Amisulprid zur Behandlung von Depressionen: Ein umfassender Überblick

Amisulprid ist ein sogenanntes atypisches Antipsychotikum. Es entfaltet im zentralen Nervensystem eine antipsychotische Wirkung und eignet sich damit zur Behandlung von Symptomen akuter und chronischer Schizophrenien. Hier lesen Sie alles Wichtige über Wirkung, Anwendung und Nebenwirkungen von Amisulprid.

Wirkungsweise und Anwendungsgebiete

Amisulprid gehört zur Klasse der atypischen Antipsychotika (atypischen Neuroleptika) - einer Gruppe von neueren Wirkstoffen zur Behandlung psychischer Störungen, die im Vergleich zu älteren Wirkstoffen weniger bis keine extrapyramidal-motorische Symptome (EPS; Bewegungsstörungen) hervorrufen und effektiver gegen sogenannte "negative Symptome" wirken.

Amisulprid wird zur Behandlung der Schizophrenie eingesetzt. Der Begriff bezeichnet eine Gruppe von psychischen Störungen, die durch eine Veränderung in der Wahrnehmung, einer Störung des Denken, Antriebs sowie der gesamten Persönlichkeit gekennzeichnet ist. Die Folge sind zum einen "positive Symptome", also solche, die durch die Krankheit entstehen und normalerweise nicht auftreten würden wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Daneben treten "negative Symptome" auf - Symptome, die durch das Fehlen oder die mangelhafte Ausprägung von normalerweise vorhandenen Verhaltensweisen zustandekommen. Beispiele sind etwa Teilnahmslosigkeit (Apathie), verringertes Gefühlsempfinden sowie sozialer Rückzug.

Positive Symptome lassen sich mit Arzneimitteln besser behandeln als die negativen Symptome. Amisulprid als atypisches Antipsychotikum wird in niedriger Dosierung vor allem für die Behandlung der negativen Symptome eingesetzt, bessert in höheren Dosen aber auch positive Symptome einer Schizophrenie.

Seine Wirkung im Zentralnervensystem beruht hauptsächlich auf einer Blockade der Andockstellen des Nervenbotenstoffes Dopamin (Dopamin-Rezeptoren). Der therapeutische Effekt stellt sich aber erst nach einer längerfristigen Einnahme ein.

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Im Gegensatz zu vielen anderen Antipsychotika wirkt Amisulprid nicht beruhigend (sedierend).

Aufnahme, Abbau und Ausscheidung

Amisulprid wird über den Mund (oral) verabreicht. Nur ungefähr die Hälfte der eingenommenen Wirkstoffmenge gelangt in die Blutbahn und weiter zum zentralen Nervensystem. Etwa 12 Stunden nach der Einnahme hat der Wirkstoff zur Hälfte den Körper wieder verlassen (mit dem Urin).

Wann wird Amisulprid eingesetzt?

Amisulprid wird zur Behandlung akuter und chronischer schizophrener Störungen eingesetzt.

So wird Amisulprid angewendet

Amisulprid wird ein- bis zweimal täglich unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen. Dabei darf die Tageshöchstdosis von 1200 Milligramm nicht überschritten werden. Eine regelmässige Einnahme ist notwendig, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

Für Patienten mit Schluckstörungen sind neben den Tabletten auch Amisulprid-haltige Tropfen verfügbar. Der Wirkstoff kann bei Bedarf mit anderen Neuroleptika (wie Clozapin und Olanzapin) kombiniert werden.

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Nebenwirkungen von Amisulprid

Mögliche Nebenwirkungen sind zum Beispiel Schlaflosigkeit, Angst, krankhafte Unruhe mit heftigen Bewegungen (Agitiertheit), Zittern (Tremor) und Sitzunruhe (Akathisie). Extrapyramidal-motorische Symptome sind generell eine häufige Nebenwirkung von Neuroleptika, treten bei Amisulprid aber seltener auf als bei anderen Vertretern dieser Wirkstoffgruppe.

Zu den möglichen Nebenwirkungen zählt ausserdem eine erhöhte Prolaktinproduktion. Prolaktin ist ein Hormon, das zum Beispiel während der Schwangerschaft vermehrt vom Körper ausgeschüttet wird. Der erhöhte Prolaktinspiegel kann bei Frauen unter anderem zu Zyklusstörungen, Brustschmerzen und sexuellen Funktionsstörungen führen. Bei Männern stehen Kopfschmerzen und Libidoverlust im Vordergrund.

Amisulprid lindert über die Blockade von zentralen Dopamin-Andockstellen auch den Brechreiz (antiemetischer Effekt).

Seltener wurden folgende Nebenwirkungen beobachtet: gutartiger Hypophysentumor, Hyponatriämie (zu niedriger Natriumspiegel im Blut), Überschuss des ADH-Hormons (SIADH), Fieber, Muskelsteifheit und Bewusstseinstrübung (Zeichen eines möglichen malignen neuroleptischen Syndroms).

Im Falle von Fieber und/oder einer unerklärlichen Infektion oder falls eine Anomalie des Sichtfelds oder Kopfschmerzen auftreten, wenden Sie sich bitte umgehend an einen Arzt bzw. Amisulprid kann Ihre Bewegungs- und Gleichgewichtsfähigkeit beeinträchtigen.

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Bei der Einnahme von Amisulprid im letzten Schwangerschaftsdrittel wurden die folgenden Symptome beim Neugeborenen beobachtet, wobei die Häufigkeit des Auftretens nicht bekannt ist: Zittern, Muskelsteifheit, Schwäche, Schläfrigkeit, Unruhe, Atembeschwerden oder Schwierigkeiten beim Stillen.

Es wurden Fälle von Rhabdomyolyse (Muskelabbau, der häufig zu Nierenschädigungen führt) mit nicht bekannter Häufigkeit beobachtet. Holen Sie umgehend ärztlichen Rat ein, wenn Sie Muskelschmerzen, -steifheit oder -schwäche, Bewusstseinsstörungen oder unerklärliches Fieber verspüren, oder wenn bei Ihnen rötlich-brauner Urin auftritt.

Wichtige Hinweise zur Einnahme von Amisulprid

Gegenanzeigen

Amisulprid darf nicht eingesetzt werden bei:

  • Prolaktin-produzierenden Tumoren
  • Phäochromozytom (seltener Tumor des Nebennierenmarks)
  • gleichzeiter Einnahme von L-DOPA (Parkinson-Medikament)
  • angeborener oder erworbener QT-Intervall-Störung (Herzrhythmusstörung)
  • gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln, die ebenfalls das QT-Intervall verlängern (wie Chinidin, Amiodaron, Sotalol)

Wechselwirkungen

Amisulprid sollte nur mit besonderer Vorsicht zusammen mit diesen Wirkstoffen angewendet werden:

  • harntreibende Wirkstoffe (Diuretika)
  • Amphotericin B (Anti-Pilzmittel)
  • trizyklische Antidepressiva (wie Amitriptylin)
  • ältere Antihistaminika (Medikamente gegen Allergien), die in der Lage sind die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden (wie Doxylamin, Diphenhydramin)
  • Betablocker (wie Bisoprolol) und bestimmte Calciumkanalblocker (wie Verapamil und Diltiazem)
  • Lithium (Medikament bei bipolarer Störung)
  • zentral dämpfende Arzneistoffe (wie Benzodiazepine, Phenobarbital, Clonidin)

Amisulprid kann die zentralen Wirkungen von Alkohol verstärken. Verzichten Sie während einer Therapie mit Amisulprid daher auf Alkoholkonsum.

Altersbeschränkung

Amisulprid darf bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren nicht angewendet werden (Kontraindikation). Im Alter zwischen 15 und 18 Jahren wird von einer Anwendung abgeraten.

Schwangerschaft und Stillzeit

Aufgrund der unzureichenden Datenlage in der Schwangerschaft und Stillzeit sollten bei Neueinstellungen stets besser untersuchte antipsychotische Arzneistoffe wie Quetiapin oder gegebenenfalls Risperidon bevorzugt werden.

Stabil mit Amisulprid eingestelle Patientinnen werden kurz vor beziehungsweise in der Schwangerschaft in der Regel nicht umgestellt, jedoch engmaschig psychiatrisch begleitet.

Amisulprid tritt in grossen Mengen in die Muttermilch über. Volles Stillen ist daher kritisch zu beurteilen. Im Einzelfall, vor allem unter regelmässigen Plasmaspiegelbestimmungen beim Neugeborenen und Beobachtung etwaiger Symptome, kann Stillen aber akzeptabel sein.

Abgabevorschriften

Amisulprid ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz in jeder Dosierung rezeptpflichtig.

Geschichte von Amisulprid

Als erstes atypisches Antipsychotikum wurde im Jahre 1971 Clozapin entwickelt. Seitdem wurden weitere "Atypika" auf den Markt gebracht, darunter Amisulprid, das 1999 in Deutschland zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen wurde.

Vergleich von Antipsychotika der zweiten Generation

Die vergleichsweise hohen Kosten der Neuroleptika der zweiten Generation haben zu einer fortdauernden Debatte über ihren höheren Behandlungsnutzen im Vergleich zu den Neuroleptika der ersten Generation geführt. Als besondere Vorteile werden die im Vergleich zu konventionellen Neuroleptika geringeren extrapyramidalen Nebenwirkungen sowie die besseren Wirkungen auf Negativsymptome, auf Depression und auf die Lebensqualität von Schizophreniepatienten herausgestrichen.

In einer Analyse von 239 Publikationen von 150 doppelblinden Studien mit insgesamt 21 533 Teilnehmenden wurden verschiedene Neuroleptika der zweiten Generation mit Neuroleptika der ersten Generation in der Behandlung von Schizophrenien oder verwandten Störungen verglichen.

Es wurde deutlich, dass die atypischen Neuroleptika in keiner Weise eine homogene Medikamentengruppe bilden, sondern sich bezüglich Nebenwirkungen, Zusatzeffekten oder in ihrer Hauptwirkung von älteren Präparaten differenziert abgrenzen, aber gelegentlich auch nicht unterscheiden. So verursachten alle SGA zwar weniger «typische» extrapyramidale Nebenwirkungen (EPS), jedoch waren nur Amisulprid, Clozapin, Olanzapin und Risperidon in Bezug auf die Behandlung von positiven oder negativen Symptomen (Hauptwirkung) überlegen. Antidepressiv waren (ausser Risperidon) die untersuchten SGA wirksamer, bezüglich Gewichtsneutralität hingegen nur Aripiprazol besser als das altbekannte Haloperidol.

Wirksamkeit in verschiedenen Bereichen

Die folgende Tabelle zeigt die Wirksamkeit verschiedener Antipsychotika der zweiten Generation im Vergleich zu Antipsychotika der ersten Generation:

Bereich Amisulprid Aripiprazol Clozapin Olanzapin Quetiapin Risperidon Sertindol Ziprasidon Zotepin
Gesamtsymptomatik besser n.s. besser besser n.s. besser n.s. n.s. n.s.
Positivsymptome besser n.s. besser besser weniger besser n.s. n.s. n.s.
Negativsymptome besser n.s. besser besser n.s. besser n.s. n.s. n.s.
Lebensqualität besser n.s. besser n.s. n.s. n.s. besser n.s. n.s.

besser = Hedges’ g -0,13-0,52, entsprechend einer geringen bis mittleren Effektstärke; n.s. = nicht signifikant

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