Alexandra Burkart ist eine sogenannte Angehörigen-Peer im Paraplegiker-Zentrum Nottwil. Sie führt Gespräche mit Angehörigen, deren Partner oder Kind durch einen Unfall querschnittgelähmt wurde und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
In solchen Momenten erfährt nicht nur das Leben des Verunfallten eine einschneidende Veränderung, sondern auch das der Menschen, die mit ihm leben. Burkart versucht, den Angehörigen die Angst vor der Zukunft zu nehmen, vor der Verantwortung, die sie tragen, wenn ihr Partner oder Kind mit einer starken körperlichen Beeinträchtigung vom Zentrum nach Hause zurückkehrt. Sie erzählt ihnen, wie es daheim sein wird und was sie alles erwartet.
Eigene Erfahrungen als Grundlage der Beratung
Dabei schöpft Alexandra Burkart aus eigener Erfahrung. Vor zehn Jahren verliebte sie sich in einen Mann, der zwei Monate nach dem ersten Kuss durch einen Unfall zum Tetraplegiker wurde. Sie zweifelte keinen Moment, dass sie mit Roland zusammenbleiben will. Natürlich hatte sie schwere Momente und wusste manchmal nicht, ob sie genügend Kraft für all das hat. Aber die Beziehung zu beenden kam für sie nie in Frage.
Es gibt Frauen und Männer, die vor Angst, das nicht packen zu können, aus der Situation flüchten. Aber nicht nur die gesunden Partner, sondern auch jene im Rollstuhl. Es gibt Männer, die sich durch diese Lähmung nicht mehr männlich fühlen.
Herausforderungen und Lösungen
Sie litt in den ersten Monaten am meisten darunter, dass sie so wenig Zeit zu zweit hatten, da sie ja erst zwei Monate zusammen gewesen waren vor dem Unfall. Immer war Besuch oder Pflegepersonal da. In den ersten Wochen, nachdem Roland die Klinik verlassen hatte, wohnte er wieder mit seinem Bruder in Luzern zusammen, während sie damals eine neue Ausbildung begann und in Bern lebte.
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Sie machten als erstes einen Kurztrip nach Dublin. Er hatte noch keine elektrische Rollstuhlunterstützung, sie musste ihn die ganze Zeit stossen, und überall gab es Schwellen. Auch half sie ihm beim Darm entleeren, transferierte ihn ins Bett und machte die Morgenpflege. Das war enorm streng.
Damals mussten sie sich auch daran gewöhnen, dass man wegen des Rollstuhls vermehrt angestarrt wird. Das ermüdet, und sie versteht, wenn sich Leute dann zurückziehen aus dem öffentlichen Leben. Aber man muss genau darum hinausgehen. In Nottwil sprachen sie mit anderen Betroffenen. Auch gingen sie zusammen in eine psychologische Beratung. Aber nicht, weil sie als Paar in der Krise waren, sondern weil sie, als es Roland besser ging, plötzlich wahnsinnig Angst hatte, dass ihm nochmals etwas zustossen würde, etwas viel Schlimmeres.
Balance und Autonomie in der Beziehung
In einer Situation, wo ein Partner pflegebedürftig wird, gerät die Selbstbestimmung auf beiden Seiten aus dem Gleichgewicht. Da eine Balance zu finden ist ein langer Prozess, der bis heute anhält. Er macht zum Beispiel alles rund ums Büro, Rechnungen, Steuern, Dinge, um die sie sich sowieso nicht gern kümmert. Sie macht das Pflegerische und kocht. Wenn ihr beim Essenzubereiten eine Zutat fehlt, holt er sie. Manche Dinge kann er nur langsam machen, aber da wartet sie einfach.
Bei vielen Paaren, oder auch zwischen Eltern und einem gelähmten Kind, ist die Gefahr von Bevormundung gross. Doch das Ziel sollte auf allen Seiten die grösstmögliche Autonomie sein. Sie ist nicht nur zum Schutz der Beziehung wichtig, sondern auch aus praktischen Gründen: Jemand im Rollstuhl muss handeln können, wenn der Partner mal plötzlich nicht da ist.
Bei älteren Leuten sieht sie oft, dass der eine Partner alles übernimmt. Das kann funktionieren, aber es kann auch sehr ungut werden. Bei jüngeren Betroffenen geschieht das nicht so selbstverständlich.
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Umgang mit Intimität und externer Hilfe
Alexandra erzählt stolz: Roland hat kürzlich sein eigen illustriertes Comic-Buch «Wirbelsturm» veröffentlicht. Sie spricht auch offen über die Herausforderungen, die durch die Spitex entstehen: Da die Spitex auch die Körperpflege macht, entsteht eine Intimität. Bei der Spitex arbeiten ja fast nur Frauen, sie sind dann mit ihrem Partner im Bad. Als sie noch jünger war, hatte sie viel mehr Mühe damit, heute geht sie relativ gelassen damit um.
Eine Frau der Spitex mischte sich aber anfangs tatsächlich zu stark in ihr Leben ein. Sie brachte Roland Geschenke mit und begann, Sachen vorzuschreiben. Solche Situationen zwingen sie, die Probleme rasch anzusprechen und Lösungen zu finden.
Freiräume und Lebensqualität
Viele Partner von Querschnittgelähmten verzichten auf sehr vieles, weil sie sich sonst schlecht dabei fühlen. Sie kann auch Zeiten ohne Roland geniessen. Das ist für ihn völlig in Ordnung, er geniesst es auch, die Wohnung mal für sich allein zu haben. Man braucht ja sowieso in einer Beziehung Zeit für sich, Distanz kann die Beziehung beleben, das gilt auch für Paare, wo ein Partner körperlich eingeschränkt ist. Sie kennt aber auch sehr ängstlichere Paare.
Glücksmomente und Perspektiven
Inzwischen sind Sie zehn Jahre zusammen. Sechs Monate nach dem Unfall konnte Roland sie zum ersten Mal wieder umarmen. Das war ein wahnsinnig schöner Moment. Am 1. Jahrestag ihrer Beziehung gingen sie in jene Bar, in der sie sich zum ersten Mal geküsst hatten, auch das war wunderbar. Und als Roland sie zum ersten Mal von der Arbeit in Bern abholte und den ganzen Weg alleine zurückgelegt hatte. Und natürlich war ihre Hochzeit vor einem Jahr ein Höhepunkt. Sie haben immer wieder Glücksmomente. Vielleicht sogar mehr als andere, weil sie vieles sehr bewusst geniessen können.
Recovery-Gruppe mit Petra Burkhardt
Ab Februar 2025 wird eine Recovery-Gruppe mit der Peer-Person Petra Burkhardt angeboten (max. 8 Teilnehmende). Die Peer-Person ist zertifiziert und besitzt über jahrelange Erfahrung mit der Leitung von Peer-Gruppen im ambulanten und stationären Bereich. Die Peer-Person ist keine Therapieperson, sondern eine Leidensgenossin.
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Zweck der Gruppe ist es, Menschen mit einer psychischen Krankheit einen Diskussionsrahmen zu bieten, um Alltagsprobleme zu besprechen und trotz anhaltender Krankheit ein erfülltes Leben führen zu lernen. Die Teilnahme ist grundsätzlich gratis.
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