Dada, Musik und das Unbewusste: Ausstellungen im Cabaret Voltaire

Das Cabaret Voltaire, der Geburtsort von Dada, präsentiert eine Reihe von Ausstellungen und Programmen, die das Erbe dieser einflussreichen Kunstbewegung beleuchten. Von der Erforschung der Musik im Dadaismus bis hin zur Verbindung von Emma Jung und zeitgenössischer Kunst bietet das Cabaret Voltaire ein vielfältiges und anregendes Programm.

Emma Jung und Rebecca Ackroyd: Ein Dialog des Unbewussten

Die Ausstellung vom 24. Mai bis 2. November bringt den bisher weitgehend unbekannten Kosmos von Emma Jung (1882-1955) in einen Dialog mit der zeitgenössischen Künstlerin Rebecca Ackroyd (*1987). Zum ersten Mal werden Emma Jungs Aufzeichnungen aus ihrer analytischen Praxis, einschliesslich Zeichnungen, Malereien, Gedichte und Notizen, der Öffentlichkeit präsentiert.

Emma Jung, eine kompetente Analytikerin sowie enge Gesprächspartnerin und Kollaborateurin ihres Mannes C.G. Jung, prägte die Erforschung der menschlichen Psyche massgeblich mit - auch wenn sie im Hintergrund des berühmten Schweizer Psychiaters wirkte. Ihre Arbeiten widmen sich besonders dem Konzept der Individuation, womit der Prozess gemeint ist, in dem ein Mensch sich selbst als eigenständiges Individuum erkennt und entwickelt.

Dabei spielen die Dynamik von Animus und Anima, die Symbolik der Gralslegende als Sinnbild für die innere spirituelle Reise und das Streben nach Ganzheit eine zentrale Rolle. In der Folge lösen sich Dualitäten wie Kultur und Natur, Gut und Böse oder Geschlechtsidentitäten auf.

In Rebecca Ackroyds Œuvre finden sich zahlreiche Parallelen zu Emma Jung. Auch ihre Zeichnungen geben dem Unbewussten eine Form und reflektieren die psychologische und spirituelle Dimension von Kunst sowie Prozesse der «Weltwerdung». Ackroyds Installationen sind oft traumhaft und zeigen die Fragmentierung von Erinnerung und Zeit. Durch eine vielfältige visuelle Sprache, die grossformatige Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Objekte umfasst, verschmelzen Begierde und Abscheu, Wünsche und Ängste, Vertrautes und Unheimliches zu einem faszinierenden Ganzen.

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Für ihre erste Ausstellung in der Schweiz entwickelt Rebecca Ackroyd eine neue Serie von Zeichnungen und Skulpturen, die als intime Ausdrucksformen symbolischer Ordnungen konzipiert sind. Die bewusst klein gehaltenen Zeichnungen laden zu einer intensiveren Begegnung mit der inneren Welt des Schaffens ein.

Die Verbindung zu Dada

Die Ausstellung im Cabaret Voltaire - dem Geburtsort von Dada - ist durch eine historische Spur inspiriert: die Verbindungen zwischen Emma Jung, der Analytischen Psychologie und der Kunstbewegung Dada. 1916 nahm Emma Jung, damals erste Präsidentin des Psychologischen Clubs, an mindestens einer Dada-Soiree teil. In diesem Jahr schuf sie eindrucksvolle visuelle Metamorphosen, die sich mit Individuationsprozessen auseinandersetzen.

Künstler*innen wie Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp griffen Jung’sche Ansätze auf, etwa in ihrer Suche nach Typologien und universellen Formen. Die analytische Idee der Individuation lässt sich mit dem dadaistischen Durchbrechen von Konventionen vergleichen. Analytische Psycholog*innen wiederum erkunden die therapeutischen Wirkungen abstrakter Mandalas. Sowohl Dada als auch die Analytische Psychologie widmeten sich intensiv dem Unbewussten.

Mithilfe von Theorien der Analytischen Psychologie setzten sich Dadaist*innen mit den gesellschaftlichen Umbrüchen Anfangs des 20. Jahrhunderts auseinander, wie der Mechanisierung des Lebens und den Traumata des Ersten Weltkriegs. Richard Huelsenbeck bemerkte später eine therapeutische Qualität in den Werken vieler Dadaist*innen.

Über Emma Jung und Rebecca Ackroyd

Emma Jung, geboren am 30. März 1882 in Schaffhausen, war eine Schweizer Analytikerin und Autorin. Sie erlangte Bekanntheit als Ehefrau und enge Mitarbeiterin des Psychiaters Carl Gustav Jung, doch auch ihre eigenen Beiträge zur Analytischen Psychologie verdienen Beachtung. Besonders hervorzuheben sind ihre Forschungen zum Grals-Symbolismus sowie ihre Studien über die Dynamik der Konzepte von Animus und Anima.

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Rebecca Ackroyd, geboren 1987 in Cheltenham, Grossbritannien, lebt und arbeitet in Berlin und London. Ihre Werke waren Teil zahlreicher Gruppenausstellungen, darunter Antéfutur im Musée d’Art Contemporain, Bordeaux (2023) und Dark Light: Realism in the Age of Post-Truth in der Aïshti Foundation, Beirut (2022).

Interlude: Das Erbe von Dada in Musik und Klang

Das Programm «Interlude» im Gewölbekeller findet von Februar bis April 2025 in zwei Akten statt und thematisiert das Erbe von Dada in Bezug auf Musik und Klang. Gleichzeitig schafft es Raum für zeitgenössische Praktiken und Diskurse. Der Titel «Interlude» verweist auf die traditionelle Struktur von Musikkompositionen und auf das, was während des Intervalls zwischen den Teilen einer grösseren Komposition geschieht. Im Cabaret Voltaire aktiviert «Interlude» den Gewölbekeller zwischen den üblichen Ausstellungsprogrammen und lädt das Publikum zu einer anderen Art von immersivem und reflektierendem Erlebnis ein.

Dada wird oft mit lauten, störenden Geräuschen und mit Chaos und Zufälligkeit assoziiert. Die Programmhefte und Chroniken verschiedener Protagonist*innen zeigen jedoch, dass die Dada-Soireen in Zürich viele gegensätzliche Kunstrichtungen der Zeit zusammenbrachten: Experimente mit Geräuschen teilten sich die Bühne mit Stücken der westlichen Musiktradition, gespielt von Künstler*innen wie Hans Heusser und Suzanne Perrottet.

Die musikalische Vielfalt der Dada-Soireen

Im Cabaret Voltaire und später in anderen Zürcher Lokalen erklangen romantische Stücke von Saint-Saëns und Rachmaninow. Auch war Volksmusik in deutscher, französischer, dänischer und russischer Sprache zu hören. Diese Musik stammte von den internationalen Künstler*innen der Bewegung, von denen die meisten vor dem Ersten Weltkrieg flüchteten. Die beiden Gründer*innen des Cabaret Voltaire waren beruflich in Kabaretts tätig. Emmy Hennings sang bei den Dada-Soireen Volkslieder und Hugo Ball spielte Ragtime-Musik auf dem Klavier.

Die Entwicklung experimenteller Klangforschung

Vor dem Hintergrund der Desillusionierung durch die Krisen des Krieges entwickelte Dada jedoch auch neue künstlerische Sprachen, die sich häufig auf antitraditionelle Prinzipien stützten und Rhythmus und Klang als künstlerische Mittel einsetzten.

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Einige dieser Innovationen waren von der Aneignung aussereuropäischer Idiome geprägt. Was problematisch mit dem Begriff «primitiv» beschrieben wurde, war zugleich eine befreiende Alternative, um direkter mit dem Publikum zu kommunizieren und die etablierten Normen der traditionellen westlichen Kunst und die Werte der bürgerlichen Gesellschaft zu durchbrechen. Durch den Zugang zu Beispielen afrikanischer Poesie nahmen die Zürcher Dadaist*innen «N_ Lieder» und die bruitistischen Werke von Richard Huelsenbeck in ihr Soireen-Programm auf, ohne diese Aneignung kritisch zu reflektieren. Doch auch die experimentelle Klangforschung der Dadaist*innen entwickelte sich im Kontext der Hinterfragung der Sprache als propagandistischer Macht - in einer Zeit, in der sich der Nationalismus zunehmend etablierte und die mit der heutigen politischen Realität in Resonanz steht.

Die Rolle von Sprache und Klang

Eine künstlerische Strategie von Dada bestand darin, Wörter nicht mehr als Zeichen, sondern als Klang zu verstehen und sie in Form von Rhythmus und Intonation zu verwenden. Der Futurist Luigi Rossolo hatte einige Jahre vor der Eröffnung des Cabaret Voltaire das Manifest L’Arte dei Rumori (Die Kunst der Geräusche) veröffentlicht. Er wandte sich gegen Akademismus und Tradition, während er einen direkten und dynamischen Einfluss auf das Publikum suchte.

Im Gegensatz dazu nutzten die Dada-Künstler*innen die Sprache selbst, um eben diese nationalistische Propaganda zu hinterfragen. Sie setzen sie als Kritik an der Gewalt der Moderne und des Krieges ein. Besonders deutlich wird dies in der Entwicklung neuer Formen von Laut- und Simultangedichte, die vor allem von Hugo Ball und Tristan Tzara eingesetzt wurden. In diesen Gedichten steht das Geräusch von sinnlosen Wörtern als Gegenwehr zur normativen Rationalität. In den klanglichen Taktiken war der Körper sowohl das Instrument als auch der Ort der Deklamation - und damit ein Ort des Widerstands gegen Machtstrukturen und Regeln.

Das Erbe von Dada in der Musik

Die Entwicklung der experimentellen Musik im 20. und 21. Jahrhundert verdankt Dada ein gewisses Erbe. Das antibürgerliche Ethos der Bewegung findet seinen Widerhall in verschiedenen Bewegungen wie Fluxus, sowie in den Genres Punk und Noise, die den Klang als Ort der Opposition aufgreifen. Figuren wie Merzbow - der Künstlername des japanischen Noise-Pioniers der 1980er.

BaseCamp Library - Hold The Sound (11.03.25-27.04.25)

Der zweite Akt von «Interlude» widmet sich der BaseCamp Library mit «Hold The Sound» - einer Installation, die das Publikum zum Lesen, Hören, Nachdenken und Diskutieren einlädt. Der Wunsch, die ephemere Natur des Klangs durch verbalen und visuellen Ausdruck einzufangen, ist der Ausgangspunkt von «Hold The Sound».

BaseCamp ist eine Initiative des Filmfestivals Locarno - eine Werkstatt und Kunstresidenz, die den multidisziplinären Dialog über das zeitgenössische Kino fördert. Die Library ist ein neues Projekt von BaseCamp mit dem Vorhaben, ein lebendiges und sich entwickelndes Archiv aufzubauen. Es entstand aus einem Bedürfnis nach lebendigen und sozialen Räumen, welche zur Gemeinschaftsbildung beitragen.

Mit einem modularen Display schafft die Library Räume, die sich von Ort zu Ort verändern und den freien Austausch von Ressourcen und Ideen ermöglichen, fernab von produktionsbedingten Zwängen. «Hold The Sound» ist eine kuratierte Auswahl aus über 150 Kunstbüchern, die Klänge halten, jedes auf seine Art und Weise. Von kritischen Theorien über Hörpraktiken bis hin zu Partituren wird das flüchtige Phänomen des Klangs durch einen medialen Transfer in Form von Publikationen übersetzt, archiviert und reflektiert. Die Werke regen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit Zuhören und Aufmerksamkeit an und versammeln vielfältige Positionen, die zum Nachdenken anregen und neue Zugänge zu auditiven Phänomenen bieten.

Als Kurator*innen von «BaseCamp Library - Hold The Sound» beobachten Justine Stella Knuchel und Jan Steinbach, dass heutige Klangumgebungen zunehmend von Algorithmen geprägt sind, die spürbare isolierende Effekte haben können. In diesem Zusammenhang erachten sie es als wichtig, neue Wege der Auseinandersetzung mit Klängen zu erforschen, Gewohnheiten zu hinterfragen und das Zuhören als aktive Praxis zurückzugewinnen. Der Titel des Projekts ist eine Anspielung auf den Klangkünstler Tony Conrad, der vor Jahrzehnten «Hold The Sound!» rief, als er sein Mikrofon an das Publikum weiterreichte - eine Aufforderung, sich tief auf die Hörerfahrung einzulassen, sie festzuhalten und voll und ganz anzuerkennen.

Das Display der BaseCamp Library wurde von dem De-signer Gabriel Hafner entworfen, unter ausschliesslicher Verwendung ausrangierter oder recycelter Materialien. Es bietet dem Publikum einen Raum, sich zu hinzusetzen und ihn in einer erweiterten Zeitlichkeit zu bewohnen. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung wird die BaseCamp Library im Cabaret Voltaire in Begleitung einer Klanglandschaft präsentiert, die in Zusammenarbeit mit Beatrice Dinoia entwickelt wurde. Ob Originalkreationen oder neu adaptierte Klangperformances - alle drei Arbeiten hinterfragen das Hören als vielschichtige Praxis. Sie verwischen die Grenzen zwischen natürlichen und technologischen, freiwilligen und unfreiwilligen, realen und imaginären Klängen, die alle gleichermassen die Grenzen der Wahrnehmung erweitern können. Die Aufnahmen werden in die Library abgespielt, um das Lesen und das Reflektieren des Publikums zu begleiten.

Das Taschenbuch Hold The Sound, das zur Einweihung der BaseCamp Library im Jahr 2024 herausgegeben wurde, kann in der Buchhandlung CVBOOKS im Eingangsbereich erworben werden.

Weitere Ausstellungen im Cabaret Voltaire

Neben den genannten Ausstellungen bietet das Cabaret Voltaire ein abwechslungsreiches Programm, das die Dada-Bewegung und ihre Auswirkungen auf die zeitgenössische Kunst beleuchtet. Besuchen Sie die Website des Cabaret Voltaire für weitere Informationen zu aktuellen und zukünftigen Ausstellungen.

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