Regelmässige Spaziergänge können das Risiko für Depressionen deutlich reduzieren. Eine entsprechende Auswertung von Studien mit rund 96'000 Probanden, veröffentlichten Bruno Bizzozero-Peroni und seine Co-Autoren von der Universität von Kastillien-La Mancha in Spanien in der Online-Publikation der Amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA Network Open).
Die Frage sei deshalb gewesen, ob objektiv gemessene Schritte pro Tag in einem Zusammenhang mit Depressionen bei Erwachsenen stehen könnten. Analysiert wurden 33 Studien, in denen die täglich absolvierten Schritte mit Geräten gemessen wurden. Daten von 96'173 Probanden standen damit zur Verfügung.
Die wichtigsten Ergebnisse der Analyse
- Mit einem Plus von 1000 Schritten pro Tag verringerte sich die Häufigkeit auftretender Depressionen um jeweils neun Prozent.
 - Bei mehr als 7000 Schritten pro Tag kam es bei den Probanden im Vergleich zu Menschen, die weniger als 7000 Schritte pro Tag absolvierten, zu einer Verringerung des Depressionsrisikos um 31 Prozent.
 
Im Vergleich zu weitgehend sitzender Lebensweise (unter 5000 Schritte) brachten mehr als 10'000 Schritte pro Tag etwa eine Halbierung der Gefährdung, an einer Depression zu erkranken. In der systematischen Übersicht sei festgestellt worden, «dass höhere tägliche Schrittzahlen in Querschnitts- und Längsschnittstudien in der allgemeinen erwachsenen Bevölkerung mit weniger depressiven Symptomen in Zusammenhang stehen», fassten die spanischen Wissenschafter ihre Analyse zusammen.
Hintergrundinformationen zu Depressionen
Eine Depression ist eine verbreitete psychische Störung, die durch anhaltende traurige Verstimmtheit, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Interesselosigkeit, Verlust an Genussfähigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, geringes Selbstwertgefühl und Appetitlosigkeit gekennzeichnet sein kann [2]. Oft wird sie von Betroffenen als «Gefühl der Gefühlslosigkeit» beschrieben [3]. Sie unterscheidet sich von einer Trauer vor allem in der Stärke und Dauer der Symptome [2].
Depression ist weltweit eine der fünf Hauptursachen für Einschränkungen im Alltag [5]. Im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung weisen Personen mit einer Depression zudem ein erhöhtes Risiko für weitere Krankheiten auf, insbesondere Herzkreislauf- und metabolische Erkrankungen [6-9]. Auch sind Personen, die von einer Depression betroffen sind, unterdurchschnittlich aktiv und haben öfters einen sitzenden Lebensstil [10]. Dies kann sich wiederum negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirken [11, 12].
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Motivation - Hindernisse und Chancen
Depressionssymptome - wie schlechte Laune, Stress, Müdigkeit oder Motivationsmangel - sowie mangelnde soziale Unterstützung, werden als erhebliche Barrieren dafür angesehen, sich mehr zu bewegen [13, 14]. Hingegen ist der am häufigsten genannte Grund, sich mehr zu bewegen, die Verbesserung der allgemeinen körperlichen Gesundheit, gefolgt vom Abnehmen und einer Verbesserung von depressiven Symptomen. Das Aussehen, die Fitness und der verbesserte Schlaf spielen dabei auch eine wichtige Rolle [13]. So hat sich gezeigt, dass körperliche Aktivität schlechte Laune und chronische Müdigkeit verbessern kann [15, 16] und zudem mit einer besseren Stressbewältigung verbunden ist [17]. So kann ein Tugendkreis entstehen, der dazu führt, dass Bewegung sich selbst fördert und körperliche Aktivität längerfristig aufrechterhalten wird [22].
Sowohl genetische wie auch biologische und psychologische Faktoren können bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen [2]. Personen sind häufiger von einer Depression betroffen, wenn ein Zwilling oder Elternteil auch erkrankt ist. Traumatische Ereignisse, Verlustängste, negative Wahrnehmungen oder soziale Isolation können die Krankheit auch begünstigen.
Warum Bewegung helfen kann
Während körperlicher Aktivität werden verschiedene Hormone in den Blutkreislauf freigesetzt, wie etwa das Wachstumshormon, Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin oder Glukagon (der Gegenspieler von Insulin) [23]. Im Gehirn können erhöhte Konzentrationen von Endorphinen, Dopamin, Serotonin und Endocannabinoiden beobachtet werden [24-26]. Viele dieser Hormone haben einen direkten Einfluss auf das Gehirn und das Wohlbefinden. So kann sich schon eine einzelne Trainingseinheit positiv auf kognitive und emotionale Prozesse auswirken [28]. Auch der Wachstumsfaktor BDNF scheint involviert zu sein. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung und dem Überleben von Nervenzellen [29]. In depressiven Patientinnen und Patienten kann die Expression von BDNF vermindert sein [29], während Sport den BDNF-Spiegel erhöhen kann [30].
Darüber hinaus kann Bewegung bestimmte Hirnareale hemmen, die für Angstgefühle und negative Gedanken verantwortlich sind (siehe Infobox «die Hypofrontalitätshypothese») [31, 32]. Zum psychischen Wohlbefinden tragen auch soziale Faktoren, körperliche Fitness und positives Feedback bei [33, 34]; Aspekte, die mit Bewegung positiv beeinflusst werden können.
Die Hypofrontalitätshypothese
Die Hypofrontalitätshypothese besagt, dass die antidepressiven und angstlösenden Effekte von Bewegung durch eine Hemmung der übermässigen neuralen Aktivität im präfrontalen Cortex bedingt werden [31]. In anderen Worten: Körperliche Aktivität erfordert massive neurale Aktivität in Gehirnregionen, die für die Steuerung und Koordination von Bewegung verantwortlich sind, wie etwa motorische und somatosensorische Gehirnareale, sowie das Kleinhirn [35]. So bleiben weniger Ressourcen für andere Areale übrig, wie etwa im präfrontalen Cortex oder der Amygdala, die für Angstgefühle, negative Gedanken und das exzessive Nachdenken (Grübeln) verantwortlich sind [31, 32, 36, 37]. Bewegung macht so tatsächlich den Kopf frei.
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Verschiedene amerikanische und europäische Richtlinien für die Behandlung von Depressionen empfehlen deshalb, Bewegung zumindest als Ergänzung zu Antidepressiva oder der Psychotherapie in Erwägung zu ziehen [38, 39].
Die wissenschaftliche Evidenz für Bewegung als Prävention von Depression
Kann Bewegung einer Depression vorbeugen? Die neuste Metaanalyse von 49 beobachtenden Studien mit insgesamt 267'000 Teilnehmenden kommt zu dem Schluss, dass körperliche Aktivität, unabhängig vom Alter und der geografischen Region, vor dem Auftreten einer Depression schützt [40].
Die Chancen, an einer Depression zu erkranken, war dabei bei Jugendlichen um ca. 10 % und bei Erwachsenen und älteren Personen um ca. 20 % reduziert [40]. Auch hilft ein aktiver Lebensstil dabei, die Rückfallrate der depressiven Patientinnen und Patienten zu senken [41]. Bedeutend ist auch der Befund, dass Bewegung sowohl bei Personen mit niedrigem Risiko wie auch bei Personen mit einer genetischen Veranlagung präventiv wirkt [42].
In Studien ist der schützende Effekt von Bewegung schon bei 10-30 Minuten Bewegung pro Tag nachweisbar [43]. Mehr Aktivität scheint aber besser zu wirken [44]. Während das Depressionsrisiko mit weniger als 30 Minuten Bewegung pro Tag um etwa 10-20 % reduziert ist, so kann das Risiko mit 30 bis 90 Minuten pro Tag um 20-50 % gesenkt werden [43, 45]. Präventive Effekte zeigen sich aber bei einer Vielzahl von Aktivitäten, wie etwa Joggen, Tanzen, Fitnesstraining, Spazieren, Yoga oder Dehnen [42, 49].
Der entscheidende Punkt ist deshalb, sich regelmässig zu bewegen. Die Trainingsform und die Intensität scheinen dabei zweitrangig zu sein.
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Die wissenschaftliche Evidenz für Bewegung als Therapie von Depression
Wirkt Bewegung antidepressiv? Zu der Frage gibt es bereits mehrere Übersichtsarbeiten und Metaanalysen [15, 51-60]. Die wahrscheinlich umfassendste dieser Analysen ist dabei die Arbeit von Cooney et al. (2013) [60], die die Daten von 39 Interventionsstudien mit insgesamt 2’326 Patientinnen und Patienten analysiert haben. Die Autorinnen und Autoren kommen zu dem Schluss, dass Bewegung - verglichen mit einer Kontrollintervention - in moderatem Ausmass antidepressiv wirkt.
Zusammenfassend kann also der Einsatz von Bewegung bei der Behandlung von Depressionen, zumindest als Begleittherapie, empfohlen werden [65]. Noch nicht geklärt ist aber die Frage, welche Trainingsform die effektivste ist [60]. Trotzdem liefern Studien interessante Einblicke in die Wirksamkeit verschiedener Sportarten.
Mit Bewegung zeigt sich im Durchschnitt eine Verbesserung des BDI um etwa 7 Punkte und des HAMD um etwa 4 Punkte [15, 59]. Das entspricht einer Verbesserung um eine Einteilung, z. B. von einer mittelschweren zu einer leichten Form. Diese Grössenordnung ist von klinischer Bedeutung [68].
Vergleich mit anderen Therapien
Die Stimmungsverbesserung, die mit Bewegung erzielt werden kann, ist im Ausmass mit den Effekten von Antidepressiva vergleichbar. Dies zeigen drei Studien, die die Wirksamkeit von Bewegung mit Medikamenten verglichen haben [69-71]. Alle drei Studien berichteten, dass Bewegung und die Behandlungen mit Antidepressiva ähnlich wirksam waren. Bewegung scheint auch ähnlich effektiv zu sein wie eine kognitive Therapie [72-77] und effektiver als eine Lichttherapie [78].
Ein Vorteil von Bewegung gegenüber anderen Methoden ist, dass so zusätzlich zur Stimmung auch die körperliche Funktionsfähigkeit verbessert wird [71].
Das Ziel von 10.000 Schritten am Tag
Das Ziel von 10.000 Schritten am Tag wird oft als Maßstab für einen gesunden Lebensstil empfohlen. Das 10.000-Schritte-Ziel stammt ursprünglich aus Japan. In den 1960er Jahren führte ein japanisches Unternehmen, welches Schrittzähler herstellte, dieses Ziel als Marketingstrategie ein. Obwohl diese Zahl auf keiner spezifischen wissenschaftlichen Grundlage basiert, haben zahlreiche Studien seitdem bewiesen, dass 10.000 Schritte eine sinnvolle Benchmark für körperliche Aktivität darstellen können.
10.000 Schritte entsprechen in etwa acht Kilometern, abhängig von der individuellen Schrittlänge. Die durchschnittliche Schrittlänge eines Erwachsenen beträgt etwa 0,78 Meter. Basierend darauf entsprechen 10.000 Schritte etwa 7,8 Kilometern. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, ein Schrittzähler oder eine App zu verwenden, um die zurückgelegten Schritte genauer zu verfolgen und anzupassen.
Regelmäßiges Gehen verbessert die Herz-Kreislauf-Gesundheit, senkt den Blutdruck und reduziert das Risiko für chronische Krankheiten. Darüber hinaus trägt das tägliche Gehen zur mentalen Gesundheit bei. Es reduziert Stress, Angstzustände und kann sogar die Symptome von Depressionen lindern.
Wie man das Ziel erreichen kann
Beginne damit, dein aktuelles Schrittniveau zu bestimmen. Plane feste Zeiten für Spaziergänge ein, integriere mehr Bewegung in deinen Alltag und belohne dich für das Erreichen von Zwischenzielen. Auch im Büro lässt sich der Bewegungsspielraum erweitern. Wähle, wenn möglich, die Treppe statt des Aufzugs und parke weiter weg vom Eingang. Dies sind einfache Tricks, um mehr Schritte im Alltag zu integrieren. Statt kurze Strecken mit dem Auto zu fahren, versuche, sie zu Fuß zu bewältigen. Auch zu Hause kannst du mehr Schritte einbauen. Mach während des Fernsehens oder zwischen Haushaltsaufgaben kurze Gehübungen oder einfaches Umhergehen. Eine weitere Möglichkeit ist, Hausarbeiten wie Staubsaugen oder Gartenarbeit intensiver anzugehen.
Sport und Bewegung bei Krebserkrankungen
Sport und körperliche Aktivität spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Menschen mit Krebserkrankungen. Dabei kann Bewegung nicht nur das körperliche Wohlbefinden verbessern, sondern auch psychische Vorteile bieten und die Lebensqualität erhöhen. Die positiven Auswirkungen von Sport auf Krebserkrankungen sind vielfältig und durch Studien bestätigt, wobei regelmässige körperliche Aktivität während und nach der Behandlung eine wertvolle Ergänzung zur medizinischen Therapie darstellt.
Sportliche Betätigung kann helfen, die Ausdauer zu steigern und die allgemeine Fitness zu erhalten. Regelmässige Bewegung trägt zur Verbesserung des Immunsystems bei, was besonders wichtig für Krebspatienten/-innen ist. Viele Krebspatienten/-innen berichten von einer Reduzierung von Symptomen wie Schmerzen, Übelkeit, Fatigue und Schlafstörungen durch Sport. Er kann helfen, Ängste und Depressionen zu lindern, die bei Krebspatienten/-innen aufgrund der Diagnose und der Behandlung häufig auftreten. Sportliche Aktivitäten bieten eine Möglichkeit, Stress abzubauen und sich besser mit der Situation auseinanderzusetzen.
Geeignete Sportarten
- Spazieren gehen und leichtes Wandern (z.B. Nordic Walking)
 - Yoga, Tai Chi und Achtsamkeitsübungen
 - Schwimmen
 - Radfahren
 
Die Wirksamkeit verschiedener Interventionen für die Behandlung von Depressionen (Noetel et al., 2024)
Die Abbildung (Noetel et al., 2024) vergleicht die Wirksamkeit verschiedener Interventionen für die erfolgreiche Behandlung von Depression. Tanzen hat die mit Abstand beste Wirkung. Oder spazieren. Oder Joggen. Oder Verhaltenstherapie.
Relativ viele Studien untersuchen den positiven Einfluss des Tanzens auf die Gehirnfunktion, besonders im Alter. Die Effekte sind umfassend und weitreichend: Exekutive Funktionen wie Handlungsplanung (Rektorova et al. 2019), Dicke der grauen und weissen Schicht (Falisha et al., 2015, Rektorova et al. Die Verbesserungen finden sich auch bei Trainings, welche Fitness nicht verbessern (Kattenstroth et al., 2013), es handelt sich also nicht einfach um Nebenprodukte einer allgemeinen körperlichen Betätigung.
Wenn du nicht tanzen kannst: Es ist nie zu spät, damit anzufangen.
Weitere Tipps gegen Depressionen
Eines der grundlegendsten Merkmale von Depressionen ist der Unwille und die Unfähigkeit, das Leben zu genießen. Wenn Sie negativ über die Dinge denken, die Sie sich wünschen, unternehmen Sie vielleicht keine Schritte. Machen Sie einen Schritt und geben Sie sich selbst eine Chance. Betrachten Sie Ihre positiven Aspekte und Erfolge. Gehen Sie regelmäßig spazieren und schnappen Sie frische Luft. Organisieren Sie Ihre Schlafenszeiten. Langes Aufbleiben in der Nacht ist eine der Hauptursachen für Depressionen. Nachdem Sie Ihren Schlafrhythmus angepasst haben, sollten Sie auch Ihre Ernährung anpassen.
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