Die ADHS-Abklärung ist der erste Schritt zu mehr Klarheit und Lebensqualität. Sie hilft, die Ursachen für Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität oder Unruhe zu verstehen und ermöglicht eine individuelle Unterstützung. Eine frühzeitige Diagnose kann helfen, die Lebensqualität zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen und ermöglicht es, passende Strategien zu entwickeln, die das Leben erleichtern. So wird aus einem vermeintlichen Nachteil eine Chance, das eigene Potenzial zu entfalten.
Was ist ADHS?
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die sich durch anhaltende Unaufmerksamkeit, Impulsivität und/oder Hyperaktivität zeigt. Aktuellen Studien zufolge sind etwa 3-4 % der Erwachsenen in der Schweiz von einer ADHS betroffen. Zwei Drittel derjenigen, bei denen die Störung in der Kindheit diagnostiziert wurde, erleben auch im Erwachsenenalter weiterhin Schwierigkeiten, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Wenn Sie Symptome wie Konzentrationsprobleme, innere Unruhe oder Impulsivität bemerken, die bereits seit Ihrer Kindheit bestehen, könnte dies auf eine ADHS hindeuten.
Kernsymptome:- Aufmerksamkeitsprobleme (leicht ablenkbar, Schwierigkeiten sich zu konzentrieren)
 - Hyperaktivität (innere Unruhe, Bewegungsdrang, Rastlosigkeit, übermässig reden)
 - Impulsivität (schwer steuerbar, Ungeduld, Schwierigkeiten zu warten)
 - Stimmungsschwankungen
 - Problematisches Organisations- und Zeitmanagement (mehrere Projekte gleichzeitig beginnen und nicht beenden, «Prokrastination»)
 
Ablauf der ADHS-Abklärung
Eine AD(H)S- Abklärung ist komplex und erfolgt in mehreren Schritten (zwei bis drei Termine):
- Erstgespräch (umfassende Anamnese): Erhebung der Krankengeschichte, der Biographie und aktueller Beschwerden.
 - Neuropsychologische Testung (insgesamt ca. 4-5 Stunden): Durchführung standardisierter Verfahren zur Beurteilung der kognitiven Funktionen.
 - Standardisierte Interviews und Fragebogen
 - Fremdanamnese/ Aktenanamnese: Befragung von Bezugspersonen (z. B. Eltern) zur Einschätzung des Verhaltens in der Kindheit und verschiedenen Lebensbereichen. Durchsicht der Zeugnisse.
 - Abschlussgespräch: Besprechung der Ergebnisse und Empfehlungen für weitere Schritte.
 
Lassen Sie sich bitte von einer Fachperson überweisen (Hausarzt, Psychotherapeut, Psychiater, etc.).
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Wer definiert, was „ADHS“ ist?
Psychische Störungsbilder werden von internationalen Fachorganisationen wie der „World Health Organisation“ (WHO) definiert. In der Schweiz wird die Internationale Klassifikation der Störungen (engl. International Classification of Disease (ICD)) verwendet. Durch anerkannte Kriterien wird sichergestellt, dass tatsächlich alle dasselbe meinen, wenn sie von ADHS sprechen. Alle 10 bis 20 Jahre werden die Störungsdefinitionen aktualisiert. Zur Zeit befinden wir uns im Übergang der Gültigkeit der Version ICD-10 zu ICD-11. Nach ICD-11 verändert sich die Definition der ADHS etwas; z. B. ist ADHS ohne Hyperaktivität (früher „ADS“) jetzt eine Unterform von ADHS („ADHS, vorwiegend unaufmerksam“).
Wer legt fest, wie man ADHS diagnostiziert?
Die meisten Fachpersonen orientieren sich an „Leitlinien“, die von medizinischen Fachgesellschaften erstellt werden (z.B. AWMS Leitlinie S3 zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter). Darin werden Empfehlungen gegeben für das Vorgehen bei Diagnostik und Therapie.
Aufbau der diagnostischen Untersuchung:
- Befragung von Eltern/Bezugspersonen und Kind
 
Wichtigster Teil der Untersuchung ist das gemeinsame Gespräch mit den Eltern und dem Kind. Je nach Alter des Kindes kann manchmal ein Teil des Gesprächs nur mit den Eltern oder nur mit dem Jugendlichen erfolgen. Gefragt wird nach den aktuellen Verhaltensproblemen und den typischen Situationen, in denen das Problemverhalten auftritt, sowie nach dem Leidensdruck aller Beteiligten. Es werden lebensgeschichtliche Ereignisse und Entwicklungsschritte des Kindes erfragt. Dazu gehört auch die Situation des Kindes in der Familie oder im Kindergarten bzw. in der Schule. Ziel ist es, ein umfassendes Bild des Kindes in seiner Lebensumwelt zu erhalten, einschliesslich Schwächen und Stärken und bisherigen Unterstützungsangeboten.
Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose)
Es sollte untersucht werden, ob die ADHS-Symptome vielleicht durch eine andere Störung ausgelöst werden, die dann anders behandelt werden müsste als eine ADHS. Es können dazu z.B. eine körperliche Untersuchung des Kindes erforderlich sein (bspw. Hör- und Sehtests), Laboruntersuchungen, neurologische Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) oder eine Hirnstrommessung mit klinischem EEG (Elektroenzephalogramm) zum Ausschluss einer Epilepsie. Zur eigentlichen ADHS-Diagnose kann aber keines dieser Verfahren sinnvoll eingesetzt werden; diese Abklärungen dienen lediglich zum Ausschluss anderer Störungen.
Abklären von Begleitstörungen
Fachpersonen klären ausserdem ab, - im Gespräch, mit Fragebogen und/oder Tests -, ob zusätzlich zur ADHS noch andere Probleme vorliegen, was häufig vorkommt (etwa 60% der Fälle). Oft gehen Fachpersonen dazu systematisch eine Liste von psychischen Problemen durch, damit sie Störungen erfassen können, die nicht spontan genannt werden. Es kommen z.B. Angststörungen oder Depressionen bei ADHS häufiger vor als bei Kindern ohne ADHS. Das gilt auch für Lernstörungen, wie z.B. Dyslexie.
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Fragebogenverfahren
Viele Fachpersonen setzen ADHS-Fragebogenverfahren ein, die von den Eltern, Lehrpersonen und, je nach Alter, von dem betroffenen Kind selbst ausgefüllt werden. Dabei wird systematisch nach den für ADHS relevanten Problemen gefragt (z.B. „ist zappelig“), wobei auch der Schweregrad der Probleme angegeben wird (z.B. von 1 („trifft gar nicht zu“) bis 4 „(trifft völlig zu“)). Es ist sehr wichtig, vergleichbare Angaben von unterschiedlichen Personen zu erhalten, da sich das Kind je nach Situation (zuhause, in der Schulklasse) anders verhalten kann.
Testpsychologische Untersuchungen
Testpsychologische Untersuchungen werden eingesetzt, um Leistungsprobleme und -Stärken zu erfassen. Dabei sind die Eltern normalerweise nicht anwesend, damit sich die Kinder nicht durch deren Anwesenheit beeinflussen lassen. Meist wird zunächst ein Test zum allgemeinen Leistungsniveau (Intelligenztest) durchgeführt, der sich aus mehreren Untertests zu unterschiedlichen Fähigkeiten zusammensetzt. Weitere Testverfahren, auch am Computer, z.B. zur Aufmerksamkeit oder Selbstkontrolle, werden nach Bedarf verwendet.
Fremdbefragung
Um zu überprüfen, wie sich ADHS-Symptome in der Schule (dem Kindergarten) zeigen, gehört eine Befragung der wichtigsten Lehrperson(en) in der Regel zur Diagnostik dazu, natürlich mit Einverständnis der Eltern. Manchmal ist auch ein Unterrichtsbesuch erforderlich, um ein besseres Bild zu erhalten. Eine sorgfältige Abklärung ist die Voraussetzung für die Behandlung, da jeder Fall von ADHS individuell betrachtet und behandelt werden sollte.
Beispiele für Fragebogenverfahren
Hier sind einige Beispiele für Fragebogenverfahren, die bei der ADHS-Diagnostik eingesetzt werden:
Conners 3®
Die Conners 3® sind ein klinisches Fragebogenverfahren zur Erfassung von Aufmerksamkeitsstörungen. Die Inhaltsskalen geben einen Überblick über das Verhalten des Kindes oder Jugendlichen hinsichtlich der ADHS-Kernsymptome und Probleme, die im Zusammenhang damit auftreten (aggressives Verhalten, Sozialverhalten, exekutive Funktionen, Lernprobleme). Die DSM-IV-TR- bzw. DSM-5- und ICD-10-Symptomskalen umfassen die Diagnosekriterien der ADHS, der hyperkinetischen Störungen, der Störung mit oppositionellem Trotzverhalten und der Störung des Sozialverhaltens. Sowohl die Anzahl der jeweils zutreffenden Diagnosekriterien (kategoriale Beurteilung; Symptomzahl) als auch ein Standardwert (dimensionale Beurteilung; Skalenwert) können berechnet werden.
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Die Validitätsskalen erlauben eine Überprüfung der Antwortmuster hinsichtlich Inkonsistenz und Verzerrungstendenzen. Zusätzlich sind Screening-Items zu Depressivität und Ängstlichkeit, kritische Items zu Aggressivität und Sozialverhalten, die einen dringenden Handlungsbedarf anzeigen, und Beeinträchtigungs-Items enthalten. Das DSM-5 Update-Heft informiert über alle relevanten Änderungen bei der Auswertung und Interpretation mittels DSM-5.
Vier verschiedene Versionen (ADHS-Index, Langversion, Kurzversion, Global-Index) liefern unterschiedlich ausführliche Daten und bieten sich für verschiedene Stufen der Diagnostik an (Screening für Aufmerksamkeitsprobleme, ausführliche Diagnostik bei Verdacht auf ADHS, Verlaufsuntersuchungen, allgemeines Screening für Verhaltensprobleme). Alle Fragebogen sind auch elektronisch über das Hogrefe-Testsystem (HTS) durchführbar und auswertbar.
Der Großteil der Skalen der Langversion weist in allen Beurteilerversionen und über alle Altersgruppen hinweg sehr gute Werte für die interne Konsistenz auf (Cronbachs Alpha > .85). Die übrigen Skalen weisen mit Cronbachs Alpha > .70 zumeist akzeptable Kennwerte auf. Die Test-Retest-Reliabilitäten der Originalversion können mit durchschnittlichen Werten um .85 ebenfalls als gut bezeichnet werden. Die Validität der Conners Skalen wurde in zahlreichen Studien mit verschiedenen Messinstrumente zur Kreuzvalidierung überprüft. Dabei zeigte sich, dass die Conners Skalen Kinder und Jugendliche mit ADHS zuverlässig von Kindern und Jugendlichen ohne klinische Diagnose zu unterscheiden vermögen.
BRIEF
Das BRIEF ist ein klinisches Fragebogenverfahren zur Erfassung exekutiver Funktionsbeeinträchtigungen. Es liegt in drei Versionen vor: zur Beurteilung durch Eltern, durch Lehrer und zur Selbstbeurteilung. Die Fremdbeurteilung umfasst jeweils 86 Fragen. Es werden zwei Hauptindices gebildet: ein Verhaltensregulations- Index aus den Skalen Hemmen, Umstellen und emotionale Kontrolle sowie ein Kognitiver Regulations-Index aus den Skalen Initiative, Arbeitsgedächtnis, Planen/ Strukturieren, Ordnen/Organisieren und Überprüfen. Beide Indices ergeben zusammen den Exekutiven Gesamtwert.
Die Selbstbeurteilung mit 80 Fragen (BRIEF-SB) ist dazu weitgehend parallel aufgebaut. Die interne Konsistenz der Skalen und Indices der BRIEF-Eltern- und -Lehrerversionen liegt zwischen .79 und .98, die des BRIEF-SB zwischen .73 und .96. Retest-Reliabilitäten liegen beim BRIEF-Eltern für die meisten Skalen über .80, bei der Lehrerversion meist über .90. Hauptindices der Lehrer- und Elternskalen lassen sich faktorenanalytisch reproduzieren. Die klinische Validität wird anhand von Profildarstellungen verschiedener Störungsbilder (u.a. Fremdbeurteilung (Eltern und Lehrer): geschlechtsspezifische Normen (N = 921 [Eltern] bzw.
ADHS-Gruppentreffen für Erwachsene
In Gruppentreffen werden ADHSspezifische Herausforderungen und Eigenschaften thematisiert. Umgang mit Reizüberflutung, Gedankenkarussell, Hyperfokus, Struktur und Ordnung, Zeitmanagement, RSD, Abgrenzung, Entscheidungsfindung, Analyse-Paralyse, Maskieren, Ernährung, Stärken von ADHS, Beziehungen, Prokrastination, ADHS am Arbeitsplatz, Selbstverurteilung, Selbstsabotage, Stressbewältigung.
Markus Hämmerli, Projektteam adhs20+, ADHS-Coach, Cert.
Daten: Donnerstagabend 3. Juli, 19. Aug. (Dienstag), 25. Sept., 23. Okt., 20. Nov., 18. Dez.
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