Stolz ist ein vielschichtiges Gefühl, das sowohl positive als auch negative Konnotationen haben kann. Einerseits ist es ein schönes Kompliment, ein Zeichen der Anerkennung. Andererseits kann es als unsympathisch und selbstgerecht wahrgenommen werden, wenn jemand "herumstolziert". Doch was genau ist Stolz, und welche Rolle spielt er in unserem Leben?
Etymologie und Definition von Stolz
Bereits in der Etymologie wird die Schwierigkeit von positiven wie negativen Konnotationen von «Stolz» sichtbar. Einerseits wird angenommen, dass «Stolz» vom mittelniederdeutschen stolt herrührt, was auch mit hochgeboren, ritterlich, edel, vornehm, berühmt oder standesbewusst, wenn nicht sogar hochmütig synonym gesetzt wird, andererseits könnte es vom lateinischen stultus abgeleitet sein, was mit töricht, albern oder dumm übersetzt wird.
Zwei Formen von Stolz: Authentisch vs. Überheblich
Neuere Studien aus der Psychologie unterscheiden zwei Formen von Stolz: Zum einen den «authentischen Stolz» und zum andern «überheblichen Stolz». Der authentische Stolz sei dabei auf eigene Errungenschaften zurückzuführen. Ein positives Gefühl, das sich eine Person durch die eigenen Leistungen oder moralisches Verhalten verdient hat. Dieser Stolz wird folglich als gesunde und nützliche Emotion kategorisiert.
Der überhebliche Stolz jedoch sei ein Gefühl, das sich bei Menschen einstelle, die sich mit «unverdienten Federn» zu schmücken wissen. Menschen, die ein natürliches Talent hätten oder mit natürlicher* Schönheit beschenkt seien und dafür oft Komplimente und Anerkennung bekämen, seien sich ohne Leistung eine gewisse Anerkennung gewohnt. Dies führe zu einem überheblichen und nicht positiv anleitenden Stolz-Gefühl, welches gleichzeitig sehr leicht verunsichert werden kann und sogar narzisstische Verhaltensweisen fördert (Mercadante et al.
Stolz als Antriebsquelle
Stolz wird in den von mir konsultierten Studien zudem als eine Antriebsquelle für das Handeln von Individuen vermutet. Stolz seien die meisten Menschen dann, wenn sie es schaffen «[…] ein Gleichgewicht zwischen den konkurrierenden Anforderungen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit herzustellen, um die doppelten Kosten von zu wenig Einsatz und zu viel Einsatz zu vermeiden.», so Sznycer et al. (2021).
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Nachweisbar ist, dass Momente des «Stolzes» ein Individuum klar darin bestärken, Anstrengung, Ausdauer und Motivation für eine herausfordernde Aufgabe aufzubringen. «Authentischer» Stolz scheint also stark mit intrinsischer Motivation, Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen verbunden zu sein, was insgesamt das Erlernen von neuen Fakten und Informationen klar erleichtern kann. Der konträre «überhebliche» Stolz scheint dagegen eine umgekehrte Wirkung zu haben, indem er das Lernen und Aufnehmen von Neuem eher ver-/behindert. Diese Erkenntnisse werden in der modernen Pädagogik bereits praktisch angewandt.
Stolz scheint also grundsätzlich ein Gefühl zu sein, das einen immer wieder ein Stück weiterbringen kann. Das richtige Mass von Stolz scheint eine ewige Gratwanderung zu sein. Sich in den richtigen Momenten demütig zu zeigen und nicht zu stolz zu sein, bringt einem nicht nur Sympathie ein, sondern kann auch Streitigkeiten verhindern.
Stolz und Selbstwert
Und doch ist Stolz wichtig, denn wenn man auf sich nicht stolz sein kann, wie definiert man dann seinen Selbstwert? Ist ein gutes Mindestmass an Stolz gar überlebenswichtig? Wer sich selbst nicht schätzt und nicht einen gewissen «Selbststolz» hat, der lässt sich doch zu allem bewegen und verbiegen, lässt sich gehen und wird manipulierbar?
Die dunkle Seite des Selbstwertes
Der Mensch hat eine beschwerliche Bürde zu tragen: das Wissen um das Ende seiner Existenz. Um jedoch in der Welt funktionieren zu können, muss er die von diesem Wissen ausgehenden Ängste in Schach halten. Auch wenn Forscher die angstreduzierende Wirkung eines hohen Selbstwerts bereits in zahlreichen Studien aufzeigen konnten, hat der Selbstwert jedoch einen entscheidenden Haken: Menschen sehen sich häufig in einem zu positiven Licht. Sie nehmen sich selbst, andere und die Welt nicht mehr auf eine Weise wahr, wie sie noch zutreffend wäre. Dies ist selbstzerstörerisch. So zeigen Menschen mit einem hohen Selbstwert oft ein eingeschränktes Lernvermögen und verhalten sich weniger prosozial.
Demut als Gegengewicht
In Anbetracht dieses Wissens um die dunkle Seite eines hohen Selbstwerts haben Forscher in den vergangenen Jahren ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf demütige Menschen gerichtet, deren Ego gewissermassen leiser ist. Demut, wie sie etwa die Psychologin Pelin Kesebir versteht, umfasst eine Bereitschaft, die Grenzen des eigenen Selbst, damit auch eigene Schwächen zu akzeptieren und sich der eigenen Kleinheit bewusst zu sein angesichts der gewaltigen Grösse der „Welt“ - sei es nun in Form von Gott, der Menschheit, der Natur oder des Kosmos.
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Damit einhergehend vermögen demütige Menschen über die Anliegen des eigenen Egos hinwegzusehen, sozusagen ihr Selbst zu vergessen, um ihre Aufmerksamkeit auf „etwas Grösseres“ zu richten, es zu ehren und möglicherweise zur Entfaltung desselben beizutragen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass ein demütiger Mensch sich selbst verunglimpft und schwach fühlt. Ein ruhiges Ego verzichtet lediglich auf die Verzerrungen, die ein aufgeblähtes Ego braucht, um sich auszuschmücken. Eine solche Überreaktion ist moralisches Fehlverhalten.
In der „Demut-Gruppe“ wurden sie gebeten, über eine Zeit in ihrem Leben zu schreiben, in der sie Demut empfanden. Wie die Aufsätze der Teilnehmenden ersichtlich machten, brachte das Nachdenken über Demut ein Selbst hervor, welches dazu in der Lage ist, sich und die Welt klarer zu sehen und dennoch in Frieden mit dieser Realität zu sein. Zu erkennen, dass man nur ein kleiner Teil im grossen Ganzen ist, macht den Tod weniger bedrohlich. Stolz dagegen fördert eine Erhöhung und Bestätigung des Selbst, die jeglicher Authentizität entbehren kann.
Zusammengefasst kann Demut somit als Tugend angesehen werden, die uns bis ins Sterbebett von Nutzen sein kann. Seine Stärken und Schwächen zu kennen, eigene Unvollkommenheiten zu akzeptieren und sich als Teil des Ganzen zu sehen, schmälert selbstverzerrende Ansichten und verteidigende, schädliche Reaktionen angesichts von Bedrohungen. Ein demütiger Mensch ist sich im Klaren darüber, dass Jeder und Jede auf der kosmischen Skala von Zeit und Raum winzig ist. Dies wiederum kann den nahenden Tod zu einer geringeren Tragödie machen und möglicherweise sogar zu einer Quelle von Klarheit und einer Orientierungshilfe werden, die uns in Erinnerung ruft, wie wir zu leben haben. Je aufgeblähter das Ego ist und je lauter es schreit, umso mehr hat es den Tod zu fürchten. Es fühlt sich zwar stark und weniger verwundbar, aber der Tod ist unweigerlich stärker. Demut, ein authentischer Selbstwert dagegen, bläht das Ego nicht auf und macht dadurch den Tod auch schwächer.
Stolz als Basisemotion
Lange Zeit hat man sich mit der Frage beschäftigt, ob auch der Stolz eine Basisemotion darstellt. Stolz ist eine Emotion, die etwas mit eigener Leistung zu tun hat und das Erleben von Stolz ist eine wichtige emotionale Voraussetzung für die Leistungsmotivation. Wenn wir stolz auf unsere Leistungen sein können, sind wird nicht mehr abhängig von unmittelbarer Belohnung und können nur so überhaupt langfristige Ziele verfolgen.
Um der Frage nachzugehen, ob Stolz eine Basisemotion sein könnte, hat Jessica Tracy von der University of British Columbia (Kanada) eine Reihe von Studien durchgeführt, bei der sie beispielsweise Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund befragte oder Reaktionen von Siegern bei den Olympischen Spielen beobachtete. Eine methodisch besonders überzeugende Studie fand in einem abgelegenen Dorf in Burkina Faso statt. Die Ergebnisse dieser Studie reihen sich in Ergebnisse vieler weiterer Studien ein, die zeigen, dass die Stolzreaktion tatsächlich kulturunabhängig ist.
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Damit liegt die Vermutung nahe, dass es zutiefst menschlich ist, die Ergebnisse der eigenen Handlungen auf sich selbst zurückzuführen. Einerseits macht uns das unabhängig von externen Belohnungen, weil uns das positive Gefühl des Stolzes ausreicht. Andererseits erlaubt es uns, dieses positive Gefühl in Zukunft zu antizipieren und darauf hinzuarbeiten.
Positive Emotionen nutzen, um Ziele zu erreichen
Barbara Fredrickson hat die "Broaden-and-Build"-Theorie entwickelt, die besagt, dass positive Emotionen unsere Gedanken und Handlungsmöglichkeiten erweitern. Diese Emotionen helfen uns, aus unserer eigenen Denkweise herauszutreten und kreativer, flexibler und anpassungsfähiger zu sein. Stolz, als eine solche positive Emotion, kann uns helfen, unser Selbstvertrauen zu stärken und unsere Fähigkeiten zu erweitern.
Diese positive Emotion dient als Motivator, der uns dazu inspiriert, unser Verhalten in Richtung positiver Ergebnisse zu lenken. Wenn wir stolz auf vergangene Erfolge sind, werden wir motiviert, ähnliche Anstrengungen in Zukunft zu unternehmen. Diese Motivation ermöglicht es uns, neue Fähigkeiten zu erlernen, neue Möglichkeiten zu erkunden und somit unser eigenes Potenzial zu erweitern.
Positive Emotionen wie Stolz tragen dazu bei, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress und negativen Emotionen zu stärken. Wenn wir stolz auf unsere bisherigen Erfolge zurückschauen, erinnern wir uns daran, dass wir bereits schwierige Situationen bewältigt haben. Dies verleiht uns die Zuversicht, auch aktuelle Hindernisse zu überwinden und unsere Ziele trotz Herausforderungen zu erreichen.
Übung zur Selbstreflexion
Zeichnen Sie eine Linie auf ein Papier und betrachten diese als Ihr Leben (Timeline). Gehen Sie gedanklich bis zu einem Zeitpunkt zurück, an den Sie sich gut erinnern können, das kann idealerweise in der Kindheit sein. Stellen Sie sich folgende Fragen:
- Wann waren Sie richtig stolz auf sich selbst, sich Ihrer Fähigkeiten bewusst und voller Selbstbewusstsein?
- Wann leisteten Sie etwas Lobenswertes, erreichten etwas durch Ihre eigenen konzentrierten Anstrengungen?
Zeichnen Sie Erfolgserlebnisse auf der Linie ein und gehen gedanklich dahin zurück. Welche Gefühle nehmen Sie wahr? Zufriedenheit? Stolz? Freude? Dankbarkeit?
Die zwei Gesichter des Stolzes
Stolz begegnet uns im Alltag leider manchmal mit einer dunklen, negativen, schädlichen Seite. Die Emotionsexperten, Ruben Langwara und Dirk W. Anmassender Stolz ist dysfunktional und schadet uns auf der ganzen Linie und fördert Narzissmus. Hier dreht sich alles nur um die eigene Person. Menschen bilden sich etwas auf Sachen ein, die ihnen einfach zugefallen sind, sei es ihre Herkunft, ihre Intelligenz, ein Vermögen, ihren Körper usw. Sie sind stolz im Sinne von arrogant, überheblich, prahlerisch, hochnäsig, selbstgerecht und eingebildet.
Authentischer Stolz steht für Freude über etwas, was uns gelungen ist. Andere Umschreibungen für authentischen Stolz sind selbstbewusst, selbstsicher, souverän, würdevoll, ehrenvoll und siegreich. Wir haben mit unserem Handeln etwas geschafft und geniessen die pure Freude, den authentischen Stolz über das, was daraus entstanden oder uns gelungen ist.
Dirk W. Stolz gehört zu den zwölf Primäremotionen, die für unser Verhalten, unser Fühlen und unser Denken entscheidend sind. Weiter gehören Angst, Trauer, Scham, Schuld, Freude, Liebe, Interesse, Ärger (Wut), Ekel, Verachtung und Überraschung dazu. Sie alle haben wichtige Funktionen und helfen uns, dass unser Leben besser gelingt.
Eigene Erfahrungen prägen unsere Haltung und Einstellung zu Stolz
Je besser wir sie verstehen, umso hilfreicher können wir damit umgehen. Es ist eine selbstreflexive Emotion und entwickelt sich erst ab ca. 7 Jahren, denn dazu braucht es ein SELBST-Erleben. Ein Baby hat das noch nicht, denn es bildet das ICH-Erleben erst nach ca.
Kleine Kinder haben oft einen sehr unbeschwerten Zugang zu authentischem Stolz. Meine kleinen Enkelkinder zeigen mir jeweils ganz natürlich und stolz, was sie gezeichnet oder gebastelt haben, wenn sie ohne Stützräder Velo fahren können, wenn sie beim Skirennen Erfolg hatten. Sie sind jeweils voller Stolz auf ihr Werk, eine Zeichnung, etwas, das sie gebastelt hatten oder ein Kunststück, das ihnen gelungen ist.
Je nachdem, wie du geprägt wurdest, ist es jedoch ein Stück Arbeit, sich auf einen authentischen Stolz einzulassen und diesen zu trainieren.
Wie man authentischen Stolz trainiert:
- Erinnere dich an authentische Stolz-Momente! Nimm dir Zeit, dieses Gefühl zu aktivieren. Dazu kannst du deine Mimik und Körperhaltung nutzen, oder mach eine passende Gestik! Lokalisiere diese Emotion im Körper! Wo nimmst du sie wahr?
- Erweitere deinen emotionalen Wortschatz! Nutze Worte, die dir helfen, deine Freude, bzw. deinen Stolz über das, was du durch DEIN HANDELN bewirkt hast, auszudrücken.
Authentischer Stolz ist keine Überheblichkeit, sondern die Freude über das, was du durch dein Handeln erreicht hast. Wenn du lernst, diese kraftvolle Emotion zuzulassen, stärkst du dein Selbstwertgefühl und deine Motivation, dranzubleiben.
Stolz als Beziehungskiller
Personen, die diese Charaktereigenschaften nicht nur im Berufsleben, sondern auch im Alltag und zu Hause pflegen, übersehen eine wichtige Tatsache: Stolz ist der Ursprung vieler, ja vielleicht sogar der meisten Beziehungskonflikte.
Fühlt sich Stolz gut an, spricht die Psychologie von positivem oder «echtem» Stolz. Wir spüren ihn, wenn wir unserem Liebsten ein originelles Geschenk machen und er sich sehr darüber freut. Negativer oder auch «falscher» Stolz hingegen nährt sich aus Selbstüberschätzung, Unsicherheit oder mangelndem Selbstwertgefühl.
Wenn wir nach einem Streit jede weitere Diskussion verhindern, schwelt die Unstimmigkeit weiter vor sich hin. Sie wächst zu einem Ungetüm, obwohl sie das vielleicht gar nie war. Eine Lösung wird immer schwieriger. Gibt der weniger Stolze irgendwann nach - weil das Anschweigen nervt oder man gemeinsam einen Termin wahrnehmen muss etwa -, ist der Konflikt noch immer nicht gelöst.
Keinen falschen Stolz zu haben, bedeutet nicht, der oder die Schwächere zu sein. Man gibt nicht klein bei, wenn man nachgibt, sondern investiert in die gemeinsame Zukunft - indem man das Drama, das aus dem Stolz heraus wächst, sein lässt. Denn dass Stolz ein Beziehungskiller ist, das wusste schon Mr. Darcy.
Zusammenfassung
Stolz ist ein komplexes Gefühl, das sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. Authentischer Stolz, der auf eigenen Leistungen und moralischem Verhalten basiert, kann motivierend und selbstwertsteigernd sein. Überheblicher Stolz hingegen, der auf unverdienten Vorteilen beruht, kann zu Narzissmus und zwischenmenschlichen Problemen führen. Es ist wichtig, ein gesundes Mass an Stolz zu entwickeln und gleichzeitig Demut zu praktizieren, um ein ausgeglichenes und erfülltes Leben zu führen.
Tabelle: Vergleich von authentischem und überheblichem Stolz
| Merkmal | Authentischer Stolz | Überheblicher Stolz |
|---|---|---|
| Grundlage | Eigene Leistungen, moralisches Verhalten | Unverdiente Vorteile, natürliche Talente |
| Auswirkung | Motivierend, selbstwertsteigernd, fördert intrinsische Motivation | Narzisstisch, zwischenmenschliche Probleme, behindert Lernen |
| Verhalten | Selbstbewusst, selbstsicher, würdevoll | Arrogant, überheblich, prahlerisch |
tags: #stolz #psychologie #definition