Gerade im Herbst verdunkelt sich bei vielen das Gemüt. Nicht nur dann, auch bei echten Depressionen wirkt Bewegung stimmungsaufhellend. Dass körperliche Aktivität erheblich dazu beiträgt, depressive Beschwerden zu lindern, haben inzwischen viele Studien gezeigt. Gleichzeitig ist es allerdings ausgerechnet für Menschen mit Depressionen extrem schwierig, aktiv zu werden. Denn ein zentrales Symptom der Krankheit ist Antriebslosigkeit.
Sport: Fester Baustein der Depressionstherapie
Sport und Bewegung sind oft fester Bestandteil der Depressionstherapie in der Klinik, aber auch in ambulanten Programmen, erklärt Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie und derzeit Leiter des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln.
Vier Faktoren für die positive Wirkung
Vier Faktoren sind es Kleinert zufolge, die für die positive Wirkung von Sport im Zusammenhang mit Depressionen sorgen: Aktivierung, verbesserte Stimmung, ein verbessertes Selbstkonzept und stärkere soziale Einbindung.
Aktiver werden
Sport und regelmässige Bewegungsaktivität helfen dabei, dass Müdigkeit und Antriebslosigkeit weniger werden. «Depressive Menschen fühlen sich vitaler, wacher und aktiver», sagt Kleinert, und dadurch besser in der Lage, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Wieder Fühlen lernen
Depressiv Erkrankte empfinden oft eine emotionale Leere, so der Psychologe. «Sport kann dies häufig zumindest teilweise durchbrechen.» Und zwar, weil - je nach Sportart - viele verschiedene Emotionen angesprochen werden. Kleinert nennt als emotionale Momente etwa das sich Verbessern, Gewinnen und Verlieren, vor allem das gemeinsame Sporttreiben.
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Sich selbst positiver wahrnehmen
Betroffene haben Probleme mit ihrem Selbstwert- und dem eigenen Körpergefühl. Sport und Bewegung helfen: «Sie lernen Neues oder verbessern ihre Fähigkeiten, zum Beispiel Kraft, Beweglichkeit oder Ausdauer. Der Körper wird dadurch positiv erlebt und eine positive Entwicklung wahrgenommen, was das Selbstwertgefühl steigert.»
Gemeinschaft erleben
Sich zurückziehen, wenig mit anderen zu tun haben, sich isoliert fühlen, das kennen viele Depressionspatienten. Auch hier kann Sport Verbesserungen erreichen, insbesondere durch Bewegung in der Gruppe, sagt Kleinert: «Es muss nicht unbedingt Mannschaftssport sein - auch ein Yogakurs oder gemeinsames Fitnesstraining führen zu einem Gemeinschaftserleben.»
Welche Sportarten sind besonders wirksam?
Grundsätzlich fast alle. „Bewegung ist eine wirksame Behandlungsmethode bei Depressionen. Gehen oder Joggen, Yoga und Krafttraining sind dabei effektiver als andere Sportarten, insbesondere wenn sie intensiv betrieben werden“, so die Autoren einer britischen Metastudie.
Tatsächlich wurde Ausdauertraining lange als besonders wirksam bei Depressionen angesehen, da es die neuronalen Veränderungen positiv beeinflusst, so Kleinert. Kraft- und Fitnesstraining etwa seien aber auch wirksam, weil der Patient sein Körperkonzept stärkt und seine Entwicklungsfortschritte positiv erlebt. «Gerade Krafttraining führt recht schnell zu kleinen Erfolgen, die das Selbstkonzept positiv beeinflussen.»
Eine grosse Metastudie belegt, dass Sport in jeglicher Form depressiven Symptomen entgegenwirken kann. Intensivere Sportprogramme - wie die Teilnahme an einem Fitnesskurs - hatten zeigten dabei in kontrollierten Studien das meiste Potenzial, depressive Symptome zu reduzieren. Die Effekte waren dabei bei Einzel- und Gruppensportarten ähnlich, was darauf hinweist, dass Sport bei Depressionen nicht allein aufgrund von mit ihm verbundenen Sozialkontakten wirksam ist.
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Verglichen mit aktiven Kontrollen (z.B. konventionelle Behandlung oder Placebo-Tabletten) konnten sie einen mässig besseren Effekt von allen Arten körperlicher Aktivität zeigen, darunter:
- Gehen oder Joggen
 - Yoga
 - Aerobes Training
 - Tai Chi oder Quigong
 
Wie schon in früheren Studien erwiesen sich dabei Sportarten, bei denen man ins Schwitzen kommt (z.B. aerobes Training) als besonders effektiv bei der Depressionsbekämpfung. Aber auch leichtere körperliche Aktivitäten (z.B. Gehen, Hatha-Yoga) konnten in der Metastudie depressive Symptome verbessern.
Das deutet darauf hin, dass gezielte Übungsvorgaben wichtig sein könnten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Der «Sport auf Rezept» könnte bei Depressionen also besser wirksam sein, als dem Patienten maximale Autonomie bei der Auswahl und Durchführung zu lassen.
Für die Autoren sollte daher die körperliche Aktivität neben Standardbehandlungen wie Medikamenten und kognitiver Verhaltenstherapie unbedingt eine Rolle spielen. Besonders Patienten, die eine Psychotherapie ablehnen, könnten profitieren. Denn obwohl das Vertrauen in die Evidenz für Bewegung in Studien weniger stark war als für die kognitive Verhaltenstherapie, sind die Effektgrössen vergleichbar.
Sport und körperliche Aktivität bewirken verschiedene Veränderungen im Gehirn, die sonst nur durch Medikamente erzielt werden. Medikamente zur Behandlung von Depressionen setzen ähnlich wie Sport und körperliche Aktivität an der Serotoninaufnahmefähigkeit des Gehirns an. Regelmässiges Sporttreiben scheint nach bisherigem Stand der Forschung ein probates Mittel zu sein, um Depressionssymptome zu vermindern. Zudem ist es kostengünstig und hat nur wenige Nebenwirkungen.
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In jeder Klinik, die etwas auf sich hält, gibt es für Patienten mit Depressionen auch Sportangebote. Denn die heilende Kraft der Bewegung ist seit langem bekannt. «Sport hat einen günstigen Einfluss auf viele psychische Symptome, er verbessert die Stimmung, den Antrieb, mindert die Angst», sagt Peter Falkai, der Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Universität München. «Die Sporttherapie ist vergleichbar mit der kognitiven Verhaltenstherapie und mit Antidepressiva», sagt der Psychiater.
Den Daten zufolge ist die Sporttherapie im Behandlungszeitraum von vier Monaten der Psychotherapie gleichwertig - sie kann Patienten also genauso gut gegen ihre depressiven Symptome helfen. Sporttherapie hilft gegen Angststörungen und Psychosen. Tatsächlich gibt es auch über die Step-Studie hinaus zahlreiche Belege für den Nutzen der Sporttherapie.
Am besten schneidet Tanzen ab, aber auch Krafttraining und Yoga zeigen gute Wirkungen. In einer grossen Metaanalyse unter Einschluss von 218 Studien identifizierten australische Wissenschaftler kürzlich gute Wirkungen für Ausdauersport wie Laufen und Walken, aber auch für Krafttraining und Yoga. «Wichtig ist es, die grossen Muskelgruppen zu bewegen, das funktioniert auch mit Tai-Chi, Velofahren und Schwimmen», sagt Peter Falkai. Am allerbesten schnitt in der australischen Metaanalyse Tanzen ab, denn dieses hat über die Bewegung hinaus noch den wichtigen sozialen Faktor.
Aus seiner Sicht hat die Sporttherapie einen wichtigen Vorteil: «Wir kommen damit an Menschen heran, die sich nicht aktiv auf eine Psychotherapie einlassen würden - auf den Sport aber schon.» Das betreffe vorwiegend Männer ab 40 Jahren.
Weshalb die Sporttherapie wirkt, dafür gibt es verschiedene neurobiologische Erklärungen. Zum Beispiel schütten Muskeln, die in Bewegung kommen, Nervenwachstumsfaktoren aus, sogenannte Myokine. So vergrössert sich das Volumen des Hippocampus - einer Hirnstruktur, die für die Verarbeitung von Emotionen wie Wut, Angst und Freude zuständig ist. Psychosoziale Effekte kommen hinzu: Die Selbstwirksamkeitserwartung - der für die psychische Gesundheit so wichtige Glaube, dass man etwas bewegen kann - ist bei Depression vermindert. Durch Sport kann sie wieder wachsen.
Wie viel Sport ist nötig?
150 Minuten pro Woche sollen gesunde Erwachsene sich in moderater oder 75 Minuten mit hoher Intensität bewegen, empfiehlt die WHO. Daran kann man sich auch bei der Behandlung einer depressiven Störung oder von depressiven Symptomen orientieren, so die Autoren des im Magazin Praxis erschienenen Fachartikels «Freude durch Sport und Bewegung bei psychischen Erkrankungen».
„Entscheidend ist, dass eine Sport- und Bewegungsform gefunden wird, bei der die Betroffenen Freude erleben und die sie mit Spass und vor allem regelmässig und langfristig umsetzen“, sagt Sportpsychologe Kleinert. Dabei können eine Gruppe und feste Zeiten helfen.
Sport als Teil der Depressionsbehandlung
Bewegung und Sport können eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Psychotherapie darstellen. Viele Therapeuten empfehlen ihren Patienten mittlerweile, sich regelmäßig zu bewegen. Die Kombination von Psychotherapie und körperlicher Aktivität hat sich als besonders effektiv erwiesen. Studien zeigen, dass die Wirksamkeit größer ist als bei jeder Behandlungsmethode für sich genommen. Sport kann dabei helfen, negative Gedanken loszuwerden und Stresshormone abzubauen. Gleichzeitig lernen Patienten, dass sie aus eigener Kraft etwas bewirken können.
Regelmäßige körperliche Aktivität kann nicht nur akute Symptome lindern, sondern auch langfristig stabilisierend wirken. Studien zeigen, dass Patienten, die Sport in ihren Alltag integrieren, auch nach Abschluss der Therapie von den positiven Effekten profitieren. Die körperliche Aktivität dient als eine Art "Selbsthilfestrategie", auf die Betroffene in Krisensituationen zurückgreifen können.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Sport Teil der Behandlung sein soll, sollte immer in Absprache mit dem behandelnden Arzt oder Therapeuten getroffen werden. So kann sichergestellt werden, dass die körperliche Aktivität optimal auf die individuellen Bedürfnisse und den Gesundheitszustand des Patienten abgestimmt ist.
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