Im Alltag ist der Unterschied zwischen den Berufen Psychologe und Psychiater oft nicht leicht zu erkennen, da die Bezeichnungen häufig synonym verwendet werden. Trotz der engen Zusammenarbeit und ihrer gemeinsamen Ziele handelt es sich jedoch um zwei unterschiedliche Berufe, die sich in ihrem jeweiligen Ausbildungsweg und Kompetenzbereich voneinander unterscheiden. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu kennen, da sich hieraus ergibt, in welchen Situationen ein Psychologe und in welchen ein Psychiater hinzugezogen werden sollte.
Unterschiede in Ausbildung und Befugnissen
Der Hauptunterschied zwischen Psychologen und Psychiatern liegt in der Ausbildung und den Befugnissen. Während Psychologen ein Psychologie-Studium absolviert haben, handelt es sich bei Psychiatern um spezialisierte Ärzte. Daher verwenden Psychologen bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen vor allem Gesprächs-basierte Therapien.
Psychologen
Um Psychologe zu werden, muss man zunächst ein mehrjähriges Psychologie-Studium absolvieren. Das Psychologie-Studium wird an mehreren Hochschulen und Universitäten in der Schweiz angeboten und setzt sich aus einem dreijährigen Bachelor-Studium und einem zweijährigen Master-Studium zusammen. Während des Studiums stehen Inhalte wie das Beschreiben, Erklären und Verändern von menschlichem Denken und Verhalten im Vordergrund. Dabei werden Kompetenzen im Umgang mit der menschlichen Psyche vermittelt, die eine Voraussetzung für die adäquate Behandlung von psychischen Erkrankungen bilden. Nach Abschluss des Masterstudiums kann der direkte Berufseinstieg herausfordernd sein, weshalb der Beginn einer Weiterbildung in einem speziellen Gebiet der Psychologie empfehlenswert ist.
Je nach Weiterbildung kann man als Psychologe in verschiedenen Bereichen arbeiten. Viele Fachpersonen finden mit einer Spezialisierung in Klinischer Psychologie, Psychotherapie, Notfall- oder Neuropsychologie eine Anstellung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Rehabilitationseinrichtung. Dort bestehen ihre Aufgaben darin, Gespräche und psychologische Tests durchzuführen. Diese bilden die Grundlage, um eine Person besser einschätzen zu können und zu einer Diagnose zu gelangen. Anschliessend muss anhand eines theoretischen Ansatzes eine passende Behandlung vorgeschlagen und durchgeführt werden (zum Beispiel eine Verhaltenstherapie). Dabei dürfen Psychologen jedoch keine Medikamente verschreiben und greifen deshalb ausschliesslich auf Gesprächs-basierte Therapien zurück.
Eine weitere wichtige Tätigkeit von Psychologen ergibt sich durch die Beratung von bestimmten Zielgruppen. Diese kann je nach Spezialisierung in verschiedenen Bereichen stattfinden. In Schulen helfen sie beispielsweise Kindern, die Schul- oder Integrationsprobleme haben, und vermitteln diese gegebenenfalls an Fachkräfte wie Ärzte oder Psychotherapeuten. Auch eine Beratung von Unternehmen bezüglich Personal, Arbeitsorganisation oder Veränderungsprozessen ist möglich.
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Psychiater
Im Gegensatz zu Psychologen haben Psychiater Medizin studiert und anschliessend eine mehrjährige Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie absolviert. Um Psychiater bzw. Psychiaterin zu werden, muss zunächst ein Studium der Humanmedizin abgeschlossen werden. Dieses dauert in der Regel sechs Jahre und teilt sich in drei Jahre Bachelor- und drei Jahre Masterstudium auf. Nach erfolgreichem Abschluss erhält man das eidgenössische Arztdiplom und kann nun die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie beginnen. Diese dauert fünf bis sechs Jahre und wird mit dem Bestehen der Facharztprüfung beendet.
Die meisten Psychiater arbeiten entweder in einem Angestelltenverhältnis in der psychiatrischen Abteilung eines Spitals oder als selbstständige Fachärzte in einer eigenen Praxis. Auch sie haben die Aufgabe, psychische Erkrankungen zu diagnostizieren und diese anschliessend mit der richtigen Therapie zu behandeln. Im Gegensatz zu Psychologen greift ein Psychiater jedoch auch auf weitere diagnostische Verfahren zurück, die dem Ausschluss von körperlichen Ursachen für die psychischen Beschwerden dienen. Auch die therapeutischen Möglichkeiten unterscheiden sich aufgrund des medizinischen Bildungsweges von denen eines Psychologen, da Psychiater Medikamente verschreiben dürfen. Daraus ergibt sich, dass Fachpersonen vor allem bei körperlichen Ursachen einer psychischen Erkrankung oder bei Störungen, die überwiegend medikamentös behandelt werden (zum Beispiel Schizophrenie), hinzugezogen werden.
Psychotherapeuten
Bei einem Psychotherapeuten bzw. einer Psychotherapeutin handelt es sich um spezialisierte Psychologen, die nach ihrem Psychologie-Studium die Weiterbildung in Psychotherapie absolviert haben. Diese findet berufsbegleitend statt und dauert zwischen vier und sechs Jahren. Die Fachpersonen können zum Beispiel in einer Klinik oder auch in einer eigenen Praxis arbeiten. Mit diesen Verfahren behandeln sie Menschen, die aufgrund von verschiedensten Schwierigkeiten (zum Beispiel in der Partnerschaft, im Job oder durch Traumata) eine psychische Erkrankung entwickelt haben und diese nicht alleine bewältigen können. Dabei kann es sich um Depressionen, Angst-, Traumafolge-, Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen oder auch andere psychische Erkrankungen handeln.
In beiden Berufsgruppen spielt das Gespräch mit dem Patienten eine zentrale Rolle. In vielen Kliniken arbeiten beide Fachkräfte eng zusammen, um möglichst umfassende Behandlungspläne zu entwickeln. Die beiden Berufsfelder unterscheiden sich vor allem in ihren Behandlungsbefugnissen: Psychiater dürfen Medikamente verschreiben und medizinische Untersuchungen zur Diagnostik anwenden. Psychiater behandeln eher schwere psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie, da hier vor allem Medikamente helfen.
Das Anordnungsmodell: Neue Perspektiven für Psychologen
Psychologen möchten künftig selber Diagnosen stellen, Therapieverfahren auswählen und direkt über die Grundversicherung abrechnen. Psychologie- und Betroffenenverbände reichten dem Bundesrat eine Petition ein, welche den niederschwelligen Zugang zur psychologischen Psychotherapie fordert. Die Petition möchte das gegenwärtige «Delegationsmodell» abschaffen und durch ein «Anordnungsmodell» für durch Psychologinnen und Psychologen durchgeführte Psychotherapie einführen. Damit könnten sie selber Diagnosen stellen, Therapieverfahren auswählen und direkt über die Grundversicherung abrechnen.
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Das bisher geltende Delegationsmodell regelte die Zusammenarbeit zwischen Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychologen. Es sah vor, dass Personen mit psychischen Erkrankungen zuerst durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie untersucht werden. Dies diente als Grundlage für die Auswahl der individuell wirksamsten Therapie. Kommt die Psychiaterin aufgrund ihrer ärztlichen Abklärung zum Schluss, dass die optimale Behandlung eine Psychotherapie einschliesst, kann sie die Indikation stellen und die Psychotherapie selber durchführen oder an einen Psychologen delegieren. In letzterem Fall bleibt sie für das Monitoring der Therapie verantwortlich und führt periodisch eine Verlaufsbeurteilung gemeinsam mit dem psychologischen Psychotherapeuten durch. Gegebenenfalls kann sie weitere Untersuchungen oder Therapien, wie etwa Einsatz oder Anpassung von Medikamenten oder eine spezifische soziale Unterstützung, veranlassen.
Das Schweizer Krankenversicherungsgesetz (KVG) schreibt vor, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für Diagnose und Therapie übernimmt, wenn sie von einem Arzt oder von Personen in ärztlichem Auftrag erbracht werden. Die Therapie-Indikationsstellung ist eine ärztliche Aufgabe. Die Qualitätssicherung im Delegationsmodell stellt auch im Verlauf der Behandlung sicher, dass die ursprüngliche Diagnose korrekt und die eingeleitete Psychotherapie die optimale Therapieform geblieben ist. Im Anordnungsmodell würde dies entfallen.
Auswirkungen des Anordnungsmodells
In Deutschland wurde vor rund 20 Jahren von einem Delegationsmodell durch Psychiater zu einem Modell gewechselt, in dem jede Person sich direkt bei einem psychologischen Psychotherapeuten in Behandlung begeben kann. Dieser Wechsel löste jedoch die gegenteilige Entwicklung aus: Die Wartezeit vor einer Psychotherapie verlängerte sich, obwohl sich die Anzahl der psychologischen Psychotherapeuten und -therapeutinnen vervielfachte. Auch die Situation in den Randregionen verbesserte sich nicht. Ein Grund dafür ist, dass sich eine angebotsgesteuerte, weitgehend vom Bedarf abgekoppelte Mengenausweitung entwickelt hat. Da sich die Ausbildung von Psychologen und Psychologinnen auf diejenigen psychischen Erkrankungen konzentriert, welche psychotherapeutisch gut behandelbar sind, ist die Erfahrung mit akuten und schweren psychischen Störungsbildern meist reduziert.
In der Schweiz würde die Einführung des Anordnungsmodells die Ausgliederung der psychologischen Psychotherapie aus der integrierten psychiatrischen Versorgung bedeuten. Die Aufsplitterung der Krankenversicherungsleistungen für psychische Erkrankungen in zwei unabhängige Stränge würde zusammen mit der Mengenausweitung zu einer Steigerung der Gesundheitskosten oder einer Verschiebung der Finanzierung von schweren auf leichtere psychische Erkrankungen führen.
Mit dem Anordnungsmodell werden die Kompetenzen der psychologischen Psychotherapeuten entsprechend ihrer Qualifikation erhöht, so wird etwa für die Diagnose und das Berichtwesen kein Psychiater mehr benötigt. Die Chance des Anordnungsmodells besteht darin, dass, indem die Abhängigkeit psychologischer PsychotherapeutInnen von Psychiaterinnen (von denen es zu wenige gibt) beseitigt wird, der «Flaschenhals» in der Versorgung verschwindet. Nicht nur durch die Selbständigkeit, sondern auch im stationären Bereich können psychologische Psychotherapeutinnen die Psychiaterinnen entlasten, da sie mehr Kompetenzen erhalten (beispielsweise Diagnosen stellen).
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Tarife und Tarifstruktur
Damit das Modell nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis funktionieren kann, braucht es einen angemessenen Tarif und eine detaillierte Tarifstruktur; Letztere bildet die Basis eines Tarifsystems. Nach Art. 43 Abs. 2 lit. a-c KVG kann ein Tarifvertrag auf den Zeitaufwand (Zeittarif) oder auf den Taxpunktwert (TPW, Einzelleistungstarif) abstellen oder pauschale Vergütungen (Pauschaltarif) vorsehen.
Vorliegend haben die Tarifpartner einen Zeittarif i.S.v. Art. 43 Abs. 2 lit. a KVG in Höhe von 2,58 Franken pro Minute vereinbart. Dieser Zeittarif basiert auf einer in den Genehmigungsverfahren eingereichten Abrechnungsgrundlage, welche die über die Grundversicherung abrechenbaren Leistungen, die Limitationen und die ausgeschlossenen Leistungskumulationen bezeichnet.
Aktuell konnten sich die Leistungserbringerverbände nur mit einem Teil der Krankenversicherer im Sinne einer provisorischen Einführungslösung auf einen Tarifvertrag und eine Tarifstruktur einigen. Da jedoch eine nationale Lösung nicht rechtzeitig per 1. Juli realisierbar war, haben die Leistungserbringerverbände und die zustimmenden Krankenversicherer in allen Kantonen um kantonale Genehmigung nach Art. 46 Abs. 4 KVG ersucht. Aus diesem Grund haben sich die Tarifpartner auf einen Zeittarif i.S.v. Art. 43 Abs. 2 lit. a KVG geeinigt, um nicht auf eine nationale Tarifstruktur angewiesen zu sein.
Schlussfolgerung
Der Modellwechsel bietet eine grosse Chance, dem Fachkräftemangel in der Psychiatrie die Spitze zu nehmen und die Situation in der Betreuung psychisch kranker Menschen merklich zu verbessern; auch in Heimen und in Spitälern. Massgebend ist, dass eine nachhaltige Lösung angestrebt wird - dazu gehört nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit, die neu verfügbaren Fachkräfte einzusetzen.
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