Ketamininfusion bei Depressionen: Informationen und Therapieansätze

Ketamin ist ein vielseitiges Medikament, das ursprünglich als Anästhetikum entwickelt wurde, aber mittlerweile auch in der Schmerztherapie und zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. Seit einigen Jahren wird das Medikament aufgrund seiner nachgewiesenen antidepressiven Wirkung vermehrt auch im psychiatrischen Bereich eingesetzt, wobei die Dosierung als Antidepressivum deutlich tiefer liegt als in der Anästhesie.

Was ist Ketamin?

Ketamin, ein hochaffiner nicht kompetitiver Antagonist am glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat (NMDA-)Rezeptor, wurde 1962 in den USA vom Chemiker Calvin L. Stevens erstmalig synthetisiert. Seither wird Ketamin als Anästhetikum weltweit angewandt.

Wie wirkt Ketamin im Körper/Gehirn?

Es ist ein neuer Therapie-Mechanismus, der nicht am Serotonin oder Noradrenalin, sondern am Glutamat-System ansetzt. Es wirkt im Gegensatz zu klassischen Antidepressiva viel schneller, weshalb man es auch ein «Rapid Antidepressant» genannt wird. Speziell ist, dass es im Hirn die Neuroplastizität, also die Lernfähigkeit, steigert. Studienergebnisse zeigen, dass Ketamin die Neuroplastizität fördern sowie verbessern kann. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Veränderbarkeit der neuronalen Verbindungen im Nervensystem. Dadurch wird das Gehirn anpassungsfähiger, dies führt auch zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit.

Wirkung von (Es)Ketamin

Die Hauptwirkung von Ketamin und Esketamin fokussiert sich auf die Blockade von Glutamatrezeptoren, der sogenannten NMDA-Rezeptoren. Glutamat ist ein stimulierender Botenstoff im Gehirn und ist unverzichtbar beispielsweise bei der Vermittlung von Sinneswahrnehmungen oder für die höheren Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnis. Die Folgeeffekte der Blockade sind dabei besonders interessant. Einerseits kommt es zu einer vermehrten präsynaptischen Glutamat-Ausschüttung, anderseits zu einer Aktivierung des weiteren Signalweges (Rapamycin-Signalweg), der eine vermehrte Bildung von Synapsen und Signal-Eiweissen vermittelt.

Indikation einer (Es)Ketaminbehandlung

Eine Behandlung mit Ketamin oder mit seinem Isomer (Esketamin; Spravato® Nasenspray) setzt eine ärztliche Abklärung voraus. Die Indikationsstellung für die Ketamin-Therapie erfolgt durch den Arzt im ambulanten oder stationären Setting unter Berücksichtigung der Kontraindikationen.

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Die Behandlung psychischer Erkrankungen basiert auf drei Therapiesäulen, nämlich Psychopharmakotherapie, Psychotherapie und Soziotherapie. Darüber hinaus können auch bei speziellen Indikationen die interventionellen Behandlungsmethoden angewendet werden.

Eine (Es)Ketaminbehandlung als ein Teil der Psychopharmakotherapie wird mittlerweile in vielen Kliniken der Schweiz angeboten. Die Indikation beschränkt sich im Alltag im Wesentlichen auf eine therapieresistente Depression und auf chronische Schmerzstörungen. Vielversprechende Ergebnisse sind auch bei anderen Krankheitsbildern zu verzeichnen, wie z.B. bei Suchterkrankungen und Traumafolgestörungen, die aktuell jedoch noch keine breite klinische Anwendung gefunden haben.

Eine depressive Störung ist eine sehr häufige Erkrankung, und bei ca. einem Drittel der Betroffenen kommt es mit der Zeit zu einer Therapieresistenz. Im Vergleich zu herkömmlichen Antidepressiva scheint die hiesige Behandlungsmethode sogar eine höhere Ansprechrate zu haben, was den Patientinnen und Patienten eine neue Perspektive, Steigerung der Lebensqualität und den Erhalt der stets angestrebten Funktionsfähigkeit ermöglichen kann.

Leider ist es immer noch nicht möglich, das Therapieansprechen im Vorfeld genau zu prognostizieren, da wir aktuell noch über keine zuverlässigen Prognosefaktoren oder Biomarker verfügen.

Eine Behandlung mit Ketamin (als eine Infusion oder ein Nasenspray) ist in der Schweiz weiterhin ein experimenteller Ansatz, und die Entscheidung für die Behandlung wird immer individuell gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin getroffen. Die Behandlung mit Esketamin (Spravato® Nasenspray) ist in der Schweiz hingegen bei einer Depression mit einem therapieresistenten Verlauf eine zugelassene Behandlungsoption (eine sogenannte “dritte Linie der Behandlung”). Seit dem 1. Oktober 2022 ist dafür mit einer erteilten Kassenzulassung nur noch ein vereinfachtes Kostengutsprachegesuch bei der Krankenkasse einzureichen.

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In der Privatklinik Meiringen bieten wir die Therapie mit Ketamin (intravenös und nasal), S-Ketamin (seit 2020 auch von der Swissmedic zugelassen) für Patienten mit therapieresistenter Depression an.

Wie läuft eine Ketamintherapie ab?

Typischerweise wird Ketamin meist ambulant angewendet, seltener auch stationär. Es sind meist zunächst zwei Behandlungen pro Woche, über ca. 4 Wochen, manchmal auch länger. Wenn sich dann eine Besserung eingestellt hat, dann kann eine Erhaltungsbehandlung angeschlossen werden, die sich über mehrere Monate bis zu einem Jahr oder länger ziehen kann, dann in immer grösseren Abständen (zunächst jede Woche, dann alle zwei, alle drei, alle vier Wochen). Eine einzelne Behandlung dauert meist ca. 2 Stunden.

Ablauf der Behandlung

Die Behandlung selbst ist aufgeteilt in eine Einleitungsphase und eine Erhaltungsphase. Nach der ärztlichen Abklärung startet man mit der Einleitungsphase, die vier Wochen dauert. In diesem Zeitraum bekommt der Patient oder die Patientin insgesamt zwei Behandlungen pro Woche. Somit beinhaltet diese Phase acht Behandlungen. Bei der ersten Therapiesitzung wird die notwendige Startdosierung ärztlich festgelegt; sie kann im Laufe der Behandlung erhöht werden.

Ab der fünften Woche beginnt die Erhaltungsphase für weitere vier Wochen mit einer einwöchigen Behandlungsfrequenz. Hier erfolgen insgesamt vier Behandlungen. Bei zunehmender Instabilität kann die Frequenz in der Erhaltungsphase vorübergehend wieder auf zweimal wöchentlich gesteigert werden. Ab der neunten Woche erfolgt die Behandlung in einer angepassten Häufigkeit, z.B. einmal alle zwei Wochen.

Zusammengefasst muss man bei einer «Langzeitbehandlung» mit (Es)Ketamin mit mindestens acht Wochen bzw. zwei Monaten rechnen, anschliessend erfolgt im Einvernehmen mit den Patienten eine Erhaltungsbehandlung in individuell angepasster Frequenz.

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Vorbereitung auf die Therapie

Es braucht eine Abklärung, ob die bestehende Symptomatik und die Vorgeschichte geeignet sind für eine Behandlung mit Ketamin/Esketamin. Und es sollte geklärt werden, ob auf der körperlichen Seite Gründe vorliegen (Bluthochdruck, andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hirnblutungen, etc.), die eine Gefahr darstellen können.

Es ist vorgesehen, dass der Nasenspray Esketamin vom Patienten, von der Patientin unter Aufsicht des Arztes bzw. der Ärztin selber angewendet wird. Nach der Anwendung von Esketamin besteht die Möglichkeit einer Sedierung (starke Dämpfung des zentralen Nervensystems), Dissoziation und eines erhöhten Blutdrucks. Nach der Anwendung von Esketamin können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Aus diesem Grund soll der Patient, die Patientin 2 Stunden vor der Anwendung nichts essen und 30 Minuten vorher nichts trinken.

Bei Schnuppen bei Erkältung kann die Aufnahme von Esketamin geringer sein. Auch dies sollte dem Arzt/Ärztin mitgeteilt werden.

Nebenwirkungen und Risiken

Bei einer Behandlung mit einem Medikament können Nebenwirkungen trotz einer umfangreichen Abklärung nie ausgeschlossen werden.

Es kann den Blutdruck steigern. Manche Patienten erleben die Akutwirkung als unangenehm, beängstigend. Manche Patienten haben Übelkeit als Nebenwirkung. Intravenös ist der Effekt eher etwas intensiver, kann aber ggf. auch abgebrochen werden, wenn Nebenwirkungen auftreten. Bei nasaler Anwendungen wird häufig berichtet, dass der Effekt sanfter anflutet und wieder aufhört... Wenn das Medikament aber einmal in der Nase ist, hält die Wirkung ca. 90-120 min an.

Im Wesentlichen lassen sich die Nebenwirkungen im klinischen Alltag auf eine kurzfristige Sedierung, Übelkeit, Dissoziation, erhöhten Blutdruck und Kopfschmerzen einschränken, die z.B. im Fall der Behandlung mit Esketamin als «sehr häufig» eingestuft wurden (³1/10 Patienten). Darüber hinaus kann ein vermehrter Speichelfluss zu den «gelegentlichen» und eine Mundtrockenheit zu den «häufigen» unerwünschten Ereignissen zugeordnet werden.

Ketamin ist allgemein sicher, aber es kann zu Nebenwirkungen kommen. Eine davon ist die vermeherte Einlagerung von Wasser im Gewebe (Ödem), oft in Kombination mit anderen Medikamenten. Diese Nebenwirkung ist unverzüglich dem Arzt/Ärztin zu melden. Allgemein gibt es sehr selten Nasenschleimhautprobleme. Falls es aber zu Reizungen kommt, sollten diese ebenfalls unverzüglich gemeldet werden.

Trotz der beschriebenen, reversiblen Nebenwirkungen hat die Behandlungsmethode eine breite Akzeptanz bei Patienten und Patientinnen, insbesondere dank des möglichen raschen Wirkungseintritts im Vergleich zu konventionellen Antidepressiva.

Kontraindikationen

Wegen dieser Gefahr dürfen Patienten mit Psychosen in der Vergangenheit oder aktuell nicht behandelt werden. Bei Anzeichen sollte die Ketamin-Behandlung beendet werden.

Bei Psychosen ist Ketamin kontraindiziert, da es diese verstärken oder erneut hervorrufen kann.

Abhängigkeitspotenzial

Da Ketamin in der Behandlung von Depressionen sehr kontrolliert angewendet wird (z.B. klar kontrollierte Dosierungen, keine Steigerung, etc.), ist das Abhängigkeitsrisiko gering. Es sollte aber vorher abgeklärt werden, ob bereits andere Abhängigkeitserkrankungen bestehen.

Auch ein nicht auszuschliessendes Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial gehört zu den erwähnenswerten Risiken der Behandlung, die seitens des Arztes im Rahmen der Behandlung überwacht werden.

Kosten und Krankenkasse

Die Krankenkassen tragen die Kosten der Therapie. Es sollte im Voraus eine Kostengutsprache eingeholt werden. Seit dem 1. Oktober 2022 ist für die Behandlung mit Esketamin (Spravato® Nasenspray) mit einer erteilten Kassenzulassung nur noch ein vereinfachtes Kostengutsprachegesuch bei der Krankenkasse einzureichen.

Kostenübernahme

Die Kosten für die Behandlung mit Ketamin können unter Umständen - abzüglich Franchise und Selbstbehalt - von der Krankenkasse übernommen werden. Im Falle einer Behandlung mit dem Präparat S-Ketamin ist eine vorgängige Kostengutsprache der Krankenkasse erforderlich, die Sie bitte von Ihrer Psychiaterin bzw. Ihrem Psychiater beantragen lassen.

Hinweis: Die Informationen in diesem Artikel dienen nur zu Informationszwecken und ersetzen keine professionelle medizinische Beratung. Konsultieren Sie immer einen Arzt oder qualifizierten Gesundheitsdienstleister, wenn Sie Fragen zu Ihrer Gesundheit haben oder eine Behandlung benötigen.

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