Nähe und Distanz sind grundlegende menschliche Erfahrungen, die unser emotionales, räumliches und soziales Verhältnis zu anderen Menschen bestimmen. Wir brauchen beide Pole: Ohne Nähe keine Distanz, ohne Distanz keine Nähe. Von Geburt an beginnen wir, Beziehungen aufzubauen und je nach Lebenssituation auch wieder abzubrechen. Diese Beziehungen werden über unseren Körper und unsere Sinne erfahren. Es ist ein notwendiger Dualismus: Wir nehmen es wahr, weil es Unterschiede gibt.
Die Bedeutung von Nähe und Distanz im Lebensverlauf
Im Mutterleib sind wir über die Nabelschnur mit dem Kreislauf der Mutter verbunden. Eine Nähe entsteht und gleichzeitig eine Distanz, denn was den Werde Prozess des ungeborenen Kindes betrifft ist es nicht eine reine Symbiose, sondern oft ein Kampf um Nahrung und v.a. Sauerstoff. Mit der Geburt kommt der entscheidende Moment, wo mit dem Durchschnitt der Nabelschnur, das Kind zum ersten Mal auf sich alleine gestellt ist. Der erste Schrei lässt sein Lungensystem erstmals entfalten und die Lunge kann ihre Funktion mit der Sauerstoffversorgung vollends übernehmen. Die Distanz über den Körper ist vollzogen. Körperliche Nähe entsteht erneut mit den Berührungen, wenn das Kind auf der Brust liegt und vielleicht gestillt wird, denn über die Muttermilch baut das Kind seinen weiteren „Nestschutz“ für alle Mikroben (Viren, Bakterien etc.) seiner Umwelt auf.
Die Brustwarze (Montgomery-Drüsen) vermittelt auch bestimmte Duftstoffe (Pheromone), welche dem Kinde als Wiedererkennungseffekt dienen, «hey, da gibt es Nahrung und das ist meine Mum». Und wie bereits mehr als nur bekannt, durch diese Körpernähe wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet («Kuschelhormon»). Übrigens, dieses Hormon löst die Wehen bei der Frau aus und aktiviert den Milcheinschuss. Spannenderweise kann dieser Milcheinschuss bis zu einem gewissen Grade auch bei Adoptivmüttern, gefördert werden (sogar minimal bei Männern), wenn das Kind regelmässig an der Brustwarze saugen kann. Allein schon das Weinen oder Schreien des eigenen Kindes ohne, dass die Mutter es sieht, lässt bei ihr die Milch in die Brustwarzen einschiessen.
Die Natur setzt also alles daran, dass trotz der körperlichen neuen Distanz immer der Weg zur Nähe auch hormonell, immunologisch, auditiv und olfaktorisch gewahrt werden kann. Wenn wir unsere letzte Reise antreten und der Sterbeprozess einsetzt ist es wichtig, den Sterbenden oder die Sterbende zu begleiten. Auch hier kommt der Moment, wo ein Loslassen oder ein kurzes Verlassen des Zimmers, den letzten Schritt zum Übergang erst ermöglicht. Pflegefachleute und Sterbebegleiterinnen sprechen auch hier immer wieder vom Balanceakt zwischen Begleitung und Loslassen können der Angehörigen. Dies vereinfacht den Sterbenden den Prozess. Ein situativ auch verständliches nicht loslassen wollen der betroffenen Angehörigen, kann den Sterbeprozess je nach Persönlichkeit des Sterbenden/der Sterbenden massiv verzögern bis leidvoll gestalten.
Die Zonen der Distanz nach Hall
Edward Hall definierte verschiedene Distanzzonen, die unser zwischenmenschliches Verhalten beeinflussen:
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- Intime Distanz: Bis 45 cm (Körperkontakt)
 - Persönliche Distanz: 45 cm bis 120 cm (Gespräche in üblicher Lautstärke)
 - Soziale Distanz: Bis 3,6 m
 - Öffentliche Distanz: Bis 7,5 m
 
Das Riemann-Thomann-Modell
Ein Persönlichkeitsmodell, das diesem Nähe-Distanz-Verhalten auf den Grund geht, ist das sogenannte «Riemann-Thomann-Modell». Es unterscheidet neben dem Gegensatzpaar Nähe und Distanz noch zwischen Dauer und Wechsel. Es sind diese kontroversen Grundbedürfnisse, die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind. Diese vier Pole zwischen denen sich laut Riemann und Thomann die Menschen bewegen, werden auch die «4 Himmelsrichtungen der Seele» genannt.
Der Zyklus der Natur vermittelt uns die Möglichkeit, Nähe und Distanz zu leben, sprich beispielsweise im Sinne von mehr Rückzug im Winter und mehr Geselligkeit im Sommer. Wie nah ist nah genug? Welche Lebensumstände lassen uns plötzlich oder allmählich unser Verhältnis von Nähe und Distanz zu unseren Mitmenschen oder zu uns selbst ändern? Sind es gewisse Lebensphasen, wo wir intuitiv mehr Bedürfnis nach Nähe oder Distanz bedürfen: Z.B. in der Pubertät, Menopause, PADAM (partielle androgene Defizitsyndrom des alternden Mannes). Wie gehen wir mit Nähe und Distanz in Bezug auf Schicksalsschläge um. Sei dies infolge eines Unfalles, einer schweren Krankheit oder bedingt durch weitere einschneidende Lebensereignisse.
Professionelle Nähe und Distanz
Jeder, der mit Menschen arbeitet, sei dies als Coach, TrainerIn oder Therapeut leisten in erster Linie immer wieder Beziehungsarbeit. Was braucht es dafür? Es braucht einen guten Rapport, wodurch gegenseitiges anhaltendes Vertrauen, Offenheit und arbeiten auf Augenhöhe möglich sind und sich der Klient/Klientin verstanden, in seiner Persönlichkeit respektiert und akzeptiert fühlt. Damit sich eine solche Beziehung entwickeln kann, braucht es ein gewisses Mass an professioneller Nähe in Abstimmung zur Distanz, zum Klienten/zur Klientin als auch zur eigenen Person (dazu später). Dies kann bedingt sein durch emotionaler oder gar körperlicher Grenzüberschreitung, als auch durch fehlende Abgrenzung seitens der Begleitungsperson belastet werden z.B. Ja wir kommunizieren auch nonverbal unser Bedürfnis nach Nähe oder Distanz!
Das Unterbewusstsein des Klienten/der Klientin entscheidet letztendlich, was es an die Oberfläche des Bewusstseins kommen lässt und was nicht. Aus meinen Weiterbildungen und der eigenen Praxiserfahrung als Hypnosetherapeutin, gibt es hierzu verschiedene Ansichten und Ausbildungsansätze, doch in all den Sitzungen mit meinen Klienten/Klientinnen habe ich gelernt, dass alles einen Grund hat und seine Zeit braucht, was ich als Hypnosetherapeutin achte und respektiere. Als Begleitungsperson, wie auch als Privatperson sind für mich folgende Fragen immer wieder zentral: Wie sehr suche ich Nähe? Wie wichtig ist es mir eine gewisse Distanz zu wahren? Hierbei ist die Selbstreflexion zentral, welche als Begleitungsperson Klarheit über die eigenen Werte & Haltung, eigene Rolle & Aufgabe, eigene Befindlichkeit schafft. «Die Freundschaft ist eine Kunst der Distanz, so wie die Liebe eine Kunst der Nähe ist», Max Planck.
Distanzlosigkeit bei Kindern: Ein Warnsignal?
Distanzlosigkeit bei Kindern kann ein (Alarm-)Signal sein, dem Beachtung geschenkt werden muss. Beziehungen aufzubauen und Bindungen einzugehen, ist ein menschliches Grundbedürfnis und für Säuglinge und Kinder existenziell für eine gesunde Entwicklung. Es bedeutet eben auch Schutz vor Gefahr. Bindung wird als eine enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehung verstanden, die eine Person zu einer anderen spezifischen Person aufbaut, die sie auch über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet. Dabei ist die Bindung zu den primären Bezugspersonen - in der Regel sind das die Eltern - besonders wichtig.
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Zu Beginn des zweiten Lebensjahrs haben die meisten Kinder eine relativ starke und sichere Bindung zu mindestens einer Person entwickelt. Das dadurch entstandene Gefühl von Sicherheit ist die Grundbedingung für ein Kind, sich der Welt zuzuwenden und diese zu erkunden. Zuverlässige und feinfühlige Eltern beziehungsweise Bezugspersonen bilden einen sicheren Hafen. Erfährt ein Kind diese Qualität von Liebe und Geborgenheit nicht - und dafür kann es verschiedene Ursachen geben -, kann sich das negativ auf seine Entwicklung auswirken und in Form einer «desorganisierten Bindung» möglicherweise zu einer sogenannten Bindungsstörung des Kindes führen.
Enthemmung kann ein Leitsymptom einer Bindungsstörung sein: Kinder zeigen eine enthemmte, distanzlose Kontaktfreudigkeit, sogar gegenüber ihnen vollkommen fremden Personen. Der bekannte Erziehungsberater Jan Uwe Rogge erklärt, dass «distanzlose Kinder» dazu neigen, Grenzen zu überschreiten, weil für sie alle Menschen gleich nah beziehungsweise fern sind. Das Kind sucht sich sozusagen das, was ihm fehlt.
Ob die von Ihnen beschriebene Situation eine Bindungsstörung anzeigt oder Ausdruck von etwas anderem ist, kann hier in der Elternfrage nicht geklärt werden. Ich rate Ihnen daher zum Gespräch mit einer psychologischen Fachperson. Von Ihrem Kinderarzt, Ihrer Kinderärztin bekommen Sie bestimmt entsprechende Empfehlungen.
Falls es darum gehen sollte die Beziehung zu Ihrem Sohn zu vertiefen, möchte ich Ihnen nachfolgende Anregungen mit auf den Weg geben:
- Bauen Sie kleine Rituale ein
 - Bieten Sie und allenfalls Ihr Partner oder Ihre Partnerin Nähe und Zuneigung an, wenn Ihr Sohn das Bedürfnis zeigt. (Falls Sie nicht wissen, wie Ihr Sohn dies mitteilt, beobachten Sie ihn.)
 - Starten Sie zum Beispiel mit dem Einführen von kleinen Ritualen, in denen Ihr Sohn bewusst Körperkontakt und Nähe von Ihnen erfährt. Ich denke hier an ein «Zu-Bett-geh-Ritual», kombiniert mit einem Eincremen von Händen und Füssen und dem Vorsingen eines Liedes. Körperkontakt und der Einbezug verschiedener Sinne hat sich als effektiv erwiesen.
 - Seien sie besonders liebevoll und einfühlsam und zeigen Sie Ihrem Sohn, dass Sie sein sicherer Hafen sind.
 - Schrittweise und altersgemäss dem Thema nähern
 
Bindungsstörung mit Enthemmung
Die Bindungsstörung mit Enthemmung ist eine komplexe psychische Störung, die normalerweise in der Kindheit beginnt. Sie tritt oft auf, wenn Kinder in ihren ersten Lebensjahren vernachlässigt wurden oder traumatische Erfahrungen gemacht haben. Kinder mit dieser Störung konnten in der Regel keine sichere und vertrauensvolle Bindung zu ihren Eltern oder nahen Bezugspersonen entwickeln.
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Ursachen
- Vernachlässigung, Misshandlung oder Trennung von den primären Bezugspersonen in der frühen Kindheit
 - Fehlende Fürsorge und emotionale Unterstützung während entscheidender Entwicklungsphasen
 - Genetische und neurobiologische Faktoren
 
Symptome
- Unangemessene Nähe gegenüber fremden Personen, fehlende Distanz zu unbekannten Erwachsenen
 - Übertrieben freundliches und aufdringliches Verhalten gegenüber neuen Bekanntschaften
 - Schwierigkeiten, emotionale Bindungen zu knüpfen, selbst gegenüber den primären Bezugspersonen
 - Unvorhersehbares und impulsives Verhalten, das von geringer Angst oder Misstrauen begleitet sein kann
 
Diagnostik
Die Diagnose basiert auf Beobachtung des Verhaltens und der Interaktionen des Kindes mit anderen. Die Symptome müssen über einen längeren Zeitraum andauern und erhebliche Beeinträchtigungen im sozialen und emotionalen Bereich verursachen. Eine umfassende Anamnese, inklusive der familiären Umstände, ist wichtig für die Diagnose.
Behandlung
- Therapeutische Interventionen, wie beispielsweise die Dyadische Entwicklungstherapie, um die Bindungsbeziehung zwischen dem Kind und der primären Bezugsperson zu fördern
 - Förderung von Stabilität und Sicherheit in der Umgebung des Kindes, um Vertrauen aufzubauen
 - Arbeit mit den primären Bezugspersonen, um die Eltern-Kind-Bindung zu stärken und unterstützende Erziehungstechniken zu vermitteln
 - Gegebenenfalls können Behandlungen mit Medikamenten zur Bewältigung von Begleitsymptomen erwogen werden
 
Borderline-Persönlichkeitsstörung und Nähe-Distanz
Eine Borderline-Beziehung ist geprägt von intensiven Emotionen - in einem Moment euphorisch und idealisierend, im nächsten Moment wütend und aggressiv. Neue Beziehungen erleben Menschen mit Borderline zunächst als aufregend und berauschend. Sobald die ersten Konflikte auftreten, kippen Stimmung und Gefühle. Viele Menschen mit Borderline brechen ihre Beziehungen zu anderen Menschen vorschnell ab.
Merkmale in Beziehungen mit Borderline Patienten
Beziehungen sind für die meisten Menschen eine Herausforderung. Sie bedeuten, Kompromisse einzugehen, auch mal zurückzustecken und Konflikte zu lösen. Für Borderline-Patienten sind diese Herausforderungen besonders schwer zu bewältigen. Die unerwarteten Stimmungswechsel, schnelle Gereiztheit und die geringe Frustrationstoleranz von Menschen mit Borderline-Syndrom stellen die Beziehungen zu anderen Menschen auf eine harte Probe. Insbesondere mit einem Borderline-Partner oder eine Borderline-Partnerin dauerhaft eine Liebesbeziehung einzugehen, ist nicht leicht.
Zu Beginn von Beziehungen oder Freundschaften idealisieren Borderliner die andere Person. Sie sprechen davon, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Die Emotionen sind sehr intensiv und berauschend. Problematisch wird es jedoch häufig, wenn Freunde oder Partner noch andere Freundschaften haben. Menschen mit Borderline stellen häufig einen Alleinanspruch auf nahestehende Personen. Sie werden schnell eifersüchtig. Früher oder später wird der zunächst vergötterte Mensch zum Gegner. So intensiv, wie der Partner oder Freund zu Beginn angehimmelt wurde, wird er nun gehasst.
Borderliner richten Gewalt meist gegen sich selbst, indem sie sich absichtlich Verletzungen zufügen. Trotzdem besteht die Möglichkeit zu Gewaltausbrüchen gegenüber anderen. Das führt zusätzlich zu Problemen in Beziehungen. Auch kindliches Verhalten kommt bei einigen Borderline Patienten vor. Dies haben Wissenschaftler vor allem bei Menschen festgestellt, die als Kind sexuell oder emotional missbraucht oder verlassen wurden.
Der Umgang mit Borderline ist für Betroffene sowie Partner und Freunde schwierig. Für Menschen mit Borderline sind die Ursachen ihrer schwankenden Gefühle schwer zu erkennen. Die Emotionen kommen für den Betroffenen genauso unerwartet wie für sein Gegenüber. Aus Angst vor negativen Gefühlen oder vor dem Verlassenwerden, gehen Borderliner dann häufig auf Distanz und beenden Beziehungen schnell wieder.
Beziehungsmuster in einer Partnerschaft
Menschen mit Borderline haben grosse Angst vor dem Alleinsein. Gleichzeitig halten sie Beziehungen nicht lange aus. Häufig springen sie von einer Beziehung in die nächste. Beziehungen plötzlich zu beenden, ist ein typisches Kennzeichen von Borderline. Es ist daher nicht leicht, eine längerfristige Beziehung zu einem Borderline-Partner aufrecht zu erhalten.
Die Gefühlsschwankungen eines Borderliners sind für den Partner oft nicht nachvollziehbar, und das Borderline-Beziehungsverhalten ist häufig zermürbend. Reagiert der Partner daraufhin abweisend oder genervt, verstärkt sich bei den Bordeline-Patienten die Angst, verlassen zu werden. Wutanfälle oder auch Manipulationsversuche sind häufige Reaktionen. Manche drohen mit Selbstmord, wenn der Partner sie verlässt. So kommt es schnell zu einer Co-Abhängigkeit in der Borderline-Beziehung. Der Partner tut im Rahmen dieser Co-Abhängigkeit vielfach alles für den Betroffenen und stellt seine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. Damit wird die psychische Störung aufrechterhalten oder sogar verstärkt. Es ist wichtig, dass der Partner die gestörten Verhaltensmuster in der Borderline-Beziehung erkennt und sich Hilfe sucht.
Liebe und Sexualität
Borderline-Patienten, die in ihrer Kindheit Missbrauch erlebt haben, haben grosse Schwierigkeiten, langfristige Bindungen einzugehen. Beziehungen auf Basis von Verständnis und Wertschätzung sind ihnen nicht vertraut. Gleichzeitig ist eine starke Sehnsucht nach Nähe typisch bei Borderline. Sexualität wird dann von vielen Patienten als Mittel eingesetzt, eine Beziehung aufzubauen.
Oft ist Borderlinern ihre sexuelle Orientierung unklar. Denn die Schwierigkeiten mit der eigenen Identität zeigen sich auch bezüglich der sexuellen Ausrichtung. Ihre sexuelle Offenheit in Kombination mit der Impulsivität wirkt auf andere Menschen teilweise sehr anziehend. Borderliner sind dadurch gefährdet, wieder in eine missbräuchliche Situation zu geraten, ohne dies sofort zu merken. Es gibt Hinweise darauf, dass Borderliner Sex auch zur Reduktion von Spannungen und zur Unterdrückung von Ängsten einsetzen. Einige Borderline-Patienten suchen das Risiko, schaden sich damit selbst und fallen in eine noch tiefere Leere. Unter anderem ist dies manchmal der Grund, warum einige Borderliner fremdgehen.
Freundschaft und Familie
Ob Liebesbeziehung oder Freundschaft - der Umgang mit Borderline-Erkrankten ist immer ein Drahtseilakt. Der ständige Wechsel zwischen Nähe und Distanz, die emotionalen Achterbahnfahrten und die Wutausbrüche sind auf Dauer schwer auszuhalten. Wenn Borderliner den Kontakt abbrechen, handelt es sich oft um eine Art Selbstschutz-Verhalten.
Viele Menschen mit Borderline lügen zudem häufig. Entweder, weil Fehler in ihrem schwarz-weiss geprägten Weltbild keinen Platz haben oder aus Furcht, verlassen zu werden. Jugendliche mit der Borderline-Störung verändern unter Umständen sehr schnell die Dynamik in der Familie. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Risikoreiches Verhalten, Stimmungsschwankungen und manchmal auch Suizidversuche sind Teil der psychischen Störung. Auf Borderline-Angehörige wirkt das Verhalten des betroffenen Familienmitglieds oft verstörend. Sie haben Schwierigkeiten damit, die Handlungen nachzuvollziehen und fühlen sich oft hilflos.
Umgang mit Borderlinern
Vor allem nahestehende Personen wie die Familie leiden oft unter den extremen Symptomen von Borderline und fragen sich, wie sie sich gegenüber Menschen mit Borderline verhalten sollen. Angehörigen sowie Partnern von Betroffenen empfiehlt man, sich an Beratungsstellen zu wenden, um Informationen und Kontakte zu Therapeuten zu erhalten. Eine therapeutische Behandlung - ambulant oder stationär - ist für Borderline-Patienten in jedem Fall zu empfehlen. Wenn möglich, bezieht der Therapeut Familienmitglieder oder Partner mit ein.
In der Therapie erhalten die Angehörigen Empfehlungen für "Regeln" im Umgang mit Borderline Patienten und haben somit die Möglichkeit, zur Verbesserung der Krankheitssymptome beizutragen. Nicht nur viel Verständnis und Wohlwollen, sondern auch sinnvolle Grenzen zu setzen, hilft im Umgang mit Borderline Patienten. Im nächsten Schritt bearbeitet man Themen, die in der Familie oder Partnerschaft zu Problemen führen. Die therapeutische Behandlung dauert häufig viele Jahre, da Borderline eine sehr tiefgreifende Störung ist. Sowohl für die Betroffenen als auch die Familie, Partner oder Freunde ist der Umgang mit der psychischen Störung ein fordernder Lernprozess.
Nehmen Sie als Angehöriger die Androhung eines Selbstmordversuches immer ernst! Über die Hälfte der Borderline Patienten durchlebt mindestens einen Suizidversuch. Zudem ist es wichtig, dass Angehörige von Betroffenen auch auf ihr eigenes Wohl achten. Es ist ratsam, sich bei Bedarf Unterstützung zu holen und sich immer wieder eine Auszeit von dem herausfordernden Umgang mit dem Borderliner zu gönnen, um Kraft zu tanken.
Soziale Distanz und Großzügigkeit
Eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft ist die Fähigkeit zu teilen. Auch in der Ökonomie kommt es darauf an, die Absichten der anderen Marktteilnehmer bei Entscheidungen mit einzubeziehen. Erwiesen ist etwa, dass wir uns nicht allen Menschen gegenüber gleichermassen grosszügig verhalten. «Steht uns ein Mensch besonders nahe, sind wir meist deutlich freigiebiger, als wenn es sich um einen Unbekannten handelt», erklärt Philippe Tobler, Professor für Neuroökonomie der Universität Zürich.
Die Zürcher Forschenden haben nun mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Bonn und Düsseldorf in einer neuen Studie untersucht, wie die soziale Distanz mit der Fähigkeit zu teilen zusammenhängt und welche Gehirnregionen dabei eine Rolle spielen. Sie können zeigen, dass eine Region im seitlichen hinteren Bereich des Gehirns die egoistischen Bestrebungen einer anderen im Stirnhirn kontrolliert und somit altruistische Handlungen zulässt.
Während die Probanden sich im Hirnscanner befanden, gaben ihnen die Forschenden die Aufgabe, sich als Interaktionspartner eine sehr nahe stehende, eine weiter entfernte oder gänzlich unbekannte Person vorzustellen. Dann führten die Teilnehmer in verschiedenen Wiederholungen das folgende Verteilungsspiel durch: Sie mussten jeweils entscheiden, ob sie einen vorgegebenen Geldbetrag - zum Beispiel von 125 Euro - für sich behalten wollten. Die freigiebigere Alternative war, selbst 75 Euro einzustreichen, den gleichen Betrag dem Spielpartner zu gönnen und damit auf 50 Euro zugunsten einer anderen Person zu verzichten.
«Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmer viel eher bereit waren, ihren Egoismus zu überwinden und den Geldbetrag zu teilen, wenn es sich bei dem Partner um einen emotional nahestehenden Menschen handelte», sagt Erstautorin Tina Strombach von der Universität Düsseldorf. Die Hirnscans ergaben, dass sich bei der Entscheidungsfindung zwei Bereiche im Gehirn widerstritten: Der eine ist der ventromediale präfrontale Cortex, der im Stirnlappen der Grosshirnrinde sitzt und zum Belohnungssystem gehört. Er stellt quasi die egoistische Komponente dar. Ihm gegenüber steht die Temporoparietale Junction im hinteren Bereich des Gehirns. Sie wird mit der Empathiefähigkeit in Verbindung gebracht und ist für die Unterscheidung von «selbst» und «fremd» wichtig.
Philippe Tobler fasst die neue Erkenntnis der Studie folgendermassen zusammen: «Beide Gehirnregionen sind Gegenspieler und tarieren gemeinsam aus, wie egoistisch oder grosszügig wir uns in Abhängigkeit von der sozialen Distanz verhalten.» Die Ergebnisse sind für die Verhaltensforschung sehr relevant, denn der Einfluss der sozialen Distanz wurde bis anhin kaum berücksichtigt.
| Soziale Distanz | Bereitschaft zu teilen | Beteiligte Gehirnregionen | 
|---|---|---|
| Nahestehende Person | Höher | Temporoparietale Junction (Empathie) | 
| Unbekannte Person | Geringer | Ventromedialer präfrontaler Cortex (Belohnung) |