Sechs bis zehn Prozent aller Kinder und rund fünf Prozent aller Erwachsenen sind von einer ADHS beeinträchtigt. Es ist kein Zufall: Viele Geschwister, Väter oder Mütter von ADHS betroffenen Kindern leiden ebenfalls unter dieser Problematik. Dies bestätigt, dass es sich bei der ADHS im Kern um eine genetisch bedingte, neurobiologische Störung handelt. ADHS ist eine der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Symptome sind Unaufmerksamkeit, ausgeprägte motorische Aktivität und erhöhte Impulsivität.
Der Alltag mit ADHS stellt Familien vor besondere Herausforderungen. Die lange andauernde und ständig mit vielen Wechseln belastete Pandemie-Phase fordert das Familiensystem und unsere ganze Gesellschaft sehr. Viele sind mit Ängsten und Konflikten konfrontiert, welche neu sind. Zum Glück wird Hilfe in Anspruch genommen, wenn die Not gross ist. Die Nachfrage hat das bestehende Angebot an die Grenzen gebracht. Da die Anspannung sehr breit ausgeprägt ist und Eskalationen schneller und heftig sind, braucht es sofort eine Anlaufstelle. Lange Wartezeiten sind da schwierig.
Erste Schritte und Anlaufstellen
Erste Anlaufstelle für eine ADHS-Abklärung kann der Kinderarzt oder die Kinderärztin sein. Zeigen sich Auffälligkeiten primär in der Schule, können sich die Eltern an den schulpsychologischen Dienst wenden. Beide Stellen können Kontakte vermitteln und eine Überweisung an eine Fachstelle veranlassen.
Der Schweizer Dachverband für ADHS elpos bietet Mitgliedern kostenlose Beratungen, günstige Coaching-Angebote, informative Veranstaltungen und fundierte Lektüre rund um ADHS. Als gemeinnützige Organisation setzt elpos sich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen von Menschen mit ADHS und ihren Angehörigen ein. Durch Spenden und Mitgliederbeiträge kann ein bedarfsgerechtes Angebot geschaffen und so die Lebensqualität dieser Menschen verbessert werden.
Die Organisation adhs20+ fördert und unterstützt die Verbreitung von Informationen zum Thema ADHS im Erwachsenenalter. Sie betreibt eine ADHS-Anlaufstelle für Erwachsene und hilft bei der Triage. Um dem stark wachsenden Bedürfnis nach qualitativ hochstehenden und umfassenden Informationen gerecht zu werden, produziert adhs20+ laufend didaktisch und fachlich hochstehende und professionell produzierte Lernvideos in jedem der drei Bereiche des 3-SäulenModells: Wissen, Verstehen, Handeln.
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Weitere wichtige Anlaufstellen:
- Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie: Expertenzentrum für die Diagnostik und Behandlung der ADHS bei Kindern und Jugendlichen.
 - ADHS-Ambulanz: Bietet ambulante Abklärungen, psychotherapeutische Behandlungen und pharmakotherapeutische Unterstützung.
 - Selbsthilfeorganisationen: Nationale Dienst- und Koordinationsstelle der gemeinschaftlichen Selbsthilfe in der Schweiz.
 
Diagnose und Abklärung
Die ADHS-Diagnose sollte immer durch Fachpersonen erstellt werden. Die Diagnosestellung für ADHS ist aufwändig und anspruchsvoll. Die Diagnose funktioniert nach einem sorgfältigen und aufwändigen Ausschlussverfahren durch eine Fachperson. In unserer Klinik nutzen wir für die Diagnosestellung die internationale Klassifikation der Störungen ICD-11 der WHO, nach der die Kriterien und Symptome definiert werden.
Eine Abklärung sollte umfassend erfolgen, um andere Krankheiten und Fehldiagnosen auszuschliessen. So gehören neben Fragebögen für Eltern und andere Bezugspersonen auch Seh- und Hörtests zum Standard. Folgende Punkte sind bei der Diagnosestellung wichtig:
- Befragung von Familie, Kind, Jugendlichem und anderen Bezugspersonen.
 - Ausschluss von anderen Ursachen (Differentialdiagnose).
 - Fragebogenverfahren.
 - Testpsychologische Untersuchungen.
 
Therapie und Unterstützungsmöglichkeiten
ADHS ist mittlerweile gut erforscht und es gibt eine grosse Bandbreite an Unterstützungsmöglichkeiten. Es gibt sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene gut erforschte und praxistaugliche Behandlungsmöglichkeiten. Es gibt nicht die eine wirksame Therapie für alle, sondern es wird mit Hilfe von Fachpersonen individuell und bedarfsgerecht Unterstützung zusammengestellt. Dabei wird das persönliche Umfeld unbedingt mit einbezogen. Medikation kann, muss aber nicht ein Teil der Therapie sein.
Was Kinder mit ADHS an Unterstützung brauchen ist individuell und hängt stark von der Ausprägung, den jeweiligen Symptomen und vom Leidensdruck ab. Manche Kinder profitieren von einer Behandlung mit Medikamenten. Diese können insbesondere bei Konzentrationsschwierigkeiten oder Problemen mit der Emotionsregulation helfen. Bei der Frage, ob und welche Medikamente sinnvoll sind, können Kinderärzte und Kinderärztinnen gut unterstützen.
Bei Auffälligkeiten bezüglich Motorik kann eine Psychomotorik- oder Ergotherapie sinnvoll sein. Für ältere Kinder kommt vielleicht ein psychologisches Coaching oder eine Psychotherapie infrage. In einem solchen Setting erlernen sie Strategien, um mit ihren Emotionen und insbesondere ihrer Impulsivität umzugehen.
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Überblick über Therapie- und Unterstützungsangebote:
- Medikamentöse Behandlung
 - Psychotherapie
 - Ergotherapie
 - Psychomotorik
 - Elterntraining
 - Coaching
 - Schulpsychologischer Dienst
 
Weil Kinder mit ADHS viel Kritik hören, ist es besonders wichtig, das Kind für Dinge zu loben, die es gut kann. Hat ein Kind Schwierigkeiten in der Schule und sind die Möglichkeiten der Klassenlehrperson ausgeschöpft, kann der schulpsychologische Dienst eine gute Anlaufstelle sein. Gemeinsam kann geschaut werden, welche Unterstützungsmöglichkeiten das Kind braucht. Kinder mit der Diagnose ADHS haben ein Recht auf Nachteilsausgleich.
Leben mit ADHS: Stärken und Herausforderungen
ADHS kann Menschen ein Leben lang begleiten. Wirklich auswachsen wird sich ADHS aber nicht. Verglichen mit anderen können sich Betroffene oft auch als Jugendliche oder Erwachsene schlechter konzentrieren. Die äussere Hyperaktivität wandelt sich meist in eine innere Unruhe um. Umso wichtiger ist, dass Betroffene Unterstützung in Form einer Therapie erhalten und bei Leidensdruck nicht einfach abgewartet wird.
Kinder mit ADHS haben aber auch ganz viele positive Seiten und besondere Stärken. Sie sind häufig äusserst kreativ, sensibel, lebhaft, hilfsbereit, neugierig, unterhaltsam, empathisch und haben einen grossen Gerechtigkeitssinn. Interessiert sie etwas, sind sie darin oft überdurchschnittlich gut.
Weg mit der Linearität, es lebe die Kongruenz zu sich selbst! Jägereigenschaften sind eine wichtige Antwort zugunsten von Kreativität und Innovation. Die Sache ernst nehmen und anpacken, sich von ihr aber nicht erdrücken lassen.
Umgang mit Herausforderungen im Alltag
Nehmen wir das Thema Hausaufgaben. ADHS-Betroffenen fällt es schwer, sich längere Zeit zu konzentrieren. Sie sind rasch abgelenkt, träumen vor sich hin oder können plötzlich ausrasten oder sich nicht dafür motivieren. In unseren telefonischen Beratungsgesprächen hören wir zunächst einfach zu. Wir nehmen uns bis zu 60 Minuten Zeit. In einem ersten Schritt hilft es den meisten schon sehr, wenn sie ihre Sorgen aussprechen und sich jemandem anvertrauen können. Dann schauen wir uns die Situation genauer an: Was ist das Thema? Welche Regeln gelten? Sind diese hilfreich? Wie könnten gemeinsam Regeln erarbeitet werden? Was braucht es, damit die Umsetzung gelingt? Eltern sehen oft nur noch die Schwächen des Kindes. Ich frage dann immer: Was läuft gut? Und lasse sie eine Plus-Minus-Liste erstellen. Ganz wichtig ist, dass das betroffene Kind stets miteinbezogen wird und man nicht über seinen Kopf hinweg bestimmt. Sonst machen Regeln keinen Sinn.
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Folgende Fragen können weiterhelfen: Welche Zeit eignet sich für die Hausaufgaben am besten? An welchem Ort kann sich das Kind gut konzentrieren und welche Hilfsmittel und Strukturen braucht es, um die Aufgaben zu erledigen? Gibt es einen Rückzugsort für das Kind, wo es zur Ruhe kommt, wenn es mit den Hausaufgaben nicht klappt oder einen Boxsack, um einen möglichen Wutanfall abzufangen? Dies gilt es in einem ruhigen Moment zu besprechen.
Ganz wichtig ist, dass das betroffene Kind stets miteinbezogen wird und man nicht über seinen Kopf hinweg bestimmt. Sonst machen Regeln keinen Sinn. Lassen Sie am Abend jedes Kind erzählen, was an diesem Tag besonders schön war. Führen Sie eine Liste mit erfreulichen Ereignissen. Lächeln. Suchen Sie sich Weggefährtinnen und Weggefährten, die Sie verstehen. Eltern sehen oft nur noch die Schwächen des Kindes. Ihr Kind stört in der Schule oder auch in seinem sozialen Umfeld, ist aggressiv, nervt oder ist zu verträumt. Ich frage dann immer: Was läuft gut? Und lasse sie eine Plus-Minus-Liste erstellen. Dann sehen sie schwarz auf weiss, dass es meist viel mehr Positives hat, als sie sich bewusst sind.