ADHS: Definition einer chronischen Erkrankung

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist gemäss offizieller Definition eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch eine Kombination aus Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität äussert. Gleichzeitig besitzen Menschen mit ADHS oft besondere Stärken, wie bspw. eine ausgeprägte Kreativität, Spontanität, hohe Energie und die Fähigkeit, sich in bestimmten Aufgaben intensiv zu vertiefen. ADHS ist eine neurologische Besonderheit, bei der das Gehirn anders arbeitet als bei Menschen ohne ADHS.

Im Folgenden zeigen wir auf, wie ADHS aus klinischer Sicht definiert und beschrieben wird - in der Schweiz richtet sich diese Definition nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ICD. Diese Definition ist wichtig, wenn man wissen möchte, was aktuell unter ADHS verstanden wird und was nicht. Ebenso sind diese Informationen hilfreich, wenn man sich mit einer ADHS-Abklärung beschäftigt. Forschung, neue Thesen zu ADHS, aber auch die gesellschaftliche Wahrnehmung entwickeln sich jedoch stetig weiter. Die Sicht auf ADHS verändert sich damit.

Neurologische Aspekte von ADHS

Neben dem Botenstoff Noradrenalin spielt auch Dopamin, das für die Belohnungs- und Motivationssteuerung zuständig ist, eine zentrale Rolle. Bei Menschen mit ADHS ist Dopamin weniger lang verfügbar, weshalb diese mehr auf Dinge ansprechen, die Dopamin versprechen - bzw. sogar richtiggehend zu diesen Tätigkeiten getrieben werden (Impulsivität). ADHS typische Merkmale haben neurologische Ursachen.

Wenig bis gar keine Beachtung findet in der aktuellen Definition die andere Verarbeitung von Reizen bei Menschen mit ADHS. Im klinischen Bereich die sogenannte Reizfilterschwäche. Andere und weniger pathologisierende Begriffe sind auch Reizoffenheit oder Hochsensibilität. Reize werden dabei recht ungefiltert wahrgenommen, was einerseits zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führt, gleichzeitig aber auch zu einer erhöhten Ablenkbarkeit. Ausserdem können viele einprasselnde Reize auch schnell überfordern. Dies führt zu erhöhter Stressanfälligkeit, schnellerer Überforderung und Überlastung bei Menschen mit ADHS. Ein Balanceakt, der gerade in unserer Gesellschaft oft schwierig zu meistern ist.

Symptome und Subtypen von ADHS

Das ICD-11 konzentriert sich ausschliesslich auf die negativen Auswirkungen der Merkmale von ADHS. So führt Ablenkbarkeit nämlich auch zu Neugier und schneller Begeisterungsfähigkeit, Impulsivität auch zu Spontanität und Hyperaktivität oft auch zu einer erhöhten Energie. Hyperaktivität äussert sich oft als ständige Unruhe, Schwierigkeiten, still zu sitzen, häufiges Zappeln oder Reden. Viel Energie kann auch von Vorteil sein, z.B.

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Es gibt verschiedene Subtypen von ADHS:

  • Vorwiegend unaufmerksamer Typ: Früher als „ADS“ bekannt, zeigt sich dieser Typ vor allem durch Unaufmerksamkeit und Schwierigkeiten, sich zu fokussieren.
  • Vorwiegend hyperaktiver-impulsiver Typ: Dieser Typ zeigt vor allem Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität.

Die Unterteilung in Untertyp und Schweregrad ermöglicht eine grobe Kategorisierung der unterschiedlichen Auswirkungen von ADHS. Aktuell wird aber auch bei ADHS immer häufiger von einem Spektrum gesprochen. Die Ausprägungen und das Vorhandensein der einzelnen Symptome in Kombination mit angeborenen Charaktereigenschaften wie bspw. Extra- oder Introversion führen nämlich zu einem viel komplexeren Bild. Auch zeigen sich die typischen Symptome bei Kindern anders als bei Erwachsenen und bei Frauen nochmals anders als bei Männern.

Diagnose von ADHS

Die Diagnose von ADHS basiert auf den Kriterien der DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) oder des ICD-11 (Internationale Klassifikation der Krankheiten). Um eine Diagnose zu stellen, müssen die Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestehen und in mindestens zwei Lebensbereichen (z. B. Die Diagnose wird in der Regel von spezialisierten Fachpersonen gestellt, wie Kinderärztinnen, Psychologen oder Psychiaterinnen. Eine ADHS-Diagnose wird nur von spezialisierten Fachpersonen gestellt.

Ablauf der diagnostischen Untersuchung:

  1. Befragung von Eltern/Bezugspersonen und Kind
  2. Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose)
  3. Abklären von Begleitstörungen
  4. Fragebogenverfahren
  5. Testpsychologische Untersuchungen
  6. Fremdbefragung

Ursachen von ADHS

ADHS hat eine starke genetische Komponente. Studien zeigen, dass die Ursache von ADHS zu 70-80% genetisch bedingt ist - also durch die Eltern oder Grosseltern vererbt wurde. Genetische Faktoren spielen also eine dominierende Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind ebenfalls ADHS hat, wenn ein Elternteil betroffen ist, beträgt 20-30%. Es gibt jedoch nicht das eine ADHS-Gen. Für die Vererbbarkeit von ADHS ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Genkombinationen zuständig. Dies könnte auch die ganz unterschiedlichen Ausprägungen erklären.

In den Köpfen einiger Menschen, im Internet und teilweise sogar auf speziellen Infoportalen zu ADHS geistern leider immer noch Ursachen auf, die heute wissenschaftlich klar widerlegt werden konnten. Medienkonsum wie Fernsehen, Social Media oder gamen können kein ADHS verursachen. Menschen mit ADHS zeigen jedoch eine grosse Vorliebe für das Konsumieren von Medien und Videospielen, da diese das Gehirn schnell und einfach mit Dopamin versorgen.

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Umweltrisiken können nicht eindeutig ausgemacht werden, da so viele Faktoren an der Entstehung beteiligt sind. Möglicherweise könnte das Rauchverhalten in der Schwangerschaft einen Einfluss auf die Entstehung von ADHS des Kindes haben. Dabei ist aber nicht klar, ob die Schadstoffe dem Fötus direkt schaden, oder der Fötus indirekt, zum Beispiel durch Fehl- oder Mangelversorgung, geschädigt wird. Weiter haben Tabakabhängigkeit und ADHS gemeinsame genetische Faktoren und ähnliche Umweltrisiken. Dasselbe Problem stellt sich bei der Untersuchung von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft.

Diskutiert werden auch diverse andere Toxine sowie Ernährungsfaktoren. Ausserdem könnten auch eine frühzeitige Geburt sowie ein geringes Geburtsgewicht mit der Entstehung von ADHS zusammenhängen. Nach der Geburt spielen vor allem die Deprivation und Vernachlässigung eines Kindes eine Rolle zur Entstehung von ADHS. Dieser Zusammenhang lässt sich bis ins Erwachsenenalter nachweisen. Dabei ist der unaufmerksame Subtyp besonders vertreten. Je länger eine Deprivation dauert, desto stärker wird der Zusammenhang zu ADHS.

Es wird auch diskutiert, inwiefern psychische Erkrankungen der Eltern oder ein negativer Erziehungsstil an der Entstehung von ADHS beteiligt sind. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob das Verhalten der Eltern eine Reaktion auf die genetische Ausprägung des Kindes, also auf beginnende ADHS, ist. Es ist nicht klar, in welche Richtung der Zusammenhang geht. Dennoch hat sich gezeigt, dass positives Erziehungsverhalten einen Schutz vor der Entstehung von ADHS darstellt.

Zuletzt könnte auch der sozioökonomische Status ein Risikofaktor sein. Tatsächlich hängt ein geringes Familieneinkommen in der frühen Kindheit mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, ADHS zu entwickeln, zusammen. Doch auch hier ist es schwierig, das Einkommen von anderen Faktoren, wie Mangelernährung, Erziehungsverhalten und Substanzexposition zu trennen. Insgesamt sind kausale Einflüsse von Umweltrisiken auf ADHS vorsichtig zu betrachten und schwierig zu bestätigen.

Es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen der Entstehung einer ADHS Gene und die Umwelt der betroffenen Person miteinander interagieren. So kann sich die Umwelt auf die Übersetzung gewisser Gene auswirken, während gewisse genetische Faktoren das Risiko bestimmter Umwelteinflüsse erhöhen.

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Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Kindern, die an ADHS erkrankt sind, bestimmte Gehirnareale ein kleineres Volumen haben und in vorderen Abschnitten die Hirnrinde schmaler als bei gleichaltrigen gesunden Kindern ist. Der Hirnreifungsverlauf scheint verändert zu sein. Ausserdem wurde entdeckt, dass gewisse Hirnregionen übermässig aktiv sind und veränderte Aktivierungsmuster zeigen. Die Ursächlichkeit dieser Befunde ist jedoch nicht geklärt. Nur aufgrund von diesen Untersuchungen würde sich noch keine ADHS feststellen lassen.

Es hat sich gezeigt, dass betroffene Personen über weniger gute Kontrollmechanismen verfügen und die sogenannte Inhibitionskontrolle beeinträchtigt ist. Darunter ist zu verstehen, dass jemand über die Fähigkeit verfügt, impulsive Handlungen zu kontrollieren. Einige Phasen der Informationsverarbeitung zeigen Störungen auf, wie auch Lernprozesse. Ausserdem zeigen die betroffenen Personen veränderte motivationale Prozesse.

Temperamentsmerkmale können das Risiko, an ADHS zu erkranken, erhöhen oder bereits ein Vorläufersymptom darstellen. Erhöhte Aktivität im Säuglings- und Kleinkindalter kann auf den frühen Beginn einer ADHS hinweisen. Auch Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter werden mit der Entstehung von ADHS in Verbindung gebracht. Dazu gehören exzessives Weinen, Schlafstörungen, Fütterprobleme und eine hohe negative Emotionalität. Die willentliche Kontrolle ist weniger stark ausgeprägt bei betroffenen Personen.

Insgesamt hat sich gezeigt, dass ausser der hohen genetischen Belastung bisher keine eindeutigen Ursachen festgestellt werden können. Es gibt verschiedene Befunde und Argumente, die diese Hypothesen bestätigen oder z.T. auch in Frage stellen. Letztendlich ist von einer multifaktoriellen Entstehung auszugehen, d.h. das Zusammenwirken verschiedener Faktoren beeinflusst Beginn und Ausprägung dieser Erkrankung.

ADHS als Normvariante

In der neurodiversitätsfreundlichen Sichtweise wird ADHS nicht als psychische Störung mit Symptomen betrachtet, sondern als eine Normvariante menschlicher Neurobiologie. Menschen mit ADHS haben ein Gehirn, das anders arbeitet als das von Menschen ohne ADHS. Diese Unterschiede können je nach Kontext sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich bringen. Aktuell gibt es auch Forschungen, die Hinweise liefern, dass ADHS ein evolutionärer Vorteil war. Eine Studie mit einem kenianischen Volk stellte fest, dass die Menschen, die eine Genvariante besassen, die auch für ADHS verantwortlich ist, besser genährt war.

Komorbiditäten und psychische Gesundheit

Menschen mit ADHS haben ein erhöhtes Risiko, psychischen Störungen zu entwickeln. Komorbiditäten haben in der Regel keinen direkten Zusammenhang mit ADHS, sondern sind Folgeprobleme, die sich aus dem Erleben von Menschen mit ADHS in unserer Gesellschaft entwickeln. Häufige Kritik, Ermahnungen und Ablehnungen bereits in der Kindheit, das ständige Gefühl, gängigen Erwartungen nicht zu entsprechen, für andere scheinbar einfachste Herausforderungen nicht zu schaffen, nicht verstanden und akzeptiert zu werden, führen verständlicherweise häufig zu Selbstwertproblemen und Ängsten.

Behandlung von ADHS

Wichtigste Erkenntnis vorweg: ADHS ist keine Krankheit und kann daher nicht „geheilt“ werden. Das Gehirn von Menschen mit ADHS hat eine andere Funktionsweise, die mit keiner Therapie oder Behandlung nachhaltig verändert werden kann. Die verschiedenen Therapieansätze sollten nicht darauf abzielen, das Gehirn zu „korrigieren“, sondern darauf, Menschen mit ADHS dabei zu unterstützen, ihre Stärken zu nutzen und ihre Herausforderungen zu bewältigen. Das Ziel ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Betroffenen und den Anforderungen des Alltags und der Gesellschaft.

Für Menschen, die jahrelang ohne Diagnose gelebt haben und sich ständig mit dem Gefühl des „Nicht-Genügens“ konfrontiert sahen, kann eine ADHS-Diagnose eine immense Erleichterung bringen. Endlich gibt es eine Erklärung für all die schwierigen und unverstandenen Erfahrungen und Emotionen im Leben. Durch das Verständnis von ADHS - im Rahmen der sogenannten Psychoedukation - eröffnen sich viele hilfreiche Erkenntnisse. Diese ermöglichen es, das eigene Leben und das Umfeld so zu gestalten, dass die individuellen Stärken in den Vordergrund rücken. Psychoedkukation ist auch für Eltern wichtig, deren Kinder eine ADHS-Diagnose erhalten. Sie lernen dadurch, wie ihr Kind tickt, was sie von ihm erwarten können und was eben nicht.

Es gibt verschiedene Medikamente, die die Gehirnfunktion von Menschen mit ADHS so beeinflussen, dass sie den Funktionen eines neurotypischen Gehirns näherkommen. Konkret bedeutet dies, dass der Botenstoff Dopamin während der Einnahme im Gehirn länger verfügbar ist. Dies hilft, die Konzentration zu steigern, die Impulsivität besser zu kontrollieren und insgesamt ruhiger zu werden. Diese Medikamente bewirken jedoch keine nachhaltige Veränderung der Gehirnfunktion, sondern wirken ähnlich wie ein Schmerzmittel nur für ein paar Stunden. Ein besonders wichtiger Nebeneffekt der Medikation ist, dass Menschen mit ADHS plötzlich in der Lage sind, Leistungen zu erbringen, die den meisten leicht von der Hand gehen, die ihnen jedoch schwergefallen sind.

Psychotherapie kann eine wertvolle Unterstützung für Menschen mit ADHS sein, insbesondere wenn eine Diagnose vorliegt und die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut über fundiertes Wissen in Bezug auf ADHS verfügt. Eigenschaften von Menschen mit ADHS wie Vergesslichkeit, innere Unruhe, Impulsivität, Hochsensibilität und andere Aspekte überschneiden sich oft mit Symptomen psychischer Erkrankungen und Traumata. Komorbiditäten, die häufig als Folge von ADHS auftreten, könnten dann fälschlicherweise als primäre Probleme angesehen werden. Eine solche Fehlinterpretation kann zu einer ineffektiven Behandlung führen, die wenig oder gar keine Fortschritte bringt und die Probleme von Menschen mit ADHS sogar noch verschlimmern kann.

Eine Therapeutin oder ein Therapeut, der sich mit ADHS auskennt, kann hingegen die Zusammenhänge zwischen ADHS und den damit verbundenen Schwierigkeiten erkennen. Je nach dem wie stark die Familie oder die Beziehung durch die ADHS Merkmale mitbetroffen sind, kann auch Familien- oder Paartherapie sinnvoll sein. Therapeutinnen und Therapeuten, die sich auf dem Gebiet von ADHS auskennen, findest du z.B.

Zusätzlich zu Ergotherapie können je nach individuellen Bedürfnissen und Vorlieben auch andere Therapieformen hilfreich sein.

Selbsthilfegruppen bieten:

  • Gemeinschaft mit Verständnis für ADHS: Menschen mit ADHS fühlen sich oft missverstanden, da ihre Merkmale im Alltag häufig falsch interpretiert werden.
  • Austausch von Bewältigungsstrategien: In Selbsthilfegruppen können praktische Tipps und Strategien ausgetauscht werden.
  • Eltern- und Familienunterstützung: Viele Selbsthilfegruppen für ADHS umfassen auch Angehörige, insbesondere Eltern von Kindern mit ADHS.
  • Förderung der Selbstakzeptanz: Selbsthilfegruppen helfen Betroffenen dabei, sich selbst besser zu verstehen und anzunehmen. Durch den Austausch mit anderen, die ähnliche Herausforderungen haben, lernen sie, dass ADHS ein Teil ihrer Persönlichkeit ist, den sie akzeptieren und mit dem sie umgehen können.

Realität vs. Mythen über ADHS

Es gibt viele falsche Vorstellungen über ADHS. Hier sind einige Realitäten im Vergleich zu gängigen Mythen:

  • Realität: ADHS ist eine neurologische Besonderheit, die vorwiegend genetisch bedingt ist.
  • Realität: ADHS ist eine klar definierte neurologische Störung, die weltweit anerkannt und erforscht wird.
  • Realität: Menschen mit ADHS kämpfen mit echten neurologischen Herausforderungen, die es ihnen schwer machen, sich zu fokussieren und Aufgaben zu erledigen.
  • Realität: ADHS bleibt in den meisten Fällen auch im Erwachsenenalter bestehen, wobei sich die Symptome verändern können.
  • Realität: Stimulanzien, die zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, haben ein kein Abhängigkeitspotential, wenn sie richtig dosiert und unter ärztlicher Aufsicht genommen werden.

Chronische Krankheiten und psychische Gesundheit

Chronische Krankheiten und Behinderungen im Kindes- und Jugendalter treten in der Schweiz mit einer Prävalenz von ca. 6-10% auf. Diese stellen für die Kinder und Jugendlichen, deren Familien und auch für die Gesellschaft eine lebenslange Herausforderung dar. Die Betroffenen müssen sich vielfältigen Herausforderungen und Gesundheitsrisiken im Leben stellen und daher als besonders vulnerabel betrachtet werden. Auch für die Eltern und Familienmitglieder Betroffener kann die chronische Krankheit eine enorme körperliche, emotionale, psychische und finanzielle Belastung darstellen.

Die Datenlage zu diesem Thema wurde für die Schweiz in den vergangenen Jahren wiederholt als unzureichend betrachtet. Auch wenn chronische Krankheiten nicht zwangsläufig mit einem tödlichen Verlauf assoziiert sind, wird die Diagnose einer medizinisch nicht sicher heilbaren Krankheit von fast allen Betroffenen als schwere Krise erlebt.

Abhängig vom spezifischen Charakter und dem jeweiligen Verlauf einer Krankheit sind die Belastungen vielfältig und verlangen ein breites Spektrum an Bewältigungsfertigkeiten. Wenig Beachtung haben über lange Zeit Fragen nach der Krankheitsverarbeitung und Anpassung an ein Leben mit einer chronischen Erkrankung gefunden.

Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern mit chronischen Erkrankungen eine erhöhte Prävalenz psychischer Auffälligkeiten berichtet wird. Insbesondere im Kindes- und Jugendalter stellt das Erkennen von Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Störungen eine besondere Herausforderung dar, da Entwicklungsprozesse in diesem Alter schnell und von Kind zu Kind deutlich variabel verlaufen. Zudem sind viele in der Entwicklung auftretende Abweichungen temporärer Natur oder können sogar als typisch für die jeweilige Entwicklungsphase angenommen werden.

Auffälligkeiten im Bereich der sozialen und/oder emotionalen Entwicklung lassen sich jedoch grob in zwei Dimensionen - externalisierendes und internalisierendes Verhalten - zuordnen. Während externalisierende Verhaltensweisen, wie etwa Aggressivität oder Aufmerksamkeitsprobleme, nach aussen, d.h. Erwachsenen- sowie einige pädiatrische Studien legen nahe, dass ein relevanter Zusammenhang zwischen chronischer Krankheit und internalisierenden Störungen wie Depressionen oder depressiven Merkmalen und Angststörungen besteht.

Pädiatrische Daten aus mehr als 300 Studien, darunter mehr als 30’000 Patienten mit chronischer somatischer Erkrankung, einschliesslich Asthma, Diabetes und Krebs, wurden im Rahmen zweier Metanalysen ausgewertet. Diese zeigten im Durchschnitt eine signifikante Zunahme von Angstzuständen und depressiven Symptomen in der betrachteten Population im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen.

Es ist unklar, ob der gleiche Zusammenhang zwischen chronischer Krankheit und externalisierenden Störungen besteht. Hier sind die Daten von Jugendlichen mit chronischer Krankheit divers. Einige Studien zeigen keine klare direkte Korrelation, sondern einen indirekten Zusammenhang zwischen internalisierenden und externalisierenden Störungen, unabhängig von der chronischen somatischen Erkrankung.

Ein tiefes Verständnis der oben beschriebenen Dynamik zwischen Hämophilie und psychischer Gesundheit ist von entscheidender Bedeutung, da psychische Probleme schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebensqualität dieser Patienten haben können. Tatsächlich wurde gezeigt, dass Depressionen zu einer tendenziell verringerten therapeutischen Compliance führen und somit einen Teufelskreis auslösen können, der die Krankheitskontrolle beeinflusst.

Basierend auf diesen Erkenntnissen ist es von entscheidender Bedeutung, den Einfluss psychischer Störungen auf die generelle Gesundheit und die Lebensqualität von Patienten mit Hämophilie zu berücksichtigen.

Ansatzpunkte zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von jungen Menschen mit Hämophilie wären zum Beispiel die Anpassung und der Ausbau von Schulungsmassnahmen sowohl für die Eltern als auch die altersentsprechende Aufklärung und Schulung der betroffenen Kinder.

Die zusätzliche Förderung körper- oder symptombezogener Selbstwahrnehmung, die Befähigung zum eigenverantwortlichen Handeln, eine kind-/jugendlichen-gerechte Gestaltung der Injektionssysteme und internetbasierte interaktive Programme zur Dokumentation der Substitutionsbehandlung werden derzeit im Rahmen der interdisziplinären Behandlung durch Hämatologie, Physiotherapie und Radiologie (und Pharmaindustrie) angestrebt.

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