Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind kein neues Phänomen, aber die ätiologischen Konzepte haben sich entsprechend dem Zeitgeist, den gesellschaftlichen Strukturen und Forschungsergebnissen verändert. Lange ehe es den Begriff Autismus gab - er wurde 1911 vom Zürcher Erwachsenenpsychiater Eugen Bleuler geprägt -, gab es Menschen, die mit einer autistischen Struktur geboren wurden und lebten, in dieser spezifischen Weise dachten, handelten und den Alltag auf eine oft sehr spezielle Weise bewältigten.
Einige Betroffene wurden bekannt, da sie mit der Gesellschaft oder dem Gesetz in Konflikt gerieten, sich nicht einordnen konnten. Einige findet man mit sehr aussergewöhnlichen Lebensgeschichten, als Forscher, Denker oder Erfinder (z.B. L. Wittgenstein, H.C. Andersen, J.H. Waser). Leo Kanner beschrieb 1943 in seiner Arbeit «Autistic disturbances of affective contact» ein ähnliches Verhalten bei elf Kindern - ein Bild, das man später als frühkindlichen Autismus bezeichnete. Er sah Auffälligkeiten in den sozialen Beziehungen, in der Kommunikation und Interaktion und beschrieb stereotypes Verhalten und die Fixierung auf Gegenstände. Er vermutete anfangs, dass es sich um eine frühe und schwere Form der kindlichen Schizophrenie handelt.
Hans Asperger hatte in den späten Dreissigerjahren bei seiner Arbeit an der heilpädagogischen Station der Wiener Universitätskinderklinik ähnlich auffällige Kinder erfasst und gemeinsam mit einem interdisziplinären Team betreut. Für diese Kinder wählte er den Begriff «autistische Psychopathen». Entsprechend seiner Prägung als Kinderarzt und Heilpädagoge beschrieb Hans Asperger in seiner Habilitationsschrift «Die autistischen Psychopathen im Kindesalter» nicht nur das Verhalten, sondern auch ähnliche Muster im Aussehen («prinzenhaft»), Besonderheiten in der Motorik, in der Sprache, im Denken.
Während Kenntnis, Forschung und Behandlung des frühkindlichen Autismus nach Kanners Publikation rasch zunahmen, blieb das Wissen über das von Hans Asperger beschriebene Bild auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Erst die Übersetzung der Habilitation durch Uta Frith machte es auch im englischsprachigen Raum bekannt. Lorna Wing prägte in den Achtzigerjahren dann den Begriff Asperger-Syndrom und eliminierte damit den alten Psychopathiebegriff. In den diagnostischen Manualen DSM IV und ICD-10 (1992 und 1994) gab es eine klare Trennung der autistischen Bilder von der kindlichen Schizophrenie.
Die erst kürzlich publizierte Version der DSM V hebt diese Differenzierung wieder auf, der Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) wird für alle Formen der autistischen Störung verwendet. Dass die ICDVersion, die derzeit noch in Arbeit ist, ähnlich aussehen wird, ist anzunehmen. Bis vor Kurzem schien ASS fast ausschliesslich die Kinderpsychiater und -therapeuten sowie die Sonderpädagogen zu beschäftigen.
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Naturwissenschaftler, einige von ihnen waren in ihrer Familie selbst von Autismus betroffen, akzeptierten die von der Psychoanalyse formulierten Vorstellungen nicht und suchten nach anderen Erklärungen. Als ein früher Vertreter ist hier Bernard Rimland zu nennen. Die Gründung des Autism Research Institute in den Siebzigerjahren ist ihm zu verdanken. Er vertrat einen empirischen und biologischen Forschungsansatz, der vor allem beim frühkindlichen Autismus viel Beachtung fand. Weitere Ansätze stellen die sensorische Wahrnehmung und die Wahrnehmungsverarbeitung ins Zentrum, primär bei frühkindlichem Autismus.
Die heutige Genforschung bestätigt Aspergers Annahme einer genetischen Komponente; eine familiäre Häufung ähnlicher Persönlichkeitsstrukturen war ihm bereits aufgefallen. Die Zwillingsforschung ergab eine deutlich höhere Konkordanzrate bei monozygoten Zwillingen als bei dizygoten. Heute wissen wir, dass es sich nicht um einen einfachen Erbgang handelt, sondern dass unterschiedliche Gene betroffen sind.
Grosse epidemiologische Studien der neueren Zeit zeigen eine starke Zunahme der Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen. Diese Zunahme kann zum Teil durch die Sensibilisierung der Betroffenen und der Fachleute erklärt werden. Eine echte Zunahme des Störungsbildes wird von Spezialisten eher bezweifelt. Die Hirnforschung konnte strukturelle Veränderungen im Zusammenhang mit Autismus-Spektrum-Störungen aufzeigen.
Autismus-Spektrum-Störungen sind ein angeborenes Phänomen und nicht Folge der Erziehung. Es gibt allerdings förderliche und erschwerende familiäre Konstellationen. Es besteht zwar eine lebenslange Betroffenheit, aber Veränderung ist möglich. Sie erfolgt durch lebenslanges kognitives Lernen und durch eine kognitiv gesteuerte Verhaltensanpassung an die Umwelt. Das ist anstrengend, störanfällig und muss immer wieder geübt werden. Die Verhaltensanpassung geht verloren, wenn sie nicht aktuell gehalten wird.
Autismus-Spektrum-Störungen sind an sich keine Krankheit, sondern eine angeborene Andersartigkeit, eine spezifische Persönlichkeitsstruktur, die Krankheitswert bekommen kann durch Auffälligkeiten, die durch Blockierung der Entwicklung oder Überforderung entstehen. Komorbiditäten wie Depression, ADHS, psychotische Episoden, Stress und Psychotraumen sind häufig.
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In den letzten Jahren ist das Wissen im medizinischen, im therapeutischen und im pädagogischen Bereich gewachsen: Wir achten auf die Störung durch sensorische Reize, wir kennen die ausgeprägte Detailgenauigkeit (und die damit verbundene Langsamkeit) sowie die Erschwernisse in sozialen Situationen, in denen es rasch zu reagieren gilt. Wir wissen mehr über die Besonderheiten des Lernens, die Notwendigkeit des Rückzugs und die Chancen der Sonderinteressen.
Sensorische Wahrnehmung bei Autismus
Geschätzt ein bis zwei Prozent der Menschen in der Schweiz sind im Autismus-Spektrum. Dabei unterscheiden sich ihre Symptome oft grundlegend. Unterstützung und Förderung sollten deshalb stets individuell auf die betroffenen Kinder zugeschnitten sein.
Menschen mit Autismus nehmen ihre Umgebung anders wahr als neurotypische Menschen. Allerdings sind die Symptome sehr unterschiedlich, und so individuell sind auch die betroffenen Personen. Für viele sind soziale Spielregeln ein Buch mit sieben Siegeln, sie können die Mimik des Gegenübers nicht lesen und es fällt ihnen schwer, Blickkontakt zu halten.
Viele Kinder im Autismus-Spektrum reagieren auf gewisse Reize überempfindlich. Manche sind auch in Bezug auf den Tastsinn heikel und fassen keine glitschigen, klebrigen oder matschigen Dinge an.
Die Neurodiversitätsbewegung, u.a. repräsentiert durch Menschen mit Autismus, ADHS, Hochbegabung oder Legasthenie, vertritt die Ansicht, dass menschliche Wahrnehmungen und Denkweisen durch eine breite neurologische Vielfalt geprägt sind. Somit kann jeder Mensch als neurodivers bezeichnet werden. Eine gesellschaftliche Mehrheit, die üblichen Normvorstellungen entspricht, wird in diesem Verständnis neurotypisch genannt. Personengruppen, die von diesen Normen im Wahrnehmen und Denken abweichen, werden als neurodivergent bezeichnet.
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Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine neurologische und entwicklungsbedingte Störung, die in der Regel in der frühen Kindheit beginnt und das gesamte Leben andauert. Es wird als "Spektrum" bezeichnet, weil die Symptome und Schweregrade bei Betroffenen variieren können. Die Störung beeinflusst in erster Linie die soziale Interaktion, die Kommunikation und das Verhalten.
Menschen mit ASS können Schwierigkeiten haben mit:
- Sozialer Kommunikation und Interaktion: Sie können z.B. Probleme dabei haben, nonverbale Signale zu interpretieren, Augenkontakt zu halten oder Emotionen in anderen zu erkennen.
 - Wiederholten Verhaltensweisen und Interessen: Dies kann sich durch stereotype Bewegungen, wiederholte Handlungen oder eine intensive Beschäftigung mit spezifischen Interessen äussern.
 - Reizverarbeitung: Einige Menschen mit ASS können empfindlich auf sensorische Reize reagieren, wie z.B. Licht, Geräusche oder Berührungen.
 
Die genauen Ursachen von ASS sind nicht vollständig bekannt, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und umweltbedingten Faktoren beteiligt ist. Menschen aus dem Autismus-Spektrum verarbeiten Sinneseindrücke anders. neurotypische Menschen. verarbeiten. unterempfindlich auf Lärm, Licht oder Gerüche. Gefühle. vielen Bildern, Geräuschen, Gerüchen oder Ähnlichem.
Die andere Wahrnehmung von Menschen mit einer ASS führt manchmal zu Stress, Angst, Schmerz und weiteren unangenehmen Gefühlen. Als Reaktion darauf ziehen sich die Betroffenen zurück, verhalten sich auffällig oder erleiden gar einen Zusammenbruch.
Sensorische Besonderheiten bei ASS
- Hypersensibilität: Menschen mit Autismus sind oft sehr sensibel gegenüber Lärm, Licht oder Berührungen. Diese Überreizbarkeit kann besonders im Alltag belastend sein, da Geräusche, Lichtverhältnisse und Berührungen, die von anderen Menschen erwartet werden (wie Umarmungen oder Händeschütteln oder der Austausch von Zärtlichkeiten in der Partnerschaft), manchmal als unangenehm empfunden werden.
 - Spezifische sensorische Vorlieben: Einige Menschen mit Autismus lieben bestimmte sensorische Reize, wie zum Beispiel visuelle Effekte oder wiederholte Bewegungen (sogenanntes „Stimming“). Ein bestimmter Sinnesreiz kann auch zu einem Spezialinteresse werden. Manche malen gerne, hören laute Musik oder wippen mit dem Stuhl, um sich zu beruhigen oder besser konzentrieren zu können.
 - Reaktion auf unerwartete Reize: Plötzliche Sinneseindrücke können großen Stress und intensive Reaktionen auslösen. Und da die Betroffenen solche Reize meist nicht kontrollieren können, sind viele stets in Alarmbereitschaft. Sie fühlen sich den Eindrücken ausgeliefert und bedauern gleichzeitig, sie nicht besser aushalten zu können. Viele meiden neue Situationen, da in solchen ja immer unerwartet unangenehme Sinneseindrücke auftauchen könnten.
 - Eingeschränkte Interozeption (Körperwahrnehmung): Menschen mit Autismus haben häufig Schwierigkeiten, Bedürfnisse aus dem Inneren ihres Körpers (wie Hunger, Durst oder Schmerz) zu erkennen. Dadurch kann es passieren, dass sie wichtige Signale übersehen, was sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken kann. Sie vergessen, zu trinken oder zu essen und bemerken vielleicht erst dann, dass sie krank oder verletzt sind, wenn es kritisch wird.
 
Ein Beispiel: Ben, beispielsweise, nimmt Sinneseindrücke viel stärker wahr als neurotypische Personen. So stark, dass ihm diese Eindrücke manchmal regelrecht Schmerzen bereiten. Er ist auf Lärm und Licht, aber auch in Bezug auf gewisse Berührungen sehr empfindlich. Das kann etwa die Naht eines T-Shirts oder eine Etikette am Kragen sein.
Manchmal habe ich aber auch die Möglichkeit, diese zu vermeiden. Hyperreaktiv - ich nehme Reize sehr stark wahr. Denn es ist nicht so, dass ein Mensch entweder hypo- oder hyperreaktiv ist. Es ist durchaus möglich, dass er bei einem Sinn überempfindlich ist, und bei einem anderen genau im Gegenteil.
Sensorische Reize im Alltag und Umgang
ASS-Betroffene können äussere Reize auf den verschiedenen Sinneskanälen weniger gut verarbeiten, d.h. relevante von nicht relevanten Reizen schwer unterscheiden. Dadurch kommt es zu einer Reizüberflutung und in der Folge meist zu Stressreaktionen.
Menschen im Autismus-Spektrum lieben Strukturen und schätzen gleichbleibende Abläufe. Ihnen fällt es schwer, flexibel zu reagieren, wenn sich Abläufe kurzfristig ändern. So müssen beispielsweise Gegenstände immer am gleichen Platz im Zimmer stehen und Kleider in der immer gleichen Reihenfolge angezogen werden. Besonders jüngere Kinder haben eine Vorliebe für gleichbleibende und sich immer wiederholende Bewegungen und Spiele.
Einige Betroffene wiederholen bestimmte Verhaltensweisen immer wieder. Diese sogenannte motorische Stereotypie kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und hat ganz verschiedene Formen. Das Verhalten wirkt beruhigend und stabilisierend. Wenn man eine Person von sich wiederholenden Verhaltensweisen abbringen möchte, gilt es, sehr einfühlsam vorzugehen. Im Idealfall bietet man ihr eine für sie hilfreiche alternative Beschäftigung oder Bewegung an.
Es kann ihnen helfen, wenn sie einen visuellen Zeitplaner haben, auf dem sie sehen, was während des Tages geschehen wird. Zeigt sich auffälliges Verhalten oft bei Übergängen zwischen zwei Aktivitäten? Das liegt daran, dass viele Betroffene Schwierigkeiten damit haben, zu warten. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die betroffene Person im Voraus auf die Veränderungen vorbereitet wird.
Schon kleine Veränderungen können hilfreich sein. Überlegen Sie sich, welche sensorischen Reize sie an verschiedenen Orten erwarten (z.B. Bahnhof). Durch visuelle Unterstützung können Sie den Betroffenen helfen.
Hier sind einige Tipps, wie Sie auf bestimmte sensorische Empfindlichkeiten eingehen können:
- Lärm: Dämpfen Sie das grelles Licht. können Sonnenbrillen sinnvoll sein. Betroffene haben Schwierigkeiten, Geräusche zu sortieren. Kündigen Sie es vorher an, wenn Sie laute und überfüllte Plätze besuchen. ihnen Ohrstöpsel und Kopfhörer zur Verfügung.
 - Gerüche: Gerüche können für Betroffene intensiv und überwältigend sein. Vermeiden Sie nach stark riechendem Essen.
 - Berührungen: Berührungen können für die Betroffenen schmerzhaft und unangenehm sein. Sie tragen nicht gerne Kleidungsstücke an den Händen oder Füssen, z.B. Berührung vorher an und gehen Sie immer von vorne auf sie zu (Vorhersehbarkeit).
 
Hilfe und Unterstützung
Wenn medizinische Probleme ausgeschlossen werden konnten, empfiehlt es sich, ein Verhaltenstagebuch zu erstellen. Dieses Tagebuch sollte nicht nur zu Hause, sondern auch in der Schule oder bei Freizeitaktivitäten (z.B. Vereine) von allen Personen, welche sich um das Kind kümmern, geführt werden. Das Tagebuch sollte Datum, Uhrzeit, Ort, Situation vor / während / nach dem Verhalten, die Gefühle der Person sowie die Reaktion anderer Menschen auf das Verhalten beinhalten.
Bauen Sie Entspannungsmöglichkeiten in den Alltag ein. Für Menschen im Autismus-Spektrum können persönliche Spezialinteressen oder Lieblingsaktivitäten sehr entspannend sein. Ist es ihnen jedoch nicht möglich, ihre Lieblingsaktivität immer auszuführen, wenn sie wollen, kann dies zu Verhaltensschwierigkeiten führen.
Eltern-Treff Autismus in Dübendorf ZHDer Treff richtet sich an Eltern von Kindern mit einer Autismus- oder Verdachtsdiagnose, die sich vernetzen möchten. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, sich via Chat-Gruppe auszutauschen.
Tabelle: Anlaufstellen für Menschen mit Autismus und ihre Angehörigen
| Organisation | Angebot | 
|---|---|
| Autismus Schweiz | Netzwerk für Eltern, Angehörige, Betroffene und Fachleute, Workshops, Beratung und unbürokratische Unterstützung | 
| Kind und Autismus (Stiftung) | Kompetenzzentrum für Kinder und Jugendliche mit Autismus in Urdorf ZH | 
| Fachstelle Autismus HfH | Sprechstunde für (heil-)pädagogische Fachpersonen | 
| Eltern-Treff Autismus Dübendorf ZH | Vernetzung für Eltern von Kindern mit Autismus oder Verdachtsdiagnose | 
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