Männer sind in der psychologischen Forschung schlechter repräsentiert als Frauen, daher sind Therapieformen für Männer nötig. Die gängigsten Therapieformen sind häufig primär an Frauen getestet worden. Auch stellen sich bei Männern zuweilen andere Frage- und Problemstellungen.
Männliche Depression: Eine verkannte Realität
Männer gehen nach wie vor seltener in die Psychotherapie als Frauen, weil sie das Gefühl haben, ihre Probleme selbst lösen zu müssen. Dies selbst dann, wenn es ihnen bereits sehr schlecht geht. Und wenn sie eine Therapeutin oder einen Therapeuten aufsuchen, haben sie häufiger das Gefühl, dass ihnen nicht richtig geholfen wird. Dabei sind Männer gleich oft psychisch beeinträchtigt wie Frauen. Bei Frauen werden allerdings doppelt so häufig Depressionen diagnostiziert.
Die Statistik trügt, da Depressionen bei Männern einfach weniger gut entdeckt werden, weil sie seltener Hilfe suchen. Dazu kommt, dass sich Depressionen bei Männern oft in anderen Symptomen äussern, also durch Verhaltensmuster abseits der klassischen Symptome. Bei Männern sind Ärger, Aggression oder Substanzmissbrauch Hinweise auf Depressionen.
Typische Symptome bei Männern
- Ärger
- Aggression
- Substanzmissbrauch
- Risikoreiches Verhalten
- Psychosomatische Symptome (Kopf- oder Magenschmerzen)
Es gibt Studien, die zeigen, dass unter Berücksichtigung dieser Symptome Männer etwa gleich häufig unter Depressionen leiden wie Frauen. In einer aktuell laufenden Zürcher Studie, in der die weltweit erste männerspezifische Psychotherapie für Depressionen getestet wird, werden solche männertypischen Depressionssymptome mit einbezogen, sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie.
Traditionelle Männlichkeitsideologien (TMI)
Ein wichtiges Instrument für Studien wie auch in den Therapien sind aktuell sogenannte traditionelle Männlichkeitsideologien, sogenannte TMI, wie sie in der Wissenschaft genannt werden. Dabei handelt es sich um gesellschaftlich definierte Standards und Normen, wie Männer zu sein und sich zu verhalten haben.
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Beispiele für TMI
- Streben nach Status
- Wunsch, immer zu gewinnen
- Arbeit hat Vorrang
- Man kann sich nur auf sich selbst verlassen
- Restriktive Emotionalität (Unterdrücken von Gefühlen)
- Wunsch nach Dominanz in sozialen Situationen
Die traditionellen Männlichkeitsideologien sind oft unerreichbare Ideale für Männer, an denen sie nur scheitern können, wenn sie zu sehr versuchen, ihnen zu entsprechen. Zahlreiche Studien wie auch die Erfahrung als Therapeut zeigen: Je stärker Männer die traditionellen Männlichkeitsideologien befürworten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für sie, an einer Depression zu erkranken, Suizid zu begehen oder eine Psychotherapie vorzeitig abzubrechen. In Therapien, die auf Männer zugeschnitten sind, sollen dysfunktionale Rollenbilder erkannt, hinterfragt und wenn nötig aufgelöst werden.
In Zeiten von Krieg und Terror kann die verstärkte Zuwendung zu traditionellen Männlichkeitsideologien eine Reaktion auf Unsicherheit sein und eine Suche nach einem festen Grund inmitten des Chaos darstellen. Männlichkeitsideologien erfahren in solchen Zeiten verstärkt Zustimmung, da sie ein Gefühl der Kontrolle und Macht und allem voran des Bekannten und Vorhersagbaren vermitteln, was in einer unbeständigen Welt beruhigend wirken kann.
Diese traditionellen Rollenbilder beinhalten durchaus auch positive Eigenschaften, wie zum Beispiel die Versorger- und Beschützerrolle. Es gibt gute und verantwortungsvolle Leader oder auch Männer in Machtpositionen, die für Schwächere einstehen. Traditionelle Rollenbilder haben für viele Männer wahnsinnig viele Kosten, auch wenn sie gesellschaftlich davon profitieren.
Kosten traditioneller Rollenbilder
- Kürzere Lebenserwartung (rund fünf Jahre)
- Höhere Suizidrate (drei- bis viermal so häufig)
- Weniger starke emotionale Bindungen
- Aufrechterhaltung des Patriarchats
Wenn Männer es in der Therapie schaffen, starre Rollenbilder abzubauen, kann das tatsächlich zu Reibungen mit der Realität kommen. Wichtig ist: Wir nehmen in der Therapie niemandem seine Grundüberzeugungen weg. Wir schauen nur an, welche Verhaltensmuster schädlich sind und wie damit umgegangen werden soll.
Hoffnung und Wandel
Es gibt zum Beispiel immer mehr junge engagierte Väter in der Öffentlichkeit. Sie sind präsenter und involvierter. Das wird auch positive Langzeitfolgen haben, denn die Chance, dass diese Männer auch im Alter noch gute Beziehungen zu ihren Kindern haben, ist gross. Die Rollenbilder halten sich sehr hartnäckig, da sie von der frühen Kindheit an erlernt und reproduziert werden. Aber nur schon dass wir jetzt hier sitzen und über Männlichkeit diskutieren, zeigt für mich, dass etwas im Wandel ist. Bei jungen Menschen ist zum Beispiel auch eine höhere Toleranz für nonbinäre Personen feststellbar. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass Menschen immer mehr so sein und leben können, wie sie das wirklich wollen. Für mich eine sehr positive Entwicklung.
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Aggression als Ausdruck von unerfüllten Bedürfnissen
Aggressionen wie Irritation, Wut, Hass haben vielerlei Ursachen. Eine davon ist Furcht. Furcht vor Autorität, vor Verlust; und die Angst vor dem Sterben ist eine andere. Schuldgefühl verwandelt sich oft in ein aggressives Verhalten. Unser Bedürfnis, von denen, die wir lieben, als wertvoll empfunden zu werden, ist ein tief verwurzeltes menschliches Bedürfnis. Die Erfahrung, sich wertvoll zu fühlen, ist das Herzstück unseres Selbst.
Wenn ein Familienmitglied plötzlich aggressiv wird, dann heisst das übersetzt: «Ich fühle mich von dir nicht so wertgeschätzt, wie ich es gerne möchte. Aggression ist nicht der Feind von Liebe und Zuneigung. Sie ist vielmehr eine von vielen Arten, Liebe auszudrücken.
Als Eltern spüren wir die Verbindung zwischen wertvoll und aggressiv meist sehr klar. Die Kinder drücken das sehr gut aus. Wenn Kinder rückmelden, dass sie sich nicht als wertvoll empfinden, werden sie meist beschimpft, bestraft oder womöglich auch geschlagen. Elterliche Aggression liegt immer in der Verantwortung der Erwachsenen. Es ist niemals die Schuld des Kindes.
Männer leiden anders
Männer suchen bei psychischen Problemen seltener professionelle Hilfe als Frauen. Viele versuchen, ihre Probleme ganz allein zu lösen. Im schlimmsten Fall sehen sie irgendwann keinen anderen Weg mehr als den Suizid. Männer haben in der Regel weniger emotional tragfähige Beziehungen als Frauen. Ich will ihnen deshalb vermitteln: Sprechen Sie früher über das, was Sie belastet. Und auch Angehörige sollten ihren Partner, Vater, Sohn oder Bruder auf mögliche Probleme ansprechen. Denn viele Männer zögern lange damit, sich jemandem mit ihren Problemen anzuvertrauen.
Sozial akzeptierte negative Emotionen sind bei Männern traditionell nur Ärger und Aggression. Einige Männer zeigen deshalb bei einer Depression eher nicht typische Symptome wie Hoffnungslosigkeit, Trauer, Freud- und Interessensverlust, Schuld oder Scham. Sie maskieren die dahinterliegende Depression mit Ärger und Aggression, erhöhtem Substanzkonsum, risikoreichem Verhalten oder körperlichen Symptomen. Erst wenn eine Fachperson das erkannt hat, kann sie die Depression effektiv behandeln.
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Wege zur Besserung
Männer sollten ihren Freunden gegenüber ansprechen, wie es ihnen geht, zum Beispiel, dass sie gereizter sind als sonst, streitlustiger und angespannter. Wenn der Freund dann sagt: «Hör mal, du hast gerade ein Kind bekommen und schläfst kaum noch» - dann kann er das einordnen. Wenn der Freund aber sagt: «Das ist mir auch aufgefallen, und ich habe mich schon gefragt, was bei dir los ist», dann ist es im nächsten Schritt womöglich eine gute Idee, Hilfe zu suchen und anzunehmen.
In der Psychotherapie können sich solche Ideologien negativ auswirken, zum Beispiel, wenn ein Mann Schwierigkeiten hat, sich auf einen kooperativen Prozess einzulassen, sich verletzlich zu zeigen und der Fachperson auch öfters die Gesprächsführung zu überlassen. Es kann also zu therapiestörenden Prozessen kommen, teilweise wird die Therapie abgebrochen. Mein Ziel ist es, die Psychotherapie für Männer effizienter zu machen und diese möglichen Stolpersteine in der Therapie frühzeitig aus dem Weg zu räumen.
Es geht darum, Männern Handlungs- und Denkoptionen aufzuzeigen, die mehr Flexibilität im Umgang mit schwierigen Situationen ermöglichen. Viele Männer haben aufgrund ihrer Sozialisation bestimmte Verhaltensmuster entwickelt, die ihnen in verschiedensten Lebensbereichen durchaus nützlich sind. Diese Muster können in anderen Kontexten hinderlich sein, besonders wenn es um ihre psychische Gesundheit und emotionale Intimität geht. Der Mann hat womöglich nicht die tiefgehende Beziehung zu den Kindern oder der Partnerin, die er sich wünschen würde. Wir möchten Männer dann darin unterstützen, ihre bisherigen Strategien zu reflektieren und zu erweitern.
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