Depressives Erschöpfungssyndrom (ICD)

Das Burnout-Syndrom, erstmals 1974 vom deutsch-amerikanischen Psychologen Herbert J. Freudenberger beschrieben, ist in den letzten Jahrzehnten zu einem häufigen Beschwerdebild in unserer Gesellschaft geworden. Die Fallzahlen des stressinduzierten Erschöpfungssyndroms zeigen unverändert eine starke Zunahme.

Burnout: Definition und Einordnung

Das neue ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sollte gemäss Vorankündigungen in vielen Medien Burnout als anerkannte gesundheitliche Störung klassifizieren. Doch dann blieb die Einführung der Diagnose Burnout aus. Burnout ist demnach weiterhin keine psychiatrische Diagnose, sondern wird als «qualifying diagnosis», die in Verbindung mit einer anderen Diagnose im ICD-11 stehen kann, aufgelistet.

Burnout bleibt sodann ein gesundheitsschädlicher Faktor, der ausschliesslich als Folge von chronischem Arbeitsstress auftritt und folgendermassen definiert wird:

  • Gefühl von Energieverlust und Erschöpfung
  • Mentale Distanz von der Arbeit, Negativismus und Zynismus im Zusammenhang mit der Arbeit
  • Herabgesetzte berufliche Leistungsfähigkeit

Bisher war Burnout unter «Problemen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» als «Erschöpfungssyndrom» (Z73.0) erfasst. Nun hat die WHO das Burnout als ein exklusiv arbeitsbedingtes Syndrom festgelegt.

Die Definition im ICD-11 erscheint insofern problematisch, als dass es bei Arbeitnehmern auftritt, die «den chronischen Arbeitsstress nicht erfolgreich bewältigen konnten». Hierdurch wird impliziert, dass es die Arbeitnehmer gibt, die chronischer Stress bei der Arbeit eben nicht krank macht und die trotz Arbeitsüberlastung unverändert und auch zeitlich unbegrenzt weiter performen können, also keine allostatische Überlast entwickeln.

Gleichzeitig bleiben die Begriffe mentale Distanz, Negativsmus und Zynismus in der jetzt vorliegenden Definition unkommentiert. Den Zynismus im Zusammenhang mit Burnout gilt es hier klar von der Arbeitsunzufriedenheit durch chronische Überlastung bei gleichzeitig ungenügender Wertschätzung abzugrenzen.

Auch zeigt sich im Gegensatz zur mentalen Distanz bei Burnout-Betroffenen regelhaft eine viel zu nahe Beziehung zur Arbeit, eine ausbalancierte Haltung zum Beruf fehlt meist über die gesamte berufliche Laufbahn hinweg und selbst in stark ausgeprägter psychophysischer Erschöpfung geben sie sich oft noch selbst die Schuld am Kranksein.

Negativismus, als das entgegengesetzte Verhalten zum Verlangten definiert, ist bei Patienten mit Erschöpfungssyndrom zudem hypotroph ausgebildet. Sie sind stark dem Leistungsprinzip verpflichtet und hinterfragen die eigenen und die Arbeitsanforderungen zu lange nicht, sodass der Prozess der zunehmenden Überlastung nicht rechtzeitig aufgehalten wird. Patienten mit Burnout müssen somit den Negativismus in der Therapie erst einmal erlernen.

Die Burnout-Definition gemäss WHO lässt aber auch alle Dimensionen der psycho-physischen Erschöpfung aus, die zum Beispiel bei nicht-berufstätigen Menschen in der Familie durch die Belastung bei der Kindererziehung oder in der Pflege von Angehörigen ausgelöst werden. Auch die Kombination von arbeitsbedingter und privater psycho-physischer Überlastung bleibt unberücksichtigt.

Burnout als Resultat gelebter Werte

Wie entsteht die Symptomatik, die bei Patienten in ein Burnout konfluieren? Sie kann in einem individuen-zentrierten Ansatz als Resultat der Bewertungen der eigenen Person, des eigenen, des Tuns Anderer und der gesamten Welt erklärt werden.

Patienten mit Burnout haben einen hohen Anspruch an sich selbst, sind perfektionistisch und geben nie schnell auf. Sie sind stark leistungsorientiert, pflichtbewusst und leben in der Überzeugung «Arbeit gibt mir sehr viel, produktiv sein gibt mir sehr viel, gebraucht zu werden gibt mir sehr viel». Mit zunehmend unerfüllbaren Selbstansprüchen durch ein immer stärker forderndes Arbeitsumfeld, steigt die gesundheitliche Bedrohung durch das anhaltende Überstrapazieren der Ressourcen, durch die Manifestation von übermächtigen Versagensängsten und final mit dem Erschöpfungszustand und der depressiven Dekompensation.

Mit dem Burnout kommen dann die grosse Verunsicherung im Leben, die Leere, das Misstrauen den eigenen Fähigkeiten gegenüber sowie die Erschütterung des Selbstverständnisses und der Selbstwertverlust. Patienten beschreiben sich dann als inkompetent, sie wissen und können nichts mehr, erleben sich eigentlich traumatisiert durch den erlebten Kontrollverlust, spüren ihre bereits vorbestehende Ungeduld noch stärker und treiben sich weiter vor sich her, je grösser die subjektiv erlebte Abweichung zwischen dem Soll- und dem Ist-Wert ausfällt.

In vielen Arbeitssituationen ist die Möglichkeit, an einem Burnout zu erkranken, seit vielen Jahren vor dem Hintergrund der «Wirtschaftskriege» und des «Preiskampfes» vorgegeben.

Handlungsbedarf und professionelle Therapie

Kein Burnout kommt also unerwartet über Nacht. Niemand steht eines Morgens auf und die psychische Störung ist da. Burnout resultiert aus einem kontinuierlichen Prozess, bei dem sich die betroffenen Patienten, oft erst bei erheblicher Ausprägung der Symptome und nach langem, nicht selten jahrelangen Ringen mit bewährten Konzepten und Strategien, zum Handeln entscheiden und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.

Wenn jedoch ausgeprägte psychische oder körperliche Beeinträchtigungen in Form von chronischem Energiemangel sowie Freud- und Schlaflosigkeit auftreten, die über mehrere Wochen anhalten und der Leidensdruck stetig weiter ansteigt, genügt «es wird schon irgendwie schief- und weitergehen» nie.

Fachärzte, die über die entsprechende medizinische und problemspezifische Ausbildung für die Behandlung des Burnout verfügen, sind mehr als schlichte Sparringpartner für Patienten mit Problemen im Beruf. Sie nehmen die sorgfältige Abklärung und Anamnese vor, erkennen genau, wie die emotionale Mechanik beim Betroffenen funktioniert, können den vorliegenden Symptomenkomplex zu- und einordnen und schätzen die Arbeitsunfähigkeit adäquat ein.

Immer wieder wird heute auch im Zusammenhang mit Burnout unkritisch von der Verbesserung der Resilienz gesprochen, sodass in der Konfrontation auch mit noch so ernsten Problemen keine Schwächung mehr auftreten und für alles eine Lösung gefunden möge. Es geht jedoch im Gesundungsprozess von Burnout-Patienten nicht um Selbstoptimierung und Aufbau von Resilienz, sondern um Sicht und Einsicht, die der Patient im Verlauf der Behandlung entwickeln wird.

Die professionelle Behandlung des Burnout-Patienten, die im optimalen Fall in der Auflösung der Symptomatik und der Rückfallprophylaxe resultiert, arbeitet v.a.auf die Reduktion der Ansprüche an sich selbst und an die Welt sowie auf eine bessere Akzeptanz von Limitationen hin, damit dieser in Zukunft der monomythischen Atrophie i.S. des allein gültigen «Alles oder nichts» das «Weder nichts noch alles» entgegenzusetzten in der Lage ist.

Hinführen zu einer vernunftgemässen life-value-balance, zu genügend Schlaf und gutem Rhythmus, zu regelmässiger Bewegung in der Natur und gesunder Ernährung, der Mässigung des Alkoholkonsums, der Pflege von Partnerschaft und Freunden etc. haben in der professionellen Behandlung des Burnout eminente Bedeutung.

Invalidenversicherungsrechtliche Aspekte

Die Frage, ob bei Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis eine invalidenversicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit resultiert, ebenso wenig wie bei somatoformen Störungen, allein mit Bezug auf das Kriterium der Behandelbarkeit beantwortet werden kann.

Mit dem Hinweis auf eine "regelmässig gute Therapierbarkeit" bei leichten bis mittelschweren Störungen direkt auf eine fehlende invalidenversicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu schliessen, greift aber zu kurz und blendet wesentliche medizinische Aspekte dieses Krankheitsgeschehens in sachlich unbegründeter Weise aus. Die Therapierbarkeit vermag demnach keine abschliessende evidente Aussage über das Gesamtmass der Beeinträchtigung und deren Relevanz im invalidenversicherungsrechtlichen Kontext zu liefern.

Einen Gesundheitsschaden allein gestützt auf das Argument der fehlenden Therapieresistenz unbesehen seiner funktionellen Auswirkungen als invalidenversicherungsrechtlich nicht relevant einzustufen, mit der Konsequenz eines Ausschlusses von Rentenleistungen, ist weder sachlich geboten noch medizinisch abgestützt.

Bei leichten bis mittelschweren depressiven Störungen ist, wie bei jeder geltend gemachten gesundheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit, demnach im Einzelfall (einzig) danach zu fragen, ob und wie sich die Krankheit leistungslimitierend auswirkt, wobei eine leistungs-, insbesondere rentenbegründende Invalidität jedenfalls eine psychiatrische, lege artis gestellte Diagnose voraussetzt.

Fallbeispiel (BGE 143 V 409)

Ein Urteil des Bundesgerichts (BGE 143 V 409) befasste sich mit dem Fall einer Frau, die sich wegen eines Burnouts bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Sie liess eine diagnostizierte mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen (ICD-10 F32.1) sowie ein Erschöpfungssyndrom (ICD-10 Z73.0) stationär behandeln. Die IV-Stelle des Kantons Zürich wies das Leistungsbegehren ab, da kein invalidenversicherungsrechtlich relevanter Gesundheitsschaden vorliege.

Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde der Frau gut und stellte fest, dass sie Anspruch auf eine ganze Invalidenrente habe. Die IV-Stelle führte daraufhin Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten.

Das Bundesgericht hielt fest, dass die Auffassung der IV-Stelle, die Folgen der vorliegenden depressiven Problematik fänden nur bei überwiegend wahrscheinlicher Therapieresistenz invalidenversicherungsrechtlich Berücksichtigung, der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entspreche. Diese Praxis sei jedoch zu hinterfragen. Die Feststellung, dass leichte bis mittelgradige depressive Störungen rezidivierender oder episodischer Natur einzig dann als invalidisierende Krankheiten in Betracht fallen, wenn sie erwiesenermassen therapieresistent sind, sei in dieser absoluten Form unzutreffend und stehe einer objektiven, allseitigen Abklärung und Beurteilung der funktionellen Einschränkungen der Krankheit im Einzelfall entgegen.

Diagnose (ICD-10) Beschreibung
F32.1 Mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen
Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Burnout)
F43.21 Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion
F41.1 Generalisierte Angststörung

Burnout ist auch bereits in leichterer Ausprägung deutlich beeinträchtigend und geht regelhaft mit einer depressiven Symptomatik einher. Kardiovaskuläre sowie Stoffwechsel- und Schmerzerkrankungen sind mögliche Folgen.

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