ADHS bei Erwachsenen: Ursachen, Symptome und Umgang mit Emotionen

Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) entwickelt sich zu einer Art Volkskrankheit.

Klassifikation und Diagnose von ADHS

Um eine ADHS zu diagnostizieren, muss ein standardisiertes Klassifikationssystem erfüllt sein. In Europa wird mit dem ICD-10 (WHO) gearbeitet, während in Amerika meist auf das Manual DSM-V zurückgegriffen wird. Diese unterschiedlichen Systeme können oft zu Verwirrung führen, obwohl die Kriterien einer ADHS letztlich dieselben sind.

Die adulte ADHS wurde in den USA von Paul Wender erforscht und fand 1987 Einlass in das Diagnosesystem DSM-III-R. Die Kriterien des Autors müssen erfüllt werden, wobei zusätzlich ein bestimmter Punktewert überschritten werden muss.

Symptome von ADHS bei Erwachsenen

Bei Erwachsenen mit ADHS zeigen sich verschiedene Symptome, die oft zu Schwierigkeiten im Alltag führen:

  • Unaufmerksamkeit: Schwierigkeiten mit Aufnahme und Verarbeitung vermittelter Inhalte.
  • Hyperaktivität: Innere Unruhe, die sich äusserlich zeigen kann, aber nicht muss.
  • Impulsivität: Handeln vor Denken.

Diese Symptome können dazu führen, dass Betroffene Ausbildungen abbrechen oder häufig Stellen wechseln. Erwachsene mit ADS haben oft Schwierigkeiten beim selbstständigen Arbeiten, beim Überblick behalten sowie beim Strukturieren und Planen. Ständig werden Sachen vergessen, Wichtiges wird aus den Augen verloren, man verliert Zeit und schweift ab.

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Die Betroffenen arbeiten ineffizient und können ihr Potenzial nicht adäquat in Leistung umsetzen. Sie verlieren sich in Details, wissen nicht, wo/wie anfangen, weshalb Betroffene nur ganz kurze Zeit an einer Aufgabe bleiben, dann ausweichen, die Arbeit aufschieben, sich etwas anderem zuwenden und sich wieder abwenden. Sie beginnen mit der Aufgabenbearbeitung voreilig-dreinschiessend, ohne ausreichend zu planen und zu überlegen, gehen wenig systematisch vor, wählen wenig effiziente Strategien, arbeiten umständlich und kompliziert, müssen häufig korrigieren, machen gehäuft Flüchtigkeitsfehler. Die Schwierigkeiten sind grösser bei nicht bzw. wenig vorstrukturierten Aufgaben.

Dadurch wird vor allem sehr viel Zeit benötigt / verloren! Es wird ineffizient gearbeitet, die erbrachte Leistung steht in krassem Widerspruch zum Potenzial und zum geleisteten Arbeitsaufwand. Die Betroffenen gelten als unzuverlässig, eventuell als wenig motiviert, es wird mangelnder Einsatz vorgeworfen. Und die erbrachten Arbeitsleistungen sind tatsächlich ungenügend.

Der Druck steigt: Die Betroffenen möchten möglichst gute Arbeit leisten, was aber nicht gelingt. Das ist gar nicht möglich, weil eine Überforderung aufgrund von Teilleistungsschwächen vorliegt, was Betroffene selber aber nicht wissen. Eine solche Situation verunsichert natürlich, reduziert das Selbstvertrauen, führt zu Ängsten, erhöht den Stress und senkt so die Leistungsmotivation und das Leistungsvermögen. Die Erfolgszuversicht nimmt ab und die Misserfolgsängstlichkeit nimmt zu, die Angst vor erneutem Versagen bzw.

Der Druck kommt, ausgesprochen oder unausgesprochen, gewöhnlich von drei Seiten: Erstens selbst auferlegt, aufgrund eigener Ansprüche an seine Arbeit. Zweitens seitens des Arbeitgebers. Drittens seitens der Umgebung (Familie, Freunde, Arbeitskollegen).

Psychische Reaktionen treten in diesem Dauerstress früher oder später immer auf, auch kombiniert und in wechselnder Ausprägung. Wahllos aneinandergereiht sind das: schlechte Laune, Missmut, Überempfindlichkeit, Stimmungsschwankungen, depressive Verstimmung, Passivität, Resignation, Rückzug, nervliche Anspannung, kann zuhause nicht abschalten, verliert gegenüber den eigenen Kindern die Geduld, neigt zu "Überreaktionen", Aggressivität, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden ("psychosomatisch"), Suchtverhalten und anderes.

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Am häufigsten ist dies deshalb der Fall, weil sich die konkreten beruflichen Anforderungen geändert haben oder gestiegen sind. Manchmal gelingt es, seine diskreten Teilleistungsschwächen zu kompensieren, z.B. mittels erhöhtem Zeitaufwand. Aufgrund zusätzlicher Aufgaben und damit höherer Belastung, z.B. bedingt durch eine Familiengründung, steht diese zusätzliche Zeit nicht mehr zur Verfügung und die Teilleistungsschwächen können nicht mehr wett gemacht werden.

Oder aufgrund eines psychisch-emotional sehr belastenden Ereignisses (z.B. Trennung, Verlust einer nahen Person) stehen die bisher zusätzlich aufgewendeten Energien nicht mehr zur Verfügung beziehungsweise gelingt es nicht mehr, die diskreten Teilleistungsschwächen wie bis anhin zu kompensieren.

Bei einer insgesamt überdurchschnittlichen Hirnleistungsfähigkeit und anspruchsvoller Berufsarbeit können sich bereits sehr diskrete neuropsychologische Teilleistungsschwächen verheerend auswirken! Es ist wie ein bisshen Sand im Getriebe eines Traktor beziehungsweise im Getriebe eines Formel 1-Boliden: Der Traktor fährt sein Tempo unvermindert weiter.

Weitere Merkmale von ADHS

  • Hyperfokus: Fähigkeit, sich besonders interessanten Aufgabenstellungen äusserst intensiv und kontinuierlich zu widmen.
  • Innere Unruhe: Diese Unruhe kann äusserlich in Erscheinung treten, muss es aber nicht.
  • Schlafschwierigkeiten: Viele Betroffene haben Schwierigkeiten, sich zu entspannen, und werden daher häufig zu „Workaholics“.
  • Stimmungsschwankungen: Der rasche Stimmungswechsel wird oft auch „Achterbahn der Gefühle“ genannt.
  • Geringe Belastbarkeit: Insbesondere bei Anforderungen kann es zum Aufkommen von Angst bzw. Panik kommen.
  • Impulsivität: Bei Erwachsenen zeigt sich die Impulsivität oft zusätzlich im Kaufverhalten, was zu einer Schuldenfalle führen kann.
  • Ungeruld und Langeweile: Ebenso sind kürzere und unharmonische Partnerschaften kennzeichnend.

Daneben gibt es auch die "stille" Form der ADHS, die „ADS“. Darunter versteht man diejenigen Betroffenen, welche nicht „in Gang“ kommen. Sie werden oft als langweilig, unscheinbar und fallen wenig auf.

Die Unterscheidung von Depressionen oder bipolaren Störungen ist die Dauer der jeweiligen Stimmungslage entscheidend. Betroffene können sowohl "in den Himmel schwebend" als auch "zu Tode" betrübt sein.

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Unter Stressintoleranz wird generell eine andauernde Reizbarkeit verstanden. Die Frustrationstoleranz ist gering. Wird diese überschritten, erfolgt die emotionale Überreaktion. Diese kann sich durch Wutausbrüche, Angst / Panik, Blockaden / Unfähigkeit zu Handeln oder Weinen äussern.

Impulsivität heisst "Handeln vor Denken". Andere im Gespräch unterbrechen, bzw. Bei Erwachsenen zeigt sich die Impulsivität oft zusätzlich im Kaufverhalten. Schuldenfalle führen kann. Ungeduld und Langeweile sind ebenso ausgeprägt. Ebenso sind kürzere und unharmonische Partnerschaften kennzeichnend. Partnerschaft beendet.

All diese Umstände zusammen belasten einen Erwachsenen mit ADHS derart, dass es ihm schwer fällt, im Alltag zurecht zukommen. Defizite kann nicht zielorientiert gearbeitet werden.

Emotionale Herausforderungen und Emotionsregulation bei ADHS

Blitzschnell finden wir uns mit ADHS im Gefühlschaos. Unsere Gefühle zu regulieren fällt uns schwer. Von der momentanen Weltsituation über einen Streit in der Familie zur vermeintlichen Kleinigkeit: wir werden leicht von unseren Emotionen überrollt.

Leider haben viele Menschen mit ADHS ungesunde Angewohnheiten entwickelt, um mit fordernden bzw. überfordernden Emotionen umzugehen.

Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass wir unseren Emotionen nicht machtlos ausgeliefert sind. Hier sind einige Tipps für einen entlastenden Umgang mit Emotionen:

  1. Innehalten und in den Körper hineinspüren: Regelmässig eine kurze Pause einlegen, um aktiv hinzuspüren, was du gerade fühlst oder wie sich dein Körper gerade anfühlt.
  2. Körperempfindungen eine Emotion zuordnen: Den Empfindungen einen Namen geben, was bereits entlasten kann.
  3. Neugierde nutzen: Sei neugierig auf deine Körperempfindungen, auf deine Gefühle, auf deine Gedanken, auf das, was sonst noch da ist, hier, im jetzt, um dich herum, wie Geräusche, Gerüche, was du siehst, etc.
  4. Gefühle wollen gefühlt werden: Gefühle beginnen mit Körperempfindungen. Wenn wir unaufmerksam sind, bemerken wir das oft nicht und werden deshalb scheinbar von einem Moment auf den anderen von ihnen überrollt.
  5. Emotionen wollen kommen und wieder gehen dürfen: Wenn es uns gelingt, unsere Gefühle wahrzunehmen, wenn sie frisch aufkommen, merken wir auch, von wie kurzer Dauer sie sein können.
  6. "Ja, und..." erlaubt uns, Schönes wie Schweres fühlen zu können: Wenn wir "Ja" zu unseren Gefühlen der Trauer, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit sagen können, sie zulassen und kommen und gehen lassen.
  7. Hilfreiches Handeln hilft gegen Hilflosigkeit: Wenn wir uns machtlos fühlen in einer Situation, sei diese das Weltgeschehen, im Job oder in der Familie, ist das für viele Menschen mit ADHS schier unerträglich. Dagegen hilft, ins hilfreiche Handeln zu kommen.

Wichtiger Hinweis

Wenn du einen schweren Verlust erlitten hast oder ein Trauma, an einer Depression oder anderen psychischen Erkrankungen leidest oder wenn es dir zurzeit "einfach zu viel" ist, dann reichen die Tipps hier nicht und könnten sogar schaden. Bitte hol dir die professionelle Unterstützung, die du brauchst.

Ursachen von ADHS

Die Ursachen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung sind nicht vollständig bekannt und die Entstehung wird von vielen Faktoren beeinflusst. Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei ADHS um eine genetisch mitbedingte neuronale Entwicklungsstörung handelt.

Genetische Ursachen

Heute weiss man, dass ADHS gehäuft in Familien auftritt. Ist bereits ein Elternteil, Geschwister oder Kind einer Person an ADHS erkrankt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Person selbst auch an ADHS erkrankt 2-8 Mal so hoch. Es hat sich gezeigt, dass diese Erblichkeit vor allem auf genetischen Faktoren basiert. Es wird vermutet, dass nicht nur ein Gen dafür verantwortlich ist, sondern dass es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Gene handelt.

Umweltrisiken für eine ADHS

Umweltrisiken können nicht eindeutig ausgemacht werden, da so viele Faktoren an der Entstehung beteiligt sind. Möglicherweise könnte das Rauchverhalten in der Schwangerschaft einen Einfluss auf die Entstehung von ADHS des Kindes haben. Dasselbe Problem stellt sich bei der Untersuchung von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Diskutiert werden auch diverse andere Toxine sowie Ernährungsfaktoren. Ausserdem könnten auch eine frühzeitige Geburt sowie ein geringes Geburtsgewicht mit der Entstehung von ADHS zusammenhängen.

Nach der Geburt spielen vor allem die Deprivation und Vernachlässigung eines Kindes eine Rolle zur Entstehung von ADHS. Dieser Zusammenhang lässt sich bis ins Erwachsenenalter nachweisen. Dabei ist der unaufmerksame Subtyp besonders vertreten. Je länger eine Deprivation dauert, desto stärker wird der Zusammenhang zu ADHS. Es wird auch diskutiert, inwiefern psychische Erkrankungen der Eltern oder ein negativer Erziehungsstil an der Entstehung von ADHS beteiligt sind. Zuletzt könnte auch der sozioökonomische Status ein Risikofaktor sein.

Insgesamt sind kausale Einflüsse von Umweltrisiken auf ADHS vorsichtig zu betrachten und schwierig zu bestätigen.

Gen-Umwelt-Interaktionen

Es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen der Entstehung einer ADHS Gene und die Umwelt der betroffenen Person miteinander interagieren. So kann sich die Umwelt auf die Übersetzung gewisser Gene auswirken, während gewisse genetische Faktoren das Risiko bestimmter Umwelteinflüsse erhöhen.

Besonderheiten des Gehirns bei einer ADHS

Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Kindern, die an ADHS erkrankt sind, bestimmte Gehirnareale ein kleineres Volumen haben und in vorderen Abschnitten die Hirnrinde schmaler als bei gleichaltrigen gesunden Kindern ist. Der Hirnreifungsverlauf scheint verändert zu sein. Ausserdem wurde entdeckt, dass gewisse Hirnregionen übermässig aktiv sind und veränderte Aktivierungsmuster zeigen. Die Ursächlichkeit dieser Befunde ist jedoch nicht geklärt.

Neuropsychologische Befunde

Es hat sich gezeigt, dass betroffene Personen über weniger gute Kontrollmechanismen verfügen und die sogenannte Inhibitionskontrolle beeinträchtigt ist. Darunter ist zu verstehen, dass jemand über die Fähigkeit verfügt, impulsive Handlungen zu kontrollieren. Einige Phasen der Informationsverarbeitung zeigen Störungen auf, wie auch Lernprozesse. Ausserdem zeigen die betroffenen Personen veränderte motivationale Prozesse.

Temperamentsmerkmale

Temperamentsmerkmale können das Risiko, an ADHS zu erkranken, erhöhen oder bereits ein Vorläufersymptom darstellen. Erhöhte Aktivität im Säuglings- und Kleinkindalter kann auf den frühen Beginn einer ADHS hinweisen. Auch Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter werden mit der Entstehung von ADHS in Verbindung gebracht. Dazu gehören exzessives Weinen, Schlafstörungen, Fütterprobleme und eine hohe negative Emotionalität. Die willentliche Kontrolle ist weniger stark ausgeprägt bei betroffenen Personen.

Zusammenfassung

Insgesamt hat sich gezeigt, dass ausser der hohen genetischen Belastung bisher keine eindeutigen Ursachen festgestellt werden können. Es gibt verschiedene Befunde und Argumente, die diese Hypothesen bestätigen oder z.T. auch in Frage stellen. Letztendlich ist von einer multifaktoriellen Entstehung auszugehen, d.h. das Zusammenwirken verschiedener Faktoren beeinflusst Beginn und Ausprägung dieser Erkrankung.

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