Toxische Beziehungen tun weh und können seelisch und auch körperlich krank machen. In einer toxischen Beziehung fahren die Gefühle ständig Achterbahn. Kontrollsucht, Herabwürdigung und Manipulation dominieren die Partnerschaft. Diese Art von destruktiver Liebe ist keine Seltenheit.
Eine neue Studie von Parship zeigt, dass 27 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer jemanden kennen, der in einer toxischen Beziehung ist oder war. Zudem geben 24 Prozent der Männer und 31 Prozent der Frauen an, selber schon mal in so einer Partnerschaft gewesen zu sein. Laut der Studie befinden sich aktuell dreimal mehr Frauen als Männer in einer toxischen Beziehung.
Die beiden Geschlechter definieren den Begriff aber wohl unterschiedlich. «Es geht hier zunächst um eine persönliche Beurteilung der Beziehungsdynamik. Meine Vermutung ist, dass wenige Männer den Begriff toxische Beziehung kennen, weil dieser medial hauptsächlich in Veröffentlichungen für eine weibliche Zielgruppe thematisiert wurde», erläutert Paartherapeut, Single-Coach und Autor Eric Hegmann (57).
Anzeichen einer toxischen Beziehung
Eine allgemeingültige Definition einer toxischen Beziehung gibt es nicht. «Als Faustformel lässt sich vielleicht sagen: Wenn mich die Beziehung und der Partner häufiger unglücklich machen als glücklich, dann stimmt etwas nicht mit der Verbindung», so Hegmann. Sollten die Partner an dieser Dynamik nichts verändern können und trotz Unglücklichsein dauerhaft an der Beziehung festhalten, dann leben sie laut dem Experten in einer toxischen Beziehung.
Eine glückliche Beziehung macht Studien zufolge zufrieden, ist gesund und erhöht die Lebenserwartung. «Eine toxische Beziehung hingegen vergiftet alle Lebensbereiche, beinhaltet vielleicht Manipulation, emotionalen Abhängigkeit, sorgt für Stress und Gereiztheit und kann auch Depressionen auslösen», erklärt Hegmann. Hilflosigkeit, Machtmissbrauch und Gewalt seien ebenso wichtige Erkennungszeichen.
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Toxischer Partner und Narzissmus
Mit dem Begriff der toxischen Beziehung ist auch der narzisstische Partner medial sehr präsent. Diese beiden Bezeichnungen werden oftmals zusammen in Verbindung gebracht. Ein Narzisst ist immer toxisch, doch nicht jeder, der toxisch ist, ist auch per Definition ein Narzisst. «Tatsächliche narzisstische Persönlichkeitsstörungen sind eher selten, Menschen mit starken egoistischen oder narzisstischen Anteilen gibt es aber durchaus viele», stellt Hegmann klar.
Emotionale Abhängigkeit
Oft ist es die emotionale Bindung an die Tatperson beziehungsweise die emotionale Abhängigkeit von der Tatperson, welche eine gewaltbetroffene Person in einer von Gewalt dominierten Situation beziehungsweise Beziehung ausharren lässt. Eine derartige Abhängigkeit beziehungsweise Co-Abhängigkeit kann jedoch auch eine Folge aus früheren Erfahrungen mit Gewalt sein.
In von Gewalt dominierten Beziehungen und Situationen auszuharren, sowie ein Risikoverhalten (Gewalt oder Häusliche Gewalt) auszuharren, kann damit zusammenhängen, dass man/frau sich von den ursprünglichen Wurzeln des eigenen Nicht-Wohlseins, sich nicht wertvoll sehen, keine Achtung vor sich selber haben versucht abzulenken, zu betäuben, oder Ent-Spannung zu suchen, denn der Körper entwickelt grosse (Ver)Spannungen, wenn Leid über lange Zeit aus- und durchgehalten wird.
Das aktuelle Erleben und das früher Erlebte (Gewalt in der Kindheit und/oder Jugend oder Wenn Eltern nicht liebten und anderes mehr), und damit verbundene, oft unerträgliche Gefühle wie Schmerz, Wut, Angst, Trauer, Scham sollen verdrängt, und Unlustgefühle (Frust, Enge, Starre, Langeweile) vermieden, beziehungsweise kompensiert werden.
So gesehen kann sich von Menschen, Beziehungen, Emotionen, Verhaltensmustern, Substanzen oder Tätigkeiten abhängig machen auch eine Folge von während des bisherigen Lebens entwickelten Kompensationsversuchen, oder eine Wiederholung des von den Eltern "kopierten" Beziehungsmusters sein.
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Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass emotional abhängige Menschen ein Problem mit mangelndem Selbstwert, Selbstliebe und dem Gefühl innerlich leer zu sein haben. Zudem ist oft eine latente Angst vorhanden, dass der/die Partner/-in die Beziehung aufgeben könnte, wenn man/frau selber eigene Bedürfnisse zum Ausdruck bringt. Auch dies kann im Zusammenhang mit Erfahrungen in der Kindheit stehen.
Ein Beispiel: Das Baby schreit wegen Hunger oder Bauchweh. Die Eltern reagieren auf den Ausdruck der Bedürfnisse des Baby's mit Lieblosigkeit und mangelnder Fürsorge. Daraus kann resultieren, dass das heranwachsende Kind den Glauben entwickelt, seine Bedürfnisse seien weniger oder nicht wichtig, und dass es seine Bedürfnisse besser nicht spürt und zum Ausdruck bringt, weil es ja wieder Ablehnung erleben könnte.
Wenn ein Kind, eine jugendliche Person Bedürfnisse nicht zum Ausdruck bringt, lernt dieses/diese aber auch nicht, eigene Bedürfnisse für wahr und ernst zu nehmen, für diese sowie eigene Gefühle, das eigene Leben, eigene Entscheidungen einzustehen, und für dieselben Verantwortung zu übernehmen.
Später, in Beziehungen mit anderen Erwachsenen, je nachdem auch in der Beziehung mit den eigenen Kindern, kann es dann sein, dass sich diese Person emotional, und bezüglich eigener Entscheidungen vom Partner/von der Partnerin, oder gar von den Kindern und ihrer Lebensgestaltung abhängig macht, was dazu führen kann, dass dieser/diese zusehends die Kontrolle übernehmen, Entscheidungen auch für die emotional abhängige Person treffen.
Dies hat jedoch dann auch zur Folge, dass der Zugang zu Macht sich zusehends stärker auf dessen/deren Seite neigt, womit die emotional abhängige-co-abhängige Person ein Problem haben wird beziehungsweise bekommen wird. Beispielsweise, dass sie keinen Weg mehr aus ihrer Abhängigkeit sieht, als jenen, in einer von Macht und Kontrolle dominierten Beziehungen auszuharren.
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Emotionale Unabhängigkeit beinhaltet für sich und das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen, sowie das eigene Leben würdig und unabhängig vom Willen einer Partnerin/eines Partners oder der Kinder zu gestalten. Genauso wie diese dies wahrscheinlich schon lange ganz selbstverständlich für sich selber tun, sich ihren Raum nehmen und für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse einsetzen.
Aus einer emotionalen Abhängigkeit hinaus zu finden ist herausfordernd, und beinhaltet meist einen Neuorientierung, welcher leichter umzusetzen ist, wenn Hilfe von Aussen geholt wird.
Psychologische Definition
Die psychologische Definition von emotionaler Abhängigkeit gemäss Lexikon der Psychologie:
"Unter emotionaler Abhängigkeit (emotional dependency) wird die einseitige, übertriebene Abhängigkeit von einem anderen Menschen verstanden, die sich in großer Angst vor dem Verlassenwerden und der Vernachlässigung der eigenen Interessen bis hin zur völligen Selbstaufgabe äußert. Emotionale Abhängigkeit hat ihre Ursachen häufig in einer tiefergehenden Persönlichkeitsstörung und einem stark verminderten Selbstwertgefühl.
Emotional abhängige Menschen benötigen den Partner, um eigene Unsicherheiten, Selbstzweifel oder ein geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren. Bereits der Gedanke an das Ende der Beziehung oder den Verlust des Partners führt zu großen Ängsten und Unsicherheiten. Emotional abhängige Menschen haben das Gefühl, nicht ohne den Partner existieren zu können. Sie zeigen ein unterwürfiges Verhalten, klammern sich an den Partner und versuchen alles, um den Partner nicht zu verlieren.
Kommt es doch zu einer Trennung vom Partner, drehen sich alle Gedanken auch Wochen später noch um die alte Beziehung und es gelingt nicht, ein neues, eigenständiges Leben aufzubauen. Bis zu einem gewissen Grade ist emotionale Abhängigkeit in jeder zwischenmenschlichen Beziehung normal und kann sogar stabilisierend wirken.
Sie ist Teil der Liebe, die Menschen füreinander empfinden. Zum Problem wird emotionale Abhängigkeit dann, wenn sie einseitig ausgenutzt wird oder dazu führt, dass ein Partner eine Beziehung weiterführt, in der er zunehmend unglücklicher wird. Die krankhafte emotionale Abhängigkeit weist einige typische Suchtmerkmale (Merkmale eines Abhängigkeitssyndroms) auf:
- zwanghaftes Verhalten, sich an den anderen zu klammern, sich selbst aufzugeben oder sich zu unterwerfen.
- Zwanghafter Glaube, ohne den anderen nicht leben zu können.
- Kontrollverlust: Die Beziehung kann trotz besseren Wissens nicht beendet oder normalisiert werden:
- Entzugssymptome: Bereits der Gedanke an ein Ende der Beziehung führt zu negativen Emotionen, Gefühlen der Hilflosigkeit und großen Ängsten.
Ursachen und Therapie
Nicht selten liegt der emotionalen Abhängigkeit eine tiefergehende Persönlichkeitsstörung zu Grunde. Das ICD-10 (F60.7) definiert die abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung als eine Störung, die durch große Trennungsangst, Gefühle von Hilflosigkeit und Inkompetenz, durch eine Neigung, sich den Wünschen älterer und anderer unterzuordnen sowie durch ein Versagen gegenüber den Anforderungen des täglichen Lebens gekennzeichnet ist.
Auch Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (stark schwankend, große Selbstzweifel) oder einem stark verminderten Selbstwertgefühl neigen dazu, sich in emotionale Abhängigkeit zu anderen Menschen zu begeben. Das gleiche trifft für Menschen mit Depressionen zu. Entsprechend muss die Therapie bei den zugrundeliegenden Ursachen ansetzen bevor auch der Partner mit in die Therapie einbezogen werden kann.
Fünf Fragen zur Überprüfung emotionaler Abhängigkeit
Wenn Sie vier der fünf folgenden Fragen mit Ja beantworten, spricht die für eine starke emotionale Abhängigkeit und Sie sollten therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
- Schon der Gedanke an eine Trennung macht mir große Angst.
- Ich ordne wichtige eigene Interessen den Wünschen meines Partners unter.
- Außerhalb der Beziehung habe ich keine eigenen Freunde mehr.
- Mein Partner trifft alle wichtigen Entscheidungen für mich.
- Außerhalb der Beziehung habe ich kein eigenes Leben.
Oftmals besteht eine emotionale Abhängigkeit lange über das Beziehungsende hinaus.
Trennung oder Beziehung retten?
Betroffene sollten laut Hegmann unbedingt Grenzen benennen und setzen. «In vielen Fällen, die toxische Beziehungen ausmachen, haben beide Partner das Problem erkannt, aber sie verändern nichts, obwohl das Verhalten giftig und schädlich ist», so der Experte. Manchmal sei dementsprechend der einzig dauerhafte Schutz die Trennung.
Diese Entscheidung können aber nur die Partner selbst treffen. Hegmann ist sich sicher: «Da es sich ja nicht um eine Diagnose handelt, muss die Situation im Einzelfall bewertet werden. Aber eine Beziehung, in der die Partner leiden, sollte unbedingt verändert werden.»
Grosse Unterschiede zwischen den Partnern verhindern eine glückliche Beziehung nicht, solange diese als Ergänzung und nicht als Bedrohung wahrgenommen werden. Hegmann schafft Hoffnung: «Die relevante Frage, die sich die Partner stellen sollten, ist: Wollen wir die Beziehung retten? Wenn beide veränderungsbereit sind, gibt es in der Paartherapie wirkungsvolle Werkzeuge, welche die Partner unterstützen können.» Falls eine Veränderung jedoch nicht möglich sei, solle man besser getrennte Wege gehen. In so einem Fall sei eine Trennung die einzige Möglichkeit, um den Weg für eine glückliche Beziehung freizumachen.
Toxische Beziehung beenden
Einer toxischen Beziehung zu entkommen, ist in den meisten Fällen mit viel Leid und Überwindung verbunden. «Es besteht häufig eine emotionale Abhängigkeit, aus der sich zu befreien, sehr schwer ist. Viele Betroffene zweifeln auch zunächst ihre eigene Wahrnehmung an und suchen den Fehler bei sich selbst», sagt Hegmann. Die Erkenntnis der Abhängigkeit ist oft schwerer, als dies für Aussenstehende scheinen mag. Laut dem Experten ist die Unterstützung durch einen Therapeuten oder eine Therapeutin sehr sinnvoll - sowohl zur Beendung und Trennung, aber auch zum Verarbeiten und Loslassen.
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