Autismus bei Kindern: Symptome und Erscheinungsformen

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in Kultur und Gesellschaft oft ein hohes Medieninteresse hervorruft. Der Begriff Autismus wird vom griechischen Begriff "autos" abgeleitet und bedeutet «selbst; auf sich selbst bezogen».

Was ist Autismus?

In den 40er Jahren wurden von den Österreichern Hans Asperger und Leo Kanner jeweils unabhängig voneinander unterschiedliche autistische Störungsbilder beschrieben: das Asperger Syndrom und der frühkindliche Autismus. Diese beiden sehr unterschiedlichen Störungsbilder werden heute zur Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst.

Geschätzt ein bis zwei Prozent der Menschen in der Schweiz sind im Autismus-Spektrum. Dabei unterscheiden sich ihre Symptome oft grundlegend. Unterstützung und Förderung sollten deshalb stets individuell auf die betroffenen Kinder zugeschnitten sein.

Symptome der Autismus-Spektrum-Störung

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine grundlegende Beeinträchtigung der gesamten Entwicklung eines Menschen. Sie kennzeichnet sich durch folgende drei Symptomgruppen, welche in der Regel frühkindlich zu erkennen und lebenslang vor zu finden sind:

1. Defizite im Umgang mit anderen Menschen

Betroffene Personen einer Autismus-Spektrum-Störung haben besonders Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen. Bereits in den frühen Lebensmonaten eines Kindes zeigen sich Defizite: Sie halten nur selten und flüchtig Blickkontakt, initiieren weniger Kontakt zu den Eltern und lächeln nicht zurück, wenn sie angelächelt werden.

Folglich ist es für Betroffene mit einer Autismus-Spektrum-Störung schwierig, Emotionen bei anderen zu erkennen und zu verstehen. Sie haben auch Mühe «zwischen den Zeilen zu lesen» und Humor und Ironie zu verstehen. Diese Verhaltensmuster bleiben bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung auch im Erwachsenenalter vorhanden.

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2. Kommunikationsdefizite

Kommunikationsdefizite bei Betroffenen können sich auf verschiedene Arten bemerkbar machen. Einerseits kann die Sprachentwicklung verzögert sein oder ganz ausbleiben. Andererseits bestehen Probleme in der verbalen Sprachkommunikation: es wird z.B. von sich in der Dritten Person gesprochen (Pronominalumkehr) und es werden unangepasste Fragen gestellt oder Feststellungen getroffen.

Bei kleinen Kindern fehlt oft das spontane und phantasievolle Spiel. Mimik und Gestik bleiben oft aus und eine wechselseitige Kommunikation wird nicht begonnen.

3. Repetitive Verhaltensweisen

Die dritte Symptomgruppe einer Autismus-Spektrum-Störung beinhaltet eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensweisen. Tagesabläufe erfolgen in Ritualen. Abweichungen von ritualisierten Tagesabläufen führen zu einer Verunsicherung und beunruhigen Betroffene. Auch Veränderungen, wie zum Beispiel das Umstellen der Möbel verunsichern Betroffene und können zu Panik führen.

Häufig zu beobachten sind auch Wiederholungen von motorischen Bewegungen (z.B. Hand- oder Fingerbewegungen). Betroffene zeigen häufig auch ein intensives Interesse an bestimmten Themen oder Aktivitäten.

Das Asperger-Syndrom

Das Asperger-Syndrom wird zu den Autismus-Spektrum-Störungen gezählt. Die Störung liegt auf der schwach ausgeprägten Seite des Autismus-Kontinuums.

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Kinder mit dem Asperger-Syndrom zeigen in den ersten Lebensjahren eine normale sprachliche und kognitive Entwicklung. Ihre Probleme werden oft erst deutlich, wenn sie mehr Zeit mit anderen Kindern verbringen. Daneben haben Betroffene häufig Schwierigkeiten, sich auf Neues einzustellen und den Wunsch, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale). In vielen Fällen sind die Betroffenen in ihren Bewegungen unbeholfen und ungeschickt.

Im Gegensatz zu den anderen autistischen Formen kann man beim Asperger-Syndrom basierend auf der äusseren Erscheinung der Person nicht sagen, ob jemand davon betroffen ist.

Symptome des Asperger-Syndroms

  • Das Kind scheint die ungeschriebenen Regeln der sozialen Interaktion nicht zu kennen und benimmt sich teilweise unangemessen im Umgang mit seinen Mitmenschen und Spielkameraden.
  • Im Spiel mit anderen Kindern verhält es sich wie ein kleiner Regisseur, der bestimmt, was und wie genau gespielt wird.
  • Gewisse Asperger-Kinder zeigen kein Interesse am Spiel mit anderen Kindern und spielen lieber für sich.
  • Zudem kann sich das Kind schwer in andere hineinversetzen und hat kein intuitives Gespür dafür, wie sich der andere fühlt oder was er denken könnte.
  • Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ist ebenfalls typisch.
  • In der Kommunikation zeigt das Kind wenig Blickkontakt.
  • Sprachlich kann es sich sehr präzise ausdrücken. Die Aussprache kann jedoch seltsam wirken.
  • Teilweise fallen unpassende Bemerkungen und der Gesprächspartner wird gerne unterbrochen.
  • Das Kind spricht manchmal wie ein Wasserfall und merkt nicht, wann es dem anderen zuviel wird („Zutexten“ des Gesprächspartners).
  • Das Kind zeigt einen starken Hang zum Detail. Eine Situation oder ein Bild wird häufig nicht als Ganzes erfasst.
  • Ein Asperger-Kind nimmt somit eine Fülle von einzelnen Informationen und Umweltreizen auf.
  • Sinneseindrücke werden intensiv wahrgenommen und müssen anders verarbeitet werden.
  • Kinder mit Asperger-Syndrom beschäftigen sich gerne intensiv mit einem Themengebiet. Dieses Spezialinteresse beherrscht oftmals die Gespräche.
  • Auch das Sammeln und Horten von gewissen Gegenständen ist typisch.
  • Zudem hält das Kind gerne an fixen Routinen und Ritualen fest.
  • Mit „exekutiven Funktionen“ sind Problemlösungsfähigkeiten gemeint. Dazu gehören die Impulskontrolle, das Planen und Organisieren sowie die geistige Flexibilität (sich auf neue Situationen und Gegebenheiten einstellen). All diese Fähigkeiten sind bei Asperger-Kindern eingeschränkt, was oftmals zu Schwierigkeiten beim Lernen und sich organisieren führt.
  • Manche Asperger-Kinder reagieren impulsiv (denken z.B.
  • Im feinmotorischen Bereich kann die Graphomotorik (Handschrift) betroffen sein.

Frühkindlicher Autismus

Der frühkindliche Autismus (Kanner-Autismus, Kanner-Syndrom) gehört zu den schwerwiegenden Formen von Autismus. Betroffene Kinder haben es schwer, soziale Kontakte zu knüpfen und Beziehungen einzugehen. Stark beeinträchtigt sind auch die Sprachentwicklung und das Verhalten. In der Regel treten diese Symptome des Autismus bei Kindern schon vor dem dritten Lebensjahr auf - und bleiben ein Leben lang bestehen.

Wenn allgemein von "Autismus" die Rede ist, ist damit in der Regel der frühkindliche Autismus gemeint. Diese schwere Form einer Autismus-Spektrum-Störung macht sich schon vor dem dritten Lebensjahr bemerkbar. Sie wird nach ihrem Erstbeschreiber Leo Kanner auch als Kanner-Autismus oder Kanner-Syndrom bezeichnet.

Symptome des frühkindlichen Autismus

  • Gestörte soziale Interaktion: Babys mit frühkindlichem Autismus fallen schon früh durch ihre Andersartigkeit auf. Dem Blickkontakt weichen sie aktiv aus, sie lehnen körperliche Nähe ab und reagieren nicht auf Gestik und Mimik. Das Imitieren eines Lachens, das die Beziehung zur Mutter herstellen soll, kann vollständig fehlen oder sich erst sehr spät einstellen. Ausserdem verstehen Menschen mit Kanner-Autismus Gefühle nicht und zeigen selbst auch keine spontanen Gefühlsregungen. Gesichtsausdrücke, die beispielsweise Zorn, Mitleid, Freude oder Trauer ausdrücken, erahnen sie nicht intuitiv, sondern leiten sie anhand erlernter Erkennungsmerkmale (Muskelbewegungen, Gesichtsfalten) ab. Nicht selten interpretieren sie Gefühlsregungen aus diesem Grund falsch.
  • Gestörte Sprachentwicklung: Ein frühkindlicher Autismus beeinträchtigt viele Kinder in ihrer Sprachentwicklung. Meist beginnen die Kinder erst sehr spät zu sprechen - wenn überhaupt. Sie sprechen Sätze nach oder wiederholen sie einfach, verstehen aber die tiefere Bedeutung oder Zusammenhänge oft nicht. Sie können sich kaum artikulieren oder ihre Wortwahl ist eingeschränkt. Häufig plappern sie Gesagtes wahllos nach oder wiederholen einen Satz immer wieder. Mitunter bilden sie neue Wörter oder sagen beispielsweise "du", wenn sie "ich" meinen.
  • Stereotypes Verhalten: Autistische Kinder wiederholen bestimmte Verhaltensweisen oder Sätze. Solche repetitiven Handlungen - Stereotypien genannt - treten in verschiedenen Bereichen auf. Das Spiel mit drehenden Rädern beispielsweise erfolgt immer nach dem gleichen Muster, Gegenstände werden exzessiv gesammelt und nach ihrer Grösse angeordnet. Beim Spielen picken sich die Kinder oft nur ein ganz bestimmtes Detail des Spielzeugs heraus und beschäftigen sich intensiv damit. Dabei folgt ihr Spiel einem stereotypen Muster und erscheint sehr fantasielos.

Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung

Aufgrund der sich verändernden Symptomatik verläuft die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung in zwei Stufen. Die erste Untersuchung (Stufe 1) erfolgt bei Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung. Dabei werden die altersspezifischen Symptome untersucht und eine erste klinische Evaluation der Person wird vorgenommen.

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Wenn sich der Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung erhärtet, erfolgt die zweite Stufe der Untersuchung. Dabei wird die betroffene Person an eine spezialisierte Stelle überwiesen, um eine vollständige Diagnostik durchzuführen und mögliche andere Ursachen der Symptome ab zu klären. Denn eine weitere Problematik ist die Ähnlichkeit des klinischen Erscheinungsbildes zu anderen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen - wie zum Beispiel die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angststörungen, Sprachentwicklungsstörungen oder Zwangsstörungen.

Für eine Diagnose müssen die drei Symptomgruppen (Defizite in Kommunikation und sozialer Interaktion sowie repetitive Verhaltensweisen) bereits in früher Kindheit vorliegen. Manchmal können sie sich aber erst in späteren Lebensphasen deutlich machen.

Auf der Grundlage der Beeinträchtigung der betroffenen Person werden drei Schweregrade bestimmt: Schweregrad 1 (erfordert Unterstützung), Schweregrad 2 (erfordert umfangreiche Unterstützung) und Schweregrad 3 (erfordert sehr umfangreiche Unterstützung).

Früherkennung von Autismus-Spektrum-Störungen

Neuere Studien zeigen, dass bei der Mehrzahl der Kinder die Diagnose ASS ab Ende zweites Lebensjahr (zwischen 18 und 24 Monaten) sicher gestellt werden kann. Anzeichen, die auf eine Entwicklungsstörung im Zusammenhang mit einer ASS hinweisen, bestehen jedoch häufig schon vor dem Alter von zwei Jahren. Um das Auftreten von Symptomen einer ASS untersuchen zu können, bevor alle entsprechenden Kriterien erfüllt sind, wurden verschiedene Methoden zur Beobachtung des Verhaltens von Kleinkindern (0-3 Jahre) verwendet.

So können bereits im Alter von 6-12 Monaten Entwicklungsstörungen bei Kindern beobachtet werden, die in der Folge ASS-Kriterien entwickeln, wie z.B. weniger interagierendes Lächeln oder sonstige Mimik, verminderter Blickkontakt, fehlendes gegenseitiges Vokalisieren, fehlendes/vermindertes Vokalisieren und kommunikative Gestik (z.B. «auf Wiedersehen» oder Zeigegeste) oder fehlende Reaktion auf den Vornamen.

Im Alter von 9-12 Monaten können weitere Frühzeichen beobachtet werden, wie das Auftreten repetitiver Verhaltensweisen und Spiele (z.B. Gegenstände aneinanderreihen, stereotype Arm- und Handbewegungen), unübliches sensorisches Explorieren (z.B. Suche nach taktilen oder visuellen Empfindungen) oder atypische sensorische Reaktionen.

Zusätzlich zu diesen Zeichen, die dem bei Kindern mit ASS beobachteten Phänotyp angehören, ergaben Forschungsresultate, dass ein motorischer Entwicklungsrückstand bei Risikosäuglingen, obwohl es sich um ein weniger spezifisches Merkmal handelt, ebenfalls auf eine Störung der sozialen Kommunikation schon im Alter von 6-12 Monaten hinweisen kann.

Ein weiteres, besonders wichtiges Element bei der Früherkennung von Symptomen einer ASS ist die Besorgnis der Eltern. Eine Studie hat gezeigt, dass 76% der Eltern Hinweise auf eine ASS bei ihrem Kind vor dem Alter von 18 Monaten korrekt interpretierten (26% vor 12 Monaten, 20% vor 6 Monaten). Die Befürchtungen der Eltern ermöglichen es, Risikokinder von Kindern bei denen sich keine ASS entwickeln wird, schon im Alter von 6 Monaten zu unterscheiden.

Tabelle: Frühzeichen von Autismus-Spektrum-Störungen nach Alter

Alter Mögliche Frühzeichen
6-12 Monate
  • Weniger interagierendes Lächeln oder sonstige Mimik
  • Verminderter Blickkontakt
  • Fehlendes gegenseitiges Vokalisieren
  • Fehlendes/vermindertes Vokalisieren und kommunikative Gestik
  • Fehlende Reaktion auf den Vornamen
  • Motorischer Entwicklungsrückstand
9-12 Monate
  • Auftreten repetitiver Verhaltensweisen und Spiele
  • Unübliches sensorisches Explorieren
  • Atypische sensorische Reaktionen

Wichtiger Hinweis

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend und eignet sich nicht zu einer Diagnosestellung. Eine Abklärung muss unbedingt von einer Fachstelle durchgeführt werden!

Falls Ihr Kind noch keine Diagnose hat, Sie aber einen Verdacht hegen, wenden Sie sich an den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst oder eine andere Fachstelle.

Jedes Asperger-Kind ist anders. Bitte nicht vergessen: Asperger-Kinder wollen uns mit den oben genannten Verhaltensweisen nicht auf die Nerven gehen!

Das Risiko an anderen psychischen Störungen (z.B. an einer Depression) zu erkranken, ist bei Personen, die vom Asperger-Syndrom betroffen sind, erhöht. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass sie zwar im Alltag, in der Schule und im Beruf gleich zu funktionieren scheinen wie neurotypische Personen, sich dazu aber um ein Vielfaches mehr anstrengen müssen. Somit sind sie einem viel grösseren psychischen Druck ausgesetzt.

Das Asperger-Syndrom zu überspielen, kostet den Betroffenen viel Kraft. Deshalb ist ein verständnisvolles Umfeld enorm wichtig.

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