Bipolare Störungen können in jedem Lebensalter ein erstes Mal auftreten, häufig im jungen Erwachsenenalter. Rund drei Prozent der Bevölkerung erkrankt im Verlauf ihres Lebens daran. Die Ursachen sind nicht abschliessend erforscht. Wahrscheinlich spielen Gene eine wichtige Rolle. Diese Menschen reagieren sensibel auf alltägliche Belastungen.
Symptome bipolarer Störungen
Es gibt Krankheitsepisoden mit manischen Symptomen. Dazu gehören eine gehobene Stimmung, ein starker Drang zu Aktivitäten, Grössenideen, Distanzlosigkeit und Gereiztheit. Dann können Episoden mit depressiven Symptomen folgen: gedrückte Stimmung, verminderte Aktivität, Hoffnungslosigkeit und Müdigkeit. Zwischen diesen Krankheitsepisoden können Zeiten liegen, wo keine Krankheitssymptome auftreten. Rückfälle sind häufig.
In manischen Phasen ist die Stimmung euphorisch oder gereizt oder der Antrieb deutlich gesteigert. In depressiven Phasen sind sie niedergeschlagen, verlieren ihr Interesse an Dingen, haben wenig Antrieb und fühlen sich unsicher.
Es gibt bei Bipolarer Störung vier verschiedene Episodenarten. Neben den "klassischen" depressiven und manischen Episoden zählen dazu auch hypomanische und gemischte Episoden. Manchmal folgt auf eine manische Phase eine depressive Episode - entweder direkt als "Nachschwankung" oder später (nach eine Periode mit "normaler" Stimmungslage) als separate Episode. In anderen Fällen läuft es umgekehrt: Es beginnt mit einer depressiven Phase, gefolgt von einer manischen Phase - wiederum entweder als "Nachschwankung" oder isoliert auftretend. Ganz selten leidet ein Patient nur unter manischen Phasen.
Symptome der depressiven Episode
In den depressiven Phasen gleicht das Krankheitsbild einer Depression. Zu den Hauptsymptomen gehören dann:
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- gedrückte Stimmung
- Verlust von Interesse und Freude
- Antriebslosigkeit
- Schlafstörungen, vor allem Durchschlafstörungen in der zweiten Nachthälfte
- Konzentrations- und Denkstörungen
- Schuldgefühle
- Selbstzweifel
- Suizidgedanken
Die Gesichtsmimik ist während eines depressiven Schubs tendenziell starr und ausdruckslos. Die Betroffenen sprechen meist leise und ihre Antworten kommen verzögert.
In der depressiven Phase können auch körperliche Symptome auftreten. Der Appetit nimmt ab, und viele Betroffene verlieren deutlich an Gewicht. Manche empfinden Schmerzen an unterschiedlichen Körperstellen. Häufige Beschwerden sind Atemnot, Herzbeschwerden, Magen- und Darmprobleme sowie Schwindel, Kopfschmerzen und Erektionsstörungen.
Symptome der manischen Episode
In Phasen der Manie ist alles übersteigert - emotionale Erregung, Denken, Sprechen, Handeln: Der Patient ist voller Energie (bei gleichzeitig geringem Schlafbedürfnis) und entweder auffällig gehobener Stimmung oder aber sehr gereizt. Er hat einen starken Rededrang, ist sprunghaft und unkonzentriert, ausserdem sehr kontaktbedürftig, überaktiv und impulsiv.
Typisch sind auch Selbstüberschätzung, vermehrtes Risikoverhalten und Leichtsinnigkeit. Manche Patienten geben etwa gedankenlos Geld aus und beginnen überdimensionale Projekte, die sie in finanzielle und rechtliche Probleme bringen können. Problematisch ist auch, dass die sozialen Hemmungen verloren gehen. Betroffene sprechen dann willkürlich fremde Leute an und neigen zu einem offeneren Flirt- und Sexualverhalten.
Während einer manischen Episode sind die Patienten auch sehr kreativ. Man geht heute davon aus, dass unter anderem Vincent van Gogh und Georg Friedrich Händel manisch-depressiv waren.
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Bei mehr als zwei Drittel aller Patienten mit Manie treten zusätzlich psychotische Symptome auf. Dazu zählen zum Grössenwahn gesteigerte Selbstüberschätzung, Halluzinationen, Verfolgsungswahn und Wahngedanken.
Symptome der hypomanischen Episode
In manchen Fällen von Bipolarer Störung sind die manischen Symptome in abgeschwächter Form ausgeprägt. Dann spricht man von Hypomanie. Betroffene leiden beispielsweise eher an Konzentrationsschwierigkeiten als an Ideenflucht und Gedankenrasen. Auch besonders auffällige Manie-Symptome wie Verlust sozialer Hemmungen, starke Selbstüberschätzung und tollkühnes Verhalten sind nicht beziehungsweise kaum vorhanden.
Symptome der gemischten Episode
Abgesehen von rein depressiven oder (hypo-)manischen Episoden treten bei Bipolarer Störung manchmal auch gemischte Phasen auf. Sie zeichnen sich durch eine Mischung oder einen raschen Wechsel (innerhalb weniger Stunden) von depressiven und (hypo-)manischen Symptomen aus. Von einer gemischte Episode spricht man aber erst, wenn depressive und (hypo-)manische Symptome gleichermassen die meiste Zeit über mindestens zwei Wochen auftreten.
Diagnose und Fehldiagnosen
Eine bipolare Störung wird bei Jugendlichen häufig zunächst nicht erkannt. Oft folgt ein langer Leidensweg voller Ungewissheit und wechselnder Therapien. Um das 14. Lebensjahr treten bipolare Störungen zunehmend in Erscheinung. Häufig wird die Diagnose erst fünf bis zehn Jahre nach den ersten Symptomen gestellt, weiss auch Psychiaterin Gerstenberg. Oft seien die Symptome im Jugendalter auch unspezifischer und die Krankheitsphasen nicht so klar abgrenzbar, sagt Wöckel. «Zudem können die Symptome mit anderen psychischen Erkrankungen verwechselt werden.
Die Diagnose einer Bipolaren Störung erfolgt leider meist erst fünf bis zehn Jahre nach Krankheitsbeginn, denn Symptome werden oft fehlgedeutet, zum Beispiel als Adoleszentenkrise, reine Depression oder Schizophrenie.
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Daher sollte immer eine sorgfältige Diagnostik stattfinden. Wichtig sei, beim Verdacht auf eine bipolare Erkrankung auch nach Risikofaktoren in der Familie zu fragen, sagt Psychiater Wöckel. «Wenn ein Elternteil oder andere Familienangehörige die Erkrankung haben, ist das Risiko des Kindes, ebenfalls zu erkranken, deutlich erhöht.
In der Praxis bewährt haben sich beispielsweise folgende Screening-Fragen:
- Gibt es Zeiten, in denen Sie sich ohne besonderen Grund sehr viel besser fühlen, mehr unternehmen, mehr sprechen, mehr leisten und deutlich weniger schlafbedürftig sind?
- Sind Sie in dieser Phase schon in Schwierigkeiten geraten, dachten Sie oder andere, etwas sei mit ihnen nicht in Ordnung?
Behandlung bipolarer Störungen
Ziel der Behandlung ist, die Symptome der akuten Phase zu reduzieren und möglichst lange stabile Phasen zu erreichen, in denen die Betroffenen ein relativ normales Leben führen können. Dabei kommt eine Kombination aus Psychoedukation, Medikamenten und Psychotherapie zum Einsatz.
Sie sollte sich aus Psychoedukation, medikamentöser Behandlung und Psychotherapie zusammensetzen. Ein gutes Management der Erkrankung ist wichtig, damit Betroffene langfristig stabil bleiben - etwa das Erkennen von Frühsymptomen und eine regelmässige Einnahme der Medikamente.
Für die Behandlung gibt es Schweizer Empfehlungen (2). Die Therapie besteht wie bei der Depression aus den drei Phasen Akutbehandlung, Fortsetzungstherapie und Rezidivprophylaxe. Bei der Manie steht die medikamentöse Behandlung zuerst im Vordergrund, bei der bipolaren Depression empfiehlt sich von Beginn weg zusätzlich Psychotherapie.
«Behandelt werden beide Pole. Wenn also akut therapiert wird, muss man auch bereits die Langzeitbehandlung im Hinterkopf haben», betont Dr. Eich. Denn zum Einsatz kommen sollten vorzugsweise Medikamente, die nach der Akutbehandlung weitergeführt werden könnten. «Monotherapien sind sinnvoll, Kombinationen vor allem mit Standard-Antidepressiva werden empfohlen», erklärte Dr. Eich.
Lithium ist der Goldstandard für die akute Manie und für die Langzeitbehandlung. Atypische Antipsychotika (v.a. Quetiapin) sind für die Manie, die bipolare Depression sowie für die Langzeitbehandlung die Mittel der ersten Wahl. Eine weitere Option sind Antikonvulsiva. Auch sie wirken wie die Antipsychotika auf den manischen und den depressiven Pol. «Valproat hat eine gute akut-antimanische Wirkung, Lamotrigin vor allem Depressions-verhütende Effekte», erläutert Dr. Eich.
Für die Rezidivprophylaxe sind die Kombinationen Lithium und atypische Antipsychotika wie Aripiprazol, Lurasidon, Risperidon oder Lamotrigin sowie Depotinjektionen mit Risperidon/Paliperidon und Aripiprazol empfohlen.
«Das Verhindern von Rezidiven ist entscheidend für die berufliche und persönliche Langzeitperspektive», betont Dr. Eich.
Eine wichtige Rolle in der Therapie spielt der biopsychosoziale Behandlungsansatz. Er beinhaltet ein umfassendes Massnahmenpaket aus Pharmako- und Psychotherapie sowie Allgemeinmassnahmen.
Dazu zählen u.a.
- Psychoedukation
- Betreuung
- Lifestyle-Coaching
- Angehörigenberatung sowie der
- Verzicht auf antriebssteigernde Drogen und ggf. auch Stimulanzien.
Zentral ist der dringende Appell an die Patienten, die verschriebenen Medikamente nicht von sich aus abzusetzen, sondern sich mit den Behandlern zu besprechen. «In der Praxis sehr hilfreich ist meist die Arbeit mit Stimmungstagebüchern», gab Dr.
«Bei der Psychoedukation erhalten Jugendliche und ihre Eltern Informationen dazu, welche Symptome bei einer bipolaren Störung auftreten, was sie auslösen kann, wie man sie behandeln kann und welche Strategien beim Umgang mit der Erkrankung hilfreich sind», sagt Wöckel. In depressiven und stabilen Phasen stünden Psychotherapie und Psychoedukation im Zentrum. Weitere Ziele sind, einen regelmässigen Lebensrhythmus zu entwickeln sowie Frühwarnzeichen von Krankheitsphasen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Den Jugendlichen wird im Zuge der Therapie auch vermittelt, dass die bipolare Störung eine lebenslange Erkrankung ist - und dass meist längerfristig Medikamente genommen werden müssen, um erneute Krankheitsphasen zu verhindern. «Die medikamentöse Behandlung gestaltet sich bei Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen.
Soziale Folgen und Unterstützung
Bipolar Störungen führen oft zu sozialen und familiären Problemen. Studien zeigen, dass die Angehörigen von Menschen mit bipolaren Störungen stärker belastet sind als die Angehörigen von Patienten mit anderen chronischen Krankheiten wie Diabetes, Asthma und Depressionen. Viele Angehörige leiden deshalb selber an Stress-Symptomen. Um die Lebensqualität der Betroffenen und ihren Angehörigen zu verbessern, ist eine gute Beratung von grosser Bedeutung, so dass bipolar Betroffene früher diagnostiziert und wirksamer behandelt werden.
«Die psychosozialen Folgen einer manischen Episode sind oft gravierend», sagt Dr. Eich. Manische Patienten sind in der Regel schwierig im Umgang, sie haben ein übersteigertes Selbstwertgefühl, sind oft gereizt und können rasch aggressiv werden. «Insgesamt sind sie jedoch häufiger dys- als euphorisch», so der Experte.
«Die Unterstützung durch Angehörige ist eine der wirksamsten Massnahmen, um die psychische Stabilität der Jugendlichen zu fördern und sie in Ausbildung und Berufsleben zu unterstützen», sagt Wöckel. «Angehörige bemerken solche Veränderungen jedoch oft schnell», weiss der Experte. Um bei ersten Symptomen einer Krankheitsphase schnell reagieren zu können und die regelmässige Einnahme der Medikamente sicherzustellen, kann eine langfristige professionelle Begleitung sinnvoll sein. Die Belastung für Eltern kann so stark sein, dass sie selbst eine psychische Erkrankung entwickeln.
Für Angehörige, insbesondere die Eltern, ist die bipolare Erkrankung ihres Kindes oft eine grosse Belastung. «In manischen beziehungsweise hypomanischen oder depressiven Phasen müssen sie sich viel um ihr Kind kümmern. Oft hätten Eltern auch Schuldgefühle und würden sich fragen, was sie falsch gemacht hätten - dafür gebe es aber bei einer bipolaren Erkrankung keinen Grund. «Häufig kann es für sie hilfreich sein, sich selbst Unterstützung zu suchen - etwa bei einem Psychotherapeuten oder in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige.»
Ein Stimmungstagebuch kann helfen, Schwankungen frühzeitig zu erkennen.
Für Angehörige ist es oft schwierig, eine psychische Störung zu erkennen. Bei Unsicherheit und Sorgen dürfen Eltern sich jederzeit an die Pro Juventute Elternberatung wenden. Im Gespräch können die Beraterinnen und Berater gemeinsam mit ihnen herausfinden, ob eine Therapie angebracht ist und aufzeigen, wo betroffene Kinder und Jugendliche sowie Angehörige Unterstützung erhalten.