Exzessiver Sport und Essstörungen: Ursachen und Risiken

Essstörungen sind schwere psychische Erkrankungen, die oft zu Chronifizierung neigen und deren Behandlung sich über Monate bis Jahre erstrecken kann. Die Formen der Essstörungen sind altersabhängig.

Welche Arten von Essstörungen gibt es?

  • Magersucht (Anorexia nervosa): Menschen mit Anorexie sind oft stark untergewichtig. Sie hungern, machen Diäten, erbrechen, nehmen Medikamente ein oder treiben exzessiv Sport, um abzunehmen.
  • Bulimie: Typisch sind wiederholte Heisshungerattacken und Essanfälle. Im Anschluss versuchen Betroffene, einer drohenden Gewichtszunahme entgegenzusteuern: durch Erbrechen, Abführmittel, entwässernde Medikamente oder exzessiven Sport.
  • Binge Eating Disorder: Betroffene haben wie bei der Bulimie Essanfälle, bei denen sie grosse Mengen an Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Im Gegensatz zu Bulimikern ergreifen sie aber keine Massnahmen, um die drohende Gewichtszunahme zu verhindern.
  • Atypische Essstörungen: Diese erfüllen nicht alle Kriterien für eine spezifische Essstörung. Es können Merkmale mehrerer Krankheitsbilder gemeinsam auftreten oder nicht alle Merkmale eines Krankheitsbildes zutreffen.

Ursachen und Auslöser von Essstörungen

Die Ursachen von Essstörungen sind vielfältig. Meist müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, um eine Essstörung auszulösen. Eine zentrale Rolle spielen Persönlichkeitsfaktoren wie Perfektionismus und die Neigung zu hohen Erwartungen an sich selber bei gleichzeitig tiefem Selbstwert. Aber auch belastende Umstände innerhalb oder ausserhalb der Familie können eine Rolle spielen: fehlende Wertschätzung oder Mobbing sowie sexuelle Übergriffe oder andere Formen von Misshandlung und Vernachlässigung.

Ebenfalls kann eine negative Einstellung und Beurteilung der eigenen Figur und des Körpergewichts zu einer Essstörung führen. Massgebend ist ein Schönheitsideal in der Gesellschaft, das „superdünne“ Menschen favorisiert. Aber auch die (sozialen) Medien und die Werbung transportieren oft das Ideal vom Schlanksein.

In manchen Familien kommen Essstörungen gehäuft vor, was die Beteiligung der Gene vermuten lässt. So entwickeln Angehörige von Menschen mit Essstörungen häufiger ebenfalls eine Essstörung.

Essstörungen im Leistungssport

Im Leistungssport gehören gestörtes Essverhalten und Essstörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und die Prävalenzen variieren in Abhängigkeit von Sportart und Geschlecht. Für weibliche und männliche Athleten wurde, verglichen mit Nichtathleten, eine höhere Prävalenz des gesamten Spektrums gestörten Essverhaltens berichtet. Die höchste Prävalenz berichteten sie bei Frauen in Ausdauersportarten (14%) und in ästhetischen Sportarten (14%) und bei Männern in den Gewichtsklassesportarten Ringen und Boxen (7%).

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Ein wesentlicher Faktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung gestörten Essverhaltens ist die Körperbildstörung. Athleten sind aber nicht nur mit den Schönheitsidealen der Gesellschaft konfrontiert, sondern auch mit dem vorherrschenden Körperideal der jeweiligen Sportart.

Risikofaktoren im Sport

Die Risikofaktoren lassen sich in allgemeine, geschlechtsspezifische sowie sportspezifische und nicht sportspezifische Faktoren einteilen. Typische Triggerfaktoren sind Diäthalten und Gewichtsschwankungen, frühe Aufnahme sportspezifischen Trainings, traumatische Ereignisse (Verletzungen), Regeln und Regularien sowie Doping. Die aufrechterhaltenden Faktoren beinhalten das Trainingsverhalten oder sich nach einem ersten Gewichtsverlust einstellende Erfolge beziehungsweise Leistungssteigerungen.

Ein niedriger Körperfettanteil ist sowohl dem Schönheitsideal der Frauen als auch dem der Männer gemeinsam. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, wieso sich normalgewichtige Frauen eher als zu dick und normalgewichtige Männer sich eher als zu dünn wahrnehmen.

Die "Female Athlete Triad"

Hilfreiche Modelle im Kontext von Essstörungen und gestörtem Essverhaltens im Sport sind die «Female Athlete Triad» und das Kontinuum gestörten Essverhaltens, auf welches sich die unterschiedlichen Phänotypen gestörten Essverhaltens gut abbilden lassen. Die «Female Athlete Triad» bezeichnet ein Konzept, dass die wechselseitige Beziehung von Energieverfügbarkeit, Menstruationsstatus und Knochengesundheit beschreibt. Konsequenzen der Triade sind eine endotheliale Dysfunktion und verbundene kardiovaskuläre Effekte, Stressfrakturen und muskuloskelettale Verletzungen.

Sportspezifische Phänotypen gestörten Essverhaltens

  • Anorexia athletica: Ein sportinduziertes, subklinisches Essverhalten.
  • Exercise-Bulimie: Körperliche Aktivität als kompensatorische Massnahme nach einem Essanfall oder nach «normalem» Essen.
  • Adipositas athletica: Eine sportspezifische Essstörung bei Athleten mit grosser Fettmasse.

Sportsucht

Wenn exzessives Training ohne sportliche Ziele oder Wettkämpfe betrieben wird, kann eine sogenannte Sportsucht oder Fitnesssucht dahinterstecken - eine psychische Erkrankung, die ernst genommen werden muss.

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Menschen mit Essstörungen nutzen Sport häufig als Kompensationsstrategie: Die wenigen Kalorien, die aufgenommen werden, sollen durch exzessives Training wieder verbrannt werden - das Gewicht sinkt weiter, was bei Anorexie oft bewusst angestrebt wird. Auch bei Bulimie kann Sport eine Rolle im Kreislauf aus Kontrolle und Kompensation spielen.

Was können Eltern tun?

Vorbeugend können Eltern und das schulische Umfeld dafür sorgen, dass jedes Kind die nötige Wertschätzung erhält, ungeachtet der erbrachten Leistung. Besteht die Sorge, dass ein Kind an einer Essstörung erkrankt ist, so ist der Gang zur Kinderärztin oder zum Kinderarzt wichtig. Hier ist die körperliche Entwicklung zu beurteilen.

Früherkennung und Prävention

Der frühzeitigen Erfassung gestörten Essverhaltens kommt eine wichtige Rolle in der Behandlung und Prävention zu, da frühzeitige therapeutische Interventionen der Entwicklung einer voll ausgebildeten Essstörung entgegenwirken können. Eine entsprechende Schulung der Athleten, Eltern, Trainer, Betreuer und Funktionäre ist hierfür deshalb wichtig.

Athleten sollten im Rahmen der sportärztlichen Eignungsuntersuchungen und/oder jährlichen Gesundheitsuntersuchungen gescreent werden. Weiterhin soll die Gewichtsentwicklung erhoben und bei plötzlicher Gewichtszunahme oder -abnahme eine genaue Anamnese des Essverhaltens durchgeführt werden.

Symptome von Essstörungen

Wichtig ist, nicht nur auf das Körpergewicht zu achten. Normal- wie übergewichtige Menschen können auch an einer Essstörung leiden. Bei sichtbarer Gewichtsabnahme sollten aber die Alarmglocken läuten. Dann muss rasch gehandelt werden. Änderungen des Ernährungsverhaltens ohne ersichtlichen Anlass sind kritisch zu hinterfragen. Hellhörig sollten Eltern zudem werden, wenn meist ältere Kinder oder Jugendliche auffallend häufig und ohne glaubhaften Grund das gemeinsame Essen meiden.

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Was heisst eine gesunde Beziehung zu Bewegung?

Du hast eine gesunde Beziehung zum Sport, wenn du:

  • auch mal ohne Training auskommst - ohne schlechtes Gewissen
  • trainierst, weil es dir guttut - nicht aus Zwang
  • genug isst - unabhängig vom Sport
  • den Sport wählst, der dir Freude macht - nicht den mit dem höchsten Kalorienverbrauch
  • Pausen zulässt - und sie nicht bereust
  • dein soziales Leben nicht dem Training unterordnest

Überblick über die Prävalenz von Essstörungen bei Athleten im Vergleich zu Kontrollgruppen

Studie Teilnehmer Erhebungsmethode Ergebnisse
Schaal et al., 2011 Adoleszente und erwachsene, weibliche und männliche Athleten und Kontrollen Klinische Evaluation/Interview Essstörung (A = Athleten; K = Kontrollen): A (32,8%) < K (21,4%)
Torstveit et al., 2008 Adoleszente und erwachsene, weibliche Athleten und Kontrollen Selbstbericht: Fragebogen Essstörung (A = Athleten; K = Kontrollen): weibl. A (20%) < weibl. K (9%) < männl. A (8%) < männl. K (0,5%)
Sundgot-Borgen & Torstveit, 2004 Adoleszente und erwachsene, weibliche Athleten und Kontrollen Selbstbericht: Fragebogen Essstörung (A = Athleten; K = Kontrollen): weibl. A (22%) < weibl. K (5,5%) < männl. A (4%) < männl. K (0%)

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