Psychische Kindesmisshandlung: Definition und Auswirkungen

Kindesmisshandlung ist eine bewusste oder unbewusste, gewaltsame psychische oder physische Schädigung von Kindern in Familien oder Institutionen. Es gibt körperliche Gewalt, psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt und Vernachlässigung. Der Begriff «Kindesmisshandlung» umfasst verschiedene Formen von Gewalt an Kindern oder Jugendlichen: Körperstrafen, Vernachlässigung, sexuelle Ausbeutung, emotionaler Missbrauch.

In der Schweiz ist die Datengrundlage zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen insgesamt mangelhaft, speziell für den Altersbereich der 0- bis 8-Jährigen.

Definition von psychischer Gewalt

Psychische Gewalt wird definiert als vorsätzliche Anwendung von Einfluss und Macht sowie wiederholte nicht situations- oder verhaltensbezogene Verhaltensmuster einer Betreuungsperson. Als psychische Gewalt gilt die vorsätzliche Anwendung von Einfluss und Macht sowie wiederholte nicht situations- oder verhaltensbezogene Verhaltensmuster von Eltern und Sorgeberechtigten. Das Kind kann die elterliche Reaktion nicht mit der konkreten Situation in Bezug bringen, sondern empfindet diese als direkte, persönliche Aggression auf seine Person. Das Kind kann die Reaktion nicht mit der konkreten Situation in Bezug bringen, sondern empfindet diese als direkte, persönliche Aggression auf seine Person.

Ebenso verhält es sich, wenn ein Elternteil das Kind über mehrere Tage kalt oder abweisend behandelt. Auch dies ist als psychische Gewalt zu bewerten. Auch wenn die Mutter/der Vater das Kind im Alltag ohne konkreten Anlass regelmässig gefühlskalt oder genervt behandelt, kann das zu einer chronischen emotionalen Unsicherheit führen.

Auswirkungen auf Kinder

Massive und regelmässige Konflikte in der Familie über eine längere Dauer hinweg bedrohen die emotionale Sicherheit der Kinder und können Niedergeschlagenheit, Depressionen, Ängstlichkeit, Unruhe oder Aggressivität auslösen. Langfristig kann ein chronischer Zustand der emotionalen Verunsicherung die psychische Gesundheit des Kindes nachhaltig beeinträchtigen und zu stressbedingten körperlichen Problemen führen. Viele Kinder zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die sich in Unruhe oder Aggressivität, aber auch Niedergeschlagenheit oder Ängstlichkeit äussern; einige Kinder zeigen Anzeichen einer Traumatisierung.

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Wenn zu Hause Angst und Gewalt herrschen, leiden alle Familienmitglieder - besonders Kinder. Auch wenn die Gewalt nur zwischen den Erwachsenen stattfindet, nimmt sie den Kindern das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Sie erleben die Situation oft als bedrohlich und fühlen sich hilflos. Kinder benötigen Unterstützung, um die Situation zu verändern oder Hilfe zu holen. Kinder tragen nie die Schuld an Gewalt zwischen Eltern; nur wissen sie das häufig nicht.

Die Folgen von psychischer Gewalt in der Erziehung können die Entwicklung des Kindes massiv beeinträchtigen und negative Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter haben. Wenn das Verhalten der Sorgeberechtigten dazu führt, dass die Grundbedürfnisse des Kindes nicht erfüllt sind und es sich nicht seinen Potentialen entsprechend entfalten kann, ist davon auszugehen, dass eine gesunde Entwicklung des Kindes erschwert, beeinträchtigt oder verhindert wird.

Kinder, die häusliche Gewalt erleben, sind erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt und fühlen Angst, Mitleid, Erstarrung und Hilflosigkeit.

Wird ein Kind körperlich oder seelisch misshandelt, leidet es. Der Stress, der durch Missbrauch oder Vernachlässigung entsteht, kann die Entwicklung des kindlichen Gehirns beeinflussen und dadurch das Denken und Handeln beeinträchtigen. Diese emotionalen Folgen von Kindesmisshandlungen untersucht Monique Pfaltz.

In Laborexperimenten mit jungen Erwachsenen hat Pfaltz zum Beispiel herausgefunden, dass Personen mit Misshandlungserfahrungen dazu neigen, neutrale Gesichtsausdrücke negativ zu interpretieren und sie beispielsweise als Ausdruck von Verachtung wahrnehmen. «Dies ergibt Sinn, denn misshandelte Kinder haben etwa erlebt, dass ihre Bezugspersonen in bestimmten Situationen gleichgültig oder scheinbar aus dem nichts heraus negativ auf sie reagiert haben», erklärt Pfaltz. Diese prägenden, negativen Erfahrungen, könnten dazu führen, dass Betroffene auch die Mimik anderer Menschen längerfristig negativ interpretieren.

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Manche Kinder haben die Fähigkeit, Gewalterlebnisse zu bewältigen und sich trotz widriger Umstände gesund zu entwickeln (Resilienz).

Wie man psychische Gewalt erkennt

Psychische Gewalt ist schwerer zu erkennen als körperliche Gewalt, da sie weniger sichtbar ist.

Müde reagiert ein Elternteil an einem Abend lautstark, schlägt auf den Tisch und flucht, als das Kind beim Fussballschauen stört. Nach einigen Minuten beruhigt sich der Vater/die Mutter und bittet das Kind mit angespannter, aber ruhiger Stimme, nicht ins Bild zu laufen. Obwohl das Kind möglicherweise erschrocken ist, kann es die Reaktion des Elternteils auf sein störendes Verhalten zurückführen und einordnen. In derselben Situation schreit die Mutter/der Vater das Kind an und sagt, dass es nervt und eine Zumutung ist. Das Kind wird diese Aussage persönlich nehmen und als Abwertung seiner Person empfinden.

In familiären Konfliktsituationen fehlen Eltern zudem häufig die Ressourcen, um in angemessener Weise auf die Bedürfnisse der Kinder zu reagieren.

Die Kinder müssen in verlässlichen, von Vertrauen geprägten Beziehungen aufwachsen, um stark und unabhängig zu werden. Eltern und Sorgeberechtigte sind sich der kindlichen Bedürfnisse im Allgemeinen klar bewusst. Im oft hektischen Familienalltag fehlt manchmal die Gelassenheit, um in angemessener Weise auf die Kinder zu reagieren. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Erziehungsvorstellungen und den damit verbundenen Erwartungen an die Kinder kann helfen, im Erziehungsalltag gelassener zu bleiben und auch in schwierigen Situationen bedacht zu handeln.

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Was kann man tun?

Es gibt immer eine Alternative zur Gewalt! Bevor die angestaute Wut aus Ihnen herausbricht, zählen Sie innerlich bis zehn. Wenn Sie richtig zornig sind, dann gerne auch bis 100. Schon eine halbe Stunde Bewegung ohne Kinder hilft, den Alltagsstress zu vergessen. Sprechen Sie über Ihren Ärger, bevor die Situation eskaliert. Ist das Tippen auf der Tastatur zu laut, Sie wollen einen Moment Ruhe geniessen?

Kinder erziehen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Der Erziehungsalltag verläuft oft nicht optimal und kann in Streit und Aggressionen enden. Die Erwachsenen sind danach häufig frustriert und fühlen sich von der Erziehungsaufgabe überfordert. Der Elternkurs Starke Eltern - Starke Kinder und die Angebote aus dem Programm unterstützen Erziehende dabei, solchen Situationen öfter vorzubeugen und sie konstruktiv und gewaltfrei zu lösen. Lernen Sie, die oftmals versteckten Formen der psychischen Gewalt im Alltag zu erkennen und welche Handlungsalternativen Ihnen in stressigen Situationen helfen können.

Wie kann man nun die Betroffenen unterstützen? «Neben einer Psychotherapie könnte auch ein Emotionserkennungstraining Kindern, die Misshandlung erfahren haben, helfen», sagt Pfaltz. Solche gezielten Trainings werden bei Patienten mit Schizophrenie und anderen psychischen Erkrankungen bereits erfolgreich eingesetzt Noch ist es aber zu früh für solche Therapieansätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Kindern, die physische, psychische oder sexuelle Gewalt erfahren oder aufgrund ungünstiger Erziehungsmethoden gefährdet sind, können verschiedenen Berufsgruppen in einem frühen Stadium auffallen. Insbesondere im Frühbereich (bis zum dritten Geburtstag) sind Kinderärztinnen und Kinderärzte sowie Hausärztinnen und Hausärzte zusammen mit der Mütter- und Väterberatung oft die einzigen Fachleute, die Kinder regelmässig sehen. Ihnen kommt deshalb eine besondere Verantwortung zu, eine Gefährdungssituation zu erfassen.

Für Fachpersonen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, gilt in der Schweiz eine Meldepflicht bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (ZGB Art.314d). Die Meldung wird an die zuständige Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) gemacht. Von der Meldepflicht ausgenommen sind Personen, die dem Berufsgeheimnis nach StGB Art. 321 unterstehen und Personen, die sich ehrenamtlich und freiwillig engagieren (Pfadi-, Cevi-Leiter/innen).

Den erkannten Anzeichen von Kindsmisshandlung nicht nachzugehen, ist ein medizinischer Fehler, wie das Verpassen einer Meningitis oder einer Fraktur.

Ziel aller Bemühungen ist es, eine Gefährdung oder Verletzung des Kindeswohls abzuwenden oder zu beenden. Zu diesem Ziel führen viele Wege, die individuell evaluiert werden müssen. Nie sind Standardlösungen hilfreich bzw. zielführend. Nach dem im Kinderschutz geltenden Grundprinzip «Nie allein» sollte immer mit erfahrenen Fachpersonen (z.B. mit der Kinderschutzgruppe einer Kinderklinik) nach der im vorliegenden Fall besten Lösung gesucht werden.

Kindesmisshandlung ist immer multifaktoriell verursacht und nie Resultat eines einzigen Belastungs- oder Risikofaktors. Die Summation mehrerer Risikofaktoren führt zur Überforderung mit erniedrigter Stresstoleranz, mit Kontrollverlust und mit der Unfähigkeit, die kindlichen Bedürfnisse zu erfassen und / oder zu befriedigen.

Statistik

Die Fachgruppe Kinderschutz von pädiatrie schweiz führt seit 2010 eine Statistik über die in Schweizer Kinderkliniken erfassten Fälle von Kindsmisshandlung. 21 Kinderkliniken haben 2020 1’590 Fälle von Kindsmisshandlung festgestellt, das sind 1,5% mehr als im Vorjahr. Am häufigsten wurden Fälle von körperlicher Misshandlung (37%) und von Vernachlässigung (27%) erfasst. Bei der psychischen Misshandlung besteht der grösste Anteil aus Kindern, die Zeugen von Gewalt zwischen den Eltern wurden.

Am besten und längsten erforscht ist die Häufigkeit von sexuellem Missbrauch. Auch in der Schweiz liegt hierzu mit der Befragung von Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Optimus-Studie ein umfangreicher, landesweiter Datensatz von 6’749 Jugendlichen in neunten Klassen vor: 15% gaben an, mindestens einmal in ihrem Leben irgendeine Art eines sexuellen Übergriffs mit Körperkontakt erfahren zu haben. Gar 29% der Befragten berichteten von sexueller Gewalt ohne Körperkontakt.

Auffällig ist der hohe Anteil an sexueller Gewalt unter Jugendlichen: In 11% der Übergriffe mit Körperkontakt war mindestens ein Täter (oder vereinzelt auch eine Täterin) unter 18 Jahre alt. Mädchen sind weitaus häufiger betroffen als Knaben; eine grosse Mehrheit der sexuellen Gewalttaten wird von Männern ausgeübt.

Einige Gruppen sind ganz besonders stark von sexueller Gewalt betroffen: So berichteten in einer deutschen Studie 79,4% der befragten Mädchen in Heimen und Internaten von sexuellen Gewalterfahrungen und 46,7% der befragten Mädchen von sexuellem Missbrauch mit Penetration. Viel Gewalt wurde durch Gleichaltrige ausgeübt.

Tabelle 1: Häufigkeit von sexueller Gewalt bei Jugendlichen in der Schweiz (Optimus-Studie)

Art des sexuellen Übergriffs Prozentsatz der Jugendlichen
Sexueller Übergriff mit Körperkontakt 15%
Sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt 29%

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