Kinder mit Aufmerksamkeit-Defizit-(Hyperaktivitäts)- Störung stellen nicht nur für ihre Eltern, sondern insbesondere auch für ihre Lehrkräfte eine grosse Herausforderung dar.
Was ist ADHS?
Die Buchstabenkombination ADHS steht für «Attention Deficit Hyperactivity Disorder - Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung». Das Gehirn von Menschen mit ADHS arbeitet anders als jenes anderer Menschen.
In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass bei ADHS ein Mangel an den Botenstoffen Noradrenalin und Dopamin besteht. Noradrenalin steuert die Aufmerksamkeit, Reaktionsbereitschaft und wirkt stressregulierend. Dopamin ist wichtig für die Regulierung von Emotionen sowie die Bewegungssteuerung, wirkt motivierend und aktiviert das Belohnungszentrum.
Weshalb es zu diesem Mangel an Botenstoffen kommt, ist nicht geklärt. Verschiedene Faktoren können ADHS begünstigen. Den grössten Einfluss haben genetische Ursachen: ADHS kann vererbt werden. Auch Umwelteinflüsse können einen Einfluss haben: Kinder, welche als Frühchen geboren wurden oder deren Mütter Nikotin oder andere Drogen konsumiert haben, sind öfter von ADHS betroffen.
ADHS zeigt sich bei jedem Kind etwas anders. Manche Kinder sind stark betroffen, andere nur schwach. Manche kommen im Alltag trotz ADHS gut zurecht, andere leiden unter ihrer Andersartigkeit. Es gibt ein grosses Spektrum an Ausprägungen.
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Symptome von ADHS
Folgende Symptome können, müssen aber nicht, bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS vorkommen:
- Probleme, sich auf Aufgaben zu konzentrieren, die als langweilig und uninteressant empfunden werden, oder zuzuhören, wenn das Gesagte sie nicht interessiert.
 - Schnelle Ablenkbarkeit und Empfindsamkeit auf Reize wie zum Beispiel Hintergrundgeräusche.
 - Auffälligkeiten im Bereich der Emotionsregulation oder im Sozialverhalten sowie Schwierigkeiten in der Selbstregulation ihres Verhaltens.
 - Schulisch schwache Leistungen. Kinder und Jugendliche mit ADHS können in der Schule meist nicht ihr ganzes Potenzial entfalten und machen viele Flüchtigkeitsfehler.
 - Mühe, sich in der Klasse einzugliedern und Freunde zu finden. Störendes Verhalten im Unterricht.
 - Auffälligkeiten bezüglich Motorik, zum Beispiel beim Schneiden mit der Schere oder beim Schreiben.
 - Probleme, sich zu organisieren: Betroffene sind oft chaotisch, verzetteln sich und haben Mühe, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Sie vergessen Termine, Abgabefristen und verlegen oder verlieren Schulmaterial und andere Dinge.
 - Ungeduld und niedrige Frustrationstoleranz.
 - Fehlendes Zeitgefühl.
 - Hohe Sensibilität und Empfindsamkeit: Manche Betroffene fühlen sich schnell zurückgewiesen und können für Aussenstehende übertrieben emotional auf Kleinigkeiten reagieren.
 - Aufgaben werden nicht begonnen oder nicht beendet. Manche Betroffene können nur unter Druck arbeiten.
 
Für das Umfeld ist oft unverständlich und nicht nachvollziehbar, wieso die Kinder diese Probleme haben. Denn in gewissen Situationen können sie sich sehr wohl konzentrieren: Interessiert sie etwas, können sich Menschen mit ADHS vertieft und lange auf etwas einlassen.
Eltern, Lehrer oder andere Bezugspersonen denken in der Folge oft, dass diese Kinder könnten, wenn sie nur wollten. Doch das stimmt nicht. Es ist ihnen nicht möglich, ihre Aufmerksamkeit oder ihren Fokus willentlich auf etwas zu steuern, wenn sie kein Interesse daran haben.
Stärken von Kindern mit ADHS
Kinder mit ADHS haben aber auch ganz viele positive Seiten und besondere Stärken. Sie sind häufig äusserst kreativ, sensibel, lebhaft, hilfsbereit, neugierig, unterhaltsam, empathisch und haben einen grossen Gerechtigkeitssinn. Interessiert sie etwas, sind sie darin oft überdurchschnittlich gut.
Nicht von ungefähr gibt und gab es viele berühmte Persönlichkeiten, die ADHS haben oder bei denen ADHS vermutet wird. So etwa die Schauspielerin Emma Watson, der Schauspieler Johnny Depp, Sänger Justin Timberlake oder Astronaut Scott Kelly. Auch Genies wie dem Physiker Albert Einstein, dem Künstler Vincent Van Gogh oder dem Schriftsteller Hermann Hesse wird nachgesagt, dass sie vermutlich ADHS hatten.
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ADHS bei Mädchen
Bei Jungen wird ADHS viel häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Das bedeutet aber nicht, dass Mädchen weniger von ADHS betroffen sind. Die Symptome sind bei ihnen oftmals weniger auffällig. Einerseits können sie ihre Besonderheit besser verbergen, respektive werden sie zu grösserer Anpassungsleistung erzogen als Jungen und können durch Intelligenz viele Symptome kompensieren. Andererseits werden typische ADS-Symptome des unaufmerksamen Typs mit dem stereotypen Bild eines Mädchens assoziiert. Deshalb werden sie nicht abgeklärt.
Und selbst wenn eine Abklärung erfolgt, werden Mädchen und Frauen manchmal nicht richtig diagnostiziert, weil die Fragebögen und Diagnosekriterien auf der Forschung mit männlichen Probanden beruhen. Probleme treten oft erst an der weiterführenden Schule oder im Studium auf.
Weitere Herausforderungen
Kinder und Jugendliche mit ADHS sind öfters von weiteren psychischen Störungen betroffen als andere Kinder. Sie sind häufiger in Konflikte involviert als Gleichaltrige und haben verbreitet das Gefühl, nicht zu genügen. Obwohl viele von ihnen sehr intelligent sind, können sie nicht ihr ganzes Potenzial ausschöpfen und erbringen in der Schule oder Ausbildung keine guten Leistungen. Nicht selten kommt es zu Schul- oder Lehrabbrüchen.
Betroffene Personen haben ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken oder eine Angststörung zu entwickeln. Undiagnostiziert steigt zudem das Risiko für eine Suchterkrankung, weil Suchtmittel gerne genutzt werden, um mit ADHS-Symptomen umzugehen.
Diagnose und Abklärung von ADHS
Erste Anlaufstelle für eine ADHS-Abklärung kann der Kinderarzt oder die Kinderärztin sein. Zeigen sich Auffälligkeiten primär in der Schule, können sich die Eltern an den schulpsychologischen Dienst wenden. Beide Stellen können Kontakte vermitteln und eine Überweisung an eine Fachstelle veranlassen. Eine Abklärung sollte umfassend erfolgen, um andere Krankheiten und Fehldiagnosen auszuschliessen. So gehören neben Fragebögen für Eltern und andere Bezugspersonen auch Seh- und Hörtests zum Standard.
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Vielleicht haben Sie im Artikel zum Thema Abklärung der ADHS bereits gelesen, dass die Diagnostik der ADHS aus verschiedenen Bausteinen besteht. Neben einem kinderärztlichen / neurologischen Befund, werden auch Informationen aus psychologischen Testverfahren über die Intelligenz, die Konzentrationsfähigkeit, die Ausdauer, den Entwicklungsstand und das Arbeitsverhalten des Kindes gewonnen.
Ob ein Kind eine ADHS-Diagnose erhält oder nicht, hängt aktuellen Studien zufolge offenbar auch mit dem Alter des Kindes bei der Einschulung zusammen.
Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder mit ADHS
Bekommt ein Kind die Diagnose ADHS, löst das bei den Betroffenen sowie den Eltern oft Ängste und Unsicherheit aus. Vielleicht kommen auch Schuldgefühle dazu, weil man die Erkrankung dem Kind vererbt haben könnte. Doch trifft die Eltern keine Schuld und hat ADHS nichts mit Erziehungsfehlern zu tun.
Was Kinder mit ADHS an Unterstützung brauchen ist individuell und hängt stark von der Ausprägung, den jeweiligen Symptomen und vom Leidensdruck ab. Manche Kinder profitieren von einer Behandlung mit Medikamenten. Diese können insbesondere bei Konzentrationsschwierigkeiten oder Problemen mit der Emotionsregulation helfen. Bei der Frage, ob und welche Medikamente sinnvoll sind, können Kinderärzte und Kinderärztinnen gut unterstützen.
Bei Auffälligkeiten bezüglich Motorik kann eine Psychomotorik- oder Ergotherapie sinnvoll sein. Für ältere Kinder kommt vielleicht ein psychologisches Coaching oder eine Psychotherapie infrage. In einem solchen Setting erlernen sie Strategien, um mit ihren Emotionen und insbesondere ihrer Impulsivität umzugehen.
Weil Kinder mit ADHS viel Kritik hören, ist es besonders wichtig, das Kind für Dinge zu loben, die es gut kann.
Unterstützung in der Schule
Hat ein Kind Schwierigkeiten in der Schule und sind die Möglichkeiten der Klassenlehrperson ausgeschöpft, kann der schulpsychologische Dienst eine gute Anlaufstelle sein. Gemeinsam kann geschaut werden, welche Unterstützungsmöglichkeiten das Kind braucht. Kinder mit der Diagnose ADHS haben ein Recht auf Nachteilsausgleich.
Viele Lehrpersonen lassen Kinder selbst bestimmen, wo sie sitzen möchten.
Durch gutes Classroom-Management lassen sich jedoch viele Unterrichtsstörungen reduzieren und ein angenehmeres Lernklima schaffen.
Classroom-Management und Interventionen:
- Sitzordnung: Die bei den Lehrern beliebten Gruppentische oder die U-Form erschweren es Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen, sich zu konzentrieren. Dauernd prasseln Eindrücke auf sie ein, da gehen die Anweisungen des Lehrers leicht unter. Furrer empfiehlt Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen, die klassische Reihensitzordnung oder ruhige Arbeitsplätze als Ausweichmöglichkeit. In der ersten Reihe, in der Nähe des Lehrers, können ihre Schützlinge fokussierter arbeiten.
 - Aufgabenordner: Schulagenden voller Rätsel und Witze lenken ADHS-Kinder zu sehr ab, und in die kleinformatigen Aufgabenhefte können sie kaum Notizen machen, weil sie wegen motorischer Schwierigkeiten oft gross schreiben. Furrer führt mit ihnen einen Aufgabenordner im A4-Format.
 - Pamir-Kopfhörer: In Furrers Klassen ist der Pamir-Kopfhörer Standard, viele Kinder benutzen ihn für das konzentrierte Arbeiten.
 - Gruppenraum: Zudem hat sie einen Gruppenraum eingerichtet, der den Bedürfnissen von ADHS-Kindern entgegenkommt: Man kann sich an abgeschirmte Arbeitsplätze und in Lernwaben zurückziehen. Die Farben sind ruhig, Dekoration gibt es keine. In einer Wandhalterung stehen Stifte, Gummis und Lineale bereit.
 - Time-out: Manchmal merkt ein Kind mitten im Unterricht, dass es sofort aus dem Klassenzimmer muss, weil es sonst explodiert. Es hebt einen farbigen Zettel hoch, und der Lehrer braucht nur mit dem Kopf zu nicken, um das kleine Time-out zu erlauben.
 
Medikamente
«Ritalin ist sicher nicht die alleinige Lösung», sagt die Psychologin Nadine Steger dazu. Ritalin schliesslich kann begleitend dazu beitragen, den Leidensdruck kurzfristig schon zu verringern.
Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern
«Die Rolle der Schule und jene der Eltern müssen besser abgesprochen werden», sagt Markus Matthys. Für einen gelingenden Unterricht müssen Heilpädagogen, Schulpsychologinnen und Lehrer eng zusammenarbeiten.
Eltern dürfen zuversichtlich sein, dass auch ihr Kind seinen Weg finden wird. Weitere Informationen und Unterstützung erhalten Eltern bei elpos Schweiz.
Herausforderungen und Lösungsansätze im Schulalltag
Kinder, die nicht zuhören, unkonzentriert sind, ständig aufstehen, impulsiv reagieren, mit Antworten herausplatzen und den Unterricht durch Zwischenrufe stören, können Lehrer/innen auf die Palme bringen. Konflikte, die die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson belasten, sind daher keine Seltenheit.
Oft ist schon viel gewonnen, wenn Lehrerinnen anerkennen, dass Kinder mit ADHS nicht absichtlich stören. Sie leiden an einer dauernden Reizüberflutung, weil das Gehirn Impulse nicht genügend filtern kann. Deshalb fällt es ihnen auch schwer, sich zu konzentrieren. Sie können sich nicht einfach zusammenreissen. «Wenn man das verstanden hat», so Furrer, «geht vieles einfacher.
So sind lange Erklärungen und Anweisungen für ADHS-Kinder keine Hilfe, im Gegenteil, sie verwirren sie. Regeln sind für die Klassenführung wichtig, doch nicht alle Regeln sind gleich gut. Ein ADHS-Kind - und seine Lehrerin - kostet der Versuch, das Finkentragen durchzusetzen, oft nur unnötig Nerven. Und in vielen Schulhäusern gebe es schlicht zu viele, manchmal sogar widersprüchliche Regeln, sagt Matthys.
Er findet es wichtig, dass Regeln gemeinsam mit den Kindern erarbeitet werden: Findet ihr auch, dass es zu laut ist? Was können wir tun? Wenn die Klassenregeln dann als Resultat einer gemeinsamen Auseinandersetzung in Kinderschrift an der Wandtafel hängen und die Lehrerin vielleicht auch noch eine Belohnung für ihre Einhaltung in Aussicht stellt - etwa einen Klassenausflug in den Kletterpark -, stehen die Zeichen auf Erfolg.
«Das schafft eine neue Kultur», ist Matthys überzeugt, «weg von der Idee: Du bist ein schwieriges Kind und wirst bestraft.» Die besten Regeln nützen aber nichts, wenn die Lehrerin nicht präsent ist. «Sie muss ein echtes Interesse an den Bedürfnissen und der Entwicklung von Kindern haben», sagt Matthys. Die Beziehung zwischen Lehrerin und Kind ist entscheidend.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
- ADHS hat nichts mit Erziehungsfehlern zu tun.
 - Eltern trifft keine Schuld.
 - Die Basis, um Kinder mit einer ADHS zu fördern, bildet ein guter Unterricht.
 - Dieser muss gezielt mit Mini-Interventionen ergänzt werden - je nachdem, ob das Kind eher verträumt (ADS) oder verhaltensauffällig (ADHS) ist.
 - Bei diesen niederschwelligen Massnahmen spielen heilpädagogische Fachpersonen und Klassenassistenzen eine entscheidende Rolle.
 
| Bereich | Massnahmen | 
|---|---|
| Classroom Management | Sitzordnung anpassen, Trennwände, ruhige Arbeitsplätze schaffen | 
| Aufgabenorganisation | A4-Aufgabenordner, Wochenpläne priorisieren | 
| Reizminimierung | Pamir-Kopfhörer, ruhige Gruppenräume | 
| Regeln | Gemeinsam mit Kindern erarbeiten, Belohnungen für Einhaltung | 
| Beziehung | Interesse zeigen, positive Verstärkung | 
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