Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) bei Depressionen: Definition, Möglichkeiten und Implementierung

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in beinahe allen gesellschaftlichen Lebensbereichen wird die Psychotherapie zunehmend durch vielfältige digitale Möglichkeiten ergänzt und erweitert.

Internetbasierte Ansätze bieten in vielerlei Hinsicht interessante und vielversprechende Interventionsmöglichkeiten und wurden in den letzten Jahren intensiv erforscht.

Eine kürzlich erschienene Studie im Kanton Bern zeigt auf, dass zirka 90% der Menschen mit Symptomen einer Depression oder Angststörung nie Kontakt mit einer Fachperson hatten.

Zudem besteht in der Schweizer Bevölkerung ein grosser ungedeckter Bedarf (ca. 0,7 Mio. unbehandelte Patienten) an psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungen.

In den letzten Jahren wurden sogenannte digitale Interventionen vermehrt als potenzielle Behandlungsart wahrgenommen. Sie haben den Vorteil, dass sie den Zugang zu evidenzbasierten psychologischen Behandlungen vereinfachen.

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Definition und Unterteilung von digitalen Behandlungsmöglichkeiten

In den letzten Jahren hat sich der Oberbegriff internetbasierte Interventionen für alle digitalen psychosozialen Angebote etabliert, die das Ziel verfolgen, psychiatrischen Symptomen vorzubeugen oder diese zu lindern.

Internetbasierte Interventionen sind vielfältig und reichen von Selbsthilfeinterventionen über die Integration digitaler Inhalte in die Face-to-Face-Psychotherapie bis zur Videotherapie.

Hinsichtlich ihrer Evidenz sind insbesondere webbasierte Selbsthilfeprogramme sehr gut erforscht.

Typischerweise unterscheidet man zwischen Selbsthilfeprogrammen ohne therapeutische Unterstützung (unguided self-help), die selbstständig und autonom von den Betroffenen bearbeitet werden, und solchen mit unterstützenden Onlinekontakten mit Therapeuten (guided self-help).

In angeleiteten Selbsthilfeansätzen werden Betroffene während der Arbeit mit einem Selbsthilfeprogramm mit kurzen, meist wöchentlichen Nachrichten von Fachpersonen bei der Bearbeitung unterstützt.

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Die Nachrichten dienen primär dazu, die Teilnehmenden zu motivieren, die Selbsthilfeprogramme (weiter) zu nutzen und die darin beschriebenen Übungen durchzuführen.

Inzwischen können die meisten evidenzbasierten Programme über verschiedene Endgeräte wie PC, Smartphone und als App benutzt werden.

Mehrere systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zeigen, dass angeleitete Selbsthilfeansätze bei unterschiedlichen psychischen Störungen wirksamer sind als ungeleitete.

Die Wirksamkeitsunterschiede zwischen ungeleiteten und angeleiteten Selbsthilfeprogrammen können zu einem Teil dadurch erklärt werden, dass ungeleitete Programme weniger genutzt und häufiger abgebrochen werden als angeleitete Programme.

Die Therapie via Videotelefonie bietet den Vorteil, dass, ähnlich wie in der Face-to-Face-Therapie, verbale wie nonverbale Informationen in die Interaktion einfliessen.

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So vielfältig internetbasierte Interventionen sind, so vielseitig können sie eingesetzt werden.

Internetbasierte Interventionen finden ihren Einsatz sowohl in der Prävention als auch in der Gesundheitsförderung, ebenso wie in der psychotherapeutischen Behandlung und Nachsorge bzw. Rezidivprophylaxe.

Internetbasierte Interventionen bei Depressionen

Ähnlich wie bei den Angststörungen orientieren sich die meisten internetbasierten Interventionen bei depressiven Störungen am kognitiv-behavioralen Ansatz.

Die Evidenz internetbasierter Interventionen bei Depression ist auch hier vielversprechend.

In verschiedenen Metaanalysen wurden für die Behandlung von Depressionen mittlere bis grosse Effekte für angeleitete internetbasierte Selbsthilfeinterventionen gefunden, sowohl im Vergleich mit Wartekontroll- als auch mit anderen Kontrollgruppen.

Ebenso bei stark ausgeprägten depressiven Symptomen zeigten geleitete internetbasierte Interventionen deutliche Effekte hinsichtlich der Symptombelastung.

Zudem scheint der Zusatznutzen einer therapeutischen Begleitung während der Nutzung von internetbasierten Interventionen bei moderater bis schwerer Depression substanzieller zu sein.

Wie bereits erwähnt, werden ungeleitete Selbsthilfeprogramme im Durchschnitt weniger genutzt, und sie sind weniger wirksam als Programme, die eine therapeutische Begleitung beinhalten.

Mit ihren im Schnitt kleinen Effekten können sie aber im Public-Health- und Präventionsbereich durchaus nützlich sein, weil mit ihnen kostengünstig sehr viele Menschen erreicht werden können.

Andere Formate, wie beispielsweise die Videotherapie, zeigten bisher ebenfalls gute Wirksamkeitsbefunde für Depressionen, jedoch fehlt es bislang an qualitativ guten kontrollierten Studien.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass internetbasierte Interventionen bei Depressionen positive Ergebnisse zeigen, insbesondere wenn die Angebote einen Kontakt mit Therapeuten beinhalten.

Nutzen und Risiken internetbasierter Interventionen

Internetbasierte Interventionen bringen viele Vorteile, aber auch Nachteile mit sich, weshalb die Indikationsentscheidung aufgrund einer genauen Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen sollte.

Implementierung in die Versorgung

In den letzten Jahren waren internetbasierte Interventionen vor allem im Forschungssetting verfügbar.

Die Implementierung der evidenzbasierten digitalen Interventionen in die Routinepraxis wurde lang vernachlässigt.

Eine europäische Erhebung konnte in diesem Zusammenhang aufzeigen, dass die Mehrheit der befragten Interessenvertreter rein internetbasierte Interventionen bei moderat bis schweren Depressionen nicht empfehlen würde.

Zudem bestehen weiterhin Bedenken bezüglich der klinischen Wirksamkeit internetbasierter Interventionen ohne direkten therapeutischen Kontakt.

Daraus kann abgeleitet werden, dass für eine erfolgreiche Implementierung weitere Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel in Bezug auf die Wirksamkeit der Interventionen, zentral zu sein scheint.

Des Weiteren müssen internetbasierte Interventionen überhaupt erst in der Routinepraxis verfügbar und einsetzbar sein.

In Ländern, wie beispielsweise Australien, wurden internetbasierte Interventionen bereits in die Routineversorgung implementiert.

Die Rede ist hier von sogenannten virtuellen Kliniken wie der MindSpot-Klinik.

Die australische MindSpot-Klinik hat zum Ziel, erwachsene Personen mit klinisch relevanten psychischen Symptomen anzusprechen, sie über ihre aktuellen Symptome und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren sowie ihnen internetbasierte Behandlungen anzubieten oder sie an herkömmliche Fachstellen weiterzuleiten.

Die Gruppe, die von einem solchen Angebot am meisten angesprochen wird, besteht aus Patienten mit einer Depression und/oder Angststörung.

Eine erst kürzlich publizierte Beobachtungsstudie zeigte, dass das Konzept der virtuellen Klinik primär zur Diagnostik und Informationsbeschaffung über psychische Störungsbilder und deren Behandlungsmöglichkeiten genutzt wurde.

Die Studie zeigte auch auf, dass die angebotenen, angeleiteten internetbasierten Programme effektiv in der Behandlung von Angststörungen und Depressionen waren.

In Deutschland sieht das Digitale Versorgungsgesetz (DVG) inzwischen vor, dass kostenpflichtige Selbsthilfeprogramme zulasten der Krankenkasse verordnet werden können.

Voraussetzung dafür ist, dass das Programm in das Verzeichnis Digitaler Gesundheitsanwendungen aufgenommen ist (DiGA-Verzeichnis).

Im DiGA-Verzeichnis wird unterschieden zwischen vorläufig und dauerhaft aufgenommenen Interventionen.

Während für dauerhaft aufgenommene Programme sogenannte positive Versorgungseffekte nachgewiesen werden müssen, haben vorläufig aufgenommene Interventionen ihre Wirksamkeit und Sicherheit noch nicht gezeigt.

Alle im DiGA-Verzeichnis aufgeführten Programme sind bei allen gesetzlichen und einigen privaten Krankenkassen vollständig erstattungsfähig und können von Fachpersonen verschrieben werden.

Blended Care

Ein neuerer vielversprechender Ansatz stellt Blended Care dar.

Hier werden internetbasierte Interventionen mit Face-to-Face-Sitzungen kombiniert, teilweise mit dem Ziel, einige Face-to-Face-Sitzungen durch Onlineinterventionen zu ersetzen.

Dabei können Onlineinterventionen vor oder nach konventionellen Therapiesitzungen eingesetzt werden, zum Beispiel zur Wartezeitüberbrückung oder als Nachsorge- und Rückfallpräventionsmassnahme.

Erste Studien zu Kombinationstherapien zeigen eine Überlegenheit von Blended Care im Vergleich zu konventioneller Psychotherapie in der ambulanten Routinepraxis.

Ausserdem kann der zusätzliche Einsatz einer internetbasierten Intervention mit der gleichzeitigen Reduktion der Anzahl Face-to-Face-Sitzungen ohne Wirkungsverlust einhergehen.

Datenschutz, Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht sowie Haftung

Aufgrund der rasanten Entwicklung des Marktes internetbasierter Interventionen ist aus ethischer Sicht zu bedenken, dass vielfach keine klaren Datenschutzrichtlinien bestehen.

Weiter verfügen nicht alle Patienten über ausreichende technologische Kenntnisse oder verspüren den Wunsch, digital an ihren Problemen zu arbeiten, und bevorzugen eine herkömmliche Therapie.

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