Ein weiser Pfarrer hat sie Wegwerfprodukte genannt. Und Rhetorikerinnen betonen, dass sie Reden und keine Schreiben seien. Predigten sind Sprechakte, und was hier ins Netz gestellt wird, sind Manuskripte, nicht mehr.
Die Rolle des Liedes im Gottesdienst
„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ und „Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in eurem Herzen“: Diese beiden Bibelworte sind das Motto für den heutigen Sonntag Kantate: „Singet!“ In diesem Jahr haben wir dazu einen besonderen Anlass: Wir feiern 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Und das mit Recht. Denn die Kirchenlieder, die Choräle sind ein großer Schatz gerade in den evangelischen Kirchen. Mit ihnen hat sich die frohe Botschaft von der in Jesus Christus geschenkten Liebe und Gnade Gottes in die Herzen der Menschen hineingesungen.
Martin Luther, unser Reformator, war nicht nur ein begnadeter Redner und Schriftsteller. Er war auch ein begnadeter Dichter und Musiker. Er packte die Frohe Botschaft in Liedtexte und ermunterte seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter, Lieder zu dichten.
Es wurde gesungen und gesungen, ja, als Gebrauchsbüchlein waren die Liederhefte bald „zersungen“. Und so ist es ein kleines Wunder, dass das einzige erhaltene gedruckte Exemplar des Enchiridion sich in unserer Marktkirchenbibliothek in Goslar befindet.
Luther ist überzeugt: Wir brauchen Lieder, die jeder mitsingen kann. Diese ersten evangelischen Lieder haben sich rasant verbreitet.
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Kritiker sehen im Singen eine «soziokulturelle Anomalie», die heute keine elementare Lebensäusserung mehr darstelle. Trotzdem entstand nach 1960 eine Vielzahl geistlicher Gesangbücher.
Die Freikirchen produzierten im gleichen Zeitraum über 70 Liederbücher. Wie tot ist also das Lied? Diese Frage ist ernst gemeint. Denn Bücher und Noten machen noch kein lebendiges Lied.
Martis Redensart vom «Singen im Kirchenasyl» scheint weitgehend zuzutreffen. «Und wenn die Kirche der einzige Ort ist, wo noch gesungen wird, à la bonheur, dann pflegen wir es erst recht».
Ob das Singen noch immer in diesem Sinn als Kennzeichen und Prüfstein des Glaubens empfunden wird, bleibe dahingestellt. Trotz vielfachen Veränderungen im soziokulturellen Umfeld, im Kirchenklima und der Musikkultur insgesamt ging das Bemühen in der Aneignung neuer geistlicher Lieder weiter.
Erfahrungsgemäss sind es heute die Gottesdienstverantwortlichen und Gestaltenden, die im oder am Rand der Gottesdienste diese Aufgabe übernehmen.
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Nochmals wird im Folgenden deutlich, dass liturgisches Singen, auch im Blick auf das Kirchenlied, ohne die Dienste von Kantoren und Kantorinnen sich nicht mehr angemessen realisieren lässt.
Als einen guten und von allen akzeptierten Weg hat sich mancherorts das Vorsingen einer Strophe eingespielt. In der Ansage des Liedes wird die Gemeinde eingeladen, die erste Strophe anzuhören, um sie danach zu wiederholen. Dieses Vorgehen, das sich freilich nur bei relativ einfachen Liedern verwenden lässt, baut Ängste vor Neuem ab und stärkt das Selbstvertrauen der singenden Gemeinde.
Es hat sich gezeigt, dass ein Vorsänger, eine Vorsängerin oder eine kleine Ansinggruppe den Gesang mit dieser Art der Liedaneignung besser führt als die Orgel. Dies ist strukturbedingt bei allen Refrainliedern (im KG 39 Gesänge) und bei allen Kehrversliedern (im KG 13 Gesänge) gegeben.
Man erklärt ganz kurz, weshalb der Kehrvers (in den meisten Fällen) den Schlüssel zum Lied gibt und lädt danach die Gemeinde ein, sich zunächst nur auf ihn zu konzentrieren. Analog verfährt man mit dem Refrain, der die Botschaft des Liedes am Schluss nochmals nachhaltig bestätigt und vertieft.
Nach mehrmaligem Singen dieser Teile des Liedes, kann der Gemeinde das ganze Lied zugemutet werden. Wir in der resonsorialen Praxis allgemein werden Kehrverse auch im Lied zu Beginn vorgesungen und dann von allen wiederholt.
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Gottesdienst ist seinem Wesen entsprechend ein Wort-Antwort-Geschehen. In der Darstellung dieser Wort-Antwort-Dynamik gibt es in der jüngeren katholischen Literatur frappante Ähnlichkeiten mit der bekannten Definition Luthers von 1544, nach der im Gottesdienst nichts anderes geschehen soll, «denn dass unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein Wort und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang».
Das Zweite Vatikanische Konzil bringt dies theologisch auf den Punkt: «Denn in der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die Frohe Botschaft.
Im Zug der nachtridentinischen Reform wurde das Kirchenlied zu einem katechetischen Zugpferd. Sie hatte, vorab durch die von Jesuiten verbreiteten Liedsammlungen, den Katechismusunterricht und die Volksmission zum Ziel, nicht Liturgie und Gottesdienst.
Seinen Sitz im gottesdienstlichen Leben erhält das Lied erst mit dem 2.Vatikanischen Konzil: Musik und Gesang werden zum «notwendigen und integralen Bestandteil» der Liturgie aufgewertet.
Künftig ist die adäquate Antwort nicht ein Gesang zur Liturgie, sondern Gesang als Liturgie, die gesungene Liturgie.
Die Predigt (Homilie) im Wortgottesdienst schöpft aus der «Heiligen Schrift und der Liturgie, ist sie doch die Botschaft von den Wundertaten Gottes in der Geschichte des Heils…».
Dass diese nicht nur Paul Gerhardts (+16767) «Glucke, Storch und der hochbegabten Nachtigall» besingen, sondern auch Lieder über Ängste, Sorgen und aktuelle Nöte, Lieder, die das Miserere der Unterdrückten rufen und das Maranatha der Wartenden und Hoffenden wachhalten, zeigen neuere Gesangbücher, unter ihnen auch das KG.
Das Potential der Lieder, die Mystik auch als Widerstand verstehen, ist beträchtlich gestiegen. Sowohl im traditionellen Singgut wie im neuen Lied stösst man auf ein erstaunliches «kerygmatisches Potential».
Definition der Liedpredigt
Den Begriff «Liedpredigt» fassen wir in diesem Zusammenhang freilich etwas weiter: Wir interpretieren resp. erlernen ein Lied im Kontext oder auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft. Dabei folgen wir entweder der vorgegebenen Leseordnung oder wählen in einem speziellen Fall eine Lesung aus, die das Lied im Blick auf diese Botschaft erhellt.
Die Auswahl einer Schriftstelle soll in der Regel «der jeweiligen Situation und religiösen wie geistigen Fassungskraft der Teilnehmer entsprechen». Während in der Lied-Predigt nicht unbedingt eine zwingende Verbindung zum Bibeltext bestehen muss, - sie wäre wünschbar - führt eine Lied-Katechese direkt auf diesen Bibeltext hin.
Sie bildet gewissermassen den «hermeneutischen Anmarschweg». Die Erschliessung des Liedes hat einen Eigenwert und wird dennoch zu einer Wegbereitung für die Erhellung des Bibeltextes.
Obwohl Wort und Antwort theologisch sauber zu trennen sind, kommt es im liturgischen Vollzug öfters zu einer wechselseitigen Durchdringung: Das Wort Gottes ergeht in, mit und unter der Antwort der Gemeinde. Diese Antwort wiederum gewinnt Gestalt im Gottesworte, in dem sich Gottes Heil vergegenwärtigt und zueignet.
Die Liedkatechese geht der Schriftlesung voraus und führt auf diese hin. Es versteht sich von selbst, dass ihr damit ein relativ grosses Gewicht zukommt.
Das Ziel der Liedkatechese ist die textliche und melodische Erschliessung wie auch das Erlernen des Liedes. Dies erfolgt in einer Atmosphäre geistlicher Sammlung ohne kopflastige Wissensvermittlung und schulmeisterliches Gehabe. Es darf nicht der Eindruck einer Schulstunde oder einer Chorprobe entstehen. hymnologischen Informationen diesem Anliegen dienen.
Als gelungen ist die Liedkatechese dann zu bezeichnen, wenn das Erlernen des Liedes fast unbemerkt und gewissermassen beiläufig passiert. Als Kompliment hören die Gestaltenden dann: «Es ist ein schönes Lied und wir können es sogar!
Mitwirkende: Neben dem Präsentator oder der Präsentatorin (Liturge/Liturgin) sind Vorsänger, eine Ansinggruppe oder ein Chor unabdingbar.
Da mehrere Beteiligte die Liedkatechese begleiten und Regieanweisungen zu vermeiden sind, bedarf es einer genauen Ablaufskizze, besser noch eines Drehbuchs. Bevor die Gemeinde das Lied erstmals singt, muss die Melodie bereits des öfteren erklingen.
Schon während des Betretens des Gottesdienstraumes kommt sie den Eintretenden entgegen. Sie wird auch mehrfach solistisch vorgetragen und ist dann beim erstmaligen Singen schon irgendwie vertraut.
Bei der Begrüssung und Einführung wird der Gemeinde gesagt, dass wir den Zugang zur Botschaft über ein neues Lied versuchen wollen. Damit wird der Eindruck vermieden, es gehe doch wieder nur um eine Liedprobe.
Wenn das Lied es zulässt, sollte man in der Abfolge der Gedanken den Liedstrophen folgen. Die Teilnehmer haben das Lied vor sich und können so leichter den Ausführungen folgen.
Für die geistliche Aneignung ist ein meditatives Klima nötig, in dem die Teilnehmenden auf je eigene Weise das Lied vertiefen können.
Bei der Hinführung auf ein neues Lied kann schon ein erster «Ankick» nachdenklich machen, hilfreich für Kirchgänger, die halt immer schon brav gesteckte Nummern absingen. Er könnte Widersprüche und Fragen, die man beim Singen von Lieder so oft hat, vorab thematisieren und damit das Interesse wecken.
Gott hat das erste Wort. Gott liebt diese Welt. «Wie bitte? Christus wird geboren in den Schmerz der Zeit. Wir haben neben einem «harten Kern» mit wechselnden und gelegentlichen Gottesdienstbesuchern zu rechnen.
Vielen ist unsere liturgische Sprache fremd und wirkt unter Umständen bereits als Barriere. «Gefragt ist deshalb eine inklusive Sprache, die sich nicht nur an Insider richtet und darum nieman-den im vornherein ausschliesst.
Gelegentlich führt ein Liedtext zwanglos zu einem Schuldbekenntnis. Umkehr ist die Rückseite der Medaille «Glaube»: Kehrt um und glaubt (Mk 1,15).
Die gläubige Antwort auf Gottes Wort sprengt den gottesdienstlichen Horizont, weil «das gesamte Handeln der Gemeinde und ihrer Glieder als im Alltag der Welt erfolgende Antwort des Glaubens auf den Ruf der die Welt ergreifende Gnade» zu sehen ist.
Aus dieser Perspektive ist Umkehr ein Dauerthema. Wenn eine besondere Festlichkeit dies nahe legt, kann das Allgemeine Schuldbekenntnis entfallen (KG S.100).
zuwendet und so erst die Voraussetzungen für eine gläubige Antwort schafft. Die Liedkatechese entfaltet sich schrittweise. Gemäss den Prinzipien der Hermeneutik sollte sie in logischer Folge zu einigen einprägsamen Grundgedanken führen.
Dazwischen werden immer wieder Melodieteile oder Strophen vorgesungen bis schliesslich die Gemeinde selber zum Singen eingeladen wird. Ab dieser Stelle soll sie häufig zum Singen kommen, damit die Melodie sich einprägt.
Hat das Lied nur wenige Strophen, so sind auch Wiederholungen wünschbar, da ja eine Strophe auch unter ganz verschiedenen Rücksichten interpretiert werden kann.
Dabei soll auch die Melodieführung als ein wesentliches Element des Liedes sorgfältig einbezogen werden. Musikalische Erläuterungen müssen einfach und einem Durchschnitt zugänglich sein.
Sie lassen sich mit dem Textsinn verbinden oder können an das Erleben der Hörer/innen anknüpfen. So bietet die Sprache oft selber Rhythmus-Modelle an (KG 218 Aus vielen Körnern gibt es Brot: viermal das gleiche rhythmische Motiv, das zur Klimax führt), die auf ihre Weise Botschaften vermitteln.
Auch lösen Intervalle bei bewusstem Hören eine seelische Gestimmtheit aus (KG 448 In der Welt habt ihr Angst: Unisono, ängstliche Pochen). Einen prägenden Ausdruckswert hat neben der Tonart auch der Verlauf und die Zielrichtung der melodischen Entfaltung (KG 305 Es kommt ein Schiff geladen).
Wie der Wort-Tonbezug die emotionale Gestimmtheit beeinflusst, lässt sich zeigen beim Unterlegen eines Textes unter eine andere Melodie. So etwa «O Heiland reiss die Himmel auf» (KG 302) unter die Ostermelodie «Das ist der Tag, den Gott gemacht » (KG 455).
Da man in thematischen Gottesdiensten bezüglich des Schrifttextes grundsätzlich frei ist, lohnt sich eine sorgfältige Auswahl. Wie in der Verkündigung insgesamt hüte man sich vor kurzschlüssigen Antworten.
Lobpreis: Damit verdichtet sich allenfalls der Dank, der Lobpreis und die Hoffnung des betrachteten Liedes. Gottes Verheissung und die Zusage seiner Treue im Lied wird in seinem Wort gewissermassen ratifiziert.
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