True Crime Psychologie: Eine Faszination für das Böse

Die Welt der wahren Verbrechen, bekannt als "True Crime", hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufstieg in der Popularität erlebt. Ob durch Netflix, YouTube, Podcasts, Bücher oder Magazine, True-Crime-Formate sind allgegenwärtig geworden. Doch warum zieht das Böse so viele Menschen an?

Die Anziehungskraft des Bösen

Wenn man sich die Geschichte anschaut, war das Interesse an besonders schauderhaften, wahren Kriminalgeschichten schon immer vorhanden. Der Grund, warum wir heute glauben, dass das Interesse an diesem Thema grösser sei, ist aus meiner Sicht die rasante Vermehrung verfügbarer Medien aller Art. Aufgrund des Internets ist das Angebot zu jedem denkbaren Thema deutlich gewachsen.

Schaurige Geschichten haben schon immer das Interesse von Menschen auf sich gezogen. Einerseits erregen Wahrnehmungen, die mit Gefahr verbunden sind, aus evolutionären Gründen unwillkürlich unsere Aufmerksamkeit. Gefahrenquellen schnell wahrzunehmen und einzuschätzen, kann ein Vorteil sein. Dies ist wahrscheinlich auch der evolutionäre Grund für das Phänomen der Gaffer an Unfallorten.

Ausserdem ist der Konsum von Inhalten, die mit der Empfindung des «Gruselns» verbunden sind, für viele Menschen tendenziell angenehm. Diese Empfindung ist mit der Ausschüttung von Adrenalin und Glückshormonen verbunden. Der entscheidende Unterschied zur unangenehmen Empfindung von Angst ist, dass Gruseln in einem sicheren Kontext erlebt wird, es besteht in dieser Situation keine reale Gefahr für die Person, und sie hat die Kontrolle darüber.

Psychologische Aspekte der Faszination

Psycholog:innen auf der ganzen Welt widmen sich diesem Thema. Laut dem Gerichts-Psychiater Reinhard Haller können solche Verbrechen unterschiedliche Gefühle in uns auslösen:

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Psychologie pur: Es geht um Eifersucht, Gier, Kränkung, Hass, Leidenschaft

Gegenüber der "Neuen Züricher Zeitung" meint Haller, dass es darum ginge, die dunklen Seiten der eigenen Persönlichkeit zu entdecken, derer wir uns zu einem großen Teil gar nicht bewusst sind. Auch der Medienwissenschaftler Andreas Rauscher, der an der Universität Freiburg lehrt, stellt eine natürliche Neugierde fest. "Einerseits liegt die Faszination darin begründet, dass es sich um reale Fälle handelt. Andererseits hat es den Grund, dass man versucht, diese Tat nachzuvollziehen. Ähnlich wie ein Profiler."

Er führt fort, dass es sich um eine Mischung aus Voyeurismus und Abschreckung handele. Das Publikum wird unaufgefordert dazu eingeladen, selbst zu einem Teil der Ermittlungen zu werden: "Das geht bei den realen Fällen besonders gut. Man kann wie ein Profiler selbst ein Psychogramm erstellen. Aus der Fülle an Informationen, die auch neben der Serie oder dem Podcast existieren, weiß man, wie die Person vermeintlich getickt hat und was ihre Motive gewesen sein könnten."

Welche familiäre Vorgeschichte gibt es? Was ist der Lebenslauf des Serienmörders? Wie ist sein sozialer Hintergrund? Welche Motive liegen vor? All diese Fragen beschäftigen Außenstehende.

True Crime und Geschlecht: Warum schauen Frauen mehr True Crime als Männer?

Es macht den Eindruck, dass Frauen mehr True-Crime-Medien konsumieren als Männer. Es wird international berichtet, dass Frauen mehr True-Crime-Bücher kaufen und auch entsprechende Sendungen und Podcasts stärker konsumieren als Männer.

Allerdings gibt es bis heute keine sichere Antwort auf die Frage nach dem Warum, lediglich Hypothesen. In der erwähnten Studie wurde als Interpretation der Ergebnisse angeboten, dass Frauen sich einen praktischen Nutzen vom True-Crime-Konsum versprechen würden. Demzufolge würden sie sich gewissermassen durch den Konsum davor schützen wollen, selbst zum Verbrechensopfer zu werden.

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Es könnte durchaus sein, dass das stärkere True-Crime-Interesse bei Frauen mit einem generell stärkeren Interesse für Menschen und Psychologie zusammenhängt. In Ermangelung an umfassenden Forschungsergebnissen gibt es aber keine gesicherte Erklärung. Daher würde ich mir deutlich mehr Forschung in diesem Bereich wünschen.

Die dunkle Seite der Faszination: Hybristophilie

Neben der sogenannten morbiden Neugier gibt es sogar Menschen, die sich in Serienmörder:innen verlieben. Dies wird in der Fachsprache als Hybristophilie beschrieben, die griechische Bedeutung für "Zuneigung zu einem Übeltäter". Es gibt zahlreiche Geschichten von Personen, die Serienmörder:innen Briefe ins Gefängnis schicken - ganz gleich, wie grausam die Verbrechen waren, die sie begangen haben.

Zum einen kann die Macht anziehend wirken, die die Serienkiller:innen im Moment ihrer Tat besaßen. Zum anderen steckt dahinter die Sehnsucht nach jemandem, der nicht einfach weglaufen kann. Typische Beziehungsprobleme rücken derart in den Hintergrund, dass ein Verhältnis mit einem Inhaftierten durchaus anziehend wirkt. Dass es normalerweise keine gemeinsame langfristige Perspektive gibt, beflügelt die Bindung sogar mehr, als dass es ihr schadet.

Man kann anhand der darin dargelegten Fallbeschreibungen feststellen, dass scheinbar viele der Frauen selbst im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Misshandlungen - bis in ihre Kindheit zurückreichend - erlebten. In diesem Zusammenhang besteht die Hypothese, dass diese Frauen unbewusst durch den romantisierten Kontakt mit Tätern Kontrolle wiedererlangen und sich aufwerten wollen. Solange der Täter in Haft sitzt, hat eine solche Frau schliesslich sowohl eine persönliche Sicherheit, als auch die Kontrolle über die Beziehung, da sie entscheidet, ob und wann sie schreibt, etwas schickt, ihn besucht.

Die Perspektive der Kriminalpsychologin

Als Kriminalpsychologin beschäftigen Sie sich einen Grossteil Ihres Alltags mit Mord und Totschlag. Ich wollte von Anfang an wissen, warum sich bestimmte Taten und Tätertypen auf der ganzen Welt, in allen Zeiten und Kulturen wiederholen. Antworten fand ich in der Psychologie, die das Fühlen, Denken und Handeln von Menschen wissenschaftlich messbar und erklärbar macht.

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Ich sehe Verbrechen eher abstrakt als Logikrätsel - wie ein Sudoku. Durch die eher analytische Perspektive belastet mich all das, was ich weiss und gesehen habe nicht übermässig emotional. Die direkte Arbeit mit Straftätern und Straftäterinnen im therapeutischen Kontext ermöglicht mir, viele Fälle sehr ausführlich betrachten zu können und diese Fälle wiederum mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die uns bereits vorliegen, zu verbinden. Dadurch lerne ich immer wieder dazu und trage - wie meine Kollegen und Kolleginnen - dazu bei, Verbrechen zu verhindern. Durch Fortbildungen, die ich beispielsweise für die Polizei anbiete, kann ich das Wissen wiederum weitergeben, um auch zur Aufklärung von Verbrechen beizutragen.

Die Chemie des Schreckens: Hormone im True-Crime-Konsum

Ein True-Crime-Produzent ist wie ein Barkeeper, der unserem Körper einen verlockenden Cocktail mischt. Die Zutaten sind Hormone: Adrenalin, Endorphin und Dopamin. Aimee Daramus, US-Neurologin und klinische Psychologin, die zu True Crime forscht, erklärt im Interview mit dem Onlineportal Bustle, dass unser Gehirn beim Ansehen von True Crime - ähnlich wie bei Horrorfilmen - jede Menge Adrenalin ausschüttet. In einem echten Notfall macht uns das Hormon stärker und schneller. Wenn wir nur auf dem Sofa sitzen, sorgt es dafür, dass wir uns wie wahnsinnig auf den Verlauf der Story freuen.

In jeder Angst- oder Stresssituation setzt unser Gehirn Endorphine frei. Sie bescheren uns ein kleines High, lindern Schmerzen und machen dadurch alles erträglicher. Das Verrückte: Unser Angstsystem, das in der Amygdala im Gehirn sitzt, unterscheidet nicht merklich zwischen Imagination und Wirklichkeit - es reagiert bei Filmen also ähnlich wie im realen Leben. Natürlich gilt aber: Je echter uns eine Situation erscheint, desto mehr wird die Amygdala aktiviert. Auch Endorphine sind Teil des True-Crime-Erfolgsrezepts. Sie wirken wie «milde Opiate», so die Expertin. Sie beruhigen uns, wenn der Nervenkitzel zu gross wird. Wie opioide Schmerzmittel können sie uns aber auch ein bisschen süchtig machen.

Zusätzlich produziert unser Gehirn beim Schauen oder Hören von True-Crime-Storys auch die Glücks- und Wohlfühlhormone Dopamin und Serotonin, was laut Neurologin Daramus eine «ziemlich verrückte Kombination» ergibt. Wenn die Gefahrensituation (im Film) vorbei ist, ebbt das Angstgefühl sofort ab - die Endorphine und Dopamine schwirren allerdings noch eine Weile durch unsere Blutbahn. Wir vergessen schnell, wie schlimm es sich angefühlt hat und wollen mehr.

Die Rolle der Neugier und Empathie

Auch unsere Neugier spielt eine grosse Rolle. «Es ist uns Menschen angeboren, dass wir uns für die Geschichten anderer interessieren», meint der Medienpsychologe Raymond Mar. Die meisten Menschen würden ja glücklicherweise nie erfahren, wie es ist, einen Mord oder ein abscheuliches Verbrechen zu begehen.

Vor allem die Erfahrungen der Opfer spielen für sie oft eine grosse Rolle. Wenn also ein Buch, eine Serie oder ein Podcast aufschlüsselt, wie jemand entkommen konnte, oder Informationen über die psychologischen Motive eines Mörders enthält, was ihn zum Töten veranlasste, auf welche Warnzeichen man achten muss - hatten Frauen mehr Interesse daran. Vicary zufolge, zieht True Crime Frauen so an, weil sie so lernten, wie man einem Täter entkommt. Oder wie man Anzeichen erkennt, auf die man bei jemandem achten sollte. Deshalb ziehe es uns an, wenn wir so etwas sehen oder hören. «In gewisser Weise handelt es sich also um eine Art stellvertretende Psychologie». Wir schlüpfen in das Leben einer Person, mit der wir sonst nichts zu tun haben.

Die dunkle Seite der menschlichen Natur

Und es gibt noch einen Grund für unsere Faszination: «Natürlich bewerten wir brutale Morde auf rationaler Ebene als abscheulich. Es ist aber auch ein Erbe der Evolution, dass die Ausübung von Gewalt mit Hochgefühlen verbunden ist», schreibt der deutsche Psychologe Prof. Dr. Unter unseren Vorfahren setzten sich in erster Linie jene durch, die das Töten von Raubtieren und Feinden besonders berauschte. Einen Hang zur Lust an Gewalt sei ein stückweit in jeder und jedem von uns verankert.

Gut, dass wir sie heute nicht mehr ausüben müssen, sondern uns gemütlich auf der Couch Serien über Serienkiller anschauen können.

True Crime Konsum: Geschlechterverteilung
Medium Weiblich Männlich
Stern Crime (Leser) 81% 19%
Lydia Beneckes Vorträge (Zuschauer) ca. 66% ca. 34%
Englische True Crime Podcasts (Nutzer) ca. 66% ca. 34%

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