Autismus: Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung

Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen, die als Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) bezeichnet werden. Alle netDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Die meisten Betroffenen haben Probleme mit sozialen Kontakten sowie mit der Kommunikation und Sprache. Viele zeigen wiederholte, stereotype Verhaltensweisen und Interessen. Autismus ist angeboren und kann nicht «geheilt» werden.

ICD-Codes für diese Krankheit sind F84 und F98. ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.

Was ist Autismus?

Autismus ist ein Spektrum. Das bedeutet, dass autistische Menschen sich sehr voneinander unterscheiden. Menschen aus dem Autismus-Spektrum sehen, hören und fühlen die Welt anders als ihre Mitmenschen.

Aufgrund ihrer autistischen Wahrnehmung haben sie Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzufühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren. Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen.

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Gerne befassen sie sich mit einem Spezialgebiet. Es ist für sie eine Herausforderung, sich auf Neues einzustellen und oftmals besteht der Wunsch, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale).

Sie tendieren dazu, sich an Details zu orientieren und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen. Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen sind häufig.

Diese Über- oder Unterempfindlichkeiten (die autistische Wahrnehmung) und die vorhandene Detail-Orientierung führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene aus dem Autismus-Spektrum grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Das Erreichen von Lernerfolgen wird dadurch erschwert.

Diese autistischen Merkmale können sehr ausgeprägt sein - dann beeinträchtigen sie die Entwicklung eines Kindes massgeblich und treten meistens bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Sind die Merkmale weniger deutlich erkennbar, fallen sie dem Umfeld der betroffenen Person oder auch der Person selbst oft erst später auf. Die dann gestellte Diagnose ist auch unter dem Namen Asperger-Syndrom bekannt.

Heute wird nicht mehr zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom unterschieden. Die Prognose des Verlaufs der Entwicklungsstörung ist nur schwer vorherzusagen. Es gibt Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Symptome mit dem Alter nachlassen, weil die Betroffenen lernen, damit umzugehen.

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Symptome von Autismus

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine grundlegende Beeinträchtigung der gesamten Entwicklung eines Menschen. Sie kennzeichnet sich durch folgende drei Symptomgruppen, welche in der Regel frühkindlich zu erkennen und lebenslang vor zu finden sind:

  • Defizite im Umgang mit anderen Menschen: Betroffene Personen einer Autismus-Spektrum-Störung haben besonders Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen. Bereits in den frühen Lebensmonaten eines Kindes zeigen sich Defizite: Sie halten nur selten und flüchtig Blickkontakt, initiieren weniger Kontakt zu den Eltern und lächeln nicht zurück, wenn sie angelächelt werden. Folglich ist es für Betroffene mit einer Autismus-Spektrum-Störung schwierig, Emotionen bei anderen zu erkennen und zu verstehen. Sie haben auch Mühe «zwischen den Zeilen zu lesen» und Humor und Ironie zu verstehen. Diese Verhaltensmuster bleiben bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung auch im Erwachsenenalter vorhanden.
  • Kommunikationsdefizite: Kommunikationsdefizite bei Betroffenen können sich auf verschiedene Arten bemerkbar machen. Einerseits kann die Sprachentwicklung verzögert sein oder ganz ausbleiben. Andererseits bestehen Probleme in der verbalen Sprachkommunikation: es wird z.B. von sich in der Dritten Person gesprochen (Pronominalumkehr) und es werden unangepasste Fragen gestellt oder Feststellungen getroffen . Bei kleinen Kindern fehlt oft das spontane und phantasievolle Spiel. Mimik und Gestik bleiben oft aus und eine wechselseitige Kommunikation wird nicht begonnen.
  • Repetitive Verhaltensweisen: Die dritte Symptomgruppe einer Autismus-Spektrum-Störung beinhaltet eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensweisen. Tagesabläufe erfolgen in Ritualen. Abweichungen von ritualisierten Tagesabläufen führen zu einer Verunsicherung und beunruhigen Betroffene. Auch Veränderungen, wie zum Beispiel das Umstellen der Möbel verunsichern Betroffene und können zu Panik führen. Häufig zu beobachten sind auch Wiederholungen von motorischen Bewegungen (z.B. Hand- oder Fingerbewegungen). Betroffene zeigen häufig auch ein intensives Interesse an bestimmten Themen oder Aktivitäten.

Die Anforderungen an einen Menschen verändern sich über die gesamte Lebensspanne - von der frühen Kindheit mit hauptsächlich familiären Bezugspersonen hin zum Erwachsenenalter und der Anforderung der Selbstständigkeit. Folglich verändert sich auch das klinische Erscheinungsbild einer Autismus-Spektrum-Störung über die gesamte Lebensspanne.

Ursachen von Autismus

Bei der Entwicklung von Autismus spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Die Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mit Sicherheit mehrere Faktoren eine Rolle. Genetische Einflüsse und biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt können die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und die Autismus-Spektrum-Störung auslösen.

Als wahrscheinlichste Ursache für Autismus gelten Veränderungen im Erbgut. Weitere mögliche Ursachen sind eine gestörte Gehirnentwicklung im Mutterleib sowie erhöhte Spiegel der Botenstoffe Serotonin und Dopamin.

Genetische Ursachen

Experten gehen davon aus, dass autistische Störungen vor allem durch Veränderungen im Erbgut bedingt sind. Zwillings- und Geschwisterstudien stützen diese Theorie.

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Bei eineiigen Zwillingen waren in 90 Prozent der untersuchten Fälle beide Kinder autistisch. Bei zweieiigen Zwillingen entwickelt dagegen das zweite Geschwisterchen nur in 23 Prozent der Fälle ebenfalls einen Autismus.

Offensichtlich spielen also bestimmte Genveränderungen bei der Entstehung von Autismus eine Rolle. Bei 10 bis 15 Prozent der Autisten ist beispielsweise das „Fragile X-Chromosom“ nachzuweisen - hier ist eine genetische Veränderung auf dem X-Chromosom die Ursache einer kognitiven Beeinträchtigung.

Eine Studie an 1,5 Millionen US-amerikanischen Familien mit einem autistischen und einem zweiten Kind hat gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, ein weiteres Kind mit ASS zu bekommen, vom Geschlecht abhängt. Das höchste Risiko von 16,7 Prozent hatten dabei Jungen mit einer älteren, autistischen Schwester.

Jungen mit einem autistischen grossen Bruder hatten ein 12,9-prozentiges, Mädchen mit autistischer grosser Schwester ein 7,6-prozentiges und Mädchen mit autistischem älteren Bruder ein 4,2-prozentiges Risiko ebenfalls eine ASS aufzuweisen. Diese Ergebnisse bestätigen zudem die höhere Anzahl von männlichen gegenüber weiblichen Personen mit einer ASS in der Gesamtbevölkerung.

Gestörte Gehirnentwicklung

Vermutlich ist die Gehirnentwicklung von autistischen Kindern bereits im Mutterleib gestört, was sich später auf eine normale Hirnentwicklung auswirkt. So haben autistische Kinder einen grösseren hinteren Hirnabschnitt und in den ersten Lebensjahren einen grösseren Kopfumfang. Dies beeinflusst wahrscheinlich die Vernetzung von Informationen im Gehirn.

Bislang haben Forscher noch keine Veränderung des Gehirns nachweisen können, die für Autismus typisch ist. Allerdings wurden in jenen Hirnabschnitten Auffälligkeiten gefunden, die für die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten verantwortlich sind. Noch ist unklar, ob sie als Folge des Autismus entstanden sind oder die Symptome hervorrufen.

Gestörte Hirnchemie

Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weisen meist höhere Spiegel der Botenstoffe Serotonin und Dopamin auf. Diesen Umstand machen sich Ärzte bei der Autismus-Therapie zunutze: Es werden sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt, die auch bei Depressionen helfen.

Diagnose von Autismus

Die Diagnose ist somit für das psychologische und medizinische Fachpersonal besonders herausfordernd. Aufgrund der sich verändernden Symptomatik verläuft die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung in zwei Stufen.

Die erste Untersuchung (Stufe 1) erfolgt bei Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung. Dabei werden die altersspezifischen Symptome untersucht und eine erste klinische Evaluation der Person wird vorgenommen.

Wenn sich der Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung erhärtet, erfolgt die zweite Stufe der Untersuchung. Dabei wird die betroffene Person an eine spezialisierte Stelle überwiesen, um eine vollständige Diagnostik durchzuführen und mögliche andere Ursachen der Symptome ab zu klären.

Denn eine weitere Problematik ist die Ähnlichkeit des klinischen Erscheinungsbildes zu anderen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen - wie zum Beispiel die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angststörungen, Sprachentwicklungsstörungen oder Zwangsstörungen.

Für eine Diagnose müssen die drei Symptomgruppen (Defizite in Kommunikation und sozialer Interaktion sowie repetitive Verhaltensweisen) bereits in früher Kindheit vorliegen. Manchmal können sie sich aber erst in späteren Lebensphasen deutlich machen.

Auf der Grundlage der Beeinträchtigung der betroffenen Person werden drei Schweregrade bestimmt: Schweregrad 1 (erfordert Unterstützung), Schweregrad 2 (erfordert umfangreiche Unterstützung) und Schweregrad 3 (erfordert sehr umfangreiche Unterstützung).

Behandlung von Autismus

Die Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen ist immer individuell und hängt von den spezifischen Bedürfnissen und Stärken der betroffenen Person ab. Autismus ist eine angeborene Entwicklungsstörung und kann nicht geheilt werden. Dies bedeutete jedoch nicht, dass Menschen aus dem Autismus-Spektrum nicht unterstützt werden können.

Seit Autismus 1940 entdeckt und beschrieben wurde, ist das Wissen über die Entwicklungsstörung stark gewachsen. Autismus ist ein Spektrum, bei dem die Symptome der Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sind.

Aus diesem Grund ist es schwierig, eine Vorhersage über den Verlauf zu machen. Jeder Mensch mit Autismus ist anders und hat andere Bedürfnisse und Fähigkeiten. Eine erfolgreiche Förderung und Unterstützung kann sich demnach von Betroffenem zu Betroffenem stark unterscheiden.

Häufig ist mehrheitlich die Rede von Schwierigkeiten und Problemen, mit denen Menschen mit Autismus im Alltag zu kämpfen haben. Sie haben aber auch viele Stärken.

Menschen mit Autismus werden oft noch zusätzliche Diagnosen gestellt. Um Betroffene zu unterstützen ist es wichtig, ihre besonderen Bedürfnisse zu verstehen.

Tabelle: Auswirkungen von Autismus auf verschiedene Lebensbereiche

Bereich Mögliche Auswirkungen
Kommunikation Verzögerte Sprachentwicklung, Schwierigkeiten, Gespräche zu führen, Probleme, nonverbale Signale zu verstehen
Soziale Interaktion Schwierigkeiten, Freundschaften zu schliessen, Probleme, soziale Situationen zu verstehen, Isolation
Verhalten Wiederholende Verhaltensweisen, starke Routinen, intensive Interessen, sensorische Empfindlichkeiten
Lernen Besondere Lernstile, Fokus auf Details, Schwierigkeiten, ganzheitlich zu lernen

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