In Therapie, Beratung, Coaching und Seelsorge tauchen immer wieder Fragen mit lebensphilosophischem Inhalt auf: „Darf ich das?“ „Soll ich das tun?“ „Was ist überhaupt ...?“. Fragen wie „Was ist ein wertvoller Mensch?“, „Darf ich das?“ oder „Soll ich das tun?“ begegnen uns regelmäßig.
Was ist der Sokratische Dialog?
Der Sokratische Dialog ist eine strukturierte Methode der Gesprächsführung, die auf Reflexion, kritisches Denken und Erkenntnisgewinn abzielt. Dabei stellt ein Moderator gezielte Fragen, um Denkprozesse anzustoßen und tiefere Einsichten zu ermöglichen.
Viele kennen Sokrates vom Sokratischen Dialog oder Sokratischen Gespräch - als der, der die vielen Fragen stellte. Sokrates gilt als einer der prägenden Philosophen des westlichen Abendlandes.
Oftmals ist unser Denken wenig realitätsgerecht, unsere Schlussfolgerungen unpassend, unsere Glaubenssätze würden einer sachlichen Disputation schwer standhalten. Nach wie vor gehört der Sokratische Dialog zu den effektivsten Methoden, Denkausrichtungen zu befragen, zu festigen oder zu verändern.
Entwicklung und Anwendung
Der Sokratische Dialog gilt als eine zentrale Schaltstelle kognitiv orientierter Therapie und Beratung. Er ist in unterschiedliche therapeutische Konzepte sinnvoll integrierbar. Thomas Rehehäuser (1974) passte sie an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts an.
Lesen Sie auch: Rottenburg Psychotherapie
Sie lernen die fünf wesentlichen Grundhaltungen und Vorgehensweisen kennen und wie Sie diese im Gespräch vorbereiten. Stelle dir vor, wenn wir wirklich zuhören und gemeinsam denken würden?
Bedeutende Persönlichkeiten und ihre Beiträge
Auch in der Schweiz haben sich namhafte Personen mit dieser Dialogform auseinandergesetzt. Hier sind einige Beispiele:
- Karl Jaspers (1883-1969) - Der deutsch-schweizerische Philosoph befasste sich intensiv mit existenziellem und dialogischem Denken.
- Max Frisch (1911-1991) - Der renommierte Schweizer Schriftsteller nutzte in seinem Werk „Schweiz ohne Armee?“.
- Ueli Aeschlimann - Als emeritierter Professor für Physik und Fachdidaktik setzte er sich intensiv mit der Anwendung des sokratischen Gesprächs in der Bildung auseinander.
- Martin Wagenschein (1896-1988) - Obwohl deutscher Herkunft, beeinflusste Wagenschein die Schweizer Bildungslandschaft maßgeblich.
- Fritz Perls (1893-1970) - Der in Berlin geborene Psychotherapeut, der später in die Schweiz zog, entwickelte die Gestalttherapie.
- Ernst Cassirer (1874-1945) - Obwohl gebürtiger Deutscher, verbrachte er Zeit in der Schweiz.
Der Unterschied zu Alltagsgesprächen
Ein Sokratischer Dialog unterscheidet sich deutlich von alltäglichen Gesprächen.
Kognitive Verhaltenstherapie und der Sokratische Dialog
Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich seit den 1960er Jahren aus einer Gegenbewegung zum Behaviorismus entwickelt. Als Begründer kognitiver Therapien gelten Aaron T. Beck. Im Mittelpunkt der kognitiven Therapieverfahren stehen Einstellungen, Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen.
Die kognitiven Therapieverfahren gehen davon aus, dass unsere Denkprozesse bestimmen, wie wir uns fühlen und verhalten und auch wie wir körperlich reagieren. Die kognitive Therapie stellt somit die aktive Gestaltung des Wahrnehmungsprozesses in den Vordergrund, weil die subjektive Sicht der Betroffenen über das Verhalten entscheidet.
Lesen Sie auch: Überblick: Die neue Psychotherapie-Regelung in der Schweiz
Ist die Kognition inadäquat (z. B. Verzerrte Informationsverarbeitungsprozesse), kann ein unangemessener Umgang mit Sachproblemen und schwierigen Lebenssituationen zu erheblichen Beeinträchtigungen führen.
Selbstinstruktionstraining
Der Ausgangspunkt der Methode der Selbstinstruktion ist die Erkenntnis, dass das menschliche Handeln und Erleben von einem selbstreflexiven inneren Dialog begleitet wird. Der Selbstinstruktionsansatz geht auf Donald W. Meichenbaum zurück. Der innere Dialog bewertet die Ereignisse und Gedanken, und die Bewertung entscheidet darüber, ob diese Phänomene als positive Verstärker oder als Bestrafung wirken.
Selbstinstruktionstraining gilt als wirksame Intervention bei Störungen der Aufmerksamkeit und der Selbststeuerung (ADS, ADHS).
Die kognitive Therapie geht auf Aaron T. Beck (geb. 1921) zurück und bezieht sich in erster Linie auf seine Theorie der Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression.
Kognitive Schemata
Kognitive Schemata ordnen und organisieren die Aufnahme und die Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt und wirken wie Filter, die selektiv bestimmte Aspekte unserer Erfahrung hervorheben oder unterdrücken, je nach Grundüberzeugungen des Individuums. Gemäss Beck ist das Denken von Depressiven durch negative Schemata gekennzeichnet.
Lesen Sie auch: Digitale Innovationen Psychotherapie
Diese Überzeugungen gehen so weit, dass die Betroffenen denken, sie seien unfähig, erfolgreich und glücklich zu sein. Sie neigen dazu, sich zu unterschätzen und zu kritisieren. Schemata sind hier stabile kognitive Verarbeitungsmuster, die sich in der Kindheit und Jugend herausgebildet haben.
Automatische Gedanken
Während wir uns im Alltag bewegen, gehen uns unzählige Gedanken durch den Kopf; manche trösten uns, andere beunruhigen uns. Beck hat diese unwillkürlichen Kognitionen automatische Gedanken genannt. Depressive Menschen erleben die kognitive Triade z. B. in Form einer ununterbrochenen Kette unangenehmer Gedanken.
Beispiel einer depressiven Entwicklung
Jennifer war in der Kindheit eher zurückhaltend und schüchtern. Nach der Trennung ihrer Eltern und einem Umzug hat sie jedoch grosse Schwierigkeiten, in der neuen Schule Anschluss zu finden. Sie ist einsam, traurig, fühlt sich auch von der Mutter nicht verstanden. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Zimmer zurück. In der Schule kann sie sich nicht konzentrieren, fehlt wegen Bauch- oder Kopfschmerzen, und ihre Noten werden schlechter, obwohl sie sich weiter bemüht.
Kognitive Erklärungsansätze für Angststörungen
Kognitive Erklärungsansatze für Panik- und Angststörungen postulieren, dass aufgrund früher negativer Erfahrungen dysfunktionale kognitive Schemata entstehen, die in der weiteren Entwicklung durch Belastungsfaktoren aktualisiert werden können. Man geht davon aus, dass Betroffene aufgrund negativer Grundüberzeugungen gewisse Körperempfindungen als lebensbedrohliche Gefahr interpretieren.
Die positive Rückkoppelung zwischen Bewertung, Angst und körperlichen Empfindungen entwickelt sich im Sinne eines Teufelskreises zu einer Angstattacke.
Automatische vs. kontrollierte Prozesse
Eine der Grundannahmen der kognitiven Psychologie ist, dass die Kapazitäten zur Verarbeitung von Informationen begrenzt sind. Automatische Prozesse beinhalten Operationen, die wenig Kapazität erfordern und deshalb parallel abgewickelt werden können. Sie sind eher bewusst und stehen unter volitionaler Kontrolle.
Humanistischer Ansatz und Personzentrierte Psychotherapie
Aus dem humanistischen Ansatz sind viele Therapieformen, aber auch Selbsterfahrungstechniken und esoterische Verfahren hervorgegangen. Für den therapeutischen Ansatz, der von Carl R. Rogers (1902-1987) entwickelt wurde, gibt es unterschiedliche Bezeichnungen.
Das Ziel der klientenzentrierten Therapie besteht darin, das gesunde psychische Wachstum des Menschen zu fördern. Nach Rogers besteht die Aufgabe der Therapie in der Gestaltung eines therapeutischen Umfelds, das dem Klienten erlaubt, Verhaltensweisen zu erlernen, die sein Selbstwachstum und seine Selbstverwirklichung fördern.
Die personzentrierte Haltung
Die personzentrierte Haltung fordert eine seelisch-geistige Einstellung von PsychotherapeutInnen und BeraterInnen, die der ratsuchenden Person hilft, Blockierungen ihrer Wachstums- und Entwicklungsimpulse aufzulösen. Sie beschreibt die günstigen Beziehungsbedingungen für psychische Veränderung.
Das zentrale Erklärungsprinzip von Rogers, die Aktualisierungstendenz stellt das grundlegende Motiv menschlichen Handelns dar. Rogers sieht in der Aktualisierungstendenz das wichtigste Prinzip für ein personzentriertes Verständnis von Entwicklung - einschliesslich Störungsentstehung und Psychotherapie.
Rogers‘ Persönlichkeitstheorie
Rogers hat 19 Thesen zu seiner Persönlichkeitstheorie aufgestellt (1973/1951). Diese vertiefen im Wesentlichen die Begriffe und Konzepte, die in den vorausgegangenen Kapiteln zur personzentrierten Psychotherapie beschrieben wurden, und stehen hier als Vertiefungsstoff.
Psychische Fehlanpassung liegt vor, wenn der Organismus vor dem Bewusstsein wichtige Körper- und Sinneserfahrungen leugnet, die demzufolge nicht symbolisiert und in die Gestalt der Selbststruktur organisiert werden.
Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl
Viktor Frankl (1905-1997) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater und begründete die Logotherapie und Existenzanalyse. Die Logotherapie stellt die «Selbstbestimmung des Menschen aufgrund seiner Verantwortlichkeit und vor dem Hintergrund der Sinn- und Wertewelt» (Frankl, 1990) ins Zentrum der Betrachtung.
Logotherapie - nicht zu verwechseln mit Logopädie - ist eine auf Sinn zentrierte Psychotherapie. Immer mehr gesunde und kranke Menschen, besonders der reichen Nationen, geraten in den Zustand der existenziellen Frustration.
Deren Ziel besteht u.a. darin, dass der betroffene Mensch seine ureigensten Sinnmöglichkeiten entdecken und verwirklichen kann. Auf diese Weise wird die in der psychotherapeutischen Szene vielfach vernachlässigte Dimension des Geistes für den Heilungsprozess fruchtbar gemacht.
Der Wille zum Sinn
Das Sinnlosigkeitsgefühl ist nach Frankl immer bedeutsamer für die Menschen geworden, weil biologische Instinkte und auch kulturelle Traditionen immer weniger Orientierung ermöglichen. Der Wille zum Sinn ist gemäss Frankl die dem Menschen innewohnende primäre Motivationskraft.
Es ist nicht die Logotherapie, die dem Leben des Patienten Sinn geben kann, aber sie soll im Patienten die Überzeugung wecken, dass er Sinn finden kann.
Dereflexion und paradoxe Intention
Das Konzept der Dereflexion wird bei psychosomatischen Funktionsstörungen eingesetzt. Gemäss diesem Konzept wird der Störung vom Patienten zu viel Aufmerksamkeit gewidmet, d.h. es findet zu viel Reflexion statt. Ein ähnliches Vorgehen wird mit der paradoxen Intention verfolgt (diese ist auch in der kognitiven Verhaltenstherapie als Symptomverschreibung bekannt).
Die praktische Anwendung der Logotherapie liegt primär in der Hilfestellung für Menschen, die (noch) nicht erkrankt sind, sich aber in einer existenziellen Orientierungslosigkeit befinden, an der sie leiden.
Gestalttherapie
Die Gestalttherapie wurde von Fritz Perls, Laura Perls und Paul Goodman begründet. Diverse Ansätze und Strömungen sind in die Gestalttherapie eingeflossen. In diesem Sinne kann man die Gestalttherapie als «eine wenig geschlossen-strukturierte Ansammlung von Interventionstechniken» bezeichnen.
Das Leben wird als fortwährender Wachstumsprozess verstanden; zentrale Begriffe sind dabei: Wachstum, Selbstaktualisierung, Gewahrsein, Bewusstheit, Kontakt, Umwelt, Innenwelt, Begegnung.
Die neun Kerngebote der Gestalttherapie
Die neun Kerngebote wurden vom Perls-Schüler Eric Marcus (1979) wie folgt formuliert:
- Lebe jetzt.
- Lebe hier.
- Höre auf, dir etwas vorzustellen.
- Höre auf, unnötig zu denken.
- Lass dich auf Unerfreuliches und Schmerz ebenso ein wie auf Freude.
- Akzeptiere keine «sollte» oder «müsste» ausser deinen eigenen.
- Akzeptiere dich (und die anderen), wie du jetzt bist (wie sie jetzt sind).
Kontaktzyklen und Kontaktstörungen
Die Auseinandersetzung des Organismus mit der Umwelt läuft in Kontaktzyklen ab. Vollständig durchlaufene Kontaktzyklen führen in Auseinandersetzung mit der Umwelt zu Assimilation und Integration. Kontaktprozesse können aufgrund von äusseren, z. B. erniedrigenden oder traumatischen, oder inneren Einflüssen unterbrochen werden.
Wird aber der Kontakt (zu sich selbst oder zu andern) unterbunden, entsteht eine unvollendete Gestalt. Der Kontaktzyklus verläuft jeweils in vier Schritten.
tags: #sokratischer #dialog #psychotherapie #beispiel