Tod der Mutter: Psychologische Aspekte und Umgang mit Trauer

Wut, Trauer, Schock, vielleicht auch - nach einer schweren Krankheit - ein Stück Erleichterung - all diese Gefühle können sich nach dem Tod eines Elternteils einstellen. Das einschneidende Erlebnis mit dem Tod und die Lücke, die der Tod hinterlässt, sind nicht immer leicht zu verarbeiten. Wichtig ist, die starken Emotionen nicht zu verdrängen, sondern zuzulassen. Das wissen wir. Und doch: Steht der Tod kurz bevor oder hat sich Mutter oder Vater bereits für immer verabschiedet, stehen wir unter Schock. Wie kann das sein, dass das Herz eines Menschen, den wir unser ganzes Leben lang kennen und - trotz aller Konflikte - auch lieben, nicht mehr schlägt?

Wie trauern Kinder?

«Wie der Prozess der Verarbeitung verläuft, ist sehr individuell und hängt von vielen Faktoren ab», erklärt die Psychotherapeutin Esther Huser aus Zürich. Eine Rolle spielt zum Beispiel:

  • Das Alter beim Verlust des Elternteils: Für Kinder wiegt der Verlust eines Elternteils besonders schwer. Denn je jünger ein Mensch ist, desto einschneidender ist der Tod von Mama oder Papa für seine Entwicklung. Auch junge Erwachsene leiden sehr. «Sie werden oft durch den Verlust aus ihrem Leben gerissen und finden manchmal nicht zurück», weiss Esther Huser.
  • Die Qualität der Beziehung: Wenn schwere Konflikte, die vielleicht bereits in der Kindheit wurzeln, die Beziehung zum verstorbenen Elternteil belastet haben, fällt es schwerer, den Tod zu akzeptieren. Nun gibt es keine Möglichkeit mehr, offene Gespräche und Nähe entstehen zu lassen.
  • Die Art und Weise, wie Vater oder Mutter gestorben sind: Der Tod kann friedlich daherkommen, er kann sich aber auch lange hinziehen und qualvoll werden. Je tiefer die traumatischen Spuren sind, die der Tod bei den Hinterbliebenen hinterlässt, umso schwerer haben sie es, mit ihm zurechtzukommen.
  • Der Zugang zu den eigenen Gefühlen: «Wesentlich ist auch, ob die Betroffenen eher gut mit eigenen Emotionen umgehen können - oder nicht», so Esther Huser. Gut umgehen - das bedeute: Gefühle wie Trauer, Wut oder Einsamkeit wahrzunehmen und ihnen einen angemessenen Platz im Leben zu bieten.

Trauer braucht Zeit

All diese Faktoren haben einen Einfluss auf die Dauer der Verarbeitung. Bei manchen Menschen vergehen Wochen, bei anderen Jahre. Andere setzen sich ihr ganzes Leben lang immer wieder mit dem Tod des Elternteils auseinander. Eine Vorgabe, wie lange sich ein solcher Prozess hinziehen darf, gibt es nicht. Doch wäre es in vielen Fällen ideal, wenn Hinterbliebene sich zunächst nur um sich und den verstorbenen Menschen kümmern könnten. Dafür bräuchten sie befreundete oder verwandte Personen, die sämtliche Alltäglichkeiten übernähmen. Die Hinterbliebenen hätten Zeit, je nach Bedürfnis allein oder mit anderen zu sein, zu weinen und sich Fotos anschauen.

Die wichtigste psychologische Strategie

Es gibt eine besonders wichtige psychologische Strategie, mit dem Verlust eines Elternteils umzugehen. «Sie besteht darin, die innere Trauer zuzulassen», erklärt Esther Huser. Das fällt gerade am Anfang schwer, denn kurz nach einem Todesfall ist in der Regel viel zu organisieren: die Beerdigung vorbereiten, möglicherweise den verbliebenen Elternteil unterstützen, den Haushalt auflösen, das Testament einreichen. Esther Huser: «Dabei gilt es, in all diesen Aktivitäten Menschen, Orte und Situationen zu finden, mit denen und in denen die eigene Trauer Platz hat.» Jeder Mensch dürfe so trauern, wie sich die Gefühle aufdrängen: zum Beispiel wie gelähmt nur herumsitzen, stark weinen oder immer wieder über die verstorbene Mutter oder den verstorbenen Vater sprechen. «Hilfreich ist auch, Rituale vorzubereiten, um mit dem Tod umzugehen», weiss Esther Huser.

Trostspendende Rituale können sein:

  • An einem Ort, an dem sich der verstorbene Mensch gern aufhielt, etwas pflanzen und pflegen.
  • Einen Ort, an dem der verstorbene Mensch gern war, zu verschiedenen Zeiten des Jahres fotografieren.
  • Sich vorstellen, wie der Elternteil noch immer im Alltag vorhanden ist, ihm beim Verlassen des Hauses zum Beispiel zuwinken.

Negative Gefühle und Gedanken verabschieden

Nicht immer wird das emotionale Erbe, das der verstorbene Mensch hinterlässt, als überwiegend positiv empfunden. Wie lässt sich mit alten Konflikten und Verletzungen sinnvoll umgehen? Um den eigenen Schmerz auszudrücken, hilft um Beispiel:

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  • Einen letzten Brief schreiben, in dem Ungesagtes seinen Platz hat.
  • Die Schmerzen und ungesagten Worte symbolisch in eine Schachtel packen und diese dann auf geeignete Weise aus seinem eigenen Leben entfernen.

Zurück in den Beruf?

Viele Menschen sind froh, wenn sie sich von den Gefühlen, die der Tod eines Elternteils auslöst, ablenken können. Der berufliche Arbeitsalltag kommt ihnen dann gerade recht. «Andere dagegen können sich nach einem Todesfall in der Familie nur schlecht konzentrieren, sind antriebslos oder müssen viel weinen.» Esther Huser rät in diesen Fällen, einen Arzt aufzusuchen und ihm die Situation zu erklären. Alternativ liesse sich mit dem Arbeitgeber besprechen, ob es möglich ist, im Homeoffice zu arbeiten oder einige Tage Ferien zu nehmen, um die akute Phase der Trauer zu überstehen. Einen Sonderurlaub für Trauernde gibt es leider nicht - in der Regel nur einen freien Tag für die Beerdigung eines nahen Verwandten.

Manchmal ist professionelle Hilfe sinnvoll

Die Gefühle sind so stark, dass sie kaum auszuhalten sind? Oder sie sind einfach verdrängt? Nicht nur in diesen Fällen wird professionelle Hilfe notwendig. Esther Huser: «Wichtig ist sie vor allem auch dann, wenn die Trauer nicht vergeht - oder mit der Zeit sogar immer stärker wird.» In einer Therapie lassen sich starke Schuldgefühle und/oder ein traumatischer Tod aufarbeiten, um sich nach und nach vollständig dem eigenen Leben zuzuwenden.

Wie geht man mit Trauernden um?

Wer einen geliebten Menschen verloren hat, braucht Trost. Am Anfang vor allem Gesellschaft. Reden und Weinen hilft, die ersten Tage und Wochen zu überstehen. Angehörige unterstützen Trauernde also am besten, indem sie da sind und ihnen zuhören - oder auch mal ein längeres Schweigen aushalten. Auch dem Umfeld wird also etwas Energie abverlangt - und der Wille, sich einer ungemütlichen und schmerzhaften Realität zu stellen. Immerhin muss man nicht den Anspruch an sich haben, stets stark bleiben zu müssen. Wichtig ist aber, die Initiative zu ergreifen und auf die betroffene Person zuzugehen.

Wer um einen geliebten Menschen trauert, verliert erst einmal den Boden unter den Füssen. Alltägliche Aufgaben können zu einer Herausforderung werden, die kaum zu meistern ist. Wieso also nicht konkrete Hilfe anbieten? Zum Beispiel kochen oder Papierkram regeln. Grosse Worte braucht es dafür nicht. Ein simpler Spaziergang kann die trauernde Person - zumindest vorübergehend - aus ihrem Kummer herausholen. Manchmal hilft es auch, ihr alltägliche Entscheidungen abzunehmen. So tun, als wäre nichts geschehen, ist keine gute Idee. Im Zweifel ist es besser, die trauernde Person direkt auf ihren Verlust anzusprechen. Denn er geht ihr sowieso im Kopf herum. Auch wenn sie dadurch an ihren Schmerz erinnert wird, kann sie ihn so besser äussern und verarbeiten. Natürlich braucht es hier etwas Fingerspitzengefühl für das richtige Timing.

Eine nahestehende Person leiden zu sehen, tut weh. Dabei fühlen wir uns oft hilflos. Denn wir wünschen uns für sie, dass sie ihre Trauer möglichst schnell überwindet und wieder lachend durchs Leben geht. Deshalb versuchen wir es - selbstverständlich mit den allerbesten Absichten - mit vermeintlich aufmunternden Worten. Wir benutzen Floskeln wie «Es ist besser so», «Zeit heilt alle Wunden» oder «Das ist der Lauf des Lebens». Vielleicht suchen wir sogar nach einer Rechtfertigung für das, was passiert ist. Oder wir vergleichen es mit etwas noch Schlimmerem. Oder wir zeigen der trauernden Person die Vorteile des neuen Lebensabschnitts auf. Auch wenn das alles zutreffen mag - jetzt ist nicht die Zeit dafür. Es verletzt die trauernde Person womöglich noch mehr. Denn ihr Leid ist ihre aktuelle Realität. Es ist deshalb heikel, Sprichwörter oder allgemeine Weisheiten von sich zu geben.

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Die meisten Trauernden bekommen am Anfang viel Unterstützung. Sie flacht dann aber bald ab. Nach ein paar Wochen gehen wir davon aus, dass das Gröbste überwunden ist - ein Trugschluss. «Häufig ziehen sich Angehörige zu schnell zurück», sagt Psychologe Andreas Maercker. Die Trauer klingt aber erst ab, wenn die Zeit dafür reif ist. Und diese Zeit sollten wir der trauernden Person lassen und sie - wenn wir es denn wollen - auf dem ganzen Weg begleiten. Es bringt meist nicht viel, sie aufzufordern, endlich zu vergessen, sich zusammenzureissen, nach vorn zu blicken oder tapfer zu sein. Natürlich verlangt niemand von einem, rund um die Uhr für die betroffene Person da zu sein. Es kann - je nach Situation - genauso angebracht sein, wie gemeinsam zu weinen. «Der psychische Trauerprozess hat etwas Bittersüsses», sagt Psychologe Andreas Maercker.

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