ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die nicht nur Kinder und Jugendliche betrifft, sondern auch im Erwachsenenalter fortbestehen kann. Viele Betroffene erhalten ihre Diagnose erst als Erwachsene, nachdem sie jahrelang mit Problemen zu kämpfen hatten, deren Ursachen sie nicht zuordnen konnten. Dies kann besonders bei Frauen der Fall sein, da sich ADHS bei ihnen oft anders äußert als bei Männern.
ADHS im Erwachsenenalter: Eine oft übersehene Störung
In der Spezialsprechstunde AD(H)S im Erwachsenenalter der Psychiatrie Baselland finden Betroffene umfassende Diagnostik und Beratung. Die Psychiatrie Baselland bietet im Zentrum für Psychische Gesundheit in Binningen spezialisierte diagnostische Abklärungen und eine Psychoedukative AD(H)S-Gruppe an. Zuständig dafür sind Dr. phil. Daniela Heimberg, Dr. med. Sebastian Thrul sowie die Psychologinnen Isabelle Alonso und Laura Würsch.
Oft wird AD(H)S nicht erkannt, weil es von Kompensationsstrategien der Betroffenen überdeckt wird. Es wird beispielsweise versucht, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme mit aufwändigen Lernstrategien zu begegnen. Betroffene meiden nicht selten Aufgaben und Aktivitäten, bei welchen die Probleme offensichtlich würden. Die Betroffenen halten oft andere psychischen Beschwerden für die Ursache ihres Leidens. Eine AD(H)S-Abklärung erfolgt nicht selten erst nach Jahren.
Damit die Diagnose ADS oder ADHS gestellt werden kann, muss eine bestimmte Anzahl von Kriterien der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein. In unserer Spezialsprechstunde klären wir die Persistenz der Störung im Erwachsenenalter ab. Damit wird deutlich, dass für eine solche Diagnose eine bestimmte Zahl von Symptomen bereits im Kindes- und Jugendalter vorliegen muss. In mindestens zwei Lebensbereichen (z.B. Arbeit, soziale Beziehungen) müssen Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können.
Der unaufmerksame Typ (ADS) bei Frauen
Bei Mädchen ist der unaufmerksame Typ, also die ADS, häufiger. Die Symptomatik ist hier meist weniger auffällig, wird somit häufiger nicht erkannt und erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Folglich erhalten Betroffene deutlich später Unterstützung und eine entsprechende Behandlung, was mit einer Reihe an Folgestörungen einhergehen kann. Menschen mit einer ADS sind verträumt, abgelenkt und hypoaktiv. Zudem besteht häufig eine ausgeprägte Prokrastination, eine Entscheidungs- und Priorisierungsschwäche sowie Ängstlichkeit. Auf schwierige Situationen wird eher mit einer Flucht nach innen und mit Selbstzweifeln reagiert. Impulsives Verhalten sowie Emotionsausbrüche sind ebenso eher nach innen gerichtet.
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Symptome des unaufmerksamen Typs bei Frauen:
- Verträumtheit und Ablenkung
 - Hypoaktivität
 - Prokrastination
 - Entscheidungs- und Priorisierungsschwäche
 - Ängstlichkeit
 - Rückzug und Selbstzweifel
 
Berufliche Herausforderungen und Chancen
Da AD(H)S eine sogenannte Spektrumsstörung ist, kann dazu keine allgemeingültige Aussage gemacht werden. Einige Betroffene können ihre Ressourcen vor allem in einem selbständigen Beruf aktivieren, andere benötigen eine externe Struktur durch einen Arbeitgeber. Entscheidend bei der Berufswahl sind das Interesse und die Motivation. Langeweile und Unterforderung im Beruf sind gerade für AD(H)S-Betroffene eher problematisch. Sowohl Abwechslung und Freiraum als auch klar definierte Arbeitsschritte mit Fristen sind von Vorteil.
Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter
Nicht jede AD(H)S ist behandlungsbedürftig. Wenn Leidensdruck, Beeinträchtigungen sowie Begleiterkrankungen bestehen, ist eine Behandlung jedoch indiziert. In der Therapie von AD(H)S geht es vor allem um das Erlernen von Strategien und Hilfen für die Alltagsbewältigung. AD(H)S kann in dem Sinne nicht «geheilt» werden, aber es kann ein Umgang mit den Kernsymptomen wie Unaufmerksamkeit, motorische Hyperaktivität und Impulsivität sowie mit den Nebensymptomen wie Affektlabilität, Reizbarkeit/Explosivität, Stressempfindlichkeit und Desorganisation erlernt werden.
Betroffene werden in erster Linie ambulant behandelt, idealerweise in einem längerfristigen, vertrauensvollen psychiatrisch-psychotherapeutischen Rahmen. Aufgrund der bei AD(H)S Betroffenen häufig vorliegenden psychischen Begleiterkrankungen kann in Einzelfällen eine stationäre Behandlung sinnvoll sein. Die Indikation dafür sollte von einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachperson in einer eingehenden Abklärung gestellt werden.
Behandlungsansätze:
- Psychotherapie (Verhaltenstherapie, achtsamkeitsbasierte Therapie)
 - Medikamentöse Behandlung (Stimulanzien, Antidepressiva)
 - Psychoedukation und Selbsthilfegruppen
 - ADHS-Coaching
 - Stressmanagement-Techniken
 
Medikamente und ihre Wirkung
Medikamente, insbesondere die sogenannten Stimulanzien, können hilfreich für Menschen sein, die in ihrem privaten und beruflichen Alltag stark unter den Symptomen einer AD(H)S leiden. Sie sollen dabei helfen, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit für die Dauer der Einnahme zu verbessern. Ob Medikamente eingesetzt werden, sollte idealerweise im Rahmen einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung abgewogen werden. Es handelt sich bei den Stimulanzien um potente Wirkstoffe, die natürlich neben den erwünschten Wirkungen auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können.
ADHS und Geschlechterunterschiede
Während in der Kindheit mehr Jungen als Mädchen betroffen sind, gleicht sich dieses Verhältnis im Erwachsenenalter aus. Viele Betroffene haben soziale Schwierigkeiten und ziehen sich zurück. In der Medizin sind Männer die Norm. Dies geht zulasten der Frauen. Denn für diese heisst es dadurch, Fehldiagnosen, falsche Medikamente und eine erhöhte Sterblichkeitsrate. Denken wir beispielsweise an ADHS, denken wir an den unruhigen, zappeligen Jungen im Unterricht. Bei Frauen hingegen bleibt ADHS unerkannt. Dass Mädchen seltener diagnostiziert werden, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sind ihre Symptome oftmals unauffälliger. Zum anderen fokussiert sich die Bewertungsskala auf die häufigsten Symptome, die bei Jungen vorkommen. Schliesslich dachte man auch eine lange Zeit, dass ADHS eine typische Jungenerkrankung sei. Dies sorgt dafür, dass es jedoch meist spät zu einer Diagnose kommt. Ärzte oder Ärztinnen werden meist aufgrund von Begleiterkrankungen wie Burnout, Angstzuständen, Depressionen, Ess- und / oder Schlafstörungen, Sucht und ähnlichem aufgesucht. Späte Hilfe für Frauen sorgt häufig dafür, dass die Betroffenen sich nicht nur «anders», sondern auch «ungenügend» fühlen.
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Stärken von Menschen mit ADHS
ADHS bringt ebenso Stärken mit sich. So sind die Betroffenen von ADHS begeisterungsfähig. Ebenso gehören Einfühlungsvermögen, Kreativität und Humor zu den häufigen Begabungen von ADHS-Frauen. Sie sind charismatisch und neugierig. Macht ihnen etwas Spass, können sie sich besonders gut auf die Tätigkeit konzentrieren. Meist besser als andere Menschen.
Die Bedeutung einer Diagnose
Eine Diagnose kann Betroffenen in jedem Alter helfen. Viele berichten, dass sie froh darüber seien, endlich etwas in der Hand zu halten. Eine Diagnose bedeutet aber noch lange nicht, dass man nun täglich Medikamente nehmen oder eine Therapie machen soll. Manche haben im Laufe ihres Lebens schon erfolgreich Strategien entwickelt und kommen gut durch den Alltag.
Umgang mit der Diagnose
Ganz wichtig ist die Akzeptanz. Anzunehmen, dass man das hat. Eine Gebrauchsanweisung für sich selbst schaffen. Strukturen schaffen, die zu einem passen. Grosszügig mit sich selbst sein, Verständnis zeigen. Das ist auch ein wichtiger Punkt in einer Beziehung oder innerhalb der Familie.
Hilfsangebote und Beratungsstellen
Bei Verdacht auf ADHS kann man sich bei der Schweizerischen Info- und Beratungsstelle adhs20+ beraten lassen. Die Fachstelle bietet individuelle und persönliche ADHS-Beratungen für Erwachsene in Zürich und Lenzburg an. Prävention und Information sind der Beratungsstelle adhs20+ besonders wichtig. Die ADHS-Diagnose wird von spezialisierten Psychotherapeuten gestellt.
ADHS als Persönlichkeitsvariante
Die ADHS als eine Persönlichkeitsvariante hat viele gute Seiten, von denen man umso mehr profitieren kann, je besser das Selbstwertgefühl und die sozialen Kompetenzen entwickelt sind. Menschen mit ADHS hinterfragen alles, sind begeisterungsfähig und bereichern unser Leben.
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Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-5
Für ADHS unterscheiden sich die Symptomkriterien leicht zwischen den beiden bedeutendsten Diagnosesystemen, dem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem DSM-IV der American Psychiatric Association (APA). Die Symptome führen zu Beeinträchtigungen in mindestens zwei Lebensbereichen (z.B. Schule / Arbeit und Freizeit). Die Symptomatik muss vor dem 12. Lebensjahr begonnen haben.
Im ICD-10 wird ADHS als „Hyperkinetische Störung“ bezeichnet und umfasst drei Kernsymptome. Laut ICD-10 müssen diese Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestehen und in mehr als einer Umgebung (z.B. Schule und Zuhause) auftreten. Die Diagnose verlangt, dass die Symptome in einem für das Alter und Entwicklungsniveau unangemessenen Mass vorhanden sind.
Das DSM-IV unterteilt ADHS in drei Subtypen. Im DSM-IV müssen mindestens sechs Symptome aus den jeweiligen Kategorien für mindestens sechs Monate bestehen und die Entwicklung beeinträchtigen. Die Symptome müssen in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten (z.B. Zuhause und Schule/Arbeit), um die Diagnose zu rechtfertigen.
Tabelle: Diagnostische Kriterien im Überblick
| Diagnosesystem | Bezeichnung | Kernsymptome | Dauer | Lebensbereiche | Beginn | 
|---|---|---|---|---|---|
| ICD-10 | Hyperkinetische Störung | Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität | Mind. 6 Monate | Mehr als eine Umgebung | Vor dem 12. Lebensjahr | 
| DSM-IV | ADHS (Subtypen) | Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität | Mind. 6 Monate | Mind. 2 Lebensbereiche | Vor dem 12. Lebensjahr | 
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