Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung: Ursachen und Hintergründe

Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) ist eine psychische Erkrankung, die als Reaktion auf traumatische Ereignisse oder eine Serie von Ereignissen entsteht, die aussergewöhnlich stressig oder erschütternd sind. Menschen mit komplexer posttraumatischer Belastungsstörung (CPTSD) werden nicht selten als «zu empfindlich» abgestempelt, obwohl ihre Wunden tief und real sind. Mit diesem Themen-Dossier möchte ich Verständnis schaffen und Betroffenen zeigen: «Du bist nicht allein. Es gibt Hoffnung.» Es ist auch eine Einladung an Angehörige und Interessierte, hinzusehen, zuzuhören und Mitgefühl zu entwickeln.

Was ist ein Trauma?

Nicht jede schlimme Erfahrung in unserem Leben ist ein Trauma, das mit schweren Folgen nachhallt. Die Psychologie spricht dann von einem Trauma, wenn uns ein extrem bedrohliches Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen widerfährt. "Diese Erfahrungen können tiefe Spuren hinterlassen und das psychische Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Besonders wenn Betroffene keine Möglichkeit hatten, das Erlebte zu verarbeiten, können langfristige Folgen auftreten", sagt Rahel Bachem.

Ursachen einer komplexen PTBS

Die Entstehung einer Traumafolgestörung geht in jedem Fall das Erleben einer traumatischen Situation voraus. Die Art des Auslösers hat einen Einfluss darauf, ob eher eine einfache oder komplexe posttraumatische Belastungsstörung ausgebildet wird. Während bei der einfachen posttraumatischen Belastungsstörung ein Ereignis aussergewöhnlicher Bedrohung oder grauenhafter Natur zugrunde liegt, führen solche Ereignisse, die zudem länger andauern oder sich wiederholen und aus denen eine Flucht schwierig oder unmöglich ist, vermehrt zu einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung.

Als besonders traumatisierend erlebt werden häufig Situationen, die unerwartet auftreten und die Unversehrtheit einer Person bedrohen. Die Betroffenen erleben eine starke Hilflosigkeit und einen Kontrollverlust. Dazu gehören Krieg, Folter, schwere Unfälle, Katastrophen sowie sexueller, körperlicher oder psychischer Missbrauch.

Die komplexe Form der posttraumatischen Belastungsstörung wird in der Regel durch besonders schwere, sich wiederholende und langandauernde traumatische Erlebnisse hervorgerufen. Beispiele dafür sind Kindheitstrauma durch körperliche Misshandlung oder sexueller Missbrauch. Weitere schwerwiegende Traumata, nach denen Menschen die komplexe posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, sind Folter, sexuelle Ausbeutung oder andere Formen schwerer organisierter Gewalt (wie Menschenhandel).

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Risikofaktoren

  • Traumatische Erlebnisse, die länger andauern oder sich wiederholen und aus denen eine Flucht schwierig oder unmöglich ist.
  • Je jünger die betroffene Person beim Erleben eines traumatischen Ereignis ist.
  • Mehrere Traumata in entwicklungssensitiven Phasen auftreten, in denen sich der Selbstwert, die Selbstregulation und Selbstwahrnehmung ausbildet.
  • Fehlende soziale Unterstützung, insbesondere durch die Familie.
  • Psychische Vorerkrankungen.
  • Autoritärer Erziehungsstil mit bestrafenden Konsequenzen.

Ob eine Traumafolgestörung ausgebildet wird, hängt unter anderem von der Resilienz der betroffenen Person ab. Personen, die über eine bessere, allgemeine Stimmungslage verfügen, weniger häufig grübeln, weniger schnell Beunruhigung durch Alltagsstress erleben und eine grössere Zufriedenheit mit ihrer sozialen Rolle erleben, sind weniger anfällig für die Entstehung einer Traumafolgestörung nach dem Erleben einer potentiell traumatisierenden Situation.

Symptome der komplexen PTBS

Allen Traumafolgestörungen ist gemein, dass der Gedächtniszugang nicht bewusst reguliert werden kann. Dies führt zum unwillkürlichen Wiedererleben der Situation oder der stark aversiven Gefühlen in Zusammenhang mit der Situation.

Die Symptome von Traumafolgestörungen können vielfältig sein und in folgende Hauptkategorien unterteilt werden:

  • Intrusionen: beschreiben das Wiedererleben des Traumas in Form von ungewollten Erinnerungen, Träumen, Bildern oder Gefühlen.
  • Vermeidungsverhalten: bezieht sich auf das Meiden von Reizen, die mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden, wie Orte, Situationen oder Menschen.
  • Hyperarousal: beschreibt Symptome wie übertriebene Wachsamkeit, anhaltende Bedrohungswahrnehmung und Schreckhaftigkeit.

Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung enthält zusätzlich zu den bereits beschriebenen Symptomgruppen drei weitere. Diese sind die beeinträchtigte Affektregulation, ein negatives Selbstkonzept und interpersonelle Probleme. Die beeinträchtigte Affektregulation bezeichnet eine zu starke oder zu geringe emotionale Reaktivität. Dazu gehört zudem eine Dissoziationsneigung bei Stress, das heisst, ein Ausfall von Wahrnehmungs- oder Bewusstseinsfunktionen. Das negative Selbstkonzept beschreibt anhaltende Selbstvorwürfe, ein Gefühl von Beschädigung oder Beschmutzung sowie ein niedriges Selbstwertgefühl.

Nach der belastenden Situation kehrt das Trauma immer wieder unkontrolliert ins Bewusstsein zurück. Betroffene fühlen sich ins Trauma zurückversetzt und zeigen ähnliche Reaktionen wie während des Traumas selbst. Manchmal können die Erinnerungen kaum von der Realität unterschieden werden. Häufig leiden Betroffene unter Alpträumen und wachen mit Symptomen ähnlich einer Panikattacke auf. Reize, die an ein Trauma erinnern, wie zum Beispiel Gerüche, Geräusche oder Gefühle, lösen das Wiedererleben des Traumas aus.

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Häufige Symptome im Überblick

  • Amnesie (Unfähigkeit, sich an Vergangenes zu erinnern)
  • Derealisation (abnorme oder verfremdete Wahrnehmung der Umwelt)
  • Depersonalisation (abnorme oder verfremdete Wahrnehmung seiner selbst)
  • Flashbacks
  • Albträume
  • Panikattacken
  • Beeinträchtigte Affektregulation
  • Negatives Selbstkonzept
  • Interpersonelle Probleme

Diagnose der komplexen PTBS

Die Diagnose einer Traumafolgestörung erfordert eine professionelle Beurteilung durch Psychiater/innen oder Psychotherapeut/innen. Dabei werden die Symptome, ihre Schwere und Dauer berücksichtigt, um festzustellen, ob eine PTBS vorliegt.

Da die posttraumatische Belastungsstörung nicht die einzige mögliche Folge traumatischer Erfahrungen ist, werden wir im Abklärungsgespräch auch auf andere Krankheitsbilder zu sprechen kommen, etwa eine Depression, eine Angststörung oder ein Burn-out, die gemeinsam mit einer PTSD oder auch für sich alleine auftreten können.

Behandlungsmöglichkeiten

Je früher eine PTSD therapiert wird, desto besser sind die Behandlungsaussichten. Wichtig ist daher, bei entsprechendem Verdacht frühzeitig professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Jegliche Behandlung sollte durch speziell ausgebildetes Fachpersonal erfolgen.

Die Behandlung von Traumafolgestörungen kann verschiedene Ansätze umfassen:

  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und spezialisierte Formen wie Traumatherapie (z. B. EMDR - Eye Movement Desensitization and Reprocessing) können helfen, die Symptome zu bewältigen, indem sie den Umgang mit belastenden Gedanken und Gefühlen erleichtern.
  • Medikamente: Antidepressiva, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), können zur Linderung von Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen und Schlafproblemen eingesetzt werden.
  • Selbsthilfestrategien: Stressbewältigung, Entspannungstechniken, Sport, gesunde Ernährung und ausreichender Schlaf können dazu beitragen, die Symptome zu mildern.
  • Unterstützungsnetzwerk: Familie, Freunde und Selbsthilfegruppen können eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Betroffenen spielen.

Die Behandlung sollte individuell auf die Bedürfnisse und Umstände jeder Person abgestimmt sein.

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Therapeutische Ansätze

  • Prolongierte Exposition
  • Narrative Expositionstherapie
  • Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
  • Imaginationstechniken
  • Kognitive Verhaltenstherapie

Abgrenzung zu anderen Erkrankungen

Die Symptomatik einer Traumafolgestörung ähnelt in einigen Bereichen psychotischen Symptomen. So können Intrusionen als Stimmenhören fehlverstanden werden, das Hyperarousal kann als psychotischer Erregungszustand interpretiert werden und traumaverursachtes Misstrauen kann paranoid wirken. Weiter zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen den Symptomen einer Traumafolgestörungen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Ähnliche Symptome sind Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation, zwischenmenschliche Schwierigkeiten sowie ein negatives Selbstkonzept.

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