Was ist Autismus?
Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen - die genaue Bezeichnung lautet Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Im Autismus-Spektrum werden Autismus-Spektrum-Störungen zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gezählt. Autismus ist keine psychische Krankheit und auch keine geistige Behinderung, sondern eine tiefgreifende, angeborene Entwicklungsstörung. Sie zeigt sich schon im frühesten Kindesalter und äussert sich in Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörungen: Schwächen im sozialen Austausch, im Einfühlungsvermögen gegenüber Dritten und in der Kommunikation.
Autismus ist ein Spektrum
Autismus ist ein Spektrum. Das bedeutet, dass autistische Menschen sich sehr voneinander unterscheiden. Das Erscheinungsbild bei Autismus ist je nach Form und Schweregrad der Störung individuell sehr unterschiedlich. Manche Betroffene entwickeln nur einen leichten Autismus, der ihr Alltagsleben nur wenig beeinflusst. Andere sind schwer behindert. Autismus-Spektrum-Störungen begleiten Betroffene ein Leben lang. Die lange Antwort: neurodiverse Menschen müssen auch nicht geheilt werden.
Dass ihr Gehirn nicht so funktioniert, wie bei anderen, bringt zwar Herausforderungen mit sich - aber eben auch Stärken. Beobachter: Sie wollen vermitteln zwischen Menschen mit und ohne Autismus. Ich versuche, mit Informationen und Beispielen die unterschiedliche Wahrnehmungsweise von Menschen mit und ohne Autismus aufzuzeigen.
Ursachen von Autismus
Autismus-Spektrum-Störungen bestehen von Geburt an, wie sie entstehen, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Die Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mit Sicherheit mehrere Faktoren eine Rolle. Lediglich, dass Vererbung eine grosse Rolle spielt, ist bestätigt. Genetische Einflüsse und biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt können die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und die Autismus-Spektrum-Störung auslösen.
Symptome von Autismus
Die grundlegende Ursache für ASS und deren Symptome ist die erschwerte Verarbeitung von Umweltreizen. Betroffenen fehlt die Filterfunktion für Reize. Während bei einer neurotypischen Person Reize gefiltert werden, ist ein Mensch im Autismus-Spektrum diesen schutzlos ausgeliefert.
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Menschen aus dem Autismus-Spektrum sehen, hören und fühlen die Welt anders als ihre Mitmenschen. Aufgrund ihrer autistischen Wahrnehmung haben sie Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzufühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren. Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen. Sie tendieren dazu, sich an Details zu orientieren und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen.
Typische Symptome von Autismus sind:
- Gestörte soziale Interaktion: Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen, auch, weil sich Betroffene oft «nicht zugehörig» fühlen und/oder die Mimik des Gegenübers nicht lesen können.
 - Beeinträchtigte Kommunikation und Sprache: Probleme damit, Gefühle und Bedürfnisse konkret zu benennen und/oder einem Gespräch in normalem Tempo zu folgen.
 - Wiederholte, stereotype Verhaltensweisen: Auch bekannt als «Stimming» (Self-stimulating behavior), also das Bedürfnis, sich zum Beispiel durch Händeflattern, Wippen oder Zählen selbst zu beruhigen.
 
Sinnesreize führen bei Menschen mit Autismus zu einem Chaos im Kopf. Sinneseindrücke wie Geräusche, Licht, Gerüche und Schmerz werden oft viel stärker oder seltener auch schwächer wahrgenommen.
Formen von Autismus
Fachpersonen unterscheiden bei der Diagnose zwischen verschiedenen Autismus-Arten: dem frühkindlichen Autismus (Kanner Syndrom) und dem Asperger-Syndrom, das sich erst nach dem dritten Lebensjahr bemerkbar macht. Die vom amerikanischen Kinderpsychiater Leo Kanner 1943 beschriebenen Kinder erhielten die Diagnose frühkindlicher Autismus. Man kennt deshalb auch den Namen Kanner-Autismus. Kanners Beschreibung und Definition hat lange das Bild des frühkindlichen Autismus geprägt.
Der Wiener Kinderarzt Hans Asperger hat als erster über Kinder geschrieben, die vor allem grosse Probleme hatten, sich in Gruppen zurecht zu finden. Kinder mit dem Asperger-Syndrom zeigen in den ersten Lebensjahren eine normale sprachliche und kognitive Entwicklung. Ihre Probleme werden oft erst deutlich, wenn sie mehr Zeit mit anderen Kindern verbringen.
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Da sich Schweregrad und Symptome bei allen Autist:innen unterscheiden, gelten diese Begriffe jedoch als veraltet. Mittlerweile wird deshalb vom Autismusspektrum oder eben einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) gesprochen. Die kurze Antwort: Nein. Dass sich ASS sehr unterschiedlich äussern kann, macht eine Diagnose schwierig und vor allem: langwierig.
Darunter fallen drei verschiedene Hauptformen von Autismus:
- Frühkindlicher Autismus
 - Asperger-Syndrom
 - Atypischer Autismus
 
Die Einteilung in diese Unterformen von Autismus wird es künftig nicht mehr geben: Die neue (11.) Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) sieht nur noch den Oberbegriff "Autismus-Spektrum-Störungen" vor. Wann die ICD-11 die derzeitige Version ICD-10 (mit den Unterformen Frühkindlicher Autismus etc.) endgültig ablösen wird, steht noch nicht fest.
Diagnose von Autismus
Je früher die Diagnose Autismus gestellt wird, umso früher kann das Kind gefördert werden. Bereits im Alter von 12 bis 24 Monaten sind Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar.
Verlauf und Prognose
Wie sich eine autistische Störung im Einzelfall entwickelt, lässt sich nicht vorhersagen. Der Verlauf hängt unter anderem von der Form des Autismus sowie eventuellen Begleiterkrankungen (wie Depressionen) ab. Beispielsweise bleiben beim Frühkindlichen Autismus die typischen Symptome ein Leben lang bestehen, also etwa die Probleme bei der sozialen Interaktion und beim Aufbau von Beziehungen sowie die Sprachbeeinträchtigungen.
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In der Kindheit sind die Symptome meist am stärksten ausgeprägt. Bei manchen Betroffenen verbessert sich das Verhalten dann im Jugend- und frühen Erwachsenenalter. Es gibt aber auch Menschen, bei denen die autistische Störung bis ins Erwachsenenalter unverändert bleibt oder bei denen nach anfänglicher Verbesserung die Symptome wieder zunehmen.
Rund 75 Prozent der Autisten sind ein Leben lang auf Hilfe angewiesen. Die meisten autistischen Jugendlichen wachsen heute in ihren Familien auf. Sie erhalten Fördermassnahmen und werden intensiv betreut.
Es gibt aber auch Menschen mit leichterem Autismus, die gut alleine zurechtkommen. Sie sind in der Lage, sich ein gewisses Mass an sozialer Kompetenz anzutrainieren. Einige Autisten üben zudem anspruchsvolle Berufe aus. Besonders Inselbegabungen (wie eine grosse Rechenbegabung) können oft effektiv im Beruf genutzt werden.
Autismus und Neurodiversität
ASS und Neurodiversität im Allgemeinen, haben übrigens nichts mit einer Intelligenzminderung zu tun. Im Gegenteil: viele Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben besondere Fähigkeiten auf bestimmten Gebieten, sogenannte «Inselbegabungen». So kann ein Mann im Autismus-Spektrum zum Beispiel kaum Augenkontakt halten, berechnet jedoch mit Leichtigkeit die Wurzel aus Eintausend im Kopf. Autist:innen mit ausserordentlichen Talenten werden «Savants» genannt und können für Unternehmen einen grossen Mehrwert bieten.
Therapeutische Ansätze
Therapeutische Ansätze gibt es aber durchaus. Diese sollen vor allem dazu beitragen, Betroffenen den Umgang mit Ihrer Diagnose zu erleichtern. Wie denn? Jeder Mensch, ob mit oder ohne Autismus, hält seine Art der Wahrnehmung für die einzige und ausschliessliche und interpretiert aus dieser heraus. Ich versuche, mit Informationen und Beispielen die unterschiedliche Wahrnehmungsweise von Menschen mit und ohne Autismus aufzuzeigen.
Umgang mit Autismus
Hinderlich ist es, wenn man glaubt, zu wissen, wie der andere tickt. Je mehr präzisere Informationen man über den anderen Menschen bekommt, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, ihn besser zu verstehen. Wichtig ist, dass man akzeptiert, dass es mindestens zwei Blickwinkel gibt. Wenn man etwa gemeinsam einen Raum betritt, wird sich der Nicht-Autist vermutlich zuerst einen Überblick verschaffen, während sich der autistisch Wahrnehmende den Details widmet. So weiss der eine nachher, dass er in einem Grossraumbüro war, während der andere zum Beispiel präzise rekonstruieren kann, wie viele Steckdosen sich im Raum befanden.
Vielleicht, wenn er sich mit seinen Spezialinteressen beschäftigen, sich mit anderen darüber austauschen kann. Oder wenn er oder sie, wie jeder andere Mensch auch, immer wieder die Erfahrung macht, verstanden und akzeptiert zu werden.
Häufigkeit von Autismus
Laut offiziellen Leitlinien wird, unter Berücksichtigung des Grossteils aller weltweiten Studien seit dem Jahr 2000, insgesamt von einer Häufigkeit der ASS von etwa einem Prozent in der Bevölkerung ausgegangen. Es gibt nach wie vor wenige Daten zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass ca. 1 % der Bevölkerung eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum hat, im Ausland schwanken die Zahlen zwischen 1 und 3 Prozent.
Bei Jungen und Männern wird häufiger Autismus diagnostiziert als bei Mädchen und Frauen. Jungen und Männer werden bis zu viermal häufiger mit Autismus diagnostiziert. Dies liegt auch daran, dass sich viele Diagnosekriterien auf die männliche Ausprägung des Autismus beziehen. Bei Mädchen und Frauen zeigt sich Autismus etwas anders, nämlich versteckter.