Jährlich wird der Berner Sozialstern an ein Unternehmen der Privatwirtschaft vergeben, das sich über längere Zeit besonders für die berufliche Integration von Menschen mit einer psychisch bedingten Leistungseinschränkung engagiert und ihnen angepasste Arbeitsplätze anbietet.
Das Landhaus Liebefeld hat den Berner Sozialstern 2022 gewonnen. (Medienmitteilung)
Für Tom Christen, Geschäftsführer des Landhaus Liebefeld, gehört nebst der Ausbildung auch die nachhaltige und soziale Integration im Team zur Philosophie des Romantik-Hotels.
In den letzten 13 Jahren wurden über 40 Lernende ausgebildet sowie geschützte Arbeitsplätze zur beruflichen Integration für Menschen mit einer psychischen Leistungseinschränkung geschaffen.
«Werden Menschen mit psychischen Einschränkungen richtig unterstützt, ist die Wirkung sehr gross. Mit dieser Philosophie konnten wir bereits vielen Betroffenen helfen, im Leben wieder durchzustarten.
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Das Landhaus Liebefeld als Vorbild
Das Landhaus Liebefeld unterstützt Betroffene und bietet ihnen ein sicheres und strukturiertes Arbeitsumfeld.
Auch privat helfen sie ihre Mitarbeitenden in vielen Bereichen, so zum Beispiel bei der Wohnungssuche, bei familiären Schwierigkeiten, im Schuldenmanagement oder bei der Suche nach Therapien oder Coachings.
Geschäftsführer Tom Christen erläutert: «Es kann jeden Menschen treffen!
Die Gastronomie eignet sich aus vielerlei Gründen für die berufliche Integration: Die Mitarbeitenden sind viele Stunden gemeinsam unterwegs und arbeiten eng zusammen.
Das Team wächst dadurch zu einer zweiten Familie zusammen.
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Ist das Vertrauen und die Unterstützung Aller da, helfen die Mitarbeitenden mit und tragen diejenigen, die sich in einer schwierigen Lebensphase befinden.
Milan M. absolviert eine Lehre als Koch im Landhaus Liebefeld. Er wird von der Invalidenversicherung (IV) unterstützt.
Ein Jobcoach hat ihn bei der Bewerbung begleitet und den Arbeitgeber über dessen gesundheitliche Einschränkungen ins Bild gesetzt.
Cyrill R. ist im letzten Lehrjahr zum Restaurationsfachmann EFZ. Nach einer schwierigen Jugend und Jahren mit kleineren Gelegenheitsjobs hat er sich aus eigenem Antrieb und ohne Unterstützung Dritter beim Landhaus Liebefeld beworben.
Aus Sicht von Christen eignet sich die Gastronomie für die berufliche Integration: «Die Mitarbeitenden sind viele Stunden gemeinsam unterwegs und arbeiten eng zusammen.
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Hier erfahren sie, dass sie gebraucht werden und man sich auf sie verlässt. So wächst das Team zu einer zweiten Familie zusammen.»
Wenn das Vertrauen und die Unterstützung aller da seien, hülfen und trügen die Mitarbeitenden diejenigen mit, die sich in einer schwierigen Lebensphase befänden, sagt Christen.
Wichtig sei, sich auf die neuen Kolleginnen und Kollegen einzulassen, sich zu integrieren und wieder einen Rhythmus zu finden.
Die enge Zusammenarbeit helfe dabei, fügt Cyrill R. hinzu.
Das Gastgewerbe leidet unter einem grossen Fachkräftemangel.
Fachkräfte zu finden und im Betrieb zu halten, ist seit Längerem eine grosse Herausforderung.
Das Landhaus Liebefeld hat seinen eigenen Weg gefunden, um dieser Herausforderung zu begegnen.
Seit 2009 gehört die Integration von Menschen mit psychisch bedingten Leistungseinschränkungen zur Unternehmensphilosophie des Landhauses Liebefeld - dafür wurde es im Jahr 2022 mit dem «Berner Sozialstern» der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern ausgezeichnet.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ausbildung von Lernenden.
Auch Lernende mit neurodiversen, psychisch oder psychosozial bedingten Leistungseinschränkungen werden ausgebildet.
Mit einem sicheren und strukturierten Arbeitsumfeld, viel Vertrauen und Engagement gewinnt und bindet der Betriebsleiter so wertvolle Mitarbeitende.
Soziale Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor
Im Landhaus Liebefeld arbeiten zurzeit 62 Personen.
11 von ihnen sind Lernende, und 3 Personen haben eine psychisch bedingte Leistungseinschränkung.
Für Christen war der Fachkräftemangel nicht die primäre Motivation dafür, Menschen in einer schwierigen Phase eine Chance zu geben.
Sie auf ihrem Weg zu begleiten, sei langfristig nicht nur profitabler, sondern schenke auch grosse Erfüllung.
Und das soziale Engagement zahlt sich für das Unternehmen aus: Es stärkt das Vertrauen der Mitarbeitenden und ermöglicht langfristige Partnerschaften.
Als Resultat ist die Mitarbeitendenfluktuation im Landhaus sehr gering.
Was braucht es konkret, damit Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder aus schwierigen Verhältnissen integriert werden können?
Wichtig seien eine enge Begleitung, Mitgefühl, Flexibilität, viel Nachsicht und Geduld, aber auch eine gewisse Strenge, sagt Christen.
Grundvoraussetzung sei in jedem Fall der Wille des Einzelnen, seine Probleme in den Griff zu bekommen, seinen Weg zu finden.
Der Mitarbeitende müsse aber auch spüren, dass man an ihn glaube und ihn nicht einfach fallen lasse.
«Das erfordert viel Nachsicht, denn starre Regeln werden gebrochen», so Christen.
Milan M. betont: «Es war mein grosser Wunsch, in einem richtigen À-la-carte-Betrieb zu arbeiten.»
Dieser Wunsch sei ausschlaggebend gewesen.
Gemäss Milan M. braucht es zudem eine Ansprechperson, die auch während der Arbeit da ist.
Cyrill R. ergänzt: «Am Anfang war ich noch in meinem alten Muster gefangen: alles verdrängen und wegschieben.»
Dank Tom Christen habe er gelernt, über sich nachzudenken.
«Besonders geholfen hat mir, dass Tom an mich geglaubt und mich nicht wegen wiederholter Unzuverlässigkeit entlassen hat.»
Christen legt grossen Wert auf eine ganzheitliche Sichtweise.
Beispielsweise hindern finanzielle Schwierigkeiten die betroffene Person daran, sich auf die Lehre zu konzentrieren.
Gemeinsam mit dem Arbeitgebenden einen Plan zu erarbeiten, wie die Schulden schrittweise abgebaut werden können, ist Teil der Unterstützung und hilft, Existenzängste abzubauen.
Das bestätigt auch Cyrill R.: «Meine Schulden waren eine grosse Belastung für mich.
Erst als mir das Landhaus Liebefeld unter die Arme griff und die Schuldenlast von mir abfiel, konnte ich mich endlich auf die Lehre konzentrieren.»
Die Bedeutung des Teams
Für eine erfolgreiche Eingliederung ist die Unterstützung des Teams unabdingbar: Für das Team sei das nicht immer leicht zu verstehen, sagt Christen.
Denn wir leben in einer Leistungsgesellschaft: «Wer keine Leistung bringt, ist raus.»
Dass es jeden treffen könne, sei es durch einen Schicksalsschlag oder eine Krankheit, sei vielen nicht bewusst.
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