Was ist Glück? Für Goethe ist im «Faust» die Sache klar: Glücklich ist, wer zum «Augenblicke» sagt: «Verweile doch! du bist so schön!». Vermutlich würden sich die meisten Menschen dieser Definition anschliessen: Glücklich ist, wer am liebsten die Zeit anhalten würde.
Das setzt allerdings voraus, dass man im Augenblick das Glück auch wahrnimmt. Elke Heidenreich schreibt dazu, sie wisse heute, «dass das Glück kein Zustand ist, nach dem man verzweifelt suchen muss. Es ist immer nur ein Augenblick, und ich habe gelernt, ihn zu erkennen und zu geniessen.» Und was ist mit dem Glück des Lebens? Das setze sich, so Heidenreich, aus der Summe glücklicher Augenblicke zusammen.
Dieser Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Das Glück «ist immer nur ein Augenblick, und ich habe gelernt, ihn zu erkennen und zu geniessen.»
Die kleinen Feste des Alltags
Es braucht nicht immer die ganz grossen Anlässe und das ganz grosse Kuchenbuffet, um das Feiern in die Mitte des Lebens zu holen, denn genau da gehört es hin. Nichts liebe ich mehr als den Satz: «Zur Feier des Tages…!» Dem Himmel sei Dank teilt meine Familie diese Liebe. Ach, wie unendlich vielfältig sind die Möglichkeiten, diese Worte zu vervollständigen!
Und so feiern wir den Freitagabend - denn eine lange Woche ist geschafft, mit allen Höhen und Tiefen. Wir feiern den Sonntagnachmittag - denn jeder Sonntag ist ein kleines Osterfest -, den ersten warmen Frühlingstag und den ersten Spargel. Wir feiern Herbstfarben im Wald, eine gemeisterte Herausforderung, die krachende Niederlage, ein Wiedersehen nach langer Zeit. Wir feiern Freundschaft und Lebkuchen und Erdbeerkuchen im Mai.
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Das Gesundwerden, das Klügerwerden, das erreichte Ziel und den Beginn der Ferien. Es braucht nicht viel dazu: ein Blech Zimtschnecken, frische Blumen in der Vase, ein Butterbrot im Wald, ein Lagerfeuer und eine wandernde Chips-Tüte, schon feierst du ein Fest mitten im Alltag.
Mini-Feste des Augenblicks
Manchmal feiere ich auch allein mit mir selbst ein Minifest des Augenblicks. Mit der Lieblingstasse voll warmen Milchkaffees, zur Ehre der Sonne in meinem Gesicht, des Zwitscherns der Vögel und der fünf Minuten ohne Aufgabe. Ich feiere Gemeinschaft und Miteinander, spüre Wärme im Herzen und darf ganz im Moment sein. Ein Moment, in dem Ängste leiser werden und Sorgen in den Hintergrund treten.
Einer, der Zugehörigkeit und Lebendigkeit in den Mittelpunkt stellt, unabhängig von Erfolg und Misserfolg. Beim Feiern halten wir einen Augenblick inne und würdigen die kleinen Kostbarkeiten des Alltags, die wir so häufig als selbstverständlich nehmen und die doch alles andere als selbstverständlich sind.
Es stimmt dankbar, gerade weil es dem Kleinen Beachtung schenkt. So laden wir unaufgeregt die Ruhe in unser Leben ein, die Dankbarkeit und die Freude. Wir räumen dem Genuss einen Platz frei und gewinnen gleichzeitig neue Kraft.
Wunderkerzen des Alltäglichen
Anlässe, die feierwürdig sind, findest du nahezu täglich, wenn du nur die Augen offen hältst. Es mögen nicht die grossen Leuchttürme des Lebens sein, das wäre zu anstrengend auf die Dauer gesehen. Aber es sind die Wunderkerzen des Alltäglichen, die sprühen und funkeln und uns für den Moment verzaubern. Sie sind es, die unsere Widerstandskraft stärken, die uns gedeihen und heilen lassen.
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Manchmal feiern wir gerade dann, wenn etwas gründlich in die Binsen gegangen ist. Wenn das Scheitern offenbar wird, wenn alle Bemühungen eben nicht von Erfolg gekrönt wurden. Der Alltag gleicht oft genug einem Dschungel, verwirrend, dicht und undurchdringlich.
Gerade dann darfst du getrost ein Fest schmeissen. Mit Schokoladenkeksen und Kakao oder einem Picknick auf der Gartenbank. Mit einer Runde Pizza für alle oder einem Eimer Eis. Denn genauso wie alle wissen, dass das Leben manchmal zum Haareraufen ist, so dürfen auch alle erfahren: Man kann tieftraurig sein und trotzdem feiern.
Dabei geht es keinesfalls um «Happy clappy Schmerzverdrängung». Aber es geht um das Leben in Fülle. Es geht darum, einander zu vergewissern, dass wir zueinander gehören und zusammenstehen. Ganz gleich, was uns das Leben sonst so vor die Füsse schmeisst und unabhängig von dem, was wir gerade zu leisten vermögen.
Die Mühe, die mit solcherlei Alltagsfesten verbunden ist, ist vergleichsweise gering. Manchmal reicht schon ein Stuhl in der Sonne. Und doch scheint es eine Kunst zu sein, die wir tunlichst nicht verlernen, sondern unseren Kindern weiterschenken sollten. Es liegt etwas zutiefst Göttliches in dieser Kunst.
Du bist jeder Mühe wert. Gleich, ob du das Geschenk deiner Geburt oder das Geschenk dieses Tages, dieser Stunde feierst.
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Geniessen lernen
Stress ist in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig. Doch es gibt ein probates Mittel, um sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen zu lassen: Geniessen lernen. Diese Widrigkeiten des Alltags, sogenannte Mikrostressoren, kommen in der heutigen Zeit häufig vor.
Ein einzelner davon ist meist nicht allzu stressauslösend - oder der Stress verraucht schnell wieder. Die Wiederholung und die Menge machen es aus, dass tägliche Widrigkeiten besonders schädlich sind, weil sie das Stressniveau hoch halten.
Würden Sie in einer Situation wie der oben beschriebenen versuchen, dem Vogelgezwitscher zu lauschen? Oder an das schöne Gemälde denken, das Sie sich kürzlich geleistet haben? Die wenigsten Menschen würden dies bejahen. Doch gerade solche kleine Genussmomente können uns helfen, mit Stress besser umzugehen.
So wie es die täglichen Widrigkeiten gibt, die einem das Leben schwermachen, so gibt es auch jeden Tag Momente des Genusses. Manche kommen unerwartet, sind wie ein kleines Geschenk, manche sind regelmässig wiederkehrend.
Genussmomente wirken stressreduzierend, weil es Momente sind, in denen die Menschen ganz im Augenblick verweilen. Die (drängende) Zeit verliert ihre Bedeutung, sie ist aufgehoben. Genussmomente sind ein Geschenk, sie fallen einem einfach zu. Man muss aber fähig sein, zu registrieren, dass ein solcher Augenblick sich präsentiert, und ihn voll auskosten. Das bringt einen kaum in Verzug - und schafft doch ein machtvolles Gegengewicht im täglichen Stress.
Die Sinne auf das Schöne lenken
Was bedeutet es, genussfähig zu sein, und wie können wir uns unsere Genussfähigkeit erhalten - in Zeiten des Stresses und gegen den Stress? Geniessen können wir über alle fünf Sinneskanäle - das verschafft uns Glücksgefühle.
Sie beinhaltet Freude an Gegenständen, zum Beispiel an Gemälden, Skulpturen oder anderen Kunstobjekten, an Landschaften, die uns beeindrucken, an Menschen, Tieren oder auch Pflanzen. Schönheit und Ausstrahlung dieser Dinge lassen uns auftanken, sie nähren uns.
Ein Musikstück, ein vorgetragenes Gedicht, ein sanfter Klang kann trösten, stärken, entzücken, begeistern oder einfach nur entspannen, uns zur Ruhe kommen lassen. Unter Stress verschliesst man die Ohren, geht taub durch die Gegend, hört das Zwitschern der Vögel, das Lachen spielender Kinder nicht mehr.
Berührungen und Zärtlichkeiten anderer, vor allem des Partners, der Partnerin, bescheren uns Glücksmomente: Wir geniessen eine Umarmung, ein Streicheln, einen Kuss, eine Massage. Sexualität als schönste Form des körperlichen Genusses ist eine wichtige Quelle für Glücksempfinden und Erfüllung; auch sie versiegt unter Stress nicht selten ganz.
und Gerüche können intensiven Genuss bereiten - der Duft eines Parfüms, des Frühlings, der Geruch leckerer Speisen, des Regens auf dampfender Erde im Sommer tragen zu unserem Wohlbefinden bei, wecken häufig Erinnerungen, lassen uns schwärmen und träumen.
Diese Beispiele zeigen, dass die Fähigkeit zu geniessen ein Spiegel unseres Befindens ist - genau wie die Leistungsfähigkeit oder die Liebesfähigkeit. Nur wenn es uns gut geht, sind wir offen für die sensorischen Reize, die uns Glücksmomente bescheren. Im Stress stumpfen wir ab und sind abgeschnitten von diesen Quellen.
Geniessen trainieren
Tipp: Genuss lässt sich nicht verordnen, aber solche Momente wahrzunehmen und auszukosten, das kann man trainieren. So wird Genussfähigkeit durch Stress doppelt beeinträchtigt: einerseits dadurch, dass viele Quellen der Freude und des Genusses wegfallen, anderseits durch Übermass, Gier und unbeherrschten Konsum.
Gemeinsame Lebendigkeit
Durch unsere eigene Glückseligkeit erkennen wir die Glückseligkeit der Fische und die Glückseligkeit von allem, was es in der Welt gibt. In diesem glückseligen Augenblick haben wir ein spirituelles - voll lebendiges - Wissen im Herzen der Welt erreicht.
«T. S. Du bist die Musik. Das heißt, du vibrierst von dieser Musik, und selbst wenn du bloß an irgendeine Flötenmusik oder Klaviermusik denken solltest, der du zuhörst, ist das die Musik des Universums, mit der du vibrierst. Das ist die Musik nach der dieser ganze kosmische Tanz tanzt, und sie fließt durch dich hindurch ‒ und das ist dein Augenblick religiöser Erfahrung. In diesem Augenblick weißt du, dass du mit allem eins bist.
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