Depression bei unerfülltem Kinderwunsch: Eine umfassende Betrachtung

Etwa jedes zehnte Paar in der Schweiz ist ungewollt kinderlos. Für die Betroffenen kann dies eine sehr grosse Belastung sein.

Die Realität des unerfüllten Kinderwunsches

Auf das Verliebtsein und den Kinderwunsch folgt die Ernüchterung: Sex auf Kommando, Selbstzweifel beim Mann und psychische Belastungen der Frau gehören zu den Begleiterscheinungen. Geschlechtsverkehr nach Plan markiert für das Paar den Anfang einer schwierigen Lebensphase: Stefanie wird auf natürlichem Weg nicht schwanger.

Ursachen und Diagnose

Die Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch sind gleichermassen auf den Mann wie auf die Frau zurückzuführen. Bei der Frau gehören hormonelle Störungen, Verschluss oder Funktionsverlust der Eileiter oder auch Erkrankungen wie Endometriose zu den möglichen Ursachen. Beim Mann gehören eine verminderte Spermienqualität, eine Störung der Spermienproduktion, Erkrankungen oder angeborene Fehlbildungen zu den möglichen Ursachen.

Körperliche sowie psychische Faktoren können die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen, aber auch der Lebensstil hat einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit von Mann und Frau. So vermindert zum Beispiel Rauchen nachweislich die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen.

Gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Daher steht am Anfang unseres gemeinsamen Weges ein ausführliches Beratungsgespräch mit beiden Partnern.

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Nebst dem ärztlichen Gespräch müssen bei beiden Partnern die Geschlechtsorgane (beim Mann interdisziplinär mit der Klinik für Urologie) untersucht werden. Zudem werden Blutuntersuchungen gemacht, um allfällige hormonelle Störungen zu finden.

Der Einfluss von Selbstzweifeln und psychischer Belastung

Bei Vanjo beginnen die Selbstzweifel: «Warum passiert das bei mir? Was habe ich falsch gemacht? Das Gedankenkarussell drehte immer weiter, ich konnte es nicht mehr abstellen.» Für Stefanie bleibt der Kinderwunsch trotz Vanjos Diagnose stark. Auch sie lässt sich untersuchen, erhält aber keine eindeutige Diagnose.

Viele unterschätzen zu Beginn, welche psychischen Belastungen damit einher gehen. Insbesondere das Hoffen und Bangen bei jedem neuen Zyklus stellt eine starke Belastung dar. Symptome wie Depression, Angst, Neid, Scham und sozialer Rückzug werden berichtet.

Kinderwunschklinik und künstliche Befruchtung

Das Paar entschliesst sich für die Kinderwunschklinik. Die Behandlung dauert mehrere Jahre. Mittlerweile ist Stefanie Stammkundin in der Kinderwunschklinik in Basel und hat bereits den 4. Versuch einer ICSI-Behandlung hinter sich. Es handelt sich hierbei um eine Form der künstlichen Befruchtung, bei der ausserhalb des Mutterleibs eine Eizelle mit einem Spermium befruchtet wird.

Anschliessend wird die befruchtete Eizelle in die Gebärmutterhöhle transferiert. Auch der 5. Versuch scheitert. Die Reproduktionsmedizin kann den Traum von eigenen Kindern bei Stefanie und Vanjo bis heute nicht erfüllen. Stefanie sagt: «Es gibt viele Abende, da weine ich ununterbrochen. Das Leben vor der Kinderwunschklinik war unbeschwerter.»

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Psychologische Aspekte und Trauerprozess

SRF rec.: Man spricht beim unerfüllten Kinderwunsch von einem Trauerprozess, weshalb? Jeannine Donzé, psychologische Beraterin: Bei einem unerfüllten Kinderwunsch kann viel Ungelebtes betrauert werden. Zum Beispiel das Kind als gemeinsames Drittes, das fehlende körperliche Erleben einer Schwangerschaft oder innere Bilder von sich als Mutter oder Vater, die seit Kindertagen da sind und nun nicht eintreffen.

Auf psychologischer Ebene ist ein unerfüllter Kinderwunsch oder ein frühgeburtlicher Kindsverlust vergleichbar mit einem Todesfall. Die Betroffenen durchleben ähnliche Trauerphasen. Es beginnt meist mit der Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens, einer Schockstarre.

Dann kommen die aufbrechenden Emotionen. Das können unterschiedliche Gefühle sein wie Wut, Neid, Insuffizienz und auch Leere. Auch Aktivismus und Müdigkeit können Ausdruck sein von Trauer. Danach kommt die Phase der Suche, die dann schliesslich in einen neuen Selbst- und Weltbezug münden wird.

Die Rolle des Frauseins bei der Trauer

Mutterschaft ist auch heute noch stark mit weiblicher Identität verbunden. Frauen werden öfters auf Kinder angesprochen als Männer. Da Frauen seit dem Alter von 12, 13 Jahren im Zyklus stehen, ist die Trauer oft ganz nahe mit dem Körper verbunden.

Die Monatsblutung oder später die Menopause kann emotional sehr schmerzhaft sein. Oder es kann eine Wut auf die eigenen Organe geben, die nicht funktionieren. Die Behandlungen in der Kinderwunschklinik sind für Frauen oft mit Nebenwirkungen verbunden. Der Blick auf den Körper wird defizitär und mechanisch.

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Viele Frauen erleben sich Müttern gegenüber als minderwertig.

Paardynamik und der Trauerprozess

Während eigene Kinder oft ein gemeinsames Projekt sind und ein Paar zusammenschweissen, kann die Kinderlosigkeit für ein Paar sehr trennend erlebt werden. Vielleicht weiss man, wer von beiden ein medizinisches Problem hat, das den Kinderwunsch verhindert. Das kann sehr belasten und zu Schuldgefühlen führen.

Auch kann es sein, dass beide Partner:innen unterschiedlich trauern. Vielleicht hat jemand ein starkes Redebedürfnis, und der oder die Andere stürzt sich als Verarbeitung in die Arbeit oder sportliche Aktivitäten. Da die Stelle des Wunschkindes leer bleibt, fehlt dem Paar anfangs oft ein Lebensplan und ein Stück Zukunft.

Es geht dann darum, sich auch als Paar neu zu orientieren und sich geistige Kinder im Sinne von Projekten usw. zu suchen. Viele Paare machen auch äusserlich einen Schnitt mit einem Umzug oder einer Reise.

Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch

Nicht so bei Chris, dem Partner von Julia: «Wir entschieden uns als Paar, dass wir gerne Kinder haben möchten. Alle sechs Monate durchlebt Chris mit Julia eine Fehlgeburt. Die Belastung in den letzten Jahren sei heftig gewesen. Chris fällt in eine Depression, kann zeitweise nicht mehr arbeiten.

Heute geht es Chris besser, unter anderem dank einer Therapie und der Musik. Er versuche wieder zu leben, auch wenn die Antwort, warum das Paar kinderlos ist, ausbleibt. Chris sticht sich das Schicksal, wie seine Partnerin Julia, unter die Haut - ein Zitat von Bob Dylan: The answer is blowing in the wind.

Psychologische Unterstützung und Beratung

Nicole Regli: Einige haben Depressionen oder ein Burn-out, andere merken, dass sie der Kinderwunsch völlig beherrscht. Viele kommen zu mir, weil sie anders mit dem Thema umgehen möchten. Ein Kinderwunsch kann zu einem Leben mit angezogener Handbremse führen. Die Dauer des Wunsches ist dabei nicht ausschlaggebend.

Einige Klientinnen werden nach nur wenigen Sitzungen bei mir schwanger, andere erst nach einem Jahr und wieder andere gar nicht. Das ist das Schwierige beim Kinderwunsch: Wir sind es gewohnt, Ziele innerhalb einer definierten Zeitspanne zu erreichen. Zum Beispiel wenn wir den nächsten Karriereschritt planen. Aber keine Frau weiss, ob sie je Mutter werden wird.

In Ihren Coachings geht es auch um unbewusste Blockaden, Ängste und Glaubenssätze, die einem Wunschkind im Weg stehen. Ich betrachte den Kinderwunsch ganzheitlich: Nicht nur die Qualität der Eizelle hat einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit, sondern auch die Psyche und wie wir zum Leben stehen.

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Tipps für Paare

Männern gelingt das oft besser als ihren Partnerinnen. Was die Männer belastet, ist ihre Hilflosigkeit angesichts des emotionalen Zustands der Frauen. Sie wissen oft gar nicht mehr, wie sie reagieren sollen. Frauen sind in dieser Phase sehr dünnhäutig, und es kommt zu vielen Missverständnissen.

Die Kommunikation ist ein zentraler Punkt: Männer suchen eher nach Lösungen, Frauen möchten lieber einfach in den Arm genommen werden. Frauen sollten ihre Bedürfnisse daher klar kommunizieren und sagen, was sie in einem bestimmten Moment brauchen. Und umgekehrt fragen, was ihr Partner braucht.

Ausserdem sollten Paare versuchen, die Lust am Sex aufrechtzuerhalten. Wenn sich alles nur noch am Eisprung orientiert, fällt die Freude am Liebesakt weg, und die Sexualität wird zum Frust.

Alternativen und Perspektiven

Als kinderloses Paar kann man sich ausgeschlossen fühlen. Schliessen Sie neue Freundschaften mit Menschen, die ebenfalls keine Kinder haben, und kosten Sie die Spontaneität aus! Es ist so wichtig, das Leben zu geniessen. Fragen Sie sich: Woran habe ich Freude? Was tut mir gut? Je besser es Ihnen geht, desto besser geht es Ihrem Körper.

Loslassen und Akzeptieren

Regula ist 45 Jahre alt und hat den Kinderwunsch losgelassen. Regula erzählt vom Älterwerden und von der Angst davor, einmal allein zu sein. Deshalb wolle sie sich frühzeitig mit möglichen Lebensformen im Alter beschäftigen. Sie sei auch zuversichtlich, dass es andere Menschen geben werde, die sich um sie kümmern werden.

Michel hat einen Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch gefunden: Es sei eine Mischung zwischen «sich mit dem Thema beschäftigen, etwas anderem Platz lassen und vielleicht auch ein bisschen Verdrängung».

Es kann auch ein Segen sein, einen nicht erfüllten Wunsch loszulassen. Denn wer loslässt, hat die Hände frei. Du kannst unendlich lange mit den Dingen hadern, die sich nicht erfüllt haben oder auch mit den Entscheidungen, die du getroffen hast. Ich fühle mich trotzdem komplett. Auch ohne Kind.

Statistiken und Fakten

Kinder zu haben gehört für viele Menschen zu einem sinnerfüllten Lebensplan. Jedes sechste Paar in der Schweiz ist ungewollt kinderlos, Tendenz steigend. Ungewollte Kinderlosigkeit wird von vielen Betroffenen als die schlimmste Krise in ihrem Leben erlebt.

Am häufigsten wird Infertilität als das Nichteintreten einer Schwangerschaft nach einem Jahr regelmässigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr definiert. Etwa zu je einem Drittel liegen die Gründe einzig beim Mann, einzig bei der Frau oder bei beiden Partnern gemeinsam. Das ist sowohl für Paare als auch für kinderlose Singles eine isolierende und schmerzhafte Erfahrung.

Aspekt Details
Prävalenz Jedes 6. Paar in der Schweiz ist ungewollt kinderlos.
Ursachen Zu je einem Drittel beim Mann, bei der Frau oder bei beiden Partnern.
Psychische Belastung Kann zu Depressionen, Angst, Neid, Scham und sozialem Rückzug führen.

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