Schizophrenie und Kunst: Eine Verbindung zwischen Genie und Wahnsinn

Die Kunstgeschichte und die Gegenwartskunst sind voll von eigenwilligen Menschen. Es scheint, als würden wir «Normale» gerne hinschauen, was die «Nichtnormalen» uns zu sagen haben.

Adolf Wölfli: Ein Künstler im psychiatrischen Kontext

Adolf Wölfli, geboren am 29. Februar 1864 in Bowil im Emmental, verbrachte 35 Jahre in der Psychiatrischen Klinik Waldau in Bern. In dieser Zeit schuf er ein aussergewöhnliches Gesamtkunstwerk. Mit seinen über 25’000 Seiten mit Texten, Zeichnungen, Collagen und Lautgebilden wurde Wölfli nach dem 2. Weltkrieg zum wichtigsten Exponenten der so genannten «Art brut». Später öffneten ihm auch weltweit zahlreiche Museen die Türen.

Unterstützung fand Wölfli vom Psychiater Walter Morgenthaler, der ab 1907 in der Waldau arbeitete. Er förderte und sammelte Wölflis Schaffen und widmete ihm 1921 die Monografie «Ein Geisteskranker als Künstler: Adolf Wölfli».

In der Nachkriegszeit wurde der Künstler von Jean Dubuffet wiederentdeckt, der sich für die «Art brut» engagierte. 1972 stellte der Schweizer Kurator Harald Szeemann Wölflis Werke an der documenta 5 in Kassel aus. Szeemann machte damit den Künstler Wölfli zum ersten Mal einem internationalen Publikum zugänglich - und löste sein Werk aus dem psychiatrischen Kontext.

«Es gibt Kunstwerke, die von Menschen in extremen Lebenssituationen geschaffen wurden», sagt Daniel Baumann, Kurator der Adolf Wölfli-Stiftung in Bern. «Es gibt jedoch keine Kunst von Geisteskranken.» Die Ausstellung führt chronologisch durch Wölflis Weltentwurf und erlaubt ein Eintauchen in Wölflis Welt.

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«Wie andere Künstler saugte Wölfli wie ein Schwamm alle Anreize aus seiner Umgebung auf und übersetzte sie in seine eigene Sprache», sagt Baumann. Wölfli sammelte Inputs aus Zeitschriften, Büchern, Atlanten, Karten, Reiseberichten und verwendete sie für sein riesiges Projekt: den Entwurf einer Gegenwelt.

Er war Zeichner, Schriftsteller und Komponist im Dienste seiner obsessiven Mission: Auf den in der psychiatrischen Klinik bis zu seinem Tod gefüllten Seiten hat er sein Leben neu erfunden. Zuerst in Form einer spektakulären Kindheit, dann als glorreiche Zukunft, von ihm «St. Adolf Riesen-Schöfung» genannt. In Wölflis Universum, das in seiner Zelle in der psychiatrischen Klinik entstanden ist, widerhallen die Stimmen, Töne und Sorgen seiner Epoche.

Es erstaunt deshalb nicht, zu sehen, wie nah Wölflis Werke der künstlerischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts sind. Ein eindrückliches Beispiel ist das Bild «Campell’s Tomato Soup», das in den 1960er-Jahren durch Andy Warhol bekannt wurde. Wölfli hatte diese Dose bereits 1929 in einer Collage verwendet.

Wölfli, der sich in jungen Jahren als Knecht und Handlanger durchschlug und keinerlei Zugang zur Universität hatte, kann sich heute mit den grossen Künstlern des 20. Jahrhunderts messen.

Wölflis Lebensweg in Stichpunkten:

  • 1864: Geburt in Bowil im Emmental
  • 1890: Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus wegen versuchter Notzucht
  • 1895: Einweisung in die psychiatrische Klinik Waldau in Bern, Diagnose Schizophrenie
  • Ab 1904/1905: Beginn des Zeichnens
  • 1909-1912: Fiktive Autobiographie «Von der Wiege bis zum Graab»
  • 1912-1916: «Geographische und Allgebräische Hefte»
  • 1917-1922: «Hefte mit Liedern und Tänzen»
  • 6. November 1930: Wölfli stirbt

Die "Art Brut" und ihre Bedeutung

Die Kunstwerke von nachgewiesen und bekanntermaßen psychisch kranken Personen galten lange als Fantasie von Verrückten und wurden belächelt, kritisiert und, im Falle eines Erfolges, allein dem Wahnsinn des Künstlers zugeschrieben. Heutzutage haben diese Werke den Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden und gelten als einzigartige Inspiration.

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Vor allem während des Surrealismus waren Künstler und Publikum fasziniert von den Werken, die in künstlerischem Wahn geschaffen wurden. Durch die psychischen Ausnahmezustände und Grenzerfahrungen können psychisch kranke Personen eine Fantasie auf Papier oder Leinwand festhalten, die Außenstehende verblüfft, fasziniert und begeistert.

Es existieren beispielsweise zahlreiche Sammlungen, Standardwerke und Ausstellungen zum Thema Kunst von Geisteskranken, die sich seit Jahrzehnten immer mehr Interessenten finden. Auch wenn man den Ansatz - unterscheidet sich Kunst wirklich in derartigem Ausmaß abhängig von der psychischen Gesundheit des Künstlers? - kritisch betrachtet, kann der positive, heilende Effekt von künstlerischen Prozessen nicht völlig geleugnet werden.

Kunsttherapie als Ausdrucksform

Die in den 1960er-Jahren entstandene Kunsttherapie dient im Zuge einer psychiatrischen Untersuchung und Behandlung als Werkzeug für Patienten, um Emotionen, Erlebnisse, Traumata oder anderes auf dem Papier ausdrücken zu können. Dies bietet eine gute Grundlage zur Verdeutlichung von Krankheitssymptomen sowie zur emotionalen Auf- und Verarbeitung des Erlebten.

Neben dem offensichtlichen Effekt der verbesserten Kommunikation während einer Therapie dient das kreative Schaffen den Patienten auch dazu, Gefühle wie Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Selbsthass punktuell zu überwinden: Das Schaffen eines künstlerischen Produktes vermittelt ein Gefühl von Produktivität, Stolz und Vertrauen in eigene Fähigkeiten.

Genie und Wahnsinn: Eine Verbindung?

Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Manie - verschiedenste anerkannte psychische Krankheiten finden sich nachgewiesenermaßen auffällig häufig unter kreativen und sensiblen Personen. Oftmals sind diese Personen in irgendeiner Form Kunstschaffende: Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, Tänzer oder eben Maler.

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So fanden Forscher im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts heraus, dass kreative Menschen sowie Personen mit schizophrenen Neigungen häufig ähnliche Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Darüber hinaus fehlt es den Betroffenen bei vielen mentalen Krankheitsbildern an neurologischen Filterfunktionen, das heißt sie nehmen Emotionen sowie Situationen und erlebte Ereignisse intensiver und direkter wahr, ohne gewisse Grenzen im Denken wie bei gesunden Menschen.

Viele Merkmale von beispielsweise Depressionen, einer bipolaren Störung oder Schizophrenie stoßen gesunde Menschen ab, sie fühlen sich überfordert und nicht ausreichend zu Unterstützung in der Lage. Das Klischee des einsamen, seelisch zerrissenen Künstlers liegt also nicht so fern von der Wahrheit.

Beispiele bekannter Künstler mit psychischen Erkrankungen:

  • Vincent van Gogh: Litt unter Wahnvorstellungen, Albträumen und Depressionen.
  • Frida Kahlo: Litt nach einem schweren Unfall unter körperlichen und seelischen Krankheiten, vor allem Depressionen.
  • Mark Rothko: War manisch-depressiv und beging Selbstmord.

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