ADHS Medikamente: Ein umfassender Leitfaden

Am meisten lernen wir nicht aus Büchern oder Fachartikeln, sondern von und mit unseren Patienten und deren Familien. In diesem Sinn möchte ich in diesem Beitrag meine persönliche Vorgehensweise bei der medikamentösen Therapie von Kindern mit ADHS erläutern.

Grundlagen der ADHS

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine Beeinträchtigung, die sich durch Konzentrationsschwierigkeiten und kurze Aufmerksamkeitsspannen und/oder Hyperaktivität und Impulsivität charakterisiert. ADHS-Medikamente sind unterschiedliche Wirkstoffe, die je nach Wirkungsdauer unterschieden werden. Unter anderem wirken die Medikamente auf die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn.

Schon wieder einen wichtigen Termin vergessen, den Schlüssel verlegt oder einfach ein Chaos im Kopf: ADHS kann den Alltag zur Herausforderung machen. Medikamente können für Menschen mit ADHS den Unterschied machen.

ADHS und die Begrifflichkeit

Die ADHS-Organisation elpos Schweiz schreibt in den eigenen Texten immer ADHS und schliesst das ganze Spektrum mit ein.

Symptome von ADHS

Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen.

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  • Die Hyperaktivität zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Person immer in Bewegung ist und wie aufgezogen wirkt.
  • Die Impulsivität kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Person andere in ihrer Beschäftigung stört oder ihnen ins Wort fällt und inhaltlich vorgreift.
  • Die Unaufmerksamkeit ist gekennzeichnet durch erhöhte Ablenkbarkeit und die Schwierigkeit, lange zuzuhören.

So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung. Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person. Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund.

Zusätzlich zu den Hauptsymptomen der ADHS kommen im Erwachsenenalter weitere hinzu wie beispielsweise Desorganisation im Lebensalltag, schnelle Stimmungswechsel, Stressüberempfindlichkeit und Schwierigkeit bei der Temperamentskontrolle.

Ursachen von ADHS

ADHS geht von einer Fehlfunktion zentraler Neurotransmittersysteme aus. Das bedeutet, dass im Zwischenraum zweier Nervenzellen nicht ausreichend Botenstoffe zur Verfügung stehen. Diese Unterversorgung führt zu einer Dysfunktion des Gehirns. Diese Fehlfunktion betrifft jene Bereiche des Gehirns, wo sich das Aufmerksamkeitssystem befindet.

Ungünstige Umgebungsbedingungen können das Risiko erhöhen, an ADHS zu erkranken. Hierzu gehören perinatale Komplikationen, niedriges Geburtsgewicht, instabile Familienverhältnisse ohne Struktur, eine Belastung mit Suchtkrankheiten und weitere Faktoren.

Diagnose und Behandlung von ADHS

Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien. Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein. Neuropsychologische Testverfahren sind bei speziellen Fragestellungen hilfreich.

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Es ist wichtig festzuhalten, dass aus der Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sich nicht zwangsläufig eine Behandlungsnotwendigkeit ableitet. So wird in diesem Zusammenhang nochmals genau erörtert, ob die funktionellen Einschränkungen im Leben der Betroffenen und die damit verbundenen Problematiken im sozialen Leben eindeutig durch ADHS verursacht sind.

Therapiemöglichkeiten

Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität. Hierzu gibt es diverse Therapiemöglichkeiten, welche einzeln oder auch kombiniert angewandt werden können. Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Dabei werden die Patienten und gegebenenfalls ihr unmittelbares Umfeld über das Störungsbild informiert. Die Mehrzahl von erwachsenen ADHS-Patienten leiden an Begleitstörungen wie Depression, Angst, Abhängigkeits- oder auch Schlafstörungen. Je nach Schweregrad dieser Begleiterkrankungen muss die Behandlung entsprechend priorisiert werden.

Medikamentöse Behandlung

Für die Behandlung von ADHS sind in der Schweiz die Wirkstoffe Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Psychiater:innen verschreiben am häufigsten Präparate mit Methylphenidat, enthalten zum Beispiel in den Medikamenten Ritalin und Concerta. Die anderen Wirkstoffe kommen zum Zug, wenn Methylphenidat nicht wirkt.

ADHS Medikamente fallen in der Schweiz unter das Betäubungsmittelgesetz, weshalb sie nur mit einem speziellen BtM-Rezept erhältlich sind. Das Einlösen dieser Rezepte ist an konkrete Bedingungen geknüpft. So dürfen sie beispielsweise nicht in digitaler Form ausgestellt und müssen innerhalb von einem Monat eingelöst werden. Die verschriebene Menge des Medikaments darf zudem die Dosis für einen Monat nicht überschreiten. Lesen Sie hierzu auch das Merkblatt des Amtes für Gesundheit.

Die Krankenkassen in der Schweiz übernehmen die Kosten für ADHS Medikamente, wenn die Symptome seit dem Kindesalter bestehen und eine entsprechende Diagnose vorliegt. Eine Ausnahme besteht bei Ritalin: da es für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren vorgesehen ist, geschieht die Abgabe an Erwachsene off-label und wird nicht von der Krankenkasse bezahlt.

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Wie wirken ADHS Medikamente?

Medikamente helfen einem Grossteil der Betroffenen, indem sie die Dopamin-Konzentration im Gehirn erhöhen und so die Weiterleitung von Nervenimpulsen verbessern. Je nach Dosierung und Präparat haben die Medikamente eine kurz- bis mittelfristige Wirkung: entweder zwischen drei bis fünf oder acht Stunden.

Die Fachpersonen stellen die für Sie oder Ihr Kind empfohlene Menge und Medikament individuell zusammen. Zu Beginn erfolgt der Start immer mit einer kleinen Dosis, die schrittweise erhöht wird, falls keine Verbesserung eintritt.

Mögliche Nebenwirkungen

Wie bei allen Medikamenten können auch bei ADHS Medikamenten Unterschiede in der Verträglichkeit auftreten. Das bedeutet, dass einige Menschen Nebenwirkungen erleben, während andere die gleiche Dosis gut vertragen. Aber keine Sorge: Meistens sind keine oder nur geringe Nebeneffekte vorhanden. Bei Kindern sind Wachstumsverlangsamungen möglich, aber selten. Bei langfristiger Einnahme zeigt eine neue Studie, dass Puls und Blutdruck leicht steigen können. Allerdings nicht bei allen Patient:innen. Deswegen ist eine regelmässige Kontrolle dieser Werte sehr wichtig, um die Dosierung gegebenenfalls anzupassen.

Wenn die Wirkung von ADHS Medikamenten abnimmt, kann es sein, dass Ihre Symptome stärker zurückkehren. BtM Rezepte unterliegen strengeren Kontrollen, als herkömmliche Rezepte.

Nur weil Nebenwirkungen auftreten, muss das Medikament nicht unbedingt abgesetzt werden. Einige Nebenwirkungen können mit einfachen Mitteln gemildert werden. So bietet es sich bei Appetitlosigkeit an, das ADHS Medikament erst nach dem Essen einzunehmen. Bei Schlafstörungen kann es helfen, die Tablette am Morgen zu nehmen oder die Dosis auf den Abend hin zu verringern. Eine regelmässige Kontrolle und Kommunikation mit Ihren Ärzt:innen ist enorm wichtig! Teilen Sie unbedingt mit, wenn Sie Nebenwirkungen haben, insbesondere wenn es um den Blutdruck oder die Herzfrequenz geht.

Wichtige Hinweise zur Einnahme

  • Natürlich sollten Sie das Medikament nur in der verschriebenen Dosis und zum verschriebenen Zeitpunkt einnehmen.
  • Ändern Sie die Dosierung und den Einnahmezeitpunkt nicht eigenmächtig.
  • Informieren Sie sich über mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Koffein oder Alkohol.
  • Vereinbaren Sie regelmässige Kontrolltermine mit Ihrem Arzt, Ihrer Ärztin, damit Wirksamkeit, Dosierung und allfällige Nebenwirkungen überwacht werden können.
  • Lenken Sie in den ersten Wochen der Einnahme keine Fahrzeuge, da ADHS Medikamente die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen können.
  • Lassen Sie sich gegebenenfalls eine ärztliche Bescheinigung ausstellen, die bestätigt, dass Sie befugt sind, Betäubungsmittel zu besitzen. Dies und die Übersetzung des Dokumentes in Englisch ist vor allem bei Reisen wichtig.

Entscheidung für oder gegen Medikamente

Ob Sie Ritalin und Co. einnehmen möchten, ist Ihre persönliche Entscheidung. Fragen Sie sich, wie gross Ihr Leidensdruck durch ADHS ist und wie stark entsprechende Präparate Ihren Alltag erleichtern könnten.

Multimodale Therapie

Ein wichtiger Beitrag zum Erfolg kann die multimodale Therapie sein. Stellen Sie sich eine Art Baukasten vor. Es hat mehr Werkzeuge drin als man benötigt und man kann gezielt jene aussuchen, welche Erfolg versprechen. Sie können die Werkzeuge einzeln verwenden oder kombinieren.

Die wichtigsten Werkzeuge sind:

  • Psychoedukation (Aufklärung und Beratung des gesamten Umfelds)
  • Interventionen zur Verringerung der Symptomatik. Heisst: Ein Umfeld schaffen, welches Menschen mit ADHS mehr Ruhe ermöglicht.
  • Kognitive Verhaltenstherapien
  • Ergotherapie

Medikamente können dazugehören, müssen aber nicht. Kontaktieren Sie hierzu Ihren behandelnden Arzt.

Sechs Grundsätze für den Umgang mit ADHS

  1. Positiv Denken: Erzählen Sie sich jeden Abend gegenseitig oder schreiben Sie auf, was an diesem Tag besonders schön war.
  2. Sich selbst Gutes tun: Schaffen Sie sich und für Ihre Familie Ruheinseln. Finden Sie heraus was Ihnen und Ihrer Familie guttut.
  3. Ruhe bewahren: Lassen Sie sich Zeit für die nächsten Schritte - niemand ist perfekt.
  4. Strukturen schaffen: Klare Regeln aufstellen und konsequent sein. Zeit einteilen in Essenszeit, Familienzeit, Arbeit/Schule, Freizeit…
  5. Hilfe annehmen: Wir vermitteln Ihnen Fachpersonen, bieten Gesprächsgruppen für den Austausch mit Gleichgesinnten, Vorträge und Referate sowie Coaching-Angebot. Kontaktieren Sie uns!
  6. Sich bewegen: Verbringen Sie viel Zeit in der Natur, für sich alleine oder als Familie.

Medikamentöse Therapie bei Kindern

Die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse Therapie bei ADHS liegt bei den Eltern. Wir müssen sie dabei bestmöglich und verständlich beraten, ohne sie zur Therapie zu drängen.

Eigentlich ist es bei jeder Therapie das Gleiche: Die besten Therapieresultate werden erreicht, wenn der Patient gut informiert ist und sich bewusst für die Therapie entscheidet (sog. informed consent). Deshalb ist es nicht an uns Ärzten allein, die Entscheidung zu treffen. Auch die Geschwindigkeit des Vorgehens wird vom Patienten bestimmt.

Die Experten für den Patienten sind die Eltern und/oder der Patient selbst. Als Arzt bin ich nur der Coach, der Berater. Diese Haltung erspart mir grossen Druck im Umgang mit dem Patienten.

Bevor ich etwas über die Medikation erzähle, bitte ich die Eltern, mir einfach kurz zuzuhören, wobei ich folgende Punkte betone:

  • «Die Entscheidung, ob Ihr Kind ADHSMedikamente bekommt oder nicht, fällen nur Sie, nicht die Schule und schon gar nicht der Arzt, sondern nur Sie allein.
  • Das Ziel der Medikamente ist, dass sich das Kind besser konzentrieren und seine Impulse besser kontrollieren kann. Dabei darf das Wesen des Kindes nicht verändert werden.
  • diese Medikamente aus ihrem Kind einen Zombie machen könnten. Ja, das ist möglich, nämlich dann, wenn wir die Medikamente überdosieren. Und das ist natürlich ein absolutes No-Go.»

Anschauliche Vergleiche helfen, den Eltern und dem Kind das Wesentliche der ADHS-Medikamente verständlich zu machen: «Diese Medikamente lassen sich mit einer Brille vergleichen. Ich selbst habe eine ausgeprägte Seh­ schwäche. Wenn ich morgens aufstehe, sehe ich sehr schlecht. Dann ziehe ich meine Brille an und funktioniere über den ganzen Tag. Abends lege ich meine Brille wieder ab und bin dann sozusagen wieder im Originalzustand. Genauso ist es auch mit diesen Medikamenten. Sie wirken einige Stunden und dann sind sie wieder weg.»

Im Rahmen der Informationen über die Diagnose ADHS sollte man erwähnen, dass bei Personen mit ADHS im Frontalhirn zu wenig Botenstoffe (Neurotransmitter) vorhanden sind. Damit wird verständlich, dass genau hier die Wirkung der Medikamente einsetzt.

Wie immer gilt es, offen und transparent zu kommunizieren, ohne dabei den Teufel an die Wand zu malen. Mir ist es wichtig, zu betonen, dass alle Nebenwirkungen, die auftauchen können, nur so lange andauern, wie das Medikament wirkt; sie sind also reversibel. Zudem treten die Nebenwirkungen sofort auf. Hier bietet sich wieder der Vergleich mit der Brille an: Habe ich eine unpassende Brille auf, spüre ich das sofort und nicht erst nach zwei Monaten.

Die häufigste Nebenwirkung ist der Appetitverlust während der Wirkungsdauer des Medikamentes. Oftmals ist es so, dass die Kinder über die Mittagszeit wenig essen. Am späteren Nachmittag verspüren sie grossen Hunger. Häufig wird dann nachgeholt, was tagsüber zu wenig gegessen wurde. Teilweise kann es abends sogar zu ­regelrechten «Fressattacken» kommen, die dann von den Betroffenen und den Eltern auch negativ erlebt werden können. Nicht selten normalisiert sich dieses Phänomen nach einigen Wochen regelmässiger Medikamenten­ einnahme.

Eine andere Nebenwirkung, die häufig genannt wird, ist die Einschlafstörung. Dazu kommt es insbesondere dann, wenn der Zeitpunkt des Einschlafens mit dem Nachlassen der Medikamentenwirkung zusammenfällt. Hier ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Medikamenteneinnahme nicht zu spät erfolgt.

Im Zusammenhang mit den möglichen Nebenwirkungen sollte auch der Reboundeffekt angesprochen werden. Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, das besonders bei den Stimulanzien vorkommt. Mit dem Nachlassen der Medikamentenwirkung kann es zu einem emotionalen Chaos im Sinne einer depressiven Verstimmung oder zu massiven aggressiven Ausbrüchen kommen.

Eine grosse Angst der meisten Eltern ist, dass ihre Kinder von dem Medikament abhängig werden könnten. Es gibt kaum ein anderes ­Medikament, zu dem so viele Studien publiziert wurden wie zu MPH. Vielfach konnte klar gezeigt werden, dass MPH bei ADHS-Betroffenen keine Sucht auslöst.

Oft werde ich gefragt: «Wie lang muss mein Kind dieses Medikament nehmen»? Meine Standardantwort lautet: «So lang, wie es das Medikament braucht.» Bei den meisten Kindern ist das die gesamte Dauer der Schulzeit. Nach dem Übergang in die Lehre ist der Bedarf individuell ­unterschiedlich: Manche Jugendliche benötigen das ­Medikament zwar noch in der Gewerbeschule, aber nicht mehr bei der Arbeit, weil diese idealerweise spannend ist, sodass die eigene Basisaufmerksamkeit ausreicht, um gute Leistungen zu erbringen.

Zudem handelt es sich bei ADHS um eine Entwicklungs­ verzögerung im Frontalhirn, die sich auswachsen kann. Man geht davon aus, dass bei einem Drittel der Kinder mit ADHS die Symptome bis zum Ende der Hirnreifung (etwa 28. Lebensjahr) komplett verschwinden. Bei einem Drittel schwächen sich die Symptome ab und bei dem letzten Drittel bleiben die ADHS-Symptome zeitlebens bestehen.

Man soll das Medikament dann nehmen, wenn man es braucht. Dieser Satz gilt auch im Alltag. Es gibt viele Betroffene, die ihre Medikamente nur an den Schultagen und nicht am Wochenende oder in den Ferien einnehmen. Davon rate ich ab, falls das Medikament eine positive Wirkung auf die emotionale Befindlichkeit hat. Die Kinder und ihre Familien sollen sich auch in der Freizeit wohlfühlen. Wird das Medikament hingegen primär zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit eingesetzt, kann es am Wochenende ohne negative Folgen weggelassen werden.

Anders als bei Antibiotika, die in mg pro kg Körpergewicht dosiert werden, ist die Dosierung der ADHS-Medikamente individuell sehr unterschiedlich. Diese Dosierung gilt es nun herauszufinden. Auch hier passt wieder der Vergleich mit der Brille: So wie der Optiker zuerst ein dünnes Glas ausprobiert und dann immer dickere Gläser einsetzt, startet man bei den Medikamenten mit einer Minimaldosierung, um dann bis zu einer optimalen Wirkung aufzudosieren.

Ich starte immer mit 5 mg MPH (Medikinet® MR 5 mg). Dieses Präparat enthält 50 Prozent schnell wirksames MPH und 50 Prozent retardiertes MPH. Bei den meisten Menschen wirkt Medikinet® MR etwa 5 bis 7 Stunden. Da der Stoffwechsel der Patienten sehr unterschiedlich schnell arbeitet, gibt es Personen, bei denen die Wirkung schon nach 3 bis 4 Stunden abflacht.

Ich erstelle für die Eltern eine Liste mit Vorschlägen für die Medikation für die nächsten 2 Wochen. Nach 2 Tagen Medikinet® MR 5 mg steigere ich für 2 Tage auf 10 mg und dann alle 2 Tage um weitere 5 mg. Nach 2 Wochen erfolgt eine Konsultation zusammen mit dem Kind. In dieser Situation ist es wichtig, dass Fragen oder Unsicherheiten sofort geklärt werden können.

Beim MPH gibt es keine Maximaldosierung, ab der Nebenwirkungen auftreten. Auch wenn man immer wieder liest, dass 1 mg/kg Körpergewicht eine optimale MPH-Dosierung sei, richte ich mich nur nach den positiven und negativen Wirkungen der jeweiligen Dosis. Solange sich das Kind wohlfühlt, die Eltern keine psychischen Veränderungen im Sinne einer Ruhigstellung bei ihm beobachten und Puls und Blutdruck normal sind, kann die Dosis gesteigert werden. So gibt es durchaus Primarschüler, bei denen sich erst mit 50 bis 60 mg/Tag MPH eine gute Wirkung zeigt.

Zwei Wochen nach Beginn der Medikation sehe ich das Kind mit seinen Eltern in der Sprechstunde. Ich wende mich zuerst an das Kind und frage, was es von den Tabletten spürt. Gerade im Primarschulalter geben die Kinder oft an, nichts von der Medikation zu spüren. Ich frage gezielt nach Nebenwirkungen. Wenn auch diese verneint werden, sind die Eltern mit ihren Beobachtungen an der Reihe. Häufig bekomme ich folgende Rückmeldung: Die Hausaufgaben werden viel schneller erledigt, insgesamt haben wir viel weniger mühsame Diskussionen. Das Kind sei ausgeglichener und habe weniger Wutausbrüche. Dann frage ich das Kind, ob es diese Beobachtungen auch gemacht hat. Oft bestätigen die Kinder die Aussagen der Eltern.

Falls das Kind nichts spürt, sind mir vor allem die indirekten Zeichen sehr wichtig. Wie verhält sich das Kind bei der Medikamenteneinnahme? Gibt es grosse Widerstände? Wenn ein Kind sich weigert, die Medikamente zu nehmen, hat das einen Grund - und wieder passt der Vergleich mit der Brille: Kaum ein Kind freut sich darauf, eine Brille zu bekommen. Nach kurzer Zeit spüren die Kinder aber, dass ihnen die Brille hilft und setzen sie jeden Morgen freiwillig auf. Weigert sich ein Kind, die Medikamente einzunehmen, gilt es, den Grund dafür herauszufinden: Liegt es an der Galenik, dem Geschmack oder der empfundenen Wirkung?

Wenn immer möglich, sollten die Beobachtungen der Lehrpersonen miteinbezogen werden. Im Idealfall wird die Lehrperson von Anfang mit ins Boot genommen. Das funktioniert aber nicht, wenn die Lehrperson kategorisch gegen ADHS-Medikamente eingestellt ist.

Laut Studien haben die Medikamente etwa bei 80 Prozent der Kinder mit ADHS eine positive Wirkung.

Teilweise findet man bereits in der ersten Konsultation die richtige Dosierung mit dem richtigen Medikament. Leider ist das die Ausnahme. Häufig sieht man positive, aber auch negative Wirkungen. Nun gilt es, die Einstellung so zu optimieren, um eine möglichst gute Wirkung bei möglichst wenig Nebenwirkungen zu erreichen.

Der Wechsel auf ein anderes MPH-Präparat, beispielsweise Methylphenidat Mepha in der gleichen Dosierung, ist eine Möglichkeit, falls mit dem vorhergehenden P­ räparat eine gute Wirkung erzielt wurde.

Trotz eingehender Forschung in den letzten Jahren gibt es nach wie vor keine zuverlässigen Biomarker, mit denen die perfekte Medikation für ein bestimmtes Kind vorhergesagt werden kann. Somit funktioniert die Einstellung der Medikation nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Es gilt hier sehr gut auf die Kinder und die Eltern zu hören und immer wieder nachzufragen.

Beispielsweise ist es entscheidend, wann gewisse Nebenwirkungen auftreten: Bekommt ein Kind regelmässig 1 bis 2 Stunden nach der Einnahme der M­ edikation Bauchschmerzen, so spricht dies für eine Überdosierung. Bekommt ein Kind jeweils nachmittags um 15 Uhr Kopfschmerzen, so spricht das für eine Reaktion auf das Nachlassen der Wirkung. In diesem Fall sollte auf ein Medikament gewechselt werden, das eine längere Wirkungsdauer hat oder bei dem die Wirkung weniger steil abfällt.

ADHS im Erwachsenenalter

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine Störung, die nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene betrifft. Für viele Erwachsene mit ADHS kann eine geeignete Behandlung die Lebensqualität erheblich verbessern. Die Pharmakotherapie ist eine der am häufigsten verwendeten Methoden zur Behandlung von ADHS.

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