ADHS: Eine Erfindung? Pro und Contra

Das Schweizer Bildungssystem ist seit Jahrzehnten veraltet wie das vieler andere Länder auch. Es wurde reformiert und reformiert, das bedeutet, das alte wurde verändert und versucht, es an die neuen Bedingungen anzupassen. Massgebend brauchen wir aber einen ganz neuen Griff, ein neue menschengemässe würdige Pädagogik!

Bildung ist für die individuelle und kollektive Entwicklung eines Volkes sehr wichtig. Wir wissen aus vielen Entwicklungen von Völkern, dass es essentiell ist, den Prozentsatz von Analphabeten sehr niedrig zu halten bzw. Bildung ist ein kollektiver Prozess und je fundierter, moderner, den heutigen Bedürfnissen und Sehnsüchten der Menschen angepasste Bildung organisiert und angeboten wird, desto zufriedener und gesünder sind Menschen, desto geringer gibt es Kriminalität, desto geringer ist der Drogenkonsum oder andere Süchte.

In einem Beitrag im Schweizer Radio vor ca. 2 Jahren wurde mitgeteilt, dass weit mehr als 50% aller Schülerinnen und Schüler in der Schweiz eine psychische Diagnose während ihrer Schulkarriere erhalten. Ein sehr hoher Prozentsatz davon liegt daran, dass sie den Druck in der Schule nicht aushalten und mit psychischen Symptomen reagieren.

Am 2.4.25 gab Prof. Dr. Oskar Jenni, Kinderarzt am Kinderspital Zürich und Chef der Entwicklungspädiatrie, Nachfolger von Remo Largo, ein Interview im Tagesgespräch des Schweizer Radio mit ebensolchen alarmierenden Botschaften und dem dringenden Appell, das Schulsystem im Hinblick auf Druck und Leistung zu überarbeiten. Es lohnt sich, dieses wertvolle Interview anzuhören.

Das unsere Schulen - allen voran die Gymnasien - einen unangemessenen Leistungsdruck auf Schülerinnen und Schüler ausüben, ist bekannt. Bildung ist in den Industrienationen sehr stark mit Leistung verbunden, da ist die Schweiz mit Vorreiter. Das wir mit vielen unserer errungenen Systeme an der Wand stehen und diese vor dem Kollaps, ist jedem sehr deutlich, der mit offenen Augen durch die Welt geht und die Dramen, die sich zeigen wahrnimmt. Es ist nicht nur das Bildungssystem, auch das Gesundheitssystem, Rechtssystem, Bankensystem, Rentensystem.

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In meiner Praxis sehe ich viele Familien, in denen sich Dramen abspielen, weil die Schule Druck ausübt. Zumeist ist es so, dass ein Kind in der Schule sich nicht so verhält wie die Lehrperson das erwartet. In den meisten Fällen wird dann eine Abklärung gefordert. Wenigstens 80% dieser Kinder, die dann bei mir in der Praxis vorstellig werden, haben sicher kein ADHS oder eine ähnliche Diagnose.

Ca. einmal pro Woche spreche ich mit Lehrpersonen von Kindern, bei denen eine Abklärung gefordert wird. In dem Gespräch möchte ich den Blickwinkel und die Gedanken der Lehrperson wahrnehmen und ich versuche sie zu sensibilisieren, das Kind wahrzunehmen, wie es ist und so zu nehmen und nicht wie die Lehrperson es haben will. Die armen Lehrpersonen der öffentlichen Schulen werden so stark reglementiert, dass es ihnen oftmals schwer möglich ist, freier zu reagieren. Viele stehen am Rand ihrer Möglichkeiten, auch im Sinne ihrer Kraftreserven.

Der Mensch in seiner Natur ist ein Wesen, dass immer lernen möchte, ausser, wenn er durch Erziehung oder schlechte Erfahrungen Angst oder eine Abwehr entwickelt hat. Eines der wichtigsten Elemente ist gesehen zu werden, im Herzen berührt zu werden. Stellen sie sich ein Kind vor, dass erfahren muss, dass ihr Gegenüber «defektorientiert» das Kind anschaut. Also es schaut sehr wohl, was das Kind kann, schaut aber sehr genau, was es nicht kann und was es, weil der Durchschnitt es vielleicht schon kann, können sollte. Das Kind lernt so «ich bin nicht in Ordnung», «mit mir stimmt etwas nicht».

Zum Beispiel: Wo steht mit einer fundierten erfahrenen pädagogischen Sichtweise geschrieben, dass ein Kind am Ende der 1. Schulklasse lesen und schreiben können muss? Wenn wir uns gesehen fühlen, wenn wir im Herzen berührt werden, sind wir viel eher bereit Kritik einzustecken, können wir eher Begeisterung entwickeln. Begeisterung ist eine sehr grosse Kraft und Qualität.

Die grosse Herausforderung ist, dass wir Erwachsene selbst fähig sein sollten, im Herzen zu berühren, Begeisterung zu leben, insbesondere dann, wenn wir als Eltern, Lehrpersonen oder Therapeuten Kinder begleiten. Die Zukunft liegt darin, dass wir uns dies vergegenwärtigen, dass es immer mehr Menschen gibt, die diesen Weg einschlagen, gehen und leben wollen und wenn unsere ersten Schritte noch so unbeholfen sein mögen, das ist egal. Denn - daran hängt unsere Zukunft, daran hängt, wie unsere so wichtigen Systeme wie das Bildungssystem in Zukunft gestaltet sein mögen, damit sie zukunftsfähig sind.

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«Lernwelten - das Leben bildet» - ist ein Buch, was von Denis Bitterli und Mitarbeiter seiner Schule «Lernwält» in Pratteln geschrieben wurde. Schule und Buch zeigen auf, wie Bildung praktisch und theoretisch heute lebbar ist: wie können wir die Lernfreude bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erhalten? Es gibt immer mehr dieser «Bildungsstätten», für jedes System benötigen wir solche zukünftigen Orte.

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