Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist die prototypische, aber nicht die einzige psychische Traumafolgestörung. Während knapp 2 Drittel der Bevölkerung einmal im Leben ein traumatisches Erlebnis (z. B. schwerer Unfall, Naturkatastrophe, Gewalterlebnis, Vergewaltigung, Kriegserlebnis, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung in der Kindheit, lebensbedrohliche Erkrankung) erleiden, hat die PTBS eine Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung in Mitteleuropa von etwa 1 bis 3% Monats- und 1-Jahres-Prävalenzen.
Bei repetitiven und vor allem interpersonellen Traumata kommt die Störung wesentlich häufiger vor. Im Übrigen tritt sie nur selten als einzige Störung auf. Komorbidität ist die Regel. Etwa in 2 Drittel der Fälle kommt es innerhalb von 2 Jahren zu einer namhaften Besserung bzw. Remission, bei 1 Drittel verläuft sie chronisch.
In den letzten 3 Jahrzehnten fand eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung im Hinblick auf Entstehung, Diagnostik und Behandlung derartiger Störungsbilder statt. Die bisherige Operationalisierung der PTBS in ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und DSM-4 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist überholt.
Dies führte zur Erweiterung und Neufassung der Diagnosekategorien in DSM-5 und ICD-11. Während man im DSM-5 die bisherige Kategorie der PTBS um weitere Unterkategorien erweiterte und das Traumakriterium neu formulierte, wurde in der ICD11 im Kapitel «belastungsabhängige Störungen» neu die Diagnosekategorie der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) eingeführt.
Mittlerweile wurden verschiedene wirksame Therapien entwickelt, die es erlauben, in komplexen Fällen oder unter schwierigen Bedingungen therapeutische Fortschritte zu erzielen.
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Traumakriterium der komplexen PTBS nach ICD-11 (6B41)
Typischerweise länger anhaltende traumatische Erlebnisse, die aus mehreren oder sich wiederholenden traumatischen Ereignissen bestehen. In der Regel sind das Ereignisse, aus denen ein Entkommen schwierig oder gar unmöglich ist, wie z. B. lebhaften intrusiven Erinnerungen, von Flashbacks oder Albträumen, begleitet von starken und überwältigenden Gefühlen wie Angst oder Horror sowie starken physischen Empfindungen oder Gefühlen der Überwältigung oder einem Erleben der gleichen intensiven Gefühle, die während des traumatischen Ereignisses erlebt wurden.
- Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis oder die Ereignisse oder von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das traumatische Ereignis erinnern.
 - Anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten gegenwärtigen Bedrohung, z. B. durch Hypervigilanz, oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwarteten Lärm. bekannt.
 - Traumagetriggerte Funktionsstörungen der Emotionsregulation,
 - des Selbstbilds (selbst herabsetzend) und
 - der sozialen Interaktionsfähigkeit (v. a. Bevor man eine solche Therapie einer Patientin zugänglich macht, sind Voraussetzungen zu erfüllen.
 
Dazu gehören eine sichere Umgebung und eine stabile therapeutische Beziehung, bei der die Therapeutin klar signalisieren sollte, dass sie gewillt ist, der Patientin zuzuhören, auch wenn sie über schreckliche Erlebnisse berichtet. Die Therapeutin soll zudem die Rückmeldung geben, dass sie das Erzählte ernst nimmt, nicht wertet und die Bereitschaft der Patientin, sich zu öffnen, würdigt und ihr ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit bietet. Fischer und Riedesser (9) formulierten den Begriff der parteiischen Abstinenz als geeignete therapeutische Haltung.
Parteiisch heisst, aufseiten des Patienten zu sein, ihm Sicherheit und Unterstützung bieten. Abstinent bedeutet, die Sache des Patienten nicht zur eigenen zu machen oder mit eigenen offenen Fragen zu vermischen. Patienten mit Traumafolgestörungen haben meist Schwierigkeiten, sich anderen zu öffnen, und haben oft den Eindruck, dass sie ihre Geschichte anderen nicht erzählen können, weil diese ihnen nicht glauben würden oder weil sie diese Geschichte niemandem zumuten können.
Ausserdem nehmen sie an, dass das Erlebte so weit von der «normalen» Realität anderer entfernt ist, dass ein Zuhörer das gar nicht verstehen würde. Umso wichtiger ist es, die Patienten in der Therapie zum Erzählen zu ermutigen. Am Anfang muss es nicht detailliert sein, da das zu einem intensiven, unkontrollierten Wiedererleben, im Speziellen zu einem Flashback, führen kann. Ein Überblick ist ausreichend.
Eine detaillierte Erzählung vom Patienten zu fordern, kann in dieser Phase unnötig belasten und wäre eher der Phase der traumafokussierten Psychotherapie vorbehalten, bei der das unter begleiteten und kontrollierten Bedingungen stattfindet. Aber die Annahme, dass es schädlich sei, wenn ein Patient von einem Trauma berichtet, ist falsch und unterstützt nur störungsimmanentes Vermeidungsverhalten.
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Flashbacks und Übererregbarkeit sind im Alltag sowieso oft vorhanden und werden nicht erst primär durch das Erzählen über ein Trauma in der Therapie ausgelöst. Ganz im Gegenteil: Die Erfahrung, dass es doch jemanden gibt, der zuhört und Unterstützung anbietet, schafft ein Gefühl von Vertrauen und Ermutigung bei Patienten, um ihre belastete Lebensgeschichte endlich anzugehen.
Oft ist die Annahme «bloss nicht darüber reden» eines Therapeuten oder einer medizinischen Fachperson nur Ausdruck der eigenen Unsicherheit und der mangelndenSachkenntnis. Neben einer adäquaten Gestaltung der therapeutischen Beziehung sind noch andere Aspekte bei der Planung und der Durchführung einer traumafokussierten Psychotherapie zu berücksichtigen.
So bedarf es einer möglichst stabilen sozialen und sonstigen gesundheitlichen Situation. Jedoch sind die Voraussetzungen für eine solche Therapie nicht immer gegeben. Insbesondere bei:
- unsicherem sozialem Status
 - bestehendem Täterkontakt
 - komplexen Störungsbildern
 - erheblicher Komorbidität
 - florider Suchterkrankung
 - akuter Suizidalität
 - geringer persönlicher Ressource.
 
In diesen Fällen sind zunächst andere Interventionen sozialer, systemischer, psychotherapeutischer oder pharmakotherapeutischer Art notwendig. Auch sehr ausgeprägte dissoziative Symptome bedürfen zunächst vorbereitender therapeutischer Massnahmen.
Diagnostik von Traumafolgestörungen
Die Tatsache, dass es gerade nach häufigen und vor allem nach interpersonellen Traumata mehr und schwerere psychische Traumafolgestörungen gibt, hat zur Neufassung bestehender Diagnosen und zur Einführung neuer Diagnosekategorien in der ICD-11 geführt. Hervorzuheben ist hier insbesondere die kPTBS (ICD-11 6B41) neben der bisherigen, in der ICD-11 konziser gefassten, nicht kPTBS (ICD-11 6B40).
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Im DSM-5 ist man einen anderen Weg gegangen. Man hat die bisherige Diagnosekategorie präzisiert und um zusätzliche diagnostische Kriterien erweitert. Das ist insofern wichtig, da die bisherigen Fragebögen und klinischen Interviews auf den Diagnosekriterien des DSM-5 basieren. Mittlerweile gibt es aber auch Fragebögen und Interviews für die neuen Diagnosen in der ICD-11.
Besonders bedeutsam in der Diagnostik von Traumafolgestörungen ist, dass keine Behandlung ohne Diagnostik durchgeführt werden sollte. Bei komplexen Traumafolgestörungen ist eine ausführliche Diagnostik notwendig, um die Frage zu beantworten, was vorrangig zu behandeln ist. Die Diagnostik ist auch kein einmaliger Vorgang vor der Therapie.
Vielmehr stellen sich im Verlauf einer Therapie immer wieder neue diagnostische Fragen, die es abzuklären gilt. Zentrale Elemente in der Diagnostik einer PTBS sind die Erfassung der traumatischen Ereignisse (Anzahl, Art des Traumas, Zeitpunkte usw.) sowie die damit im Zusammenhang stehenden Folgen in symptomatischer und in funktionaler Hinsicht.
Für die Diagnosestellung nach ICD-10 sind die dort definierten Kriterien und für die funktionale Gesundheit das System der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) relevant (psychische Aspekte: Mini ICFAPP (13). Dabei sollte die spezifische Diagnosestellung der PTBS in eine Gesamtdiagnostik eingebettet sein, welche die Aus- und Nachwirkungen auf die aktuelle Lebenssituation, komorbide Symptome sowie eine allfällige Chronifizierung erfasst.
Ebenfalls sollten protektive Faktoren und Ressourcen sowie der prätraumatische Status erfragt werden. Neben der klinischen Diagnose sollten sowohl die daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Aktivität und der Teilhabe als auch die allgemeinen (Familien-, Wohnund Arbeitssituation, regionale medizinische/psychotherapeutische Versorgung, gesundheitlicher Status) und spezifischen Kontextfaktoren erhoben werden.
Hierzu gehören zum Beispiel Täterkontakte, dependente Gewaltbeziehungen sowie der Rechts- und Aufenthaltsstatus bei Flüchtlingen. Die Diagnostik beginnt meist mit der Erhebung der Spontansymptomatik und anamnestischer Erhebung der Traumavorgeschichte (Kasten 2). Bei den diagnostischen Instrumenten wird zwischen Screening- und Diagnoseinstrumenten unterschieden.
Letztere liegen meist als strukturierte klinische Interviews vor, die systematisch die Symptomatik des Krankheitsbilds abfragen. Besteht Bedarf für eine genauere Abklärung zur Diagnosesicherung, empfiehlt sich die Durchführung eines solchen strukturierten diagnostischen Interviews. Die Vorteile eines strukturierten klinischen Interviews liegen in einer höheren Beurteiler-Übereinstimmung und in einer zuverlässigeren Diagnosestellung.
von Interviews sollte ausreichend klinische Erfahrung mit Traumafolgestörungen vorliegen, und die Interviews sollten geschulte Untersucher durchführen. Zur Vervollständigung der Basisdiagnostik sollte eine mögliche vorliegende Komorbidität explizit berücksichtigt und (mit geeigneten Instrumenten, z. B. SCID-5-CV, Fragebögen zu Depression und anderen Störungen) erfasst werden. Zur Verlaufskontrolle und zur Ermittlung der Symptomintensität wird die Durchführung von Fragebogentests empfohlen.
Bei der Traumaanamnese (Indextrauma und Erhebung allfälliger früherer traumatischer Erfahrungen) ist es in der Diagnostikphase der Behandlung anfangs nicht notwendig, alle Details der traumatischen Erfahrung zu explorieren, sondern ausreichend, eine kurze Beschreibung des Erlebten zu erheben. Ein Beharren auf detaillierten Beschreibungen während der ersten Interaktionsphase kann sich potenziell negativ auf die Therapie- und die Beziehungsgestaltung auswirken.
In der Therapie sollten sowohl zur Behandlungsplanung als auch im weiteren Therapieverlauf quantitativ auswertbare Fragebögen (als Selbstberichte) eingesetzt werden, um den therapeutischen Fortschritt zu dokumentieren und um das therapeutische Vorgehen ggf. anzupassen. Im Gegensatz zu klinischen Interviews sind Selbstbeurteilungsfragebögen schneller durchführbar, da sie vom Patienten selbst ausgefüllt werden. Sie können wichtige Informationen über das gesamte Symptomspektrum sowie über Symptomhäufigkeit, Intensität und Beeinträchtigungsgrad geben.
Zudem ergänzen und untermauern Selbstbeurteilungsfragebögen den klinischen Eindruck und dienen der Verlaufskontrolle in Behandlungen. Die häufige Erhebung zeitnaher Informationen über den Schweregrad der Symptome geht nachweislich mit besseren medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungsergebnissen einher.
- Herstellung einer sicheren, störungsfreien Gesprächsatmosphäre, Berücksichtigung von spezifischen Kontrollbedürfnissen der Patientin, u. a. adäquates Eingehen auf notwendige Rahmenbedingungen (z. B. ausreichender körperlicher Abstand zur Untersuchungsperson, ggf. matischen Erlebnisse, oft aufgrund von Schamerleben bzw. der störungsimmanenten Vermeidungssymptomatik.
 
Dieser Umstand macht wiederholte diagnostische Nachbestimmungen notwendig. Entsprechend ist der oben zitierte Phasenablauf nicht zwingend in der genannten Reihenfolge zu sehen, jedoch sollte ohne sorgfältige Diagnostik und Aufklärung keine traumafokussierte Psychotherapie durchgeführt werden. Vor Beginn einer Behandlung sollte in jedem Fall eine sorgfältige Diagnostik erfolgen, weil eine nicht indizierte Behandlung zu unerwünschten Wirkungen führen kann und die Ressourcen des Gesundheitssystems nicht effizient eingesetzt werden können.
Traumafolgestörungen wurden bisher vermutlich zu selten diagnostiziert, vor allem wenn die traumatischen Erfahrungen länger zurückliegen und die offensichtliche Symptomatik nicht dem klassischen Bild der PTBS entspricht. Zusätzlich können störungsimmanente Aspekte den Gang der Diagnostik beeinträchtigen, beispielsweise durch eine reduzierte zwischenmenschliche Vertrauensfähigkeit, was besonders auf kPTBS nach interpersonellen Traumatisierungen zutrifft, wenn erhebliche Scham- und Schuldgefühle sowie eine ausgeprägte Vermeidung vorliegen.
Symptome und Beschwerden werden nicht im Zusammenhang mit zurückliegenden Traumatisierungen genannt. Eine übersteigerte Vorstellung, mit allem selbst fertig werden zu müssen, führt zu Schwierigkeiten, die eigene Hilfsbedürftigkeit wahrzunehmen, und zum Anspruch, das Trauma aus eigener Kraft bewältigen zu müssen. Auch werden manchmal Beschwerden nur te...
Behandlung
Bei der evidenzbasierten Behandlung von Traumafolgestörungen, insbesondere der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), sind traumafokussierte Psychotherapieverfahren die Therapie der ersten Wahl. Sie gehören zu den wirksamsten Psychotherapieverfahren überhaupt.
Im Zuge der Einführung neuer Diagnosekategorien für komplexe Traumafolgestörungen wurden phasenbasierte Psychotherapieverfahren entwickelt und auf ihre Wirksamkeit untersucht, die neben traumafokussierten Behandlungselementen auch nicht traumafokussierte Komponenten beinhalten. Letztere dienen vor allem dazu, durch Ressourcenförderung, Abbau dysfunktionaler Interaktionsweisen und Verbesserung der Emotionsregulation eine traumafokussierte Aufarbeitung zu ermöglichen.
Eine sorgfältige Behandlungsplanung ist wichtig. Hierzu gehört eine umfassende Diagnostik und Aufklärung. Mit der Behandlung sollte erst begonnen werden, wenn die nötigen Voraussetzungen, wie beispielsweise eine sichere Umgebung, kein Täterkontakt und eine stimmige therapeutische Beziehung, gegeben sind. Bei Menschen mit Migrationshintergrund ist ein kultursensibles Vorgehen zu empfehlen.
Pharmakotherapeutische Interventionen können bei einzelnen Symptomen unterstützend wirken. Die in klinischen Studien nachgewiesene Wirksamkeit einiger Antidepressiva zeigt jedoch geringe Effekte. Eine alleinige Pharmakotherapie sollte nur dann erwogen werden, wenn eine traumafokussierte Psychotherapie nicht durchführbar ist beziehungsweise von der Patientin abgelehnt wird. Sie ist nicht Therapie der ersten Wahl.
Will man eine Traumfolgestörung effektiv behandeln, sollte, wenn irgend möglich, eine traumafokussierte Psychotherapie durchgeführt werden, bei der die Zusammenhänge zwischen erlebten Traumata und aktueller Symptomatik aufgearbeitet werden.
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