Dissoziative Störungen, früher als Konversionsstörungen bezeichnet, drücken die ursprüngliche psychoanalytische Annahme aus, dass sich ein emotionaler Konflikt in einem körperlichen Symptom ausdrückt (konvertiert).
Die Häufigkeit der dissoziativen Störungen hat über die letzten Jahre abgenommen. Unter den kinder- und jugendpsychiatrischen Patienten machen sie etwa 1 - 2 % der Patienten aus. Das typische Manifestationsalter liegt im Jugend- bzw. im frühen Erwachsenenalter. Mädchen sind etwa drei Mal so oft von dissoziativen Störungen betroffen wie Jungen. Die meisten dissoziativen Störungen dauern nur kurz, das heißt Wochen oder Monate.
Die dissoziativen Störungen lassen sich bezüglich ihrer Genese mittels des Stress-Vulnerabilitäts-Modells verstehen. Gemeinsam ist allen Ausprägungen dissoziativer Symptome, dass sie gleichsam als Reaktion auf massive und unerwartete Traumatisierungen entstehen. Sowohl bei dissoziativen Amnesien als auch bei der dissoziativen Fugue oder den dissoziativen Identitätsstörungen lassen sich im Vorfeld der Störungen massive Stressexpositionen bei den Patienten feststellen wie z.B. Misshandlungen, Kriegserlebnisse, Beziehungskonflikte oder andere scheinbar unlösbare Konfliktsituationen.
Dissoziative Reaktionen können daher als Verhaltensweisen gedeutet werden, in denen die Psyche sich vor im Moment scheinbar unlösbaren Problemen flüchtet, indem sie jene Teile des Bewusstseins, die diesem Problem exponiert sind von der übrigen Identität abspaltet, um dem Individuum einen Raum zur Reorganisation und Traumabewältigung zu geben.
Die generelle Bereitschaft eines Individuums, auf externe Reize mit dissoziativen Störungen zu reagieren, ist von mehreren Faktoren abhängig. In diesem Zusammenhang muss als besonderer Risikofaktor bei der Entstehung von dissoziativen Störungen die frühkindliche Traumatisierung genannt werden. Hierbei steht die dissoziative Identitätsstörung im Vordergrund. Im ICD 10 wird für alle dissoziativen Störungen ein zeitlicher Zusammenhang mit Belastungen, Problemen oder Bedürfnissen gefordert.
Lesen Sie auch: Psychologie in Münster studieren
Die Diagnose einer dissoziativen Störung darf nur gestellt werden, wenn eine körperliche Ätiologie oder ein Substanzmissbrauch als Ursache für die Störung ausgeschlossen worden sind. Den Betroffenen fehlt ganz oder teilweise die Erinnerung an wichtige, aktuelle Ereignisse. Es handelt sich meistens um belastende oder traumatische Ereignisse, wie Unfälle oder Gewalt.
Nach Prof. Dr. A. Steinhausen, H-C. (2000). Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie. 4. Aufl. Weigand,T , Professor Dr. A. Arnheim, Christine (2017). Sonnenmoser, Marion (2004). Dissoziative Störungen: häufig Fehlgedeutet. Deutsches Ärzteblatt PP, Heft 8,S. Fiedler, Peter (2009). Dissoziative Störungen. In: Margraf, J. & Schneider, S. (Hrsg.): Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 2. Springer Verlag, Heidelberg. S. Krämer,U.; 2017; Psychotherapie im Dialog Heft 3) S. Bronisch T (2000) Biologische Korrelate von Persönlichkeitsstörungen. In: Förstl H (Hrsg) Neuropsychiatrie. Organische Korrelate psychiatrischer Erkrankungen. Erikkson, N.G. (1996) Early TRAUMATIC STRESS REACTION; British journal of Psychiatry, 169 S. Alle netDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.Die multiple Persönlichkeitsstörung (dissoziative Identitätsstörung) ist die schwerste Form einer dissoziativen Störung. Sie entsteht oft aufgrund schwerer traumatischer Erfahrungen im Kindesalter, bei denen sich die Persönlichkeit aufspaltet. Die verschiedenen Anteile der Persönlichkeit existieren nebeneinander und wechseln einander ab. In der Regel wissen sie nichts voneinander, haben unterschiedliche Charaktere, Vorlieben, Fähigkeiten und Erinnerungen. Lesen Sie hier mehr über die multiple Persönlichkeitsstörung!ICD-Codes für diese Krankheit: ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. F44 Beschreibung Symptome Ursachen und Risikofaktoren Untersuchungen und Diagnose Behandlung Krankheitsverlauf und Prognose Multiple Persönlichkeitsstörung: BeschreibungDie multiple Persönlichkeitsstörung wird von Fachleuten heute als dissoziative Identitätsstörung bezeichnet. Denn streng genommen handelt es sich nicht um eine echte Persönlichkeitsstörung. Kennzeichen der multiplen Persönlichkeitsstörung ist, dass die verschiedenen Persönlichkeitsanteile einer Person voneinander getrennt zum Vorschein kommen, ohne das diese gestört sein müssen.Die verscheiden Persönlichkeitsanteile (auch "andere Personen", Selbstzustände oder Identitäten genannt) unterscheiden sich meist stark voneinander und treten auch nie zur gleichen Zeit auf. Der Betroffene hat zum Beispiel eine ausgeglichene und freundliche Persönlichkeit sowie eine weitere, die aufbrausend und leicht reizbar ist. Je nachdem, welche Persönlichkeit gerade im Vordergrund steht, ist es möglich, dass die Person ein unterschiedliches Alter und sogar ein anderes Geschlecht für sich reklamiert.Häufig haben die Betroffenen einen Persönlichkeitsanteil entwickelt, der von seiner Entwicklung her im Kindesalter stehen geblieben ist. Dieser Persönlichkeitsanteil ist dann in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten auf dem Stand eines Kindes. Das kann beispielsweise bedeuten, dass die Person in diesem Zustand weder schreiben noch lesen kann.Es können nicht nur zwei, sondern auch deutlich mehr Persönlichkeiten vorhanden sein, wobei in der Regel eine davon die Hauptrolle übernimmt. Meistens wissen die Betroffenen nichts von ihren verschiedenen Persönlichkeiten. Befinden sie sich gerade in einem bestimmten Zustand, können sie sich nicht daran erinnern, was die jeweils anderen Persönlichkeiten gesagt oder getan haben, und umgekehrt.Die multiple Persönlichkeitsstörung tritt bei etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung auf. Frauen und Männer sind fast gleich häufig davon betroffen.Multiple Persönlichkeitsstörung: SymptomeNach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) müssen für die Diagnose der multiplen Persönlichkeitsstörung folgende Symptome vorliegen:Es existieren zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb eines Individuums, von denen zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur eine nachweisbar ist.Jede Persönlichkeit hat ihre eigenen Erinnerungen, Vorlieben, Fähigkeiten und Verhaltensweisen.Jede von ihnen übernimmt zu einem bestimmten Zeitpunkt (auch wiederholt) die volle Kontrolle über das Verhalten der Person.Die Betroffenen sind unfähig, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, sofern diese eine andere Persönlichkeit betreffen, die gerade nicht "anwesend" ist.Die Symptome treten nicht aufgrund einer organischen Störung wie zum Beispiel Epilepsie oder aufgrund von Drogenmissbrauch auf.Neben diesen Anzeichen treten bei multipler Persönlichkeitsstörung oft zusätzlich noch Symptome anderer dissoziativer Störungen auf. Die Personen haben Erinnerungslücken (Amnesien) oder auch Lähmungserscheinungen. Körperliche Schmerzen, für die die Ärzte keine organische Ursache finden, sind ebenfalls typisch für die dissoziative Identitätsstörung. Symptome sind beispielsweise Kopf- oder Bauchschmerzen sowie Schlafstörungen. Sehr oft haben die Betroffenen auch Suizidgedanken oder verletzen sich selbst. Multiple Persönlichkeitsstörung: Ursachen und RisikofaktorenEine multiple Persönlichkeitsstörung ist oft die Folge von schweren Missbrauchserfahrungen. Studien zufolge haben über 90 Prozent der Betroffenen Traumatisierungen in früher Kindheit erlitten. Betroffene berichten beispielsweise, von mehreren Personen als Teil eines Rituals sexuell missbraucht oder zu Kinderprostitution gezwungen worden zu sein. Auch Gewalt und Folter können eine multiple Persönlichkeitsstörung auslösen.Die multiple Persönlichkeit ist hierbei ein Schutzmechanismus. Um die psychisch und/oder physisch unerträglichen Grausamkeiten auszuhalten, spaltet sich die Psyche auf. Während der Misshandlungen begibt sich die Person geistig an einen anderen Ort, an dem sie die Schmerzen und traumatischen Erlebnisse nicht wahrnimmt. Da sie aber körperlich dennoch anwesend ist, registriert ein anderer Teil die Schmerzen und Gewalterfahrungen sehr wohl.Kinder haben zudem eine erhöhte Fähigkeit zur Dissoziation. Sie geben den verschiedenen Persönlichkeitsanteilen mit der Zeit einen eigenen Namen, ein eigenes Alter sowie ein eigenes Geschlecht.Wenn Kinder also immer wieder traumatischen Situationen ausgesetzt sind, die sie nicht bewältigen können, und sie von ihrer Familie keine Unterstützung und Sicherheit erhalten, entwickeln sie möglicherweise eine gespaltene Persönlichkeit. Symptome dieser Spaltung zeigen sich oft noch im Kindesalter oder aber in der Jugend. KritikpunkteDie dissoziative Persönlichkeitsstörung wird immer wieder kontrovers diskutiert. Vertreter des sogenannten soziokognitiven Modells bestreiten, dass die multiple Persönlichkeitsstörung ein Krankheitsbild ist. Sie gehen davon aus, dass der Therapeut dem Patienten die Idee von verschiedenen Persönlichkeitsanteilen einredet oder die Patienten die Symptome vorspielen, um Aufmerksamkeit zu erhalten.Aktuelle Forschungsergebnisse sowie die klinische Erfahrung sprechen aber gegen diese Annahme. Ebenfalls dagegen spricht, dass die meisten Patienten die Symptome lange Zeit verheimlichen, weil sie Angst haben, für verrückt erklärt zu werden. Tatsächlich werden Menschen mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung nicht immer ernst genommen. Wenn sie die Straftaten, die an ihnen verübt worden sind, anzeigen, wird oft ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Multiple Persönlichkeitsstörung: Untersuchungen und DiagnoseDen Anfang bildet ein ausführliches Gespräch zwischen Arzt und Patient. Mögliche Fragen des Arztes dabei sind zum Beispiel:Haben Sie manchmal das Gefühl, dass es in Ihrem Inneren einen Streit darum gibt, wer Sie wirklich sind?Führen Sie Dialoge mit sich selbst?Sagen Ihnen andere Menschen, dass Sie sich manchmal wie eine andere Person verhalten?Klinische Fragebögen helfen bei der Diagnose der dissoziativen Identitätsstörung.Manche Symptome einer multiplen Persönlichkeitsstörung können auch durch hirnorganische Prozesse verursacht werden, was sich durch körperliche Untersuchungen abklären lässt.Die Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung ist schwierig. Fehldiagnosen sind nicht selten. Denn meistens leiden die Betroffenen noch an weiteren psychischen Störungen (z.B. Essstörungen, Depression), welche die dissoziative Identitätsstörung verdecken. Zudem spielen viele Patienten mit multipler Persönlichkeitsstörung ihre Symptome herunter. Multiple Persönlichkeitsstörung: BehandlungDie multiple Persönlichkeitsstörung (dissoziative Identitätsstörung) wird in den meisten Fällen im Rahmen einer Traumatherapie behandelt. Diese kann sowohl stationär als auch teilstationär oder ambulant durchgeführt werden.Multiple Persönlichkeitsstörung: PsychotherapieIn der ersten Phase der Therapie stabilisiert der Therapeut den Patienten. Dieser soll sich sicher fühlen und Vertrauen aufbauen. Erst dann können traumatische Erlebnisse gemeinsam bearbeitet werden. Oft haben die Betroffenen ein verzerrtes Bild der traumatischen Ereignisse und glauben zum Beispiel, selbst an den Misshandlungen Schuld zu sein. Durch die Aufarbeitung des Traumas kann der Patient verstehen, was wirklich passiert ist.Ziel der Therapie ist es, die verschiedenen Persönlichkeitsanteile zusammenzuführen. Eine vollständige Integration ist allerdings nicht immer möglich. Zum einen wissen die Patienten oft nichts von den Handlungen ihrer übrigen Persönlichkeitsanteile (Amnesien). Zum anderen wollen manche Betroffene nicht, dass die Persönlichkeitsanteile aufeinandertreffen. Sollte also eine vollständige Integration nicht gelingen, arbeitet der Therapeut daran, dass die verschiedenen Anteile miteinander kommunizieren.Wenn der Patient alle inneren Anteile kennenlernt, erlangt er zunehmend ein Gefühl von Identität. Je besser die Persönlichkeitsanteile integriert sind, desto leichter fällt es dem Betroffenen, im Alltag zurechtzukommen.Die Therapie einer multiplen Persönlichkeitsstörung (dissoziativen Identitätsstörung) zieht sich oft über mehrere Jahre hin. Trotz der Schwere der psychischen Störung, kann sie im Allgemeinen aber so erfolgreich behandelt werden, dass die Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen können. Multiple Persönlichkeitsstörung: MedikamenteBisher gibt es keine Medikamente, die für die Behandlung der multiplen Persönlichkeitsstörung zugelassen sind. In manchen Fällen setzen Ärzte jedoch antipsychotische Medikamente (z.B. Risperidon) ein, um begleitende Schlaf- oder Angststörungen zu behandeln, oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (z.B. Fluoxetin) gegen depressive Symptome.Multiple Persönlichkeitsstörung: Krankheitsverlauf und PrognoseEine multiple Persönlichkeitsstörung verläuft in der Regel chronisch. Je schwerer die Traumatisierung der Betroffenen ist, desto schwieriger ist eine Heilung. Oftmals geht die Krankheit mit weiteren psychischen Störungen einher, die eine Behandlung verkomplizieren. Fortschritte in den therapeutischen Behandlungsmethoden von traumatisierten Menschen haben jedoch die Prognose der multiplen Persönlichkeitsstörung (dissoziativen Identitätsstörung) in den letzten Jahren verbessert. Autoren- & Quelleninformationen Wissenschaftliche Standards:Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.Vorlage:Martina Feichter, Dr. med. Nina BuschekAutor:Julia Dobmeier, Masterstudium in PsychologieJulia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.ICD-Codes: F44 ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.Quellen:Brunner, R. M.: Dissoziative und Konversionsstörungen, Springer Verlag, 1. Auflage, 2012Dilling, H. & Freyberger, H.J.: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Hogrefe Verlag, 9. Auflage, 2019Gast, U. et al.: Diagnostik und Therapie Dissoziativer (Identitäts-) Störungen in: Psychotherapeut 46.5 (2001): 289-300.International society for the study of dissociation Deutsche Sektion e.V.: www.psychotraumatology-institute-europe.com (Abruf: 04.08.2021)Schneider, F.: Klinikmanual Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Springer Verlag, 2. Auflage, 2016Seidler, G. H. et al.: Handbuch der Psychotraumatologie, Klett-Cotta Verlag, 3. Auflage, 2019Vorderholzer, U. & Hohagen, F.: Therapie psychischer Erkrankungen, Urban & Fischer (Elsevier) Verlag, 16. Auflage, 2021
Formen dissoziativer Störungen
Es gibt verschiedene Erscheinungsformen dissoziativer Störungen:
- Depersonalisations-Derealisationssyndrom (DDS): Hierbei handelt es sich beim Depersonalisations-Derealisationssyndrom (DDS) um eine relativ häufige seelische Erkrankung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, die jedoch nur selten diagnostiziert wird. Oft beginnt die Depersonalisations-Derealisationsstörung nach einem Angstanfall, einer körperlichen Erkrankung oder der Einnahme von Drogen wie z.B. Cannabis. Während einer Depersonalisation ist die Selbstwahrnehmung verändert. Die betroffene Person fühlt sich in ihrem eigenen Körper fremd oder fühlt sich von ihrem Selbst losgelöst und beobachtet sich von aussen. In diesem Zustand empfindet sie keine emotionalen Reaktionen und hat das Gefühl, ihre Handlungen nicht vollständig kontrollieren zu können. Bei einer Derealisation wird die Umwelt als unwirklich, fremd oder verändert wahrgenommen. Eine vorübergehende Depersonalisation oder Derealisation kommt auch bei Gesunden vor, aber auch bei anderen psychischen Störungen sind diese Symptome häufig anzutreffen.
 - Dissoziative Identitätsstörung: Hierbei handelt es sich um eine schwere Form der dissoziativen Störung. Es treten verschiedene voneinander abgetrennte Zustände der Persönlichkeit auf, die jeweils eigene Gefühle, Charaktereigenschaften, Vorleiben und Erinnerungen haben. Die unterschiedlichen Persönlichkeitszustände treten im Wechsel auf und wissen meist nichts von den anderen Anteilen. Es kann aber auch vorkommen, dass die verschiedenen Persönlichkeitszustände nur teilweise dissoziiert sind. Die dissoziative Identitätsstörung beginnt oft schon in der Kindheit. Meist leiden die Betroffenen gleichzeitig an anderen psychischen Störungen, wie Depressionen oder Essstörungen.
 - Dissoziative Fugue (Flucht): Bei einer dissoziativen Fugue (Flucht) verlässt der Betroffene unerwartet seinen gewohnten Lebensbereich, etwa sein Zuhause oder seinen Arbeitsplatz und begibt sich an einen anderen Ort. Der Betroffene wirkt nach aussen hin normal und kann sich weiter selbst versorgen. Während der Fugue kann er sich ganz oder teilweise nicht mehr an seine Vergangenheit und seine eigene Identität erinnern. In manchen Fällen nehmen die Betroffenen auch eine neue Identität an, die sich von der eigentlichen Persönlichkeit unterscheiden kann. Der Fugue-Zustand kann wenige Stunden aber auch bis zu mehreren Monaten anhalten.
 - Dissoziativer Stupor: Diese Form ist dadurch gekennzeichnet, dass eine beträchtliche Verringerung bis hin zur völligen Unfähigkeit vorliegt, willkürliche Bewegungen auszuführen. Es kann auch zu einem Fehlen von reflektorischen Reaktionen auf visuelle, auditorische oder taktile Reize kommen. Die Betroffenen sind vollkommen in einer Körperhaltung erstarrt, sprechen nicht, reagieren nicht auf Ansprechen, essen und trinken nicht. In diesem Zustand kann man keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen.
 - Dissoziative Bewegungsstörungen: Es kommt zu einem teilweisen oder vollständigen Verlust der Bewegungsfähigkeit bei einer oder mehreren Gliedmassen. Begleitet häufig von eingeschränkter Sprechfähigkeit oder Störungen bei der Koordination von Bewegungen. Zittern, Verkrampfungen, Muskelzuckungen, Gangstörungen, Parkinson-ähnliche Symptome oder die Unfähigkeit alleine zu stehen, können ebenfalls vorhanden sein.
 - Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen: Bei diesem Störungsbild gehen die sensorischen Empfindungen teilweise oder ganz verloren. Die Empfindung der Haut kann an bestimmten Stellen, einem bestimmten Körperteil oder am ganzen Körper fehlen.
 - Dissoziative Trance und Besessenheitszustände: Bei der dissoziativen Trance verändert sich vorübergehend das Bewusstsein. Das Gefühl der persönlichen Identität geht verloren. Gleichzeitig ist das Bewusstsein auf die unmittelbare Umgebung oder auf bestimmte Reize in der Umgebung eingeengt. Bei der Besessenheits-Trance nimmt der Betroffene für einen begrenzten Zeitraum eine neue Identität an, die einem Geist oder einem Gott zugeschrieben wird.
 - Dissoziative Krampfanfälle: Es treten Krampfanfälle auf, die einem epileptischen Anfall ähneln. Ein Bewusstseinsverlust besteht jedoch nicht.
 
Diagnose
Sehr häufig werden dissoziative Störungen nicht erkannt oder falsch diagnostiziert. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Symptome oft mit anderen Störungen in Verbindung gebracht werden, zum Beispiel mit neurologischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen. Wichtige Anhaltspunkte für eine dissoziative Störung erhält man sowohl aus dem Gespräch mit dem Patienten wie aus dem Verhalten des Patienten während des Gesprächs.
Typischerweise berichtet der Patient über Gedächtnislücken oder erzählt, dass er immer wieder an Orten ist, ohne zu wissen, wie er dort hingekommen ist. Im Gesprächsverlauf kann auffallen, dass der Patient oft den Faden verliert oder sein Verhalten plötzlich und auffällig wechselt. Ebenfalls sind die von den Patienten angegebenen Beschwerden oft diskordant mit den anatomischen Gegebenheiten. Wichtig sind bei der Anamnese Fragen zur aktuellen Lebenssituation und nach psychischen Problemen oder Erkrankungen in der Vergangenheit. So kann versucht werden zu eruieren, ob es in der Vergangenheit ein Trauma, einen schwerwiegenden Konflikt oder eine starke Belastungssituation gegeben hat.
Lesen Sie auch: Was steckt hinter Missgunst?
Grundvoraussetzung ist selbstverständlich, dass organische Erkrankungen, die ähnliche Symptome auslösen können, abgeklärt werden. Sollten sich schon zu Beginn Zweifel an einer organischen Ursache ergeben.
Behandlung
Eine multimodale Behandlung aus Psychotherapie, medikamentöser Therapie und einem weiteren Verfahren (Kunst-, Bewegungs- oder Musiktherapie) ist die erste Wahl. Der Einbezug des Familiensystems bei Kinder-und Jugendlichen ist unabdingbar. Eine medikamentöse Behandlung kann in manchen Fällen sinnvoll sein. Spezielle Medikamente für dissoziative Erkrankungen sind nicht vorhanden. Antidepressiva können bei depressiver Symptomatik oder der posttraumatischen Belastungsstörung eine wertvolle Unterstützung sein.
Dissoziative Störungen stellen eine sehr heterogene Gruppe psychiatrischer Erkrankungen dar. Ein einheitliches und allen Fragestellungen genügendes Erklärungsmodell zur Krankheitsentstehung gib es jedoch nicht.
Fallbeispiele
Fall 1: Eine 16-jährige Patientin wird wegen einer schweren bulimisch anorexischen Essstörung vorgestellt. In der erweiterten Anamnese stellt sich heraus, die Patientin habe als Achtjährige plötzlich nicht mehr hören können. Der HNO Arzt habe dann eine Versorgung mit Hörgeräten verordnet. Kurze Zeit später völlig normales Hörvermögen. Ein Jahr später deutliche Visusverschlechterung und Brillenversorgung, auch hier nach einigen Monaten spontane Besserung.
Fall 2: Die 15-jährige Kantonsschulschülerin stellt sich mit Schmerzen und Bewegungseinschränkung im linken Bein zuerst beim Hausarzt vor. Zuweisung zum MRI, dort scheinbar Entzündungsreaktion im Hüftgelenk. Trotz medikamentöser Therapie rasche Verschlechterung, die letztlich zu einer völligen Bewegunfähigkeit und Versorgung mit einem Rollstuhl führte. Selbst im Familienurlaub musste die Patientin an den Strand getragen werden. Nach dem Urlaub Vorstellung in unserer Abteilung. In der psychotherapeutischen Behandlung war es der Patientin möglich über den Konflikt in der Familie zu sprechen. Die Eltern wollten unbedingt, dass sie die Kantonsschule besucht. Die Patientin ist dem Wunsch der Eltern zwar gefolgt, wollte aber unbedingt eine Lehre absolvieren.
Lesen Sie auch: Psychologie Studium: Was ist besser?
Tabelle: Überblick über dissoziative Störungen
| Störung | Beschreibung | Häufige Symptome | 
|---|---|---|
| Depersonalisations-/Derealisationsstörung | Gefühl der Entfremdung von sich selbst oder der Umgebung | Sich wie ein Beobachter des eigenen Lebens fühlen, Umgebung erscheint unwirklich | 
| Dissoziative Amnesie | Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern | Gedächtnislücken, Verlust von Erinnerungen an traumatische Ereignisse | 
| Dissoziative Identitätsstörung | Vorhandensein von zwei oder mehr unterschiedlichen Identitäten oder Persönlichkeitszuständen | Wechsel zwischen verschiedenen Persönlichkeiten, Erinnerungslücken | 
| Dissoziative Fugue | Unerwartetes Verlassen des gewohnten Umfelds und Annahme einer neuen Identität | Reisen an unbekannte Orte, Verwirrung über die eigene Identität | 
| Sonstige näher bezeichnete dissoziative Störung | Dissoziative Symptome, die nicht die Kriterien für eine spezifische Störung erfüllen | Vielfältige Symptome, die je nach Fall variieren können | 
tags: #doppelte #dissoziation #psychologie #erklärung