Déjà-vu-Erlebnisse sind rätselhaft: Obwohl man sich in einer völlig unbekannten Situation befindet, wähnt man für Sekundenbruchteile, dies alles schon einmal erlebt zu haben. Oft reicht ein einziger Satzfetzen oder ein flüchtiger Blick, um das Gefühl des Vertrauten, des schon Bekannten aufsteigen zu lassen. Trotzdem ahnen wir, dass diese Emotion uns trügt. Denn erstens fehlt uns beim Déjà-vu die Information darüber, wann und wo wir dieselbe Situation schon einmal erlebt haben wollen.
Der Begriff Déjà-vu selbst soll im Jahr 1896 der französische Psychiater F. L. Arnaud geprägt haben. Die ersten neuzeitlichen Theorien zu dem Phänomen waren vor allem parapsychologischer Natur. Noch heute glauben viele Esoteriker, es handele sich bei der Déjà-vu-Empfindung um ein wiedererkanntes Ereignis aus einem früheren Leben. Ebenfalls unbeweisbar ist die Ansicht, dass Traumbilder Ursache des vertrauten Gefühls seien. Auch Sigmund Freuds Annahme, ein unbewusster Wunsch sei Vater der falschen Erinnerung, ist bisher eine Hypothese geblieben.
Neuste Studien aus der Gedächtnisforschung weisen heute dagegen darauf hin, dass der Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.) auf der richtigen Spur war. In seinem Werk «De Trinitate» sprach der römische Philosoph und Theologe nicht von magischem Zauber, sondern schlicht von «falsae memoriae», von falschen Erinnerungen. Als «Erinnerungsverfälschung» ist das Déjà-vu denn auch im Pschyrembel, dem klassischen medizinischen Fachlexikon, und sogar im Brockhaus vermerkt. Warum aber der «Faux pas» der Erinnerung entsteht, ist noch immer unklar.
Häufigkeit und Auftreten
70 bis 80 Prozent aller Menschen kennen das Déjà-vu-Gefühl. Dies gilt für alle Kulturkreise und beide Geschlechter. Jüngere Menschen machen häufiger solche Erfahrungen als ältere Personen, Gebildete häufiger als Ungebildete. Etwa 50 Prozent, so hat der japanische Psychologe Kei Ito an der britischen University of Buckingham herausgefunden, vermeinen während eines solchen Erlebnisses, den weiteren Lauf der Dinge vorhersagen zu können - zumindest für die nächsten Bruchteile von Sekunden. Vertrautheitsgefühle mit dem Unbekannten treten besonders dann auf, wenn die betreffende Person übermüdet, gestresst oder erkrankt ist. Auch sind Déjà-vu-Erlebnisse bei Epilepsie-Patienten vermehrt beobachtet worden.
Manche Leute sorgen sich daher, ob sie Epilepsie haben, wenn sie ein Déjà-vu erleben. In Wirklichkeit ist es viel wahrscheinlicher, dass man ein Déjà-vu hat, wenn man müde, jung, betrunken oder auf bestimmten Drogen ist.
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Neurowissenschaftliche Untersuchungen
Weil Déjà-vu-Erlebnisse spontan auftreten, gestaltet sich deren wissenschaftliche Untersuchung recht schwierig. Experimentell auslösen oder willentlich herbeiführen lassen sie sich im Labor nicht. Trotzdem ist es Axel Mecklinger vom psychologischen Institut der Universität Saarland gelungen, etwas Licht in das rätselhafte Dunkel der falschen Erinnerung zu bringen.
Beim korrekten Erinnern an ein zeitlich zurückliegendes Ereignis werden nicht weniger als 16 verschiedene Hirnregionen aktiv, fand Mecklinger heraus. Bei der vermeintlichen Erinnerung - bei der neue Begriffe fälschlicherweise als schon gehört klassifiziert wurden - sind es hingegen nur zehn Areale, die sich an der Gedächtnisarbeit beteiligen.
Stumm bleibt beim Déjà-vu ein ganzer Nervenverbund, das sogenannte erweiterte hippocampale Zwischenhirn-System. Ohne diese Struktur rund um den Hippocampus funktioniert das episodische Gedächtnis nicht: Man weiss nicht, ob, wann und wo einem etwas passierte. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass auch beim Déjà-vu die Kenntnis über Ort und Zeit der vermeintlich ersten Erinnerung fehlt.
Dafür sind andere Hirnregionen beim falschen Erinnern sehr wohl aktiv. «Wir vermuten, dass es der rhinale Cortex ist», der die Vertrautheitsgefühle auslöst, sagt Axel Mecklinger. Der rhinale Cortex, das Riechhirn, ist ein evolutionsgeschichtlich sehr alter Gehirnbereich, der nicht nur Geruchseindrücke verarbeitet, sondern auch zum limbischen System gehört, jenem Funktionskreis, der Gefühle entstehen lässt und steuert. Was den Riechcortex allerdings veranlasst, Nervenimpulse dieser Art zu generieren, ist noch unbekannt.
«Schon nach 300 Millisekunden unterscheiden sich die Hirnströme der richtigen und falschen Erinnerungen voneinander», erklärt der Saarbrücker Neuropsychologe. Beim korrekten Erinnern oder auch bei der angemessenen Rückmeldung, sich nicht entsinnen zu können, beginne das hippocampale System schon nach dieser knappen Zeitspanne von einer Drittelsekunde mit der Arbeit. Bei der falschen Erinnerung tut sich in diesem System hingegen nichts.
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Nach etwa 500 Millisekunden wird dann der Bereich um den sogenannten anterioren Gyrus cinguli aktiv. Dort, im Inneren des Schläfenlappens, reagieren die Nervenzellen auf den entstandenen Konflikt, einerseits eine Vertrautheitsmeldung vom Riechhirn vorliegen zu haben, andererseits aber keine Rückantwort vom Hippocampus, dem Speicher für das episodische Gedächtnis.
Theorien zur Erklärung von Déjà-vu
Grundsätzlich können die Erklärungen von Psychologinnen und Psychologen in drei Gruppen eingeteilt werden. Erstens gibt es die Zwei-Phasen-Erklärung. In der Psychologie besagt die Zwei-Phasen-Theorie, dass Gedanken und Gefühle oft auf zwei verschiedene Arten oder aus verschiedenen Prozessen entstehen können. Der Psychiater Andre De Nayer sprach in den 1990er-Jahren von den beiden Prozessen «Codierung» und «Abruf» der Informationen und benutzt dabei das Beispiel des Kassettenrekorders: Bei klassischen Rekordern kann man die Aufnahme- und die Play-Taste nicht gleichzeitig drücken. In seltenen Fällen könne dies aber im Gehirn passieren. So werden soeben aufgenommene Informationen im gleichen Moment wieder abgerufen, was eine fälschliche Vertrautheit und somit ein Déjà-vu hervorrufen könne.
Weitere Erklärungsversuche sehen die Ursache des Déjà-vu in neurologischen Fehlfunktionen. Beispielsweise könnte eine Fehlfunktion im Gehirn das Tempo der neurologischen Übermittlung von Informationen verantwortlich sein. Oft wird die Déjà-vu-Erfahrung von Epileptikerinnen und Epileptikern vor einem Anfall wahrgenommen. Bei einem epileptischen Anfall fällt dann die Hirnaktivität komplett aus ihrem Rhythmus.
Ein Fehler im Erinnerungsmechanismus könnte ebenfalls die Erklärung für Déjà-vus liefern. Erinnern läuft vereinfacht gesagt in drei Schritten ab: Der Mensch nimmt mit seinen Sinnen etwas wahr, sieht, hört, schmeckt, riecht oder fühlt etwas. Das Wahrgenommene wird mit unseren Erinnerungen abgeglichen. Falls es Übereinstimmungen gibt, sendet unser Hirn ein Wiedererkennungssignal. Manche Psychologinnen und Psychologen gehen davon aus, dass sich der letzte Schritt manchmal verselbstständigen kann. Dass also ein Wiedererkennungssignal gesendet wird, auch wenn kein Anlass dafür besteht.
Zudem nehmen Menschen viele Dinge unbewusst wahr. Dies kann auch wenige Augenblicke vor einem Déjà-vu passieren. Wir haben die Situation bereits unbewusst abgespeichert, aber wenn wir sie Momente später aktiv wahrnehmen, erscheint sie uns plötzlich sehr vertraut, obwohl wir nicht genau wissen, woher.
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Die neueste Theorie aber kommt von Professor Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes, der davon ausgeht, dass das Gehirn permanent die Informationen aus der Umwelt mit bekannten Erfahrungen abgleicht. Diese intuitive Reaktion des Gehirns beruht auf einer urzeitlichen Schutzfunktion, die heute kaum noch benötigt wird. Der Mensch musste schnell entscheiden, ob er in einer bestimmten Situation Gefahren ausgesetzt ist. Dabei greift das Gehirn auf bekannte Erlebnisse und Erinnerungen zurück. Eindrücke und Gefühle werden aus dem Gedächtnis abgerufen und mit der aktuellen Situation verknüpft. Man sieht zwar mit dem Auge, die Sinneswahrnehmung wird jedoch durch das Gehirn vervollständigt. So vermischen sich für einen kurzen Moment die Realität und Passagen aus der Erinnerung. Das passiert besonders bei sich ähnelnden Situationen. Die Schaltzentrale im Kopf ist für einen Moment verwirrt - aufgrund der Fülle von Eindrücken, die auf den Menschen einwirken.
Jamais-vu: Das Gegenteil von Déjà-vu
Viel weniger bekannt ist das Gegenteil des Déjà-vu, das Jamais-vu. Dabei befindet man sich in einer vertrauten Situation und fühlt sich plötzlich fremd, als würde man sie zum ersten Mal erleben. In einer neuen Untersuchung ist es Psychologen gelungen, Jamais-vus künstlich auszulösen. Dafür liessen sie Probanden immer wieder gleiche, teils sehr bekannte, teils ungewöhnlichere Wörter aufschreiben.
Nach durchschnittlich 33 Wiederholungen unterbrachen die Teilnehmenden ihre Aufgabe. Der Grund dafür war bei 70 Prozent mindestens einmal ein jamais-vu-artiges Empfinden. Sie gaben an, die Wörter plötzlich seltsam gefunden zu haben, sie hätten sich nicht mehr real angefühlt; so, als ob sie sie zum ersten Mal sehen würden.
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