Studie bei depressiv erkrankten Menschen durch die Zugabe einer probiotischen Behandlung die Depression signifikant schneller behandelt.
Auch bei Menschen, die am Chronic-Fatigue-Syndrom leiden, führte L. casei Shirota zu einer verringerten Angstsymptomatik. In einer anderen randomisierten Studie zeigte sich, dass Magnesium eine ähnlich starke Wirkung auf depressive Symptome haben kann wie Imipramin. Magnesium könnte also einen antidepressiven Effekt der Medikamente unterstützen.
Studien, in denen eine Gabe von ungesättigten Fettsäuren (PUFA) bei Depression untersucht wurde, in einer neuen Metaanalyse leider keine signifikanten Therapieeffekte. In jüngster Zeit wurden jedoch zwei prospektive Studien durchgeführt, die zeigten, dass eine hoch dosierte Zinkgabe Depressionen reduzieren kann.
Auch eine vegane Diät kann einen positiven Einfluss auf die Stimmung nehmen. In zwei älteren Studien, die über 28 Tage andauerten, wurde randomisiert, doppelblind und plazebokontrolliert Vitamin C gegeben, und die Wirkung war vergleichbar mit Amitriptylin 150 mg.
In einer weiteren randomisierten, doppelblinden Studie zeigte sich, dass Folsäure eventuell den Eintritt einer Depression verzögern und die Stimmung - wenn auch nicht signifikant - verbessern könnte. Eine Behandlung mit Vitamin D könnte bei Patienten mit saisonaler Depression, höherem Alter und geringerer Aktivität wirksam sein.
Wenn Patienten nach einem Schlaganfall mit B6, B12 und Folsäure substituiert werden, kann sich das Risiko einer erneuten Depression innerhalb von 7 Jahren um 50 Prozent reduzieren. Verschiedene Untersuchungen zeigten auch einen positiven Effekt von Folsäure während einer Depressionstherapie.
Allerdings gibt es auch eine Metaanalyse aus 53 randomisierten Studien, die eine therapeutische Gabe von Folsäure und Vitamin B12 nicht unterstützen.
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