Kündigungsschutz bei Burnout in Deutschland: Was Sie über Sperrfristen wissen müssen

In Deutschland geniessen Arbeitnehmende im Falle einer nachgewiesenen unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit einen sogenannten Kündigungs- oder eben Sperrfristenschutz. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmenden während ihrer Arbeitsunfähigkeit für eine bestimmte Dauer (abhängig von den Dienstjahren) nicht gültig gekündigt werden kann - resp. wenn die Kündigung von der Arbeitgeberin vor der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist - die Kündigungsfrist entsprechend «stillsteht» (Art. 336c Abs. 2 OR).

Grundlagen des Kündigungsschutzes

Die Grundidee dieser Regelung ist, dass Arbeitnehmende zuerst in Ruhe genesen sollen, bevor sie sich auf die Suche nach einer neuen Stelle machen müssen.

Arbeitsverhältnisse können sowohl von Arbeitgebenden wie auch von Arbeitnehmenden unter Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden.

Es dürfen für Arbeitgebende und Arbeitnehmende keine unterschiedlichen Fristen gelten. Ist dies dennoch vereinbart worden, so gilt für beide Parteien die längere Frist.

Falls nichts anderes schriftlich vereinbart worden ist, kann ein Arbeitsverhältnis unter Einhaltung folgender gesetzlicher Fristen gekündigt werden:

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  • in der Probezeit jederzeit unter Einhaltung einer Frist von 7 Tagen
  • danach im 1. Dienstjahr mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Monats
  • im 2. bis 9. Dienstjahr mit einer Frist von 2 Monaten auf das Ende eines Monats
  • ab dem 10. Dienstjahr mit einer Frist von 3 Monaten auf das Ende eines Monats

Längere Fristen gelten, falls dies von den Parteien im Vertrag schriftlich vereinbart worden ist oder falls ein anwendbarer Gesamtarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag längere Fristen vorsieht.

Eine Kündigung muss spätestens am letzten Tag des Monats bei der Gegenpartei eingetroffen sein, damit die Frist am ersten Tag des darauf folgenden Monats zu laufen beginnt.

Massgebend ist also nicht der Tag des Kündigungsversands, sondern der Tag des Empfangs der Kündigung.

Kündigungs-Sperrfristen

Im schweizerischen Arbeitsvertragsrecht besteht ein vergleichsweise schwacher Kündigungsschutz. Eine Kündigung ist auch zulässig, wenn die Arbeitsleistung ohne Verschulden der betroffenen Person nachgelassen hat.

Immerhin sieht das Gesetz gewisse Schutzfristen vor, welche zur Anwendung kommen, wenn eine Person unverschuldet durch Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise arbeitsunfähig geworden ist.

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In diesen Fällen ist eine Kündigung nach Ablauf der Probezeit während folgender Sperrfristen unzulässig:

  • im 1. Dienstjahr während 30 Tagen
  • im 2. bis 5. Dienstjahr während 90 Tagen
  • ab dem 6. Dienstjahr während 180 Tagen.

Liegen verschiedene Unfälle oder Krankheiten vor, beginnt die Kündigungs-Sperrfrist für jede Arbeitsunfähigkeits-Phase neu zu laufen.

Dies gilt jedoch nicht, wenn dieselbe Krankheit im Sinne eines Rückfalls zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit führt.

Alle Kündigungen, die während einer Sperrfrist durch den Arbeitgeber ausgesprochen worden sind, sind ungültig: Sie haben keine Wirkung und müssen nach Ablauf der Sperrfrist wiederholt werden.

Ist eine Kündigung zuerst ausgesprochen worden und wird eine Person erst danach innerhalb der Kündigungsfrist arbeitsunfähig, bleibt die Kündigung gültig.

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Allerdings verlängert sich in diesen Fällen die Kündigungsfrist um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (maximal um die Dauer der Sperrfrist). Dies gilt jedoch nur, wenn das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt worden ist.

Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit

Im Entscheid vom März 2024 hat sich das Bundesgericht mit der Anwendung des Sperrfristenschutzes bei sogenannt «arbeitsplatzbezogenen» Arbeitsunfähigkeiten auseinandergesetzt und für Klarheit gesorgt: Sofern sich die Arbeitsunfähigkeit ausschliesslich auf den konkreten Arbeitsplatz beschränkt, wird keine Sperrfrist ausgelöst (BGE 1C_595/2023).

Art. 336c Abs. 1 lit. b OR ist im Falle einer Krankheit nur dann nicht anwendbar, wenn die Gesundheitsbeeinträchtigung derart unbedeutend ist, dass der Arbeitnehmer trotzdem eine neue Arbeit antreten kann.

Nach der Rechtsprechung liegt dies vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf den Arbeitsplatz beschränkt ist.

Dies kann beispielsweise bei einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz der Fall sein. Eine Kündigung ohne Anwendung der Sperrfrist ist somit bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit möglich.

Mit diesem Entscheid bestätigt das Bundesgericht erstmals, dass bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit die Sperrfristen aus Art. 336c OR nicht zur Anwendung gelangen.

Der Grund liegt darin, dass der Arbeitnehmer uneingeschränkt für andere Arbeitgeber tätig sein kann. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit die Chancen des Arbeitnehmers, eine neue Stelle zu finden, schmälert.

Der Arbeitnehmer ist vollumfänglich fähig, für einen neuen Arbeitgeber zu arbeiten.

Wichtig in der Praxis ist daher die Qualifikation der Arbeitsunfähigkeit als allgemein oder arbeitsplatzbezogen. Nach der hier vertretenen Ansicht haben daher Ärzte auf den Arztzeugnissen festzuhalten, ob die Arbeitsunfähigkeit arbeitsplatzbezogen oder allgemein ist.

Nachweispflicht der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit

Gemäss vorherrschender Praxis obliegt die Nachweispflicht der Arbeitsplatzbezogenheit der Arbeitgeberin. Aufgrund des Datenschutzes und des Arztgeheimnisses keine einfache Aufgabe.

In der Praxis kommt es immer öfter vor, dass Ärzte die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit im Arztzeugnis deklarieren - was wir sehr begrüssen.

Geschieht dies jedoch nicht, bleibt der Arbeitgeberin in der Regel oft nur die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf eigene Rechnung zu einer Vertrauensärztin zu schicken mit dem Auftrag, ein detailliertes Arztzeugnis - mit entsprechenden Informationen zur Arbeitsplatzbezogenheit - auszustellen. Die vertrauensärztliche Untersuchung kann auch über die Krankentaggeldversicherung erfolgen.

Kündigung wegen Krankheit: Einzelfallbetrachtung

Es ist grundsätzlich zulässig, jemandem wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, jedenfalls soweit die Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR abgelaufen ist.

Dagegen läge eine nach Art. 336 OR verpönte Treuwidrigkeit vor, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Verletzung einer dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht zuzuschreiben wäre.

Eine Kündigung wegen andauernder Krankheit ist nur in sehr schwerwiegenden Fällen ("krasse Fälle") als missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit. a OR zu qualifizieren.

Dies kann nur dann der Fall sein, wenn aus der Beweisführung eindeutig hervorgeht, dass der Arbeitgeber die Krankheit des Arbeitnehmers direkt verursacht hat, z.B. wenn er es unterlassen hat, Massnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers wie in Art. 328 Abs. 2 OR vorgesehen zu treffen und der Arbeitnehmer deshalb krank wurde.

Wenn die Situation diesen Schweregrad nicht erreicht, wie es bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Krankheit häufig der Fall ist, ist die Kündigung nicht missbräuchlich.

Denn Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können häufig zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen führen, die keine direkt durch den Arbeitgeber verursachte Krankheit darstellen.

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Im Zusammenhang mit einem Konflikt am Arbeitsplatz erwähnt das Bundesgericht zudem die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Art. 328 OR. Danach hat der Arbeitgeber Massnahmen zum Schutz der Persönlichkeit sowie der Gesundheit des Arbeitnehmers zu ergreifen.

Das Bundesgericht vertritt jedoch eine restriktive Definition von Mobbing: Mobbing gilt als eine Reihe von feindlichen Äusserungen und/oder Handlungen, die über einen längeren Zeitraum hinweg häufig wiederholt werden und mit denen eine oder mehrere Personen versuchen, eine andere Person am Arbeitsplatz zu isolieren, auszugrenzen oder sogar versuchen, sie von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen.

Das Opfer befindet sich oft in einer Situation, in der jede einzelne Handlung unter Umständen als zulässig zu beurteilen ist, jedoch die Gesamtheit der Handlungen zu einer Destabilisierung des Opfers bis hin zu dessen Entfernung vom Arbeitsplatz führen kann.

Selber kündigen?

Arbeitnehmende neigen immer wieder dazu, ein Arbeitsverhältnis selber zu kündigen, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen die Arbeit erschweren und keine innerbetriebliche Umstellung möglich ist.

Es kommt aber auch vor, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmenden nahe legen, das Arbeitsverhältnis selber zu kündigen, wenn die Leistungen aus gesundheitlichen Gründen nachlassen.

Oft wird dafür ein besonders günstiges Arbeitszeugnis in Aussicht gestellt.

Auch wenn jede Situation individuell betrachtet werden muss und allgemeine Aussagen nur mit Zurückhaltung gemacht werden dürfen, muss von einer solchen Kündigung im Regelfall dringend abgeraten werden, zumindest wenn noch keine neue Stelle schriftlich zugesichert ist; denn es können verschiedenste versicherungsrechtlich Nachteile resultieren, zum Beispiel:

  • Bei der Arbeitslosenversicherung wird im Falle einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin in der Regel eine selbstverschuldete Arbeitslosigkeit angenommen, was als Sanktion zur Einstellung in der Anspruchsberechtigung während mehrerer Wochen führt.
  • Zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes gegen die Folgen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit muss unter Umständen ein Übertritt von der kollektiven Krankentaggeldversicherung in die Einzel-Versicherung vorgenommen werden, was mit einer zusätzlichen Prämienbelastung verbunden ist.
  • Bei der beruflichen Vorsorge kann eine Versicherungslücke bei der Deckung der Risiken Tod und Invalidität entstehen.
  • Im Falle einer späteren Invalidität bleibt unklar, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus zwingenden gesundheitlichen Gründen oder freiwillig erfolgt ist, was sich bei der Festlegung des Invaliditätsgrades und auf den Leistungsanspruch aus der beruflichen Vorsorge nachteilig auswirken kann.

Hilfe der IV bei der Arbeitsplatzerhaltung

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis einer gesundheitlich beeinträchtigten Person, sollte spätestens in diesem Zeitpunkt eine IV-Anmeldung ernsthaft geprüft werden, sofern dies bisher noch nicht geschehen ist.

Besser ist es, die Anmeldung bereits bei drohender Kündigung vorzunehmen.

Sobald eine IV-Anmeldung eingegangen ist, wird die IV-Stelle die betroffene Person zu einem Erstgespräch einladen und dabei abklären, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestehen und wie sich diese auf die Arbeitsfähigkeit auswirken.

Die Berufsfachleute der IV-Stelle können dann im Rahmen der sogenannten Frühintervention mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnehmen und abklären, ob mit einer Anpassung des Arbeitsplatzes oder mit einer von der IV unterstützten Umschulung auf eine andere Tätigkeit im Betrieb die drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses verhindert werden kann.

Krankentaggeld: Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes

Der Versicherungsschutz gegen die Folgen eines krankheitsbedingten Erwerbsausfalls endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.

Wer bisher über die Kollektivversicherung des Arbeitgebers versichert gewesen ist, kann diesen Versicherungsschutz wie folgt aufrechterhalten:

  • Entweder wird eine neue Stelle gefunden und der neue Arbeitgeber hat wiederum eine Kollektiv-Krankentaggeldversicherung für seine Mitarbeiter abgeschlossen. In diesem Fall lohnt es sich abzuklären, ob diese neue Versicherung auch eine allfällige Arbeitsunfähigkeit als Folge einer bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung deckt.
  • Oder es besteht kein genügender Versicherungsschutz bei einem neuen Arbeitgeber: Dann kann das Gesuch um Übertritt aus der bisherigen Kollektivversicherung in die Einzelversicherung gestellt werden. Ein solches Übertrittsrecht muss von Gesetzes wegen allen Personen gewährt werden, die sich nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug anmelden. Aber auch in den übrigen Fällen sehen praktisch alle Reglemente der Kollektiv-Versicherungen ein Übertrittsrecht vor.

Zusammenfassung

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses während oder nach einem Burnout ist ein komplexes Thema im deutschen Arbeitsrecht. Es ist wichtig, die spezifischen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Art der Arbeitsunfähigkeit (arbeitsplatzbezogen oder allgemein), die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Einhaltung der Kündigungssperrfristen. Arbeitnehmende sollten sich im Zweifelsfall rechtlich beraten lassen, um ihre Rechte und Pflichten zu kennen.

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