Ursachen von Depressionen

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, von denen bis zu 15% aller Menschen im Laufe ihres Lebens betroffen sind. Es handelt sich dabei um mehr als nur eine vorübergehende Phase der Niedergeschlagenheit. Um von einer Krankheit sprechen zu können, müssen die Symptome über einen längeren Zeitraum bestehen und die Alltagsbewältigung stark beeinträchtigen. Eine Depression ist eine Erkrankung, die nicht einfach durch Willenskraft überwunden werden kann und ist damit nicht Ausdruck von Schwäche oder Schuld.

Die Entstehung einer Depression ist in der Regel multifaktoriell, d.h. es lässt sich nicht eine einzige Ursache finden. Das ungünstige Zusammenspiel verschiedener Faktoren führt zu einer depressiven Entwicklung: psychologische und psychosoziale Faktoren, Lichtmangel, organische (körperliche) Krankheiten und genetische Faktoren (familiäre Häufung).

Genetische Faktoren

Es gibt familiäre Häufungen von depressiven Erkrankungen, die auf eine erbliche Belastung mit erhöhtem Erkrankungsrisiko schliessen lassen. Dieses Risiko steigt mit dem Verwandtschaftsgrad: Geschwister und Kinder (Verwandte ersten Grades) werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 10-20% selbst krank. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass trotz dieser Belastung die Wahrscheinlichkeit gesund zu bleiben deutlich höher ist (80-90%). Somit wird nicht die Erkrankung selbst vererbt, sondern das erhöhte Risiko, auf Belastungen mit einer Depression zu reagieren.

Das erhöhte Risiko besteht vermutlich darin, in einer erhöhten Anfälligkeit mit einer Depression auf (langandauernden) Stress oder belastende Lebensereignisse zu reagieren. Es ist anzunehmen, dass die vielen verschiedenen Ausprägungen und Unterformen von Depressionen möglicherweise mit individuellen Mustern solcher Genvarianten zu tun haben könnten. Derartige Genvarianten spielen nicht nur für die Anfälligkeit und individuelle Ausprägung von Depressionen, sondern auch für medikamentöse Therapien aller Art eine Rolle.

Für die Pharmakotherapie der Depression beispielsweise spielen Genvarianten eine Rolle, die die Schnelligkeit des Abbaus von Medikamenten in der Leber steuern, oder ihre Möglichkeit, überhaupt ins Gehirn zu gelangen, um ihren Wirkungsort zu erreichen. Die verbesserte Kenntnis solcher genetischer Konstellationen können dem behandelnden Arzt in Zukunft helfen, z.B. Medikamente zu vermeiden, die von einer bestimmten Person zu schnell abgebaut werden, oder gar nicht ins Gehirn gelangen können, oder solche zu wählen, die gezielt für eine bestimmte Depressionsausprägung geeignet sind. Es ist zu hoffen, dass die Forschung bald weitere derartige Kenntnisse liefern kann, die individuell massgeschneiderte Therapien ermöglichen - im Sinne der «personalisierten Medizin».

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Bei einer endogenen Depression spielen genetische Faktoren eine Rolle. «Endogen» bedeutet, dass die Ursachen in unserem Körper liegen, nicht von äusseren Umständen kommen. Das heisst, aufgrund von genetischen Unterschieden verändern sich bestimmte Prozesse in unserem Gehirn, vor allem bei den Botenstoffen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Es gibt starke Zusammenhänge zwischen genetischen Risikofaktoren und der endogenen Depression.

Stress und Lebensumstände

Neben einer familiären Vorbelastung hat sich gezeigt, dass Stresserlebnisse, insbesondere im frühkindlichen Alter, das Risiko für psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen und Angststörungen, erhöhen. Hier spielt die genannte Epigenetik eine Rolle. Hierunter versteht man eine den eigentlichen Genen übergeordnete Regulationsebene. So bestimmen Veränderungen an der DNA - beispielsweise kleine chemische Anhängsel -, ob ein bestimmtes Gen aktiv ist, also häufig abgelesen wird, oder ob es «stumm» geschaltet ist.

Das Risiko, an einer neuen Depression zu erkranken, steigt mit jeder neu durchlebten depressiven Episode weiter an. Wie bereits erwähnt, steigt das Risiko insbesondere dann an, wenn noch Restsymptome einer früheren Phase bestehen. Dies sind häufig Schlafstörungen, Konzentrationsmängel, mangelnde Energie und Initiative. Es ist deshalb zu betonen, dass depressive Episoden konsequent und genügend lang behandelt werden sollen, bis alle Restsymptome überwunden sind und der Patient seine vollständige Funktionalität wiedererlangt hat.

Schon seit einiger Zeit ist durch die Forschung bekannt, dass depressive Patienten veränderte Kortisolwerte im Blut aufweisen. Kortisol ist ein typisches Stresshormon, das vor allem bei Überforderung und Gefühlen von Kontrollverlust ausgeschüttet wird. Unser Körper reagiert auf jede äussere und innere Anforderung mit psychischen und körperlichen Reaktionen, sei dies eine kurzfristige sportliche Herausforderung, eine kurze Lärmbelastung oder längerfristige Stresssituationen wie eine hohe Arbeitsbelastung oder andauernde soziale Konfliktsituationen.

Herausforderungen, die eine aktive und erfolgreiche Bewältigung erlauben, können positive Gefühlen auslösen und Spass machen, obwohl (oder weil) Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden und positive Energie mobilisiert wird. Langandauernde Stresssituationen hingegen, die zu Überforderung und Verlust der eigenen Kontrolle führen, verursachen und etablieren negative Gefühle und Denkmuster mit hohen Werten des Stresshormons Kortisol.

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In bestimmten Gehirnregionen (dem sogenannten limbischen System, das für die Regulation unserer Gefühle zuständig ist) kommt es hierbei zu einer Überaktivität des für die Emotionsregulation wichtigen Mandelkerns (Amygdala). Auf der hormonellen Ebene kommt es hierdurch zusätzlich zu einer krankmachenden, dauerhaften Aktivierung des Stresshormonsystems (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System = HPA-System). Alle diese Ursachen, seien sie nun angeboren oder durch die Umwelt (z.B. Belastungen in Beruf und Familie) bedingt, können zu chronischem Stress und zur pathologischen Überaktivität des Stresshormonsystems führen.

Negative Denkmuster und Vorstellungen lassen sich durch entsprechende Übungen positiv verändern. Ein gutes Selbstwertgefühl und Optimismus schützen hingegen vor Depressionen. Es sind nicht immer das Schicksal oder die Gene: Auch die persönliche Lebenseinstellung hat einen Einfluss auf das Depressionsrisiko. Menschen, die schlecht von sich und über die Welt denken und für die Zukunft schwarz sehen, werden eher depressiv.

Neurotransmitter und Gehirnfunktion

Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass der Stoffwechsel der Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter) Serotonin, Noradrenalin und Dopamin bei Depressionen verändert ist. An den Kontaktstellen der Neurone im Gehirn, den Synapsen, sind die Bestände dieser Transmitter erschöpft, sodass die Informationsübermittlung von Neuron zu Neuron gestört ist. Die aktuellen Antidepressiva unterstützen die erschöpften Transmittersysteme und verbessern den Informationsfluss zwischen den Neuronen. Gleichzeitig korrigieren sie das aus der Balance geratene HPA-Stresssystem und vermindern die hohen Kortisolwerte.

Neuere Befunde bei Depressionen lassen erkennen, dass die Neubildung von Neuronen im limbischen System vermindert oder gar unterbunden wird. Damit wird die natürliche Regenerationsfähigkeit dieser Hirnareale, die für Gefühle, Stressverarbeitung und Lernfähigkeit zentral wichtig ist, gehemmt. Wird die Depression lange nicht behandelt, konnte sogar gezeigt werden, dass diese Hirngebiete an Volumen abnehmen und kleiner werden. Dafür dürften vor allem die chronisch hohen Kortisolwerte verantwortlich sein, die negativ auf das Gehirn einwirken.

Durch die Normalisierung der Kortisolwerte steigt die Neubildung (Neurogenese) von Neuronen im limbischen System wieder an. Es scheint, dass Antidepressiva die Neurogenese fördern, wie dies sportliche Aktivität und rege geistige Tätigkeit auch tun.

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Weitere Risikofaktoren

Frauen erkranken etwa doppelt so häufig an einer Depression wie Männer. Eine mögliche Erklärung ist, dass Frauen aufgrund hormoneller Schwankungen gefährdeter sind. Solche Hormonschwankungen treten etwa im Laufe des Menstruationszyklus sowie während und nach einer Schwangerschaft auf.

Manche körperlichen Krankheiten begünstigen eine Depression. Besonders Erkrankungen des Gehirns sowie Hormonstörungen beeinflussen die Gefühlswelt. Zu letzteren zählen etwa Schilddrüsenunter- und Schilddrüsenüberfunktion oder das sogenannte Cushing-Syndrom, bei dem die Nebennieren zu grosse Mengen an Cortisol ausschütten - die Folge ist oft eine depressive Phase.

Die Einnahme bestimmter Medikamente schlägt gelegentlich ebenfalls auf die Stimmung. Ebenfalls können depressive Störungen durch die Einnahme oder das Absetzen (sog. Absetzerscheinungen) von diversen Medikamenten verursacht werden. Deshalb erheben Fachpersonen eine ausführliche Krankheitsgeschichte, um eine durch Medikamente verursachte Depression ein- oder auszuschließen.

Diagnose und Behandlung

Eine neuropsychiatrische Abklärung umfasst je nach Fragestellung neben dem Gespräch auch Fragebogen zur Erfassung des Schweregrades der Symptomatik, eine neurologische Untersuchung, neuropsychologische Tests und elektrophysiologische Untersuchungen. Viele depressive Patientinnen und Patienten quält die Tatsache, dass sich ihre Krankheit - etwa im Unterschied zu einem Knochenbruch - nicht „beweisen“ lässt.

Sich Hilfe und Unterstützung zu suchen, fällt vielen Menschen jedoch schwer. Eine optimale medizinisch-therapeutische Versorgung kann aber nur nach einer eindeutigen Diagnose erfolgen. Das zur Diagnose notwendige ausführliche Gespräch erfolgt mit einer Ärztin oder einem Arzt für Psychiatrie oder mit psychologischen Psychotherapierenden. Die Therapieentscheidung wird stets auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Betroffenen abgestimmt.

Die neuesten Erkenntnisse verlangen umso mehr, dass die komplexe Krankheit Depression ganzheitlich angegangen und therapiert wird. Dies geschieht durch eine individuell optimierte Kombination von medikamentöser Therapie und Psychotherapie sowie entsprechenden Begleitmassnahmen (Sport, Gruppentherapien, Selbsthilfe etc.).

Eine optimale Therapie kombiniert im Idealfall eine Psychotherapie mit einer symptomorientierten medikamentösen Behandlung, falls eine solche erforderlich ist. Gute Ergebnisse verspricht häufig eine Verhaltenstherapie. Durch die Normalisierung der Kortisolwerte steigt die Neubildung (Neurogenese) von Neuronen im limbischen System wieder an. Es scheint, dass Antidepressiva die Neurogenese fördern, wie dies sportliche Aktivität und rege geistige Tätigkeit auch tun.

Psychotherapien arbeiten mit den ins Negative verschobenen Denkmustern und Interpretationen von Stresssituationen und können dadurch beim HPA-System korrigierend eingreifen. Die Depression kann sowohl von der körperlichen, biologischen Seite als auch von der psychischen und psychosozialen Seite her entstehen und behandelt werden.

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