Netflix bietet eine breite Palette an Dokumentationen, die psychologische Themen aufgreifen und Einblicke in menschliches Verhalten und mentale Prozesse geben. Diese Filme und Serien beleuchten verschiedene Aspekte, von den dunklen Seiten wie Stalking und Cybermobbing bis hin zu den subtilen Einflüssen sozialer Medien und den komplexen Motiven hinter Entscheidungen.
«Arnold»: Ehrgeiz, Disziplin und die Psychologie des Erfolgs
Die Netflix-Dokumentation «Arnold» widmet sich dem Leben von Arnold Schwarzenegger und analysiert die psychologischen Faktoren, die zu seinem Erfolg führten. Zwar stammte er, Sohn eines nationalsozialistischen Polizistenvaters und einer sauberkeitsfanatischen Mutter, aus einem Bauerndorf in der österreichischen Steiermark. Dennoch verkörpert er als Aufsteiger die amerikanischen Werte - metaphorisch, mental, biografisch. Allen voran durch die Bestätigung der Zwecklüge, dass es jeder in Amerika schaffen kann, wenn er denn nur will. Kapitalismus als Geld gewordene Gleichheit der Chancen.
Überall der Beste seinSelbstverständlich hat er seine dreifache Karriere als Bodybuilder, Filmstar und zweifacher Gouverneur von Kalifornien einem stählernen Ehrgeiz zu verdanken. Denn wie Arnold Schwarzenegger es in seiner Autobiografie erzählt und es in «Arnold» ausführt, der neuen Dokumentation: «Ich hatte immer schon eine Vision von dem, das ich erreichen wollte.» Und sein Ziel war von Anfang an: in allem, das er tat, der Beste zu werden. Oder der Erfolgreichste, was bei ihm auf dasselbe herauskam.
Ehrgeiz, Disziplin und Ausdauer gehören zu seiner Ausstattung, das sagt er selber und bestätigen es alle, die Netflix zu ihm befragt hat. Auch habe sein Vater mit seinen Schlägen zwar seinen sensiblen älteren Bruder Meinhard zerstört, der im Alkohol versank und 1971 betrunken bei einem Autounfall ums Leben kam. Aber ihn selber, sagt Arnold, hätten die Schrecken der Jugend, die autoritäre Erziehung des nationalsozialistischen Vaters und die Armut der Familie stark gemacht und seinen Entscheid beschleunigt, so schnell wie möglich von zu Hause wegzukommen.
Zugleich engagiert er sich für Menschen mit Behinderung und für Schulen, kämpft als Waffennarr gegen Gewalt, Antisemitismus und laxe Waffengesetze, posierte als Bodybuilder für ein Schwulenmagazin, engagiert sich energisch für Umwelt, Klima und Corona-Impfungen, greift Donald Trump an und gehört trotzdem zu den beliebtesten Prominenten der USA.
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Als entscheidend für seinen wuchtigen Aufstieg erwiesen sich Eigenschaften, die ihm jene bis heute absprechen, die sich für Intellektuelle halten und mangelnde Bildung für einen Ausdruck der Dummheit. Regisseur James Cameron aber, der brillante Regisseur, begriff es sofort: Er fand Arnold Schwarzenegger nicht nur humorvoll, sondern auch intelligent und lernwillig. «Du musst Schauspieler werden», sagte er ihm. «Ich will nicht Schauspieler werden», gab der zurück, «ich will ein Star sein.» Dann nahm er Schauspielstunden.
Am meisten beeindruckt in seinen Gesprächen mit «Netflix» die Art, wie dieser Superstar über andere spricht und sich selber beurteilt. Erstens hört er nicht auf, die Mithilfe anderer zu loben, und spricht bei jedem Projekt in der ersten Person Mehrzahl. Zweitens erzählt er freimütig von seinen Fehlern. Und wie sehr er diese bereut.
Und als dieselbe «L.A. Times» Jahre später nachwies, Arnold habe schon vor seiner Wahl zum Gouverneur eine Affäre mit einer Nanny angefangen und diese ihm einen Sohn geboren, dessen Vaterschaft er 15 Jahre lang vor seiner Familie geheim gehalten habe, reagiert der blossgestellte Katholik mit derselben souveränen Art: Er gab alles zu, erzählte es seiner Familie und musste akzeptieren, dass seine tief enttäuschte Frau Maria sich nach 25 Ehejahren von ihm scheiden liess.
In «Arnold», der neuen Netflix-Dokumentation, bezeichnet der Geschiedene diesen Fehler als den grössten, den er in seinem Leben je begangen habe. Und sagt, er werde sein ganzes restliches Leben daran leiden. Immerhin hat er sich mit der Familie versöhnt und auch seinen ausserehelichen Sohn Joseph anerkannt, der sich ebenfalls für das Bodybuilding interessiert und dessen Vater stolz auf ihn ist.
«Baby Reindeer»: Eine Serie über Stalking und Trauma
Die Netflix-Produktion «Baby Reindeer» thematisiert Stalking und seine psychologischen Auswirkungen auf Opfer und Täter. Sie handelt von einem jungen Mann und seiner Stalkerin. Sie zeigt Grenzüberschreitungen, sexuellen Missbrauch, Menschen mit Traumata.
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Eine Frau, Martha, betritt im Londoner Stadtteil Camden eine Bar. Sie setzt sich an den Tresen und weint. Der Mann an der Bar, Donny, hat Mitleid und offeriert ihr einen Tee. Sie ist entzückt über die Aufmerksamkeit und kommt am nächsten Tag erneut. Sie kommt wieder. Tag um Tag.
Je mehr Zeit vergeht, desto aufdringlicher wird Martha. Sie nennt ihn «Baby Reindeer», «Rentierbaby». Sie sagt ihm, sie wolle seinen Körper mit einem Reissverschluss öffnen und hineinkriechen. Irgendwann googelt Donny ihren Namen und realisiert: Martha ist eine verurteilte Stalkerin. Aber sie ist auch seine Bewunderin. Es dauert Monate, bis er zur Polizei geht.
«Baby Reindeer» ist eine brutale Serie. Sie beruht auf wahren Begebenheiten, die für die Dramaturgie nur leicht verändert wurden. Die Geschichte von Donny hat der schottische Schauspieler und Comedian Richard Gadd selbst erlebt. Er hat sie 2019 bereits auf Bühnen erzählt. Nun hat er sie für Netflix verfilmt.
In der vierten Episode erfährt man, dass Donny einige Jahre zuvor von einem Drehbuchautor monatelang sexuell missbraucht wurde. Die Zuneigung von Martha lenke ihn ab von den Erinnerungen daran, reflektiert er.
Und auch Martha, die Stalkerin, wird in der Serie mit Empathie porträtiert. Als sie im Winter monatelang an der Bushaltestelle vor Donnys Wohnung sitzt und beinahe erfriert, leidet man mit, weil sie so verloren, so zerbrechlich wirkt. Und als man ihre kleine, zugemüllte Wohnung sieht und die vielen Mobiltelefone, mit denen sie ihre Opfer kontaktiert, fragt man sich: Was muss ein Mensch erleben, um dahin zu kommen?
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Was die Geschichte noch aufdringlicher macht, ist die Tatsache, dass sie wahr ist. Es beschäftigt die Menschen, dass es Martha wirklich gibt und einen halbwegs bekannten Drehbuchautor, der Donny missbrauchte. Dass man diese Personen aufspüren kann, wenn man lange genug sucht. Und genau das geschieht gerade: Die Fans schreiben eine tragisch-komische Fortsetzung dieser Serie. Sie versuchen, die realen Figuren zu finden. Indem sie die Menschen, die sie für die realen Figuren halten, online stalken.
Gadd hat mit «Baby Reindeer» etwas Neues geschaffen. Er zeigt in einer autobiografischen Serie den sexuellen Missbrauch von Männern, was selten ist. Und er öffnet eine intime Perspektive auf Stalking. Nahezu jede Szene ist eine Qual. Aber eben auch gelungen. So quält man sich fasziniert durch die sieben Episoden der Serie.
«Unbekannte Nummer: Der Highschool-Catfish» - Cybermobbing und mütterliche Traumata
Die Netflix-Doku «Unbekannte Nummer: Der Highschool-Catfish» erzählt die Geschichte von Lauryn Licari, die 15 Monate lang Cyber-Mobbing erlebte. Lauryn und ihr Freund Owen erhielten täglich bis zu 50 Hassnachrichten von einer unbekannten Nummer. Nach langen Ermittlungen enthüllte das FBI den Täter.
Ab Oktober 2020 erhielten die damals 13-jährige Lauryn und ihr Freund Owen verstörende, beleidigende und bedrohliche Nachrichten von einer unbekannten Nummer. Insgesamt werteten die Ermittler laut Berichten rund 350 Seiten an Chatprotokollen aus - was Hunderttausenden Einzelnachrichten entsprechen muss.
Die örtliche Polizei ermittelte in dem Fall - der Verdacht lag nahe, dass jemand aus Lauryns Klasse den beiden die Nachrichten zustellte. Nachdem die Polizei trotz langer Ermittlungen nicht weitergekommen war, brachte erst das FBI die Wahrheit ans Licht: Die Absenderin war Lauryns eigene Mutter, Kendra Licari. Sie begründet ihre Tat damit, dass sie selber unter einem Trauma litt, weil sie als junge Frau vergewaltigt worden sei. Deshalb habe sie verhindern wollen, dass ihre Tochter erwachsen werde. Sie sass etwa 16 Monate wegen Stalking im Gefängnis.
Psychologe Dominik Schöbi von der Universität Freiburg sieht in einer Bindungsstörung der Mutter eine mögliche Erklärung. «Dort steht oft auch eine Verlustangst im Raum», analysiert er. Durch die verstörenden und belastenden Nachrichten würde die Tochter die Distanz zu Gleichaltrigen vergrössern und abhängiger von ihrer Mutter werden.
Solche Störungen könnten von eigenen Traumata kommen, bestätigt der Psychologe: «Starke negative Erfahrungen aus der eigenen Kindheit können sich wieder bemerkbar machen, wenn man selbst Kinder hat.» Das würde sich schliesslich in Hass, Aggressionen und destruktiven Impulsen äussern. Die systematische und anhaltende Art des Verhaltens der Mutter könnte aber auch auf eine Persönlichkeitsstörung hindeuten, so Schöbi.
Klar ist für den Psychologen: Diese Erfahrung wird an der Tochter nicht spurlos vorbeigehen. «Gerade die Jugendjahre sind eine kritische Phase für die Entwicklung von Autonomie, der eigenen Identität und Beziehungsentwicklung.
«The Social Dilemma»: Die Psychologischen Auswirkungen Sozialer Medien
«The Social Dilemma» ist eine Netflix-Doku, die sich mit den psychologischen Auswirkungen sozialer Medien auseinandersetzt. Sie zeigt, wie Algorithmen die menschliche Psychologie beeinflussen und wie soziale Netzwerke die Angst, etwas zu verpassen, verstärken.
Doch auch auf psychischer Ebene beeinflusst die Konsumation von digitalen Medien uns Menschen. Gerade in Sicht auf Erkrankungen und damit beschäftigen sich Wissenschaftler in der Doku «The Social Dilemma» von Jeff Orlowski.
Um heute auf dem neusten Stand und informiert zu sein, gehört es dazu, aktiv auf allen Plattformen vertreten zu sein. Doch dieser Zwang setzt grossen Druck voraus - diesem können immer mehr junge Erwachsene nicht standhalten. Diese erzählen wie mit ausgefeilten Algorithmen die eigene Psychologie gegen den einzelnen Nutzer aufgespielt wird.
«Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal» - Psychologie der Untreue
Die Netflix-Dokuserie «Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal» thematisiert die Psychologie der Untreue und die Motive, die Menschen zu Seitensprüngen bewegen. Die Serie erzählt die persönlichen Geschichten einiger der vom Skandal betroffenen Fremdgänger.
«Die Anziehungskraft der Affäre ist eine Kombination aus Abenteuerlust, dem Reiz des Neuen, und dabei die Möglichkeit zu haben, die eigene Attraktivität prüfen zu können», sagt die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualina Perrig-Chiello (71). «Ein zusätzlicher Kick ist für viele, dass Affären meist geheim sind - und Geheimnisse haben immer einen grossen Reiz.»
Denn je offener das Thema präsentiert werde, desto tabuloser und reizvoller werde es, erklärt Pasqualina Perrig-Chiello. «Dies hat zur Folge, dass Menschen, die fremdgehen, offener über ihre Erfahrungen sprechen. Diese Offenheit kann wiederum für andere ein Anreiz sein, sich ebenfalls auf eine Affäre einzulassen, was sie vielleicht noch vor einigen Jahren nicht so leichtfertig getan hätten. Ganz nach dem Motto: Viele andere tun es ja auch.»
«Oft sind es verschiedene Gründe», sagt Perrig-Chiello. «Was man mit Gewissheit sagen kann: Bei einer Affäre geht es meistens nicht nur um Sex. Vielmehr geht es darum, dass man sich von seinem Partner zu wenig beachtet oder vernachlässigt fühlt, ja sogar wütend auf ihn oder sie ist. Mangelnde Liebe und Zuwendung, Suche nach Bestätigung und eine festgefahrene Beziehung sind einige der Hauptgründe, die hinter einem Seitensprung stecken.» Einiges zugespitzter formulierte es einst der ehemalige CEO von Ashley Madison, Noel Biderman (53): «Die Menschen betrügen, weil ihr Leben nicht funktioniert.»
«The Push»: Manipulation und die Grenzen des menschlichen Verhaltens
Das einstündige Psycho-Experiment «The Push» fragt nach dem Bösen im Mensch - und findet es in den Produzenten des Formats. Das einstündige Netflix-Spektakel will uns nämlich lehren, dass die selbstverständlichsten Interaktionen unseren Verstand manipulieren können. So weit, dass wir bereit sind, zu morden.
Beim allmächtigen Vater dieser Sendung …… Derren Brown sagt von sich selbst, er sei ein Magier - ein TV-Magier. Doch Karten-Tricks und fliegende Blumensträusse gehören nicht ins Trick-Repertoire des 43-jährigen Briten. Brown betreibt sowas wie philosophische Magie, arbeitet mit Psychotricks und Suggestion. Das interessiere die Leute heutzutage, erklärt er in den ersten 56 Sekunden seiner Sendung: «Ich stelle die uralte Frage danach, was es denn bedeutet, ein Mensch zu sein.» Sein Erklärungsversuch auf jene Megafrage ist ein einstündiger Zusammenschnitt, wie er mit der Hilfe von 80 Schauspielern vier Menschen zu einem Mord verleiten will.
Die wahren Opfer sind die vier unwissenden Auserwählten, die einen «Job» bei einer renommierten Jugendorganisation erhalten haben. Der Name des Vereins: «Push». Der Slogan: «Um jeden Preis.» Man sieht: Manipulation findet hier auf allen Ebenen statt.
Durch Brown erfährt das Publikum, wie die menschliche Psyche angeblich tickt. Die Würstchen-Posse kommentiert er so: «Machst du jemandem ein kleinen Gefallen, steckst du mit ihm unter einer Decke und tust ihm später immer grössere Gefallen. Das wird noch ganz wichtig.»
Derren Brown freut sich, wenn seine «Opfer» gegen die Moral verstossen. So werden sie immer gefügiger; bis zum Auftragsmord - vielleicht.
Er guckt frontal in die Kamera und appelliert an den Zuschauer, sodass jedem Verschwörungstheoretiker das Herz aufgeht:«Wenn wir verstehen, wie wir manipuliert werden, dann können wir stärker werden - wir können ‹NEIN› sagen.»
Weitere sehenswerte Dokumentationen auf Netflix
- Icarus: Enthüllung von Doping im Profisport und politische Verstrickungen.
 - The Vietnam War: Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg.
 - 13th: Der Umgang mit der schwarzen Bevölkerung in den USA nach der Abschaffung der Sklaverei.
 - De Palma: Einblick in das Leben des Regisseurs Brian De Palma.
 - Making a Murderer: Ein Gerichtsfall, in dem ein Amerikaner für ein Verbrechen verurteilt wurde, das er nicht begangen hat.
 - The World’s Most Extraordinary Homes: Eine Wohlfühlserie über außergewöhnliche Architektur.
 - Chasing Coral: Umweltschutz und die Auswirkungen des Klimawandels auf Korallenriffe.
 - Dogs: Die Beziehungen zwischen Menschen und Hunden.
 - Planet Earth: Eine Dokumentarreihe über die Wunder der Natur.
 - Chef’s Table: Porträts von innovativen Köchen.
 
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