Chronische Suizidalität bei Borderline: Ursachen und Behandlung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist ein komplexes und oft missverstandenes psychisches Krankheitsbild. Menschen, die davon betroffen sind, kämpfen mit intensiven emotionalen Schwankungen, einem instabilen Selbstbild und Herausforderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Diagnose "Borderline-Störung"

Die Diagnose "Borderline-Störung" ist ein insgesamt junger Begriff, der zudem einer Reihe von Veränderung unterworfen war. Die Störung, die heute mit diesem Begriff beschrieben wird, ist hingegen schon lange bekannt. Bereits im 17. Jahrhundert wurde von dem Arzt T. Sydenham über Patienten berichtet, die ohne jedes Maß jene lieben würden, die sie alsbald ohne jeden Grund hassen würden; die außerordentlichen Aufregungen des Geistes dieser Kranken entstünden, so Sydenham, aus plötzlichen Ausbrüchen von Wut, Schmerz, Angst sowie ähnlichen Emotionen.

Gerade am Begriff der Borderline-Störung sind die Änderungen der psychiatrischen Diagnostik exemplarisch nachzuvollziehen und damit auch der Ideengeschichte psychiatrischen und psychotherapeutischen Denkens. Für den Betroffenen, nicht selten aber auch für den professionell Tätigen, führt diese wechselhafte Bedeutung des Begriffs jedoch oft zur Verwirrung. So lassen sich regelrechte Wellen beschreiben, in denen der Begriff beinahe inflationär gebraucht wurde. Seine Wurzel hat der Begriff im Wesentlichen in der Psychoanalyse und in der klassischen Psychopathologie.

In der klassischen psychiatrischen Krankheitslehre wurden seelische Krankheiten unten den Oberbegriffen organisch begründbare Erkrankungen, Geisteskrankheiten (die Psychosen), entwicklungsbedingte Erkrankungen (die Neurosen) und Persönlichkeitsstörung (Psychopathien) zusammengefasst. An dieser klassischen Unterteilung orientieren sich viele Psychiater bis heute. Da seelische Krankheiten sehr verschiedenartig sein können, fanden sich anhand dieser Unterteilung eine Reihe von Zwischenformen. So lag der Gedanke nahe, dass es auch zwischen den schizophrenen Psychosen und den Neurosen Zwischenformen gibt.

Der Borderline-Begriff in der Psychoanalyse entwickelte sich aus einer differenzierten Betrachtung des Hysterie-Konzeptes. Durch den umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes "Hysterie" wird dieser Begriff heute in der Fachwelt nur noch selten verwendet.

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Ein weiterer Schwerpunkt psychoanalytischer Betrachtungen sind Vorstellungen, wie bei einem Menschen ein Bild von sich und anderen entstehen. Auf der Grundlage der Psychoanalyse haben vor allem die Beziehungen zu den primären Bezugspersonen, also in der Regel Vater und Mutter, die größte Bedeutung. Aus diesen Überlegungen heraus entstand die Vorstellung, dass die Symptome der Borderline-Störung vor allem mit Unzulänglichkeiten bei der Entwicklung innerer und äußerer Objektbilder zu erklären seien. Da sich solche Störungen aber über einen längeren Zeitraum entwickeln und länger anhalten, begann man schließlich, die Borderline-Störung als Persönlichkeitsstörung zu sehen.

Aus diesen Überlegungen lässt sich die sehr wechselhafte Geschichte des Borderline-Begriffes ersehen. Auf Grund der unterschiedlichen Wurzeln des Borderline-Begriffs existieren auch heute noch verschiedene Definitionen. Zudem ändert sich gegenwärtig auch noch die Art der psychiatrischen Klassifikation grundlegend.

Ursprünglich orientierten sich die psychiatrischen Diagnosen an Krankheitstypen. Da aber für die meisten seelischen Erkrankungen mehrere Ursachen verantwortlich sind und biologische, aktuelle und entwicklungsgeschichtliche Faktoren beschrieben werden können, werden heute lediglich Kriterien bestimmt. Diese Kriterien müssen erfüllt sein, damit von einer bestimmten Krankheit gesprochen werden kann. Eine derartige Diagnostik nennt man eine "operationale Klassifikation". Diese Form der Diagnostik wird aber noch lange nicht von allen Therapeuten verwendet. Viele orientieren sich noch sehr am Krankheitsmodell, auch wenn diese Sichtweise eine Vielzahl von Unsicherheiten mit sich bringt.

Zur Klärung der Diagnose ist im Sinne der Operationalisierung zu prüfen, ob die Kriterien der Diagnose erfüllt sind oder auch nicht. Es existieren leider noch unterschiedliche Kriterienkataloge, von denen die wichtigsten sich in der amerikanischen Klassifikation DSM IV und der WHO-Klassifikation ICD-10 finden. Hier sollen im Folgenden die Kriterien des DSM IV vorgestellt werden, weil darin die Kriterien genau umrissen sind.

Ein tief greifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität prägen dieses Störungsbild.

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Kriterien nach DSM-IV

  • Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle" etc.).
  • Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung.
  • Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren.
  • Wiederholte Suizidgedanken und suizidale Handlungen.

Die diagnostischen Kriterien geben selbstverständlich nicht die Vielzahl der Symptome wieder, die im Rahmen einer Borderline-Störung auftreten können. So sind beispielsweise die vielen körperlichen Beschwerden nicht benannt. Typisch ist das Gefühl innerer Hochspannung, die Unfähigkeit, sich zu entspannen, und das Gefühl, den eigenen Körper als fremd und unwirklich zu erleben.

Viele Symptome der Störung zeigen sich im Selbstbild. In der Regel zeigt sich ein mangelndes Selbstwertgefühl, die Betroffenen erleben sich als Versager und machen sich Vorwürfe. Aber auch das Denken ist spezifisch von der Störung geprägt. Auffällig ist die Neigung zum so genannten Schwarz-Weiß-Denken, die Tendenz zu entwerten und zum Pessimismus.

Untersuchungen haben ergeben, dass rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung an einer Borderline-Störungen leiden. Wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen ist jedoch zu bedenken, dass nicht nur die Art, sondern auch das Ausmaß der Störung den Krankheitscharakter bestimmt. Daher werden sich viele bei den Kriterien der Störung wieder finden, ohne tatsächlich ein Krankheitsgefühl entwickelt zu haben.

Neuere Untersuchungen zum Verlauf der Erkrankung zeigen, dass die Störung offensichtlich bei vielen im Laufe des Lebens verschwindet, sie also vor allem eine Erkrankung des jungen Erwachsenen ist. In welchem Maße damit auch eine ausreichende Lebensqualität gesichert ist, bleibt selbstverständlich offen. Ebenso ist ungeklärt, in welchem Ausmaß sich Ersatzsymptome ausbilden. Immerhin rechtfertigen die Verlaufsuntersuchungen einen vorsichtigen Optimismus und zeigen individuelle Möglichkeiten.

Symptome und Diagnose von Suizidalität

Suizidalität ist komplex und sehr individuell. Sie zeigt sich daher in verschiedensten Symptomen oder Warnzeichen. Mögliche Anzeichen einer suizidalen Handlung können sein:

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  • Direkte oder indirekte Äusserungen von Suizidgedanken oder -plänen
  • Rückzug vom Freundes- und Familienkreis und von gewohnten Aktivitäten
  • Verschenken persönlicher Dinge, Abschiednehmen
  • Kürzlicher Verlust von Beziehung(en)
  • Grosse Selbstkritik, starke Kränkung, Hoffnungslosigkeit
  • Riskantes und potenziell gefährliches Verhalten
  • Vernachlässigung der eigenen Person
  • Schlafstörungen
  • Neu auftretender oder steigender Konsum von Alkohol und/oder Drogen
  • Plötzliche Ruhe und Gelöstheit nach einer Phase von Niedergeschlagenheit und Leiden

Suizide und Suizidversuche kommen in der Regel nicht plötzlich vor, sondern haben meist eine kürzere oder längere Vorgeschichte. Die Intensität der Symptome und Anzeichen kann schnell wechseln. Suizidalität stellt keinen Zustand dar, sondern ist als Prozess zu verstehen. Das Erkennen von Frühwarnzeichen spielt daher eine wichtige Rolle.

Die Suizidalität wird vom psychologischen/psychiatrischen Fachpersonal durch das direkte Ansprechen oder gezielte Fragen nach suizidalem Erleben und Verhalten abgeklärt.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind vielschichtig. Häufig gehen belastende Kindheitserfahrungen wie emotionale Vernachlässigung, Missbrauch oder instabile Bindungen voraus. Viele Symptome der BPS sind Ausdruck sogenannter maladaptiver Verhaltensmuster für dysfunktionale Zuwendung. Damit sind erlernte Strategien gemeint, die kurzfristig bei den typischen Symptomen helfen, aber langfristig schaden. Diese Muster entstehen nicht unbedingt bewusst oder absichtlich. Sie sind meist Ausdruck eines tiefen inneren Leidens und dienen der Selbstregulation.

Nach dem derzeitigen Verständnis wird bei der Borderline-Störung eine Wechselwirkung zwischen psychosozialen Variablen und genetischen Faktoren im Rahmen eines biopsychosozialen Modells postuliert. Bei ca. 40 bis 60 % der Betroffenen liegen traumatische Erfahrungen in der Kindheit vor.

Behandlung

Die Behandlung ist eine Domäne der Psychotherapie. Es gibt keine Medikamente gegen eine Borderlinestörung. Trotzdem werden solche gelegentlich verschrieben, beispielsweise bei Schlafstörungen oder Depressionen, die aufgrund der Persönlichkeitsproblematik zusätzlich auftreten können. In der Psychotherapie geht es zuallererst um das Schaffen einer tragfähigen, verlässlichen, vertrauensvollen Beziehung. Dies kann unter Umständen eine schwierige, langwierige Arbeit sowohl für die Betroffenen als auch für die Therapeutinnen und Therapeuten sein.

Empfohlen werden psychotherapeutische Verfahren, die spezifisch für die Störung entwickelt wurden:

  • Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
  • Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
  • Schematherapie
  • Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP)

Diese Behandlungen fördern den Umgang mit Gefühlen, Impulskontrolle und Beziehungsfähigkeit.

Die am besten untersuchten Methoden sind die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach Linehan (19) und die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) nach Bateman und Fonagy (20). Als evidenzbasiert gilt zudem die übertragungsfokussierte Psychotherapie (Transferencefocused Psychotherapy) nach Kernberg (21). In neueren Studien wurde auch die Wirksamkeit der Schematherapie eindrucksvoll nachgewiesen (22). Bei einer nicht-spezifischen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung der BPS droht eine Verschlechterung oder auch Chronifizierung der Symptomatik.

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)

Die dialektisch-behaviorale Therapie wurde zur Behandlung von chronisch suizidalen Personen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, entwickelt. Die Behandlung basiert auf Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie, welche Veränderungen des Verhaltens durch kognitive Neubewertung von Situationen, Gedanken oder Gefühlen zu erreichen versucht.

Besonderheiten der dialektisch-behavioralen Therapie sind Methoden der Achtsamkeit, die Beachtung eines Gleichgewichts aus Akzeptanz und Validierung eines aktuell auftretenden Verhaltens einerseits sowie Veränderungsstrategien andererseits, die Thematisierung von Verhaltensweisen, welche die therapeutische Arbeit gefährden sowie die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung.

Durch klare Strukturen und dialektische Prozesse wird versucht, die unkontrollierbar erlebten Verhaltensweisen zu verstehen und mit den zugrunde liegenden Gefühlen funktional umzugehen. Darüber hinaus wird mit den Betroffenen daran gearbeitet, Fertigkeiten zu erlangen, die eine bessere Emotionskontrolle ermöglichen. Dazu gehört die Fähigkeit, Spannungszustände abzubauen und Emotionen zu regulieren. Die Wirksamkeit der dialektisch-behavioralen Therapie konnte bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen werden.

Umgang mit Suizidalität: Hinweise für Angehörige

Sie machen sich Sorgen um einen Angehörigen und fragen sich: Was tun bei Suizidalität? Der wichtigste Rat lautet: Seien Sie da! Lassen Sie den Betroffenen nicht allein und kümmern Sie sich um ihn. Weitere wichtige Ratschläge:

  • Offen reden: Sprechen Sie das Thema Suizidalität aktiv an. Bleiben Sie dabei ruhig und sachlich.
  • Ernst nehmen: Nehmen Sie die Suizidgedanken ernst und werten Sie sie nicht.
  • Professionelle Hilfe organisieren: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu suchen.

Zusammenfassung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine komplexe und herausfordernde, aber behandelbare Erkrankung. Sie wirkt sich auf die Emotionsregulation, das Selbstbild und zwischenmenschliche Beziehungen aus. Betroffene erleben häufig starke innere Spannungen, impulsives Verhalten und ein tiefes seelisches Leiden.

Es ist wichtig, dass Menschen mit Borderline die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, und dass das Thema weiterhin entstigmatisiert wird.

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