Entstehung von Depressionen: Modelle und Einflussfaktoren

Das Ziel dieser Arbeit ist, die soziale Dimension von Depression theoretisch und empirisch zu erfassen. Dazu wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die soziale Dimension auf die Entstehung von Depressionen hat. Diese Arbeit setzt sich mit der sozialen Dimension und der depressiven Störung auseinander. Mit Hilfe des biopsychosozialen Verständnisses von Krankheit, werden durch eine Literaturrecherche theoretische und empirische Wissensbestände ausgebreitet, verknüpft und diskutiert.

Diese Arbeit kommt zum Resultat, dass es durch Bedürfnisspannungen, krisenhafte Ereignisse und das Vulnerabilitäts-Stress-Modell theoretische Erklärungsansätze gibt, welche die soziale Dimension und die Entstehung von Depressionen in einen Zusammenhang setzen. Empirisch finden sich ebenfalls Hinweise darauf. Diese Ergebnisse sind durch die allgemeine Forschungslücken der Thematik ‹Soziale Dimension und die Entstehung von Depressionen› kritisch zu betrachten.

Ursachen einer Depression

Eine Depression entsteht zumeist aus dem Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren. Wie wichtig die einzelnen Faktoren bei der Entstehung einer Depression sind, ist individuell unterschiedlich. Als Auslöser wirken oft sehr belastende Ereignisse, Verluste oder Überforderungssituationen, auf welche Betroffene sensibler reagieren als andere Personen.

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Als grundlegendes Paradigma wird in der klinischen Psychologie das Vulnerabilitäts-Stress-Modell verwendet. Die Vulnerabilität beschreibt dabei die individuelle Anfälligkeit eines Menschen, an einer psychischen Störung zu erkranken. Diese kann unter anderem genetisch aber auch durch Lernerfahrungen wie zum Beispiel kindliche Traumata oder emotionale Vernachlässigung bedingt sein. Bei erhöhter Vulnerabilität reichen bereits geringere aktuelle oder chronische Belastungen aus, um einen Krankheitsausbruch zu bewirken, während bei geringer Vulnerabilität die Belastungen dementsprechend grösser sein müssen.

Diese Schwelle zum Krankheitsausbruch wird durch unterschiedliche Risiko- und Schutzfaktoren (zum Beispiel die soziale Unterstützung aus dem Umfeld) beeinflusst. Im Folgenden werden sowohl psychosoziale als auch biologische Aspekte betrachtet, welche eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer Depression spielen können. Die beiden Aspekte schliessen sich dabei nicht aus, sondern ergänzen sich im Sinne des Vulnerabilitäts-Stress-Modells. Eine Depression ist somit nicht entweder psychosozial oder biologisch bedingt, sondern ein beidseitiges Zusammenwirken.

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Psychosoziale Aspekte

Veränderte Lebensumstände und Stress

Tiefgreifende Lebensereignisse, welche mit einem Verlust oder Rollenwechsel zusammenhängen (wie zum Beispiel das Elternwerden oder die Berentung), können das Risiko für eine Depression erhöhen. Auch anhaltende Stressbelastungen, wie beispielsweise Mobbing am Arbeitsplatz, Langzeitarbeitslosigkeit oder Konflikte in der Familie begünstigen eine Depression.

Erlernte Hilflosigkeit

Das Konzept der erlernten Hilflosigkeit wurde vom amerikanischen Psychologen Martin Seligman eingeführt und mit Tierversuchen vorwiegend an Hunden untersucht. Für Seligman sind Ursachenzuschreibungen von entscheidender Bedeutung. Wenn Ursachen für ein negatives Ereignis wie folgt eingeschätzt werden, kann das depressionsauslösend wirken:

  • Intern: das Problem liegt bei sich persönlich
  • Global: das Problem ist allgegenwärtig
  • Stabil: das Problem ist unveränderlich

So kann sich die Überzeugung entwickeln, dass man nicht fähig ist, die eigene Lebenssituation zu verändern und für den Zustand selbst verantwortlich ist. Es resultiert ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Kognitive Schemata

Ähnlich wie bei der erlernten Hilflosigkeit sind auch bei kognitiven Schemata negative Lebenserfahrungen für eine Depression ursächlich. Kognitive Schemata sind Muster, wie Informationen von Personen verarbeitet werden. Personen mit einer Depression verwenden dabei vor allem dysfunktionale Schemata, welche die wahrgenommene Realität zu sich selbst, der Welt und der Zukunft negativ verzerren.

Gemäss Beck ist das Denken von Depressiven durch negative Schemata gekennzeichnet. Diese Überzeugungen gehen so weit, dass die Betroffenen denken, sie seien unfähig, erfolgreich und glücklich zu sein. Sie neigen dazu, sich zu unterschätzen und zu kritisieren. Mit dem Konzept der kognitiven Schemata wird erklärt, warum ein depressiver Patient trotz objektiver Belege für positive Faktoren in seinem Leben seine schmerzverursachende und selbstverletzende Haltung beibehält. Schemata sind hier stabile kognitive Verarbeitungsmuster, die sich in der Kindheit und Jugend herausgebildet haben. Sie können für längere Zeit inaktiv sein, aber durch bestimmte Umweltereignisse (z.B. Selektive Abstraktion: Überbewertung oder Ignorieren von bestimmten Einzelfakten, unabhängig vom Kontext.

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Beispielsweise tritt eine Komikerin in einem Varieté vor einem Publikum auf, das bei allen ihren Witzen - bis auf einen - mitgeht, lacht und begeistert applaudiert. Zum Beispiel interpretiert jemand das Ausbleiben eines erwarteten Briefes als höchst bedeutsam. Wenn beispielsweise das Sonntagspicknick wegen eines plötzlichen Unwetters verschoben wird, macht sich ein Vater Vorwürfe, er habe seiner Familie den Spass verdorben, weil er diesen Tag ausgesucht hat. Eine Schülerin erhält beispielsweise eine Sechs in einer schwierigen Englischarbeit, folgert jedoch, dass sich in der Note eher die Grosszügigkeit des Lehrers niederschlägt als ihre eigene Fähigkeit (Minimierung).

Biologische Aspekte

Genetische Veranlagung

Eine Depression ist zwar nicht direkt vererbbar, jedoch können bestimmte genetische Merkmale das Risiko für eine Erkrankung erhöhen. Ein Beispiel dafür ist das FKBP5-Gen, welches die Kontrolle über das Stresshormonsystem blockiert und so zu einer überschießenden Stressantwort führen kann.

Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn

Ebenfalls beteiligt sind bestimmte Botenstoffe (Neurotransmitter), welche für das Zusammenspiel und Kommunikation der Zellen im Körper wichtig sind. Bei einer Depression sind Botenstoffe wie zum Beispiel Serotonin und Noradrenalin, welche die Stimmung positiv beeinflussen, im Ungleichgewicht. Diese Erkenntnis gilt als Erklärungsmodell für die Wirkung der Medikamentengruppe der Antidepressiva. Antidepressiva erhöhen diverse Botenstoffe und können Symptome einer Depression mindern. Jedoch sprechen nicht alle Betroffenen auf Antidepressiva an, was für individuelle Ausprägungen des Ungleichgewichts im Neurotransmittersystem spricht.

Hormone / Schwangerschaft

Frauen sind zweimal so häufig von einer Depression betroffen wie Männer. Eine Ursache dafür kann der Hormonhaushalt sein. Nach der Geburt eines Kindes sind ungefähr 10 bis 15 Prozent der Frauen von einer postpartalen Depression betroffen. Diverse Hormone wie zum Beispiel Progesteron, Östrogen und Schilddrüsenhormone sind dabei im Ungleichgewicht.

Medikamente und Drogen

Ebenfalls können depressive Störungen durch die Einnahme oder das Absetzen (sog. Absetzerscheinungen) von diversen Medikamenten verursacht werden. Deshalb erheben Fachpersonen eine ausführliche Krankheitsgeschichte, um eine durch Medikamente verursachte Depression ein- oder auszuschließen.

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Jahreszeit

Wie bereits in Teil 1: Symptome und Diagnosen beschrieben, kann die Jahreszeit ein Faktor für eine Depression sein. Betroffene reagieren auf jahreszeitliche Veränderungen, was zu einer jahreszeitlichen Schwankung des Vitamin B durch Sonnenlicht führt. Frauen leiden viermal häufiger an einer Winterdepression.

Wie Sie sehen sind die Ursachen einer Depression sehr vielschichtig. Oft entsteht eine depressive Störung aus einer Kombination von genetischen, psychosozialen und umweltbedingten Faktoren.

Kognitive Therapie

Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich seit den 1960er Jahren aus einer Gegenbewegung zum Behaviorismus entwickelt. Als Begründer kognitiver Therapien gelten Aaron T. Im Mittelpunkt der kognitiven Therapieverfahren stehen Einstellungen, Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen. Die kognitiven Therapieverfahren gehen davon aus, dass unsere Denkprozesse bestimmen, wie wir uns fühlen und verhalten und auch wie wir körperlich reagieren. Die kognitive Therapie stellt somit die aktive Gestaltung des Wahrnehmungsprozesses in den Vordergrund, weil die subjektive Sicht der Betroffenen über das Verhalten entscheidet.

Ist die Kognition inadäquat (z. B. Ein unangenessener Umgang mit Sachproblemen und schwierigen Lebenssituationen kann zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Definieren und Formulieren des Problems: Die einzelnen Elemente des Problems müssen möglichst klar erfasst, ggf. Der Ausgangspunkt der Methode der Selbstinstruktion ist die Erkenntnis, dass das menschliche Handeln und Erleben von einem selbstreflexiven inneren Dialog begleitet wird. Der Selbstinstruktionsansatz geht auf Donald W. Der innere Dialog bewertet die Ereignisse und Gedanken, und die Bewertung entscheidet darüber, ob diese Phänomene als positive Verstärker oder als Bestrafung wirken.

Beispiel: Wenn man als Schüler in der Pause ist und niemand spricht mit einem, so kann man sich sagen: «Wie furchtbar, niemand scheint an mir interessiert zu sein. Es ist peinlich, so gemieden zu werden. Niemand mag mich - das ist kaum zu ertragen», oder man kann zu sich sagen: «Fein, endlich kann ich mich mal entspannen und dem Treiben zusehen. Phase: Begriffliche Strukturierung des Problems. Erprobung des Konzepts: Der Therapeut hilft dem Patienten, die begriffliche Struktur des Problems (Schema) zu erforschen und auszuprobieren. Selbstinstruktionstraining gilt als wirksame Intervention bei Störungen der Aufmerksamkeit und der Selbststeuerung (ADS, ADHS). Die kognitive Therapie geht auf Aaron T. Beck (geb. 1921) zurück und bezieht sich in erster Linie auf seine Theorie der Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression.

Verzerrte Informationsverarbeitungsprozesse (auch als «Denkfehler» bezeichnet). Negative Gedankeninhalte (Negative kognitive Triade): Diese Gedankeninhalte betreffen das Selbst, die Welt und die Zukunft. Kognitive Schemata. Kognitive Schemata ordnen und organisieren die Aufnahme und die Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt und wirken wie Filter, die selektiv bestimmte Aspekte unserer Erfahrung hervorheben oder unterdrücken, je nach Grundüberzeugungen des Individuums (Petermann et al., 2011).

Negative Gedanken können sich verselbständigen und Erleben und Verhalten beeinträchtigen. Während wir uns im Alltag bewegen, gehen uns unzählige Gedanken durch den Kopf; manche trösten uns, andere beunruhigen uns. Beck hat diese unwillkürlichen Kognitionen automatische Gedanken genannt. Diese spontan auftretenden oder durch Situationen ausgelösten automatischen Gedanken sind Teil der bereits erwähnten kognitiven Schemata. Depressive Menschen erleben die kognitive Triade z. B. in Form einer ununterbrochenen Kette unangenehmer Gedanken. Damit werden sie immer wieder an ihre angebliche Unzulänglichkeit und die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage erinnert. In kurzer Zeit können Hunderte solcher Gedanken depressive Menschen heimsuchen: «Ich bin wertlos. Ich werde es nie zu etwas bringen. Ich lasse alle im Stich. Alle hassen mich. Meine Pflichten wachsen mir über den Kopf. Ich bin dumm.

Jennifer war in der Kindheit eher zurückhaltend und schüchtern. Sie hatte jedoch immer Freundinnen, mit denen sie sich gut verstand. Und sie interessierte sich sehr für Pferde, Musik und Gitarre. In der Schule war sie gewissenhaft und fleissig. Nach der Trennung ihrer Eltern und einem Umzug hat sie jedoch grosse Schwierigkeiten, in der neuen Schule Anschluss zu finden. Ihre beiden besten und einzigen Freundinnen begeistern sich mittlerweile für Mode, Disco und Jungen - Dinge, mit denen sie nicht viel anfangen kann. Jennifer fühlt sich von ihren Freundinnen gekränkt. Sie erlebt sich als unattraktiv und langweilig. Sie ist einsam, traurig, fühlt sich auch von der Mutter nicht verstanden. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Zimmer zurück. In der Schule kann sie sich nicht konzentrieren, fehlt wegen Bauch- oder Kopfschmerzen, und ihre Noten werden schlechter, obwohl sie sich weiter bemüht. Sie isst immer weniger. Abends kann sie nicht einschlafen und grübelt darüber nach, warum in ihrem Leben alles schief läuft. Sie denkt, dass sie nie wieder richtig glücklich sein wird. Zwei Tage nach ihrem 16. Geburtstag versucht sie, sich mit den Schlaftabletten ihrer Mutter umzubringen. Sie hat nur einen einzigen Gedanken: Es ist alles ausweglos, und niemand versteht sie.

Rückfälle bei Depression sind häufig und lassen sich oft nicht mit einem äusseren Lebensereignis erklären. Teasdale (1988) geht in seinem Differential Activation-Modell davon aus, dass das Auftreten einer depressiven Episode die Vulnerabilität erhöht. Beck postuliert, dass unrealistische Schemata und gestörte Kognitionen die Ursache der Depression sind. Kognitive Erklärungsansatze für Panik- und Angststörungen postulieren, dass aufgrund früher negativer Erfahrungen dysfunktionale kognitive Schemata entstehen, die in der weiteren Entwicklung durch Belastungsfaktoren aktualisiert werden können (Petermann et al., 2011). Man geht davon aus, dass Betroffene aufgrund negativer Grundüberzeugungen gewisse Körperempfindungen als lebensbedrohliche Gefahr interpretieren. Die positive Rückkoppelung zwischen Bewertung, Angst und körperlichen Empfindungen entwickelt sich im Sinne eines Teufelskreises zu einer Angstattacke. So werden z. B. Herzklopfen und Schwindel als Anzeichen eines Herzinfarkts interpretiert, daraus resultiert eine verstärkte Angst, die das sympathische Nervensystem aktiviert. Dadurch werden die körperlichen Empfindungen verstärkt, was als Beweis gilt, dass eine lebensgefährliche Attacke abläuft, was wiederum die Angst verstärkt usw.

Eine der Grundannahmen der kognitiven Psychologie ist, dass die Kapazitäten zur Verarbeitung von Informationen begrenzt sind. Automatische Prozesse beinhalten Operationen, die wenig Kapazität erfordern und deshalb parallel abgewickelt werden können. Der Ablauf ist unflexibel und stereotyp, nicht bewusst, und in der Regel schnell. Kontrollierte Prozesse beinhalten Operationen, die viel Aufmerksamkeitskapazität erfordern und deshalb nur seriell verlaufen können. Aufgrund der begrenzten Kapazität kann es bei gleichzeitigem Ablauf mehrerer Operationen zu Interferenzen kommen. Sie sind eher bewusst und stehen unter volitionaler Kontrolle. Beck und Clark (1997) haben diese Unterscheidung in ihrem Modell der automatischen vs. kontrollierten (oder strategischen) Verarbeitungsprozesse bei emotionalen Störungen aufgegriffen.

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