Kinder und Jugendliche mit einem psychisch erkrankten Elternteil sind mehr Belastungen ausgesetzt und haben ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst psychische Störungen zu entwickeln. Weltweit sind ca. 15 bis 23% aller Kinder betroffen, auf die Schweiz übertragen entspricht dies ungefähr 300‘000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.
Psychische Gesundheit im Kontext von Belastungen und Ressourcen
Psychische Gesundheit ist nicht ein Zustand, sondern entsteht durch vielfältige und dynamische Wechselwirkung zwischen Ressourcen und Belastungen eines Individuums. Sowohl die Intensität und Häufigkeit von Belastungen (Stressoren), die individuelle Vulnerabilität, als auch die verfügbaren Ressourcen (Stärken, Schutzfaktoren) spielen dabei eine Rolle, um Stresssituationen zu bewältigen. Im Kontext der psychischen Gesundheit Erwachsener wird diese unterdessen auch als «well-being» mit verschiedenen Dimensionen bezeichnet, meint also emotionales, psychisches und soziales Wohlbefinden.
Im günstigsten Fall umfassen diese positiven Emotionen: Glück, Lebenszufriedenheit, das Erkennen und Ausschöpfen eigener Fähigkeiten und stabile, förderliche Beziehungen mit anderen sowie ein Beitrag zur Gemeinschaft. Kinder und Jugendliche sind im Hinblick auf ihr Wohlbefinden - abhängig von ihrem Entwicklungsalter - sehr auf feinfühlige, liebevolle und stabile Bezugs- und Betreuungspersonen, auf Geborgenheit und förderliche Umgebungsbedingungen angewiesen.
Diese ermöglichen ihnen, altersentsprechende Lebenserfahrungen zu machen, daher kommt in diesem, gewissermassen «abhängigen», Lebensalter dem psychosozialen Kontext eine besondere Bedeutung zu. Psychische Störungen beeinträchtigen die Wahrnehmung, das Denken und die Emotionen. Sie wirken sich auf das Erleben und Verhalten der Betroffenen aus.
Betroffene Personen leiden häufig selbst darunter, allerdings fehlt Kindern und Jugendlichen, abhängig vom Entwicklungsalter, unter Umständen (noch) die Fähigkeit, ihre Wahrnehmung und ihr Empfinden so zum Ausdruck zu bringen, dass sie von den Eltern resp. von ihrem Umfeld richtig «gelesen und interpretiert» werden. Auch erfahrenen Fachpersonen fällt dies im Übrigen nicht immer ganz leicht.
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Eigentliches Leiden und Behandlungsbedarf ergibt sich in der Regel dann, wenn das Kind, die Eltern oder die Schule dies berichten und eine Abweichung des gewohnten Verhaltens feststellen resp. die Partizipation im Alltag und die Leistungsfähigkeit z.B. in der Schule eingeschränkt ist.
Auswirkungen einer elterlichen psychischen Erkrankung auf Kinder
Gemäss verschiedenen Studien ist die Wahrscheinlichkeit für Kinder, eine psychische Störung zu entwickeln, um den Faktor 3 bis 7 erhöht, wenn sie in einer Familie aufwachsen, in der ein Elternteil psychisch erkrankt ist. Kinder, die aufgrund einer schweren psychischen Belastung oder Störung beraten oder behandelt werden, stammen häufig aus Familien, in denen auch die Eltern von psychischen Belastungen oder Erkrankungen betroffen sind. Im Vergleich zu Kindern ohne psychische Erkrankung leben psychisch kranke Kinder deutlich häufiger in Familien mit schwieriger Familiendynamik (11.7 vs. 28.3%).
Das Erkrankungsrisiko eines Kindes mit einem schizophrenen Elternteil erhöht sich vom Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (1 Prozent) auf ca. 13 Prozent. Bei einer schizophrenen Erkrankung beider Eltern erhöht sich das lebenslange Risiko für ihre Kinder, selbst eine solche Störung zu entwickeln, sogar auf etwa 40%. Das Risiko für eine Depression ist bei elterlicher depressiver Erkrankung etwa um das zwei- bis sechsfache erhöht. Etwa 60% der Kinder von Eltern mit einer Depression entwickeln im Verlauf der Kindheit und Jugend eine psychische Störung.
Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil stellen eine sehr heterogene Gruppe dar. Für die Familie und speziell für die Kinder ist es von grosser Bedeutung, welcher Elternteil von der Erkrankung betroffen ist, wie lang sie besteht und auf welche Weise sie sich auf die familiären Beziehungen, die Kommunikation und nicht zuletzt auf die Alltagsorganisation auswirkt. Deutlich häufiger als alleinerziehende Väter übernehmen alleinerziehende Mütter trotz psychischer Erkrankung Kinderbetreuungsaufgaben. Nicht selten müssen sie zudem den Lebensunterhalt für die Familie verdienen.
Ein Klinikaufenthalt einer Mutter mit jüngeren Kindern bringt gravierende Veränderungen mit sich, insbesondere, wenn die Mutter alleinerziehend ist. Das familiäre Netzwerk ist, wie oben dargestellt, extrem gefordert. Nicht immer können Grosseltern, enge Freunde oder Nachbarn einspringen. Freiwillige oder professionelle Entlastungsdienste und die Angebote der Kindes- und Jugendhilfe bieten häufig keine lückenlose Tagesbetreuung an.
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Die Auswirkungen einer elterlichen psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung sind unspezifisch. Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen ist es möglich, Kinder, Jugendliche und Eltern auf besondere Belastungen anzusprechen. Es ist hilfreich, auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung konkret nachzufragen, wie der Alltag läuft, resp. was sich Kinder und Eltern konkret anders wünschen würden, wer zu Hause welche Aufgaben übernimmt, ob und wie das jeweils funktioniert. Nach einer Geburt lohnt sich der Austausch mit der Mütter-/Väterberatung resp. mit den Hebammen. Sie erleben Kinder und Familien direkt im familiären Umfeld und können auf Belastungen und Unterstützungsbedarf hinweisen. Die Häufigkeit einer postpartalen Depression beträgt für Mütter ca. 15%, für Väter ca. 10%. Es ist wichtig, auch die Väter in die Beratung einzubeziehen und zu gemeinsamen Gesprächen einzuladen.
Kinder von Eltern mit Persönlichkeitsstörungen und Abhängigkeitserkrankungen sind offenbar am meisten gefährdet. Insbesondere Kinder von Müttern mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden unter den Auswirkungen der mütterlichen Erkrankung. Von einer elterlichen psychischen Erkrankung betroffene Kinder zeigen auch häufiger Verhaltensauffälligkeiten und Störungen im sozialen, emotionalen und kognitiven Bereich.
Young Carers
Eine repräsentative Erhebung für die Schweiz aus dem Jahr 2017 zeigte, dass 7,9% der befragten 3991 Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 15 Jahren regelmässig und massgeblich Verantwortung für die Betreuung und Pflege einer nahestehenden Person übernehmen. International werden Minderjährige in vergleichbarer Lebenssituation als Young Carers bezeichnet. Sie bilden je nach Alter und familiärer Konstellation bei elterlicher psychischer Erkrankung eine Schnittmenge mit weiter oben genannten Gruppen. Young Carers können auf verschiedene Weise unterstützt werden, z.B. über direkte Aufklärung und Informationen, praktische Alltagshilfen und Beratungen oder indirekt über Leistungen an die zu unterstützende Person bzw. das gesamte Familiensystem. Zudem äussern Young Carers in der Schweiz den Wunsch nach mehr Akzeptanz durch Fachpersonen.
Herausforderungen im Familienalltag
Bei einer psychischen Erkrankung eines Elternteils entstehen viele Fragen und Unsicherheit in Bezug auf die Organisation des Familienalltags. Manche Familien können auf ein funktionierendes Netzwerk im privaten oder öffentlichen Bereich zurückgreifen und erhalten von dort eine ihrer Lebenslage und derzeitigen Lebenssituation entsprechende Unterstützung. Das hängt mitunter sehr stark vom Erkrankungsstadium ab. Bei einer Erstmanifestation sind oft noch innerfamiliäre Ressourcen vorhanden. Sobald sich ein chronischer Krankheitsprozess etabliert, findet sich häufig ein zunehmend erschöpftes familiäres Unterstützungssystem.
Bei Alleinerziehenden fehlt oft die Einbettung der Familie in ein Verwandtschafts-, Freundes- und Nachbarsystem. Dieses fehlt dann auch bei Erkrankung oder elterlicher Trennung, Umzug und wirtschaftlichen Problemen. Bei Chronifizierung einer psychischen Erkrankung gewinnen Netzwerke aus dem öffentlichen Bereich mit zunehmender Komplexität der Probleme auf der sozialen, wirtschaftlichen und familiären Lebensachse an Bedeutung. Wenn keine oder eine unzureichende Vernetzung besteht, sich der betroffene Elternteil oder wie im obigen Beispiel die ganze Familie R. Partner, Angehörige und Kinder stehen diesen Prozessen häufig weitgehend hilflos gegenüber.
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Doch wollen und müssen Kinder und Jugendliche ihrem Alter und ihrem Wissensstand entsprechend informiert und in das häufig komplexe Management der elterlichen psychischen Erkrankung einbezogen werden. Jüngere Kinder wünschen sich Informationen durch den betroffenen Elternteil, Jugendliche hingegen bevorzugen den Einbezug und Informationen durch Fachpersonen in Praxis oder Klinik. Sie sind allerdings mitunter recht kritisch und befürchten, keine objektiven Informationen zu erhalten.
Psychisch erkrankte Eltern, Familien und ihre Kinder erhalten jedoch zumeist weder während des Spitalaufenthaltes, noch nach Entlassung entsprechende Informationen. Die beratenden und behandelnden Ärzte und Fachpersonen im Versorgungssystem für Erwachsene fühlen sich in erster Linie ihren Klienten verpflichtet, weniger deren Kindern, die sie häufig weder kennen noch in die Behandlung einbeziehen.
Hierbei kann es hilfreich sein, altersadäquates Aufklärungsmaterial, also themenspezifische Kinderbücher, Handpuppen, Plüschtiere, Broschüren oder auch Filmmaterial einzusetzen. Der Einsatz von Fragebögen kann orientierend Auskunft über kindliche Belastungen geben. Für die weitergehende Diagnostik sind Psycholog*innen oder die Kinder- und Jugendpsychiatrie beizuziehen.
Mit dem Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) lassen sich beispielsweise Verhaltensstärken und -auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 4 bis 16 Jahren erfassen. Der SDQ zeigte für die Eltern-, Lehrer- und Selbst-Versionen für Jugendliche eine hohe Korrelation mit längeren etablierten Fragebögen. Das Ausfüllen benötigt ca. fünf Minuten. In der pädiatrischen Praxis besteht im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen Gelegenheit, Eltern, in der Regel Mütter, auf individuelle und familiäre Belastungen, Schutz- und Risikofaktoren anzusprechen und auf professionelle Hilfen hinzuweisen.
Informationsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Informationsbedürfnisse, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt ist. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Punkte zusammen:
| Alter | Informationsquelle | Inhalte | 
|---|---|---|
| Jüngere Kinder | Betroffener Elternteil | Einfache Erklärungen, altersgerechte Beispiele | 
| Jugendliche | Fachpersonen (Praxis, Klinik) | Objektive Informationen, Einbezug in Behandlung | 
Unterstützungsangebote in der Schweiz
Mittlerweile gibt es in der ganzen Schweiz diverse Beratungs- Behandlungs- und Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien mit psychisch und suchterkrankten Eltern. An einigen psychiatrischen Einrichtungen für Erwachsene (z.B. Königsfelden) wurden Sprechstunden für Angehörige und Kinder eingerichtet, die eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammenarbeiten (z.B. Chur, Luzern). Zudem existieren Elterngruppen (z.B. in Bern, Zürich, Winterthur) oder integrierte Eltern-Kind-Angebote für Mütter mit Säuglingen und Kleinkindern (z.B. Affoltern) und für Mütter/Väter mit Vorschulkindern bis max. 5 Jahre (z.B. Münsterlingen).
Der Kanton Waadt hat mit ZigZag Plus ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Kinder von psychisch erkrankten und suchtkrankten Eltern aufgebaut, das auch in den Kantonen Fribourg, Neuchâtel und im Wallis etabliert werden soll. Die Stiftung As’trame bietet in fast der gesamten Westschweiz unter anderem Unterstützung für Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung an. Le Biceps (Dienst der BCAS-Stiftung) begleitet seit 2001 in Genf Kinder, die in ihrer Familie mit psychischen Leiden konfrontiert sind.
Borderline im Familienrecht
Borderline (oder auch die emotional instabile Persönlichkeitsstörung) wird oft verwandt, um gegen (vorallem Frauen sind zu 70% von dieser Störung betroffen) zu schießen. Dabei ist eines wissenschaftlich klar: Die Diagnose des Typus nach ICD F60.31 ist eine Unterform der Emotional instabile Persönlichkeitsstörung.
Pädagogen behaupten das einfach, und Gerichte folgen dem. Oft wird auch nur die Vermutung geäußert oder statt einer Diagnose die Persönlichkeitsakzentuierung genutzt, um Mütter zu diskreditieren.
Eigentlich wie immer: Erst einmal den Sachverhalt klären. Wenn nicht die 5 von 9 Merkmalen behauptet werden, liegt schon kein Grund für nähere Abklärung vor. Zudem kann man natürlich ein psychiatrisches Attest von einem Vertrauensarzt vorlegen und Bestätigungen von Nahestehenden, wenn und ob Kriterien für diesen Typus Persönlichkeitsstörung vorliegen.
In einem Sorgerechtsbeschluss nach §1666 BGB muss sich das Gericht konkret mit den Fragen auseinandersetzen, wobei Vermutungen i.d.R. nicht ausreichen. Es müssen daher mindestens 5 der Merkmale genannt sein und die Auswirkungen auf das Kind. Denn: es ist eine konkrete Nennung der Kindswohlgefahr nötig.
Therapievereinbarung schließen und nachweislich einhalten. Wichtig: Lasst Euch dies regelmäßig bestätigen. Wenn Medikamentation notwendig ist: Regelmäßig einnehmen und dies belegen!Notwendige (selbstdruck) Selbstverletzungen immer so durchführen, dass die Kinder nichts mitbekommen können UND sich danach dem Therapeuten offenbaren. Überhaupt Verschlechterungen selbst erkennen und mit dem Behandler oder Therapeuten ansprechen.
Wichtig dabei immer, dass alles auf Papier dokumentiert ist um es beim Gericht vorlegen zu können.
Die Geschichte von Martina B.
Martina B. (Name der Redaktion bekannt), einst selbst eine Betroffene und heute dreifache Mutter, erzählt, wie es war, unter solchen Bedingungen gross zu werden und inwiefern das ihr Leben prägte.
Sie war oft voller Fantasie und Kreativität. Das hat mich ein Stück weit auch gerettet. Doch die gute Stimmung konnte jeden Moment kippen, ich wusste aber nie wann. Meine Mutter konnte völlig zusammenbrechen, weil ich ein Glas umstiess, manchmal aber auch ohne ersichtlichen Grund. Dann beschämte und erniedrigte sie mich, bis hin zu Suizid-Drohungen.
Kinder beziehen ja alles auf sich, was sie nicht einordnen können. Einerseits, weil sie noch so egozentriert sind. Anderseits, weil es viel weniger schmerzvoll ist, Schuld auf sich zu laden, als die Person, die man so abhängig liebt, infrage zu stellen. Falsche Verantwortung zu tragen, kann ein Werkzeug gegen die Ohnmacht sein, hat aber oft lebenslängliche Folgen.
Mein Vater hat sich in seine Erfolge im Aussen geflüchtet. Er hat es nicht geschafft, sich seiner kranken Frau zuzuwenden. Die Verantwortung für ihr Befinden lag auf meinen Schultern. «Doch wenn die Türe zufiel, war da oft nur die blanke Hölle.»
Wir waren eine sehr angesehene Familie. Mein Vater ein beliebter Lehrer im Dorf, meine Mutter immer für alle da. Unsere Familie schien mustergültig. Doch wenn die Türe zufiel, war da oft nur die blanke Hölle. Diese Diskrepanz war es, die mich immer mehr an meiner Wahrnehmung zweifeln liess. Bis heute ist es für mich schwierig, dieser zu trauen. Wahrscheinlich bin ich darum Fotografin geworden, um meine Sicht zu materialisieren.
Kaum, selbst an guten Tagen nicht. Denn eigentlich waren die Ausbrüche nur das Topping meines ständigen Beobachtens und Scannens der Lage, um mich entsprechend zu verhalten und Schlimmeres zu verhindern. Ich musste «richtig» sein, ohne dass es ein Richtig gab. Es war dieses latente Klima der Unberechenbarkeit, das hauptsächlich verhinderte, einfach mich selbst zu werden. Das fragile System meiner Mutter brauchte mich als einen Teil von ihr. Sie forderte meine Kraft, doch wenn ich diese auslebte, war diese wiederum eine Bedrohung für sie.
In den Wald flüchten. Da fühlte ich mich sicher. Und ich schrieb ihr ständig Briefe, wie toll sie ist und wie gerne ich sie habe. Im Glauben, ich muss nur lieb genug sein, dann hört der Wahnsinn auf. Aber das tat er natürlich nicht. Denn meine Mutter war das, was man heute eine Borderline-Persönlichkeit nennen würde.
Allerdings hatte sie nicht die Kapazität, sich diesen zu stellen und projizierte sie auf mich. Das ist auch der Grund, warum ich zur Verfechterin geworden bin, sich unseren Verletzungen zu stellen - so unbequem das manchmal auch ist. Denn tun wir es nicht, geben wir sie an die nächste Generation weiter.
Nebst wiederkehrenden Depressionen und Erschöpfungszuständen war auffällig, dass ich ständig Beziehungen hatte, in denen ich jemanden retten wollte. Ich hatte grosse Probleme mit Nähe und Distanz und löste dieses Dilemma, indem ich mich lange nur auf Männer einliess, die sich nicht binden konnten oder mich ausbeuteten. Denn damit konnte ich umgehen, das war mir vertraut. Diese Art von Beziehung gaukelte mir zudem vor, ich selbst hätte kein Problem mit Bindung. Dass dem aber nicht so war, merkte ich erst, als ich mit meinem jetzigen Mann zusammenkam, der mich liebte, wie ich war. Und obwohl ich mir genau das so sehr gewünscht hatte, brachte es mich völlig ins Straucheln. Ich wusste schlicht nicht, wie Liebe ohne Missbrauch geht.
Ihnen kommt sicher zugute, dass ich mich bereits vor ihrer Geburt sehr mit meiner Geschichte auseinandersetze. Hätte ich diese - manchmal echt schwere - Arbeit nicht geleistet, hätte ich womöglich alles eins zu eins an sie weitergeben. Bei der Erziehung ist mir wichtig, dass die Kinder ihre Gefühle ernstnehmen und sie wissen, dass wir als Eltern selber zu uns schauen und es nicht ihre Aufgabe ist. Dieser Weg ist allerdings immer auch ein Kraftakt, der viel Bewusstheit von mir abverlangt, da ich ja gegenteilige Muster in mir trage. Auch ist es nicht immer einfach, in einer solchen Dichte von Beziehungen zu leben, weil mein Seismograf noch immer zu schnell ausschlägt, obwohl alles gut ist. Gleichzeitig bedeutet das bewusste Gestalten von Beziehungen auch viel Heilung. Auf diese Weise werden erlernte Muster nicht an die nächste Generation weitergegeben.
tags: #Borderline #Mutter #Sohn #Beziehung