Angststörung: Wann zum Arzt gehen?

Angst ist eine angeborene menschliche Reaktion, die schützt und das Überleben sichert. Sie ist eine Basisemotion des Menschen und für das Überleben eminent wichtig. Ihr Sinn und Zweck besteht darin, vor Gefahren zu warnen und den Körper auf eine adäquate Reaktion (Flucht, Kampf oder Verstecken) vorzubereiten. Angst per se ist nichts Schlechtes, sondern eine natürliche Emotion.

Doch wann wird normale Angst zur krankhaften Angststörung? Wann sollte man einen Arzt konsultieren? Ist sie jedoch unbegründet oder übertrieben stark, kann sie zu einer psychischen Erkrankung werden. Gradmesser hierfür sind die Intensität und Häufigkeit, aber auch die resultierende Beeinträchtigung und der Leidensdruck beim Betroffenen. Angst bekommt erst Krankheitswert, wenn sie ohne reale Gefahr auftritt, also aus der Situation heraus nicht nachvollziehbar ist. Und auch wenn sie zu häufig auftritt und zu lange andauert.

Nach kritischen Lebensereignissen, unter Dauerstress, bei Vorliegen genetischer Veranlagungen bzw. früher biografischer Belastungen kann sich aus normaler, gesunder Angst eine Angststörung entwickeln. Die Folgen sind erhebliches Leiden, eine zunehmende Einschränkung des Lebensradius und unter Umständen auch Zweiterkrankungen - etwa Depressionen oder Süchte. Oft wirken hier Eskalationsmechanismen auch dann weiter, wenn die unmittelbaren Auslöser entfallen sind, so dass die Gefahr einer Chronifizierung besteht.

Was sind Angststörungen?

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und treten oft im Zusammenhang mit Stress oder anderen psychosozialen Belastungen (Umwelteinflüssen) auf. Sie sind mit Erkrankungen der Gefühlsregulation - vor allem der Depression - verwandt. Zu den unterschiedlichen Formen der Angststörung gehören spezifische Phobien, Panikattacken oder generalisierte Angststörung.

Die Ursachen für eine Angststörung sind vielfältig:

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  • Langanhaltende Belastungen (Stress)
  • Innerpsychische Konflikte
  • Negative Lebenserfahrungen und biographische Prägungen
  • Traumatische Erlebnisse
  • Genetische Faktoren
  • Gestörtes Gleichgewicht von Botenstoffen (Neurotransmitter)

Bin ich betroffen? Normale Angst oder krankhafte Angststörung?

Wir alle kennen Momente der Angst. Prüfungsangst - wer kennt das nicht? Oder das flaue Gefühl im Magen vor dem ersten Date? Auch wenn Angst teils heftige körperliche und emotionale Reaktionen auslösen kann, ist sie völlig normal, wenn wir uns mit Situationen konfrontiert sehen, die sich unserer Kontrolle entziehen. Angst vor einer Gefahr zu haben ist ein uralter Mechanismus, der den Frühmenschen half, zu überleben.

Die «gesunde» Angst zeichnet sich dadurch aus, dass sie zeitlich begrenzt und auf bestimmte Umstände zurückzuführen ist. Sobald die «Stressquelle» verschwindet, verschwindet auch die Angst. Angst ist dann krankhaft, wenn sie unverhältnismässig ist und andauernd auftritt. Man spricht in solchen Fällen von Angststörungen. Für die Betroffenen können Angststörungen sehr einschneidend sein.

Ist eine solche Angst krankhaft gesteigert und behindert den Alltag, sprechen Fachleute von einer Angststörung. Ängste sind prinzipiell überlebensnotwendig. Ohne sie würden wir im reissenden Fluss ertrinken, vom hohen Baum stürzen oder blind jedem Bösewicht vertrauen. Bei manchen Menschen schiessen diese sinnvollen Emotionen jedoch über das normale Mass hinaus. Ihre Angst übersteigt die objektiv von einer Situation ausgehende Gefahr. Betroffene können oft ihre Gefühle in dieser Situation überhaupt nicht mehr kontrollieren.

Welche Symptome sind typisch für Angststörungen?

Die Symptome einer Angststörung äussern sich auf den Ebenen des Körpers, der Gefühle, der Gedanken und des Verhaltens:

Starke Angstgefühle gehen häufig mit körperlichen Beschwerden einher. Insbesondere bei einer Panikattacke können diese Symptome so ausgeprägt sein, dass die Betroffenen zunächst von einer körperlichen Erkrankung, beispielsweise einem Herzinfarkt ausgehen und sich notfallmässig untersuchen lassen. Häufig treten Panikattacken aus dem Nichts auf, in der Mehrzahl der Fälle sind jedoch Situationen mit grossen Menschenansammlungen, volle Kaufhäuser, öffentliche Verkehrsmittel oder enge Räume wie Fahrstühle typische Auslöser. Die Panikattacke zeichnet sich durch ihre Plötzlichkeit aus. Die Symptome treten ohne Vorwarnung auf - unter anderem Herzrasen, Atemnot, Engegefühl in Brust und Kehle, Schwindel, Zittern, Mundtrockenheit, Übelkeit und Erbrechen. Manche Menschen haben auch grosse Angst, vor lauter Panik verrückt zu werden und die Kontrolle über ihr Handeln zu verlieren.

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Häufig vermeiden betroffene Personen Situationen, die ihnen Angst machen (könnten). Manche geraten so immer weiter in eine soziale Isolation. Gegenüber anderen sprechen Erkrankte oft eher über somatische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Schmerzen, die mit der Angst einhergehen, als über den Auslöser der Angst.

Bei einer Angststörung beherrscht die Furcht die gesamten Gedanken und meist auch den Körper der betroffenen Person. Die Gedanken fokussieren sich nur noch auf das (gefühlte) Problem. Typischerweise tritt diese Angst nur in bestimmten Situationen auf. Mit der Zeit kann aber auch die Erwartung einer Angstreaktion in bestimmten Situationen hinzukommen, die „Angst vor der Angst“. Um die damit verbundenen negativen Gefühle zu vermeiden, weicht die betroffene Person diesen Situationen immer mehr aus. Damit vermindert sich jedoch auch die Umgangsroutine mit solchen Situationen, und die Angst vor der Angst wird immer grösser. In vielen Fällen sind sich Betroffene sogar bewusst, dass ihre Furcht übertrieben ist.

Auch die Entwicklung weiterer psychischer Probleme (allen voran: Depression und Substanzmissbrauch) ist häufig.

Formen von Angststörungen

  • Panikstörung: Geraten Sie plötzlich in Angst? Scheinbar aus heiterem Himmel kann es zum Aufschiessen intensiver Angstzustände kommen (Panikattacken).
  • Soziale Phobie: Haben Sie Angst, dass andere Menschen Ihr Verhalten als dumm oder peinlich einschätzen könnten?
  • Spezifische Phobie: Haben Sie Angst vor bestimmten Tieren, etwa Hunden, Spinnen oder Insekten? Oder haben Sie Angst vor einer Situation, etwa einem Gewitter oder grosser Höhe? Flugangst, Panik im Aufzug, Spinnenphobie - Ängste sind in der Bevölkerung weit verbreitet.
  • Generalisierte Angststörung: Kreist Ihr Denken häufig lange Zeit um Probleme, die objektiv betrachtet gar nicht so bedrohlich sind?

Manchmal finden sich Mischformen verschiedener Angststörungen.

Besonders verbreitet sind Tierphobien, Höhenangst und Klaustrophobie (Angst in engen Räumen).

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Wann sollte man einen Arzt konsultieren?

Am wichtigsten ist es ärztliche Hilfe zu suchen, sobald Ängste ausser Kontrolle geraten. Die frühzeitige Diagnose und Behandlung verhindern, dass sich die Erkrankung verselbständigt.»

Bei starken Brustschmerzen und Übelkeit suchen die meisten unverzüglich einen Arzt auf. «Rein äusserlich kann eine Panikattacke durchaus einem Infarkt oder einem Lungenproblem ähneln. Kann man aufgrund der medizinischen Abklärung körperliche Ursachen ausschliessen, handelt es sich vielfach um ein psychologisches Signal, das man ernst nehmen muss», erklärt der Psychiater.

Oft dauert es lange, bis Betroffene uns aufsuchen. Dabei schildern sie eher ihre körperlichen Begleiterscheinungen als den Kern der Krankheit.

Je früher eine erkrankte Person behandelt wird, desto besser sind die Heilungschancen.

Bei Verdacht auf eine Angststörung sollte man zunächst jegliche körperliche Ursache ausschliessen.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die Diagnose erfolgt in einer umfassenden klinisch-psychiatrischen Untersuchung durch eine Fachperson (Psychiater, Psychiaterin oder Psychologin, Psychologe). Neben diesen ausführlichen Gesprächen zählen bei Bedarf auch testpsychologische sowie körperliche Untersuchungen (inklusive Routinelabor und EKG) zu den Massnahmen der Diagnose.

Die Untersuchung bei uns besteht in erster Linie in einem gemeinsamen Gespräch, in welchem Sie Ihre Beschwerden schildern und wir uns ein möglichst genaues Bild der Symptome und möglicher Ursachen machen. Zur Einordnung der Erkrankung werden wir beim ersten Treffen eine Reihe von Fragen stellen (Anamnese). Oft bitten wir Sie auch, ein Angsttagebuch zu führen.

Manche körperlichen Erkrankungen können ähnliche Symptome verursachen wie Angststörungen, beispielsweise eine Schilddrüsenüberfunktion oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daher wird zu Beginn einer Therapie in gewissen Fällen eine körperliche Untersuchung veranlasst.

Wie werden Angststörungen behandelt?

Die Erkrankung ist mittels verschiedener psychotherapeutischer Verfahren gut behandelbar. Unbehandelt neigen Angststörungen dazu chronisch zu werden.

Therapie der ersten Wahl ist die Psychotherapie. Dabei kommen verschiedene Verfahren in Frage, die individuell auf die konkrete Situation zugeschnitten werden.

«Bei diagnostizierten Angststörungen kann man mit der kognitiven Verhaltenstherapie oft gute Ergebnisse erzielen.» Die Psychotherapie kann kurz- und mittelfristig mit einer medikamentösen Therapie kombiniert werden. Psychopharmaka alleine lösen das Problem jedoch nicht.

«Bei der Bewältigung von Angststörungen hilft es, sich der eigenen Persönlichkeit und Vergangenheit bewusst zu werden», unterstreicht Dr. Neben (Selbst)hypnose und Achtsamkeitstraining können auch körperliche Übungen helfen: «Psychomotorik, Yoga und Sport im Allgemeinen sind sehr nützlich», so Dr.

Besonders gute Erfahrungen wurden mit dem Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie gemacht. Dabei unterstützen Therapeuten und Therapeutinnen ihre Patienten und Patientinnen darin, typische Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und zu korrigieren. Gemeinsam versuchen sie, diese zu hinterfragen und durch andere, positive Gedanken zu ersetzen. Wichtig ist, dass Betroffene verstehen, was ihre Symptome auslöst. Schrittweise kann sich die erkrankte Person dann in Begleitung eines Therapeuten oder einer Therapeutin den kritischen Situationen aussetzen und lernen, diese wieder zu bewältigen (Expositionsverfahren).

Medikamentöse Behandlung

Bei stark ausgeprägten Angststörungen kann in Absprache mit Ihrem behandelnden Arzt oder Ihrer behandelnden Ärztin auch eine medikamentöse Behandlung zusätzlich zur Psychotherapie vorgenommen werden. Insbesondere bei Panikstörungen, aber auch bei Agoraphobie oder sozialer Phobie werden Antidepressiva eingesetzt. Allerdings benötigen Sie dabei etwas Geduld: Die Wirkung dieser Medikamente setzt meist erst nach zwei, manchmal auch erst nach vier Wochen ein. Am häufigsten werden so genannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) eingesetzt. Psychopharmaka können wie alle Medikamente manchmal auch Nebenwirkungen haben.

Generell gilt, dass nicht jeder Patient notwendigerweise ein Medikament verordnet bekommen muss. Andererseits darf bei gegebener Indikation einem Patienten ein wirksames ­Medikament nicht vorenthalten werden. In diesem Entscheidungsprozess spielen Ängste und Verunsicherung sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten eine grosse Rolle. Oftmals ­besteht die Vorstellung, Angsterkrankungen seien rein ­psychologisch bedingt, weshalb sich eine medikamentöse Intervention verbiete.

Basierend auf aktuellen Leitlinienempfehlungen stellen die modernen selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) sowie die kombinierten Serotonin-Noradrenalin-­ Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) die Substanzen der 1. Wahl dar. Daneben besteht eine Zulassung für das Antikonvulsivum Pregabalin bei der generalisierten Angststörung (7). Benzodiazepine werden für die Behandlung von Angsterkrankungen nicht mehr empfohlen und sollten wegen des be­ kannten Abhängigkeitsrisikos vermieden werden.

Selbsthilfe und Vorbeugung

Da sich meist keine einzelne Ursache für eine Angststörung identifizieren lässt, bestehen wenig Möglichkeiten der Vorsorge. Wie bei allen psychischen Krankheiten ist es jedoch wichtig, ein Gleichgewicht zwischen belastenden und entlastenden Lebensaspekten zu finden. Dabei helfen ein stabiles Netzwerk an sozialen Beziehungen, Hobbys oder auch regelmässige Bewegung - sowohl durch Sport als auch durch Spaziergänge.

Andauernder Stress führt zu Spannungszuständen, welche die Entwicklung von Panikattacken begünstigen. Zudem kann es helfen, Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, Yoga oder autogenes Training zu erlernen. Genügend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung wirken vorbeugend.

Der Austausch mit Gleichbetroffenen kann bei der Bewältigung einer Krankheit eine grosse Unterstützung sein. Beratung auf der Suche nach einer geeigneten Selbsthilfegruppe erhalten Sie bei Selbsthilfe Zürich.

Die gute Nachricht

Insgesamt lassen sich Angststörungen gut behandeln.

Eine Agoraphobie und soziale Phobien werden meist stärker, je länger sie unbehandelt bleiben. Oft entwickeln sich solche Angststörungen über eine längere Zeit hinweg, manchmal sogar über viele Jahre. Auch eine Panikstörung besteht in der Regel mit Höhen und Tiefen über Jahre hinweg und wird chronisch.

Angststörungen sind häufig, aber gut behandelbar. ist die Vermeidung einer Chronifizierung.

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