Schuldpsychologie: Definition und Bedeutung

Es gibt nicht viele Ergebnisse psychologischer Forschung, die ihren Weg ins Allgemeinwissen gefunden haben. Ein solches Ergebnis ist jedoch, dass es eine relativ kleine Anzahl von „Basisemotionen“ gibt, wie etwa Ärger, Ekel, Furcht, Freude, Traurigkeit und Überraschung.

Basisemotionen und Stolz

Basisemotionen sind Gefühle, die sich erstens dadurch auszeichnen, dass es in allen menschlichen Kulturen und damit Sprachen Bezeichnungen für diese Gefühle gibt. Das legt die Vermutung nahe, dass Basisemotionen schon sehr früh in der menschlichen Entwicklung entstanden sind und damit eine wichtige evolutionäre Funktion erfüllt haben.

Ein weiteres Merkmal von Basisemotionen ist, dass die dazugehörige Körpersprache (Gestik) und vor allem die Gesichtsausdrücke (Mimik) weltweit in allen Kulturen übereinstimmen und in gleicher Weise verstanden und interpretiert werden. Das ist bei Weitem nicht für jede Gestik und Mimik der Fall.

Für die Basisemotionen gilt jedoch, dass sie in allen Kulturen gleich ausgedrückt und verstanden werden, was die Vermutung nahelegt, dass der emotionale Ausdruck angeboren ist.

Lange Zeit hat man sich mit der Frage beschäftigt, ob auch der Stolz eine Basisemotion darstellt. Stolz ist eine Emotion, die etwas mit eigener Leistung zu tun hat und das Erleben von Stolz ist eine wichtige emotionale Voraussetzung für die Leistungsmotivation.

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Wenn wir stolz auf unsere Leistungen sein können, sind wird nicht mehr abhängig von unmittelbarer Belohnung und können nur so überhaupt langfristige Ziele verfolgen. Um der Frage nachzugehen, ob Stolz eine Basisemotion sein könnte, hat Jessica Tracy von der University of British Columbia (Kanada) eine Reihe von Studien durchgeführt, bei der sie beispielsweise Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund befragte oder Reaktionen von Siegern bei den Olympischen Spielen beobachtete.

Eine methodisch besonders überzeugende Studie fand in einem abgelegenen Dorf in Burkina Faso statt. Wenn die Bewohner dieses, von der westlichen Kultur so isolierten Dorfes, Stolz benennen und den Ausdruck von Stolz erkennen sollten, wäre das ein sehr starker Beleg dafür, dass Stolz zu den Basisemotionen dazugehört. Die Ergebnisse dieser Studie reihen sich in Ergebnisse vieler weiterer Studien ein, die zeigen, dass die Stolzreaktion tatsächlich kulturunabhängig ist.

Damit liegt die Vermutung nahe, dass es zutiefst menschlich ist, die Ergebnisse der eigenen Handlungen auf sich selbst zurückzuführen. Einerseits macht uns das unabhängig von externen Belohnungen, weil uns das positive Gefühl des Stolzes ausreicht. Andererseits erlaubt es uns, dieses positive Gefühl in Zukunft zu antizipieren und darauf hinzuarbeiten.

Die Psychologie der Schuld

Die Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen und ein offener, authentischer Umgang mit dem eigenen emotionalen Haushalt zu erlernen sind im Rahmen von psychotherapeutischen Prozessen immer wieder als Themen anzutreffen. Wir leben zudem in einer Gesellschaft, in der Verantwortung sehr rasch von sich gewiesen wird, wie die heisse Kartoffel, die niemand gerne halten möchte.

Da dies jedoch zu Stagnation im Lebensfluss, rigidem Verhalten und Entwicklung von Krankheiten beitragen kann, ist es wichtig, eine Opfermentalität zuerst zu erkennen und daran zu arbeiten.

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Opfermentalität: Definition und Ursachen

Opfermentalität ist die Überzeugung, dass die Welt gegen einen selbst ist und dass man keine Kontrolle über das hat, was einem selbst widerfährt. Menschen mit dieser Mentalität neigen dazu, anderen die Schuld für alles zu geben, was ihnen widerfährt, anstatt die Verantwortung zu übernehmen. Diese Denkweise ist oft anerzogen und kann sich sehr negativ auf die psychische Gesundheit auswirken.

Opfermentalität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, bei dem Menschen die Verantwortung für ihr Verhalten von sich weisen und sich als Opfer der Handlungen anderer sehen. Laut dem Buch Emotional Freedom von Dr. Judith Orloff kann sich eine Opfermentalität negativ auf die eigene psychische Gesundheit und die der Menschen in der Umgebung auswirken.

Eine Opfermentalität entsteht selten aus dem Nichts und wird oft durch ein oder mehrere Probleme verursacht, mit denen eine Person zu kämpfen hatte.

  • Verrat: Verrat, vor allem wenn er wiederholt vorkommt oder von einem Elternteil oder einer Hauptbezugsperson verursacht wird, kann schwer zu verkraften sein.
  • Überlebensstrategie: Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren vernachlässigt wurden oder denen nicht die nötige Liebe zuteil wurde, können lernen, alles zu tun, damit sich andere für sie interessieren.
  • Vergangenes Trauma: Die Opfermentalität kann sich als Bewältigungsmechanismus für traumatische Erlebnisse entwickeln und dazu führen, dass sich der Einzelne im emotionalen Schmerz seines Traumas gefangen fühlt.
  • Früherer Missbrauch: Die Opfermentalität tritt häufig bei früherem Missbrauch auf, insbesondere bei sexuellem Missbrauch, wo Gefühle extremer Scham und Hilflosigkeit zu einem geringen Selbstwertgefühl in der Zukunft führen können.
  • Co-Abhängigkeit: Co-Abhängigkeit, d.h. das Gefühl, für das Wohlergehen einer anderen Person verantwortlich zu sein, kann zu einer Opfermentalität führen.
  • Erlerntes Verhalten: Menschen können eine Opfermentalität erlernen, indem sie Erwachsenen nacheifern, die sich wie Opfer verhalten.
  • Manipulation: Opfer von Manipulation und Missbrauch neigen eher dazu, eine Opfermentalität zu entwickeln.

Anzeichen einer Opfermentalität

Menschen mit einer Opfermentalität fühlen sich oft verletzlich und glauben, dass andere, selbst diejenigen, denen sie eigentlich vertrauen sollten, für ihren Schmerz und ihr Leiden verantwortlich sind. Dies kann zu verschiedenen reaktiven Verhaltensweisen führen, darunter Schuldzuweisung und Vermeidung von Verantwortung.

  • Sich weigern, nach Lösungen zu suchen: Sie zeigen oft wenig Interesse an positiven Veränderungen in ihrem Leben.
  • Vermeiden von Verantwortung: Menschen mit einer Opfermentalität geben oft anderen die Schuld, suchen nach Ausreden, machen Situationen für ihre Probleme verantwortlich, weigern sich, Verantwortung zu übernehmen und reagieren auf die meisten Probleme mit einer "Es ist nicht meine Schuld"-Haltung.
  • Negative Selbstgespräche oder Selbstsabotage: Menschen mit einer Opfermentalität führen häufig negative Selbstgespräche und sabotieren sich selbst.
  • Ein Gefühl der Machtlosigkeit: Menschen mit einer Opfermentalität glauben oft, dass sie nicht die Macht haben, schwierige Situationen in ihrem Leben zu ändern.
  • Mangelndes Selbstvertrauen: Sie fühlen sich möglicherweise des Guten unwürdig, was zu zirkulären Denkmustern führen kann, die die Vorstellung verstärken, dass ihnen immer etwas Schlechtes widerfahren wird.
  • Wütend, frustriert oder nachtragend sein: Menschen mit einer Opfermentalität fühlen sich oft frustriert, wütend, isoliert und einsam.

Umgang mit der Opfermentalität

Die folgenden Tipps können dabei helfen, einer Opfermentalität positiv und auf gesunde Weise zu begegnen, ganz gleich, ob Sie selbst versuchen, sie zu überwinden, oder ob Sie mit jemandem zu tun haben, der eine Opfermentalität hat.

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Umgang mit der Opfermentalität einer anderen Person

  • Es kann helfen, feste Grenzen zu setzen.
  • Eine Möglichkeit, jemandem mit einer Opfermentalität zu helfen, besteht darin, auf Lösestrategien, die bereits zur Verfügung stehen hinzuweisen, anstatt konkrete Ratschläge und Vorschläge zu geben.
  • Ermutigung und Bestätigung können wirksame Strategien sein, um mit einer Opfermentalität umzugehen.
  • Es ist wichtig, Wege zu finden, um die Gefühle des Betroffenen zu validieren.
  • Wenn man es mit jemandem zu tun hat, der eine Opfermentalität hat, kann es hilfreich sein, seine Perspektive zu verstehen und zu wissen, woher er kommt.

Die eigene Tendenz zur Opfermentalität angehen

  • Beginnen Sie eine Therapie: Einen Therapeuten aufzusuchen, der Ihnen hilft, Ihre Gefühle zu überwinden, kann von großem Nutzen sein.
  • Ermitteln Sie umsetzbare Möglichkeiten zur Verbesserung Ihrer Situation: Der erste Schritt, um wirklich Verantwortung für Ihr Leben zu übernehmen, besteht darin, umsetzbare Möglichkeiten zur Verbesserung Ihrer Lebensumstände zu finden.
  • Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Handeln: Denken Sie daran, dass das Eingestehen Ihrer Fehler ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche ist.
  • Ändern Sie Ihr Narrativ: Sie haben die Macht, Ihre eigene Geschichte zu ändern.
  • Helfen Sie anderen in Not: Manchmal braucht man eine neue Perspektive, um die positiven Aspekte des eigenen Lebens zu schätzen.
  • Lernen Sie, Nein zu sagen: Der Schlüssel zur Überwindung der Opfermentalität ist die Erkenntnis, dass Sie die Macht haben, Ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
  • Behandeln Sie sich selbst mit Freundlichkeit: Nehmen Sie sich Zeit, um Ihre Rolle bei Ihren Schwierigkeiten zu erkennen.

Schuld und Scham

Eng verwoben mit Scham ist die Emotion Schuld. Scham- und Schulderleben gehören zu den sozialen Emotionen. Sie formen sich etwa im Alter von 2 bis 3 Jahren mit beginnender Reifung einer eigenen Identität.

Mit zunehmendem Alter zeigen sich moralische Aspekte, die individuelle Bedeutung und Wertung von Ereignissen in Bezug auf die eigene Person. Das gesellschaftliche und kulturelle System, das eine Person umgibt, ist massgeblich beteiligt an der Ausprägung des individuellen und moralischen Empfindens.

Scham bezieht sich auf die gesamte Person (‚Ich bin Scham‘) und entsteht, wenn Misserfolge oder Fehlverhalten in Bezug auf soziale Personen der eigenen Person als Gesamtes zugeschrieben wird. Schuld hingegen ist ein Resultat der Bewertung des eigenen Verhaltens und Handelns (‚ich habe Schuld‘).

Schuld und Scham haben einen ‚ansteckenden‘ Charakter, Scham scheint für viele Menschen das grössere Ansteckungspotential zu haben.

Die Rolle von Ärger und Ekel

Mit Ärger und Ekel geben wir zum Ausdruck, dass die Grenzen eines tolerierbaren Verhaltens überschritten wurden. Aber Ärger und Ekel dienen auch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie sind moralische Emotionen.

Wenn Ärger und Ekel der zwischenmenschlichen Kommunikation dienen, wollen wir damit bei unserem Gegenüber etwas bewirken. Wenn Sie über Situationen nachdenken, in denen Sie Ärger verspüren, dann werden Sie feststellen, dass es vor allem Situationen sind, in denen sich jemand unfreundlich oder unfair verhalten hat. Sein Verhalten ärgert uns, weil er unsere Rechte oder Rechte von Anderen verletzt hat.

Ekel richtet sich dagegen fast immer gegen jemanden, der körperrelevante Normen (z.B. Hygiene- oder Sexualnormen) überschritten hat. Die Person selbst ekelt uns an.

Seit vielen Jahren vermuten Forscher, dass Ärger vor allem Schuld, Ekel dagegen vor allem Scham bei unserem Gegenüber auslöst, und zwar in sozialen Gruppen, die für uns relevant sind (Kollegen, Familie, Freunde usw.).

Schuldgefühle verleiten uns nämlich dazu, das angeschlagene Vertrauen in der zwischenmenschlichen Beziehung wieder herzustellen. Scham führt dagegen eher dazu, dass wir die Beziehung in der Zukunft vermeiden. Ekel hat deshalb auch ernsthaftere Konsequenzen als Ärger.

Schuld in der Scheidungssituation

Schuld haben ist ein menschliches Phänomen, ebenso das Bedürfnis, sich von dieser Schuld zu befreien. Im neuen Scheidungsrecht ist es aus juristischer Sicht nicht mehr opportun, den Begriff von Schuld und Schuldausgleich zu diskutieren. Im positiven Fall werden paardynamisch massgeschneiderte Konfliktregelungen möglich.

Gleichzeitig ist die Gefahr der Tabuisierung in einer der wichtigsten Kernfragen im Ablösungsprozess der Scheidung gestiegen: Wer ist schuld, dass wir gescheitert sind? Die Tabuisierung der Schuld in der Scheidungssituation führt dazu, dass Vereinbarungen emotional nicht abgestützt sind, und deshalb nicht oder nur teilweise eingehalten werden. Leidtragende sind häufig die Kinder.

Die Rolle von Kirche und Medien

Neben dem Staat nehmen zwei weitere öffentliche Instanzen Einfluss auf die Moral der Gesellschaft: Die Kirchen und die Medien.

Die christlichen Religionen, Basis der Schweizerischen Landeskirchen und somit zuständig für die öffentliche Moral, sehen den Mensch seit dem Sündenfall von Adam und Eva als schuldbeladen an.

Die Medien, neben Kirche und Staat die dritte öffentliche Instanz für Normen und Werte, haben zwangsläufig desto mehr Einfluss auf die Moralvorstellungen einer Gesellschaft, je weniger sich die Individuen an Kirche und Gesetz orientieren können/wollen.

Schuld in der Tiefenpsychologie

Die Tiefenpsychologie hat dem Problem der Schuld einen festen Platz eingeräumt. Die meisten, zum Teil sehr komplexen Persönlichkeitsmodelle gehen davon aus, dass eine innere Instanz, das "Ich" (Freud) darüber wacht, ein konstantes inneres Gleichgewicht zu halten.

Schuldgefühle werden von einer anderen inneren Instanz, dem "Über-Ich" (Freud) oder dem "Gewissen" (Hirsch) verursacht. Schuldgefühle werden als innere Spannung negativ empfunden, welche das psychische Gleichgewicht stören.

Kast (1982, S. 94) betrachtet Schuldgefühle als Bestandteil eines normal verlaufenden Trauerprozesses, "denn wer könnte schon von sich behaupten, eine Beziehung ohne jedes Versäumnis gelebt zu haben?", Schuldgefühle hängen nach Kast mit dem zusammen, was in der Beziehung zwischen zwei Menschen ungeklärt geblieben ist, und sie beeinträchtigen - falls sie vom Trauernden verdrängt werden - das psychische Leben und können zur Depression führen.

Schuld in der Familientherapie

Die systemische Paar- und Familientherapie misst der Frage, wie das Individuum mit Schuld- und Schuldgefühlen umgeht, eine untergeordnete Stellung zu. In der Trennungs- und Scheidungssituation geht es darum, die gescheiterte Beziehung in einen neuen Rahmen zu stellen.

Mediation und Schuldgefühle

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein Mediationsverfahren ist die Anerkennung und Offenlegung der Konflikte zwischen den Mediationspartnern. Schuldgefühle sind auch in der Mediation oft schwer zugänglich aus folgenden Gründen:

  • Die Wahrnehmung der Eheleute, wer Schuld habe, bzw. wer die Verantwortung übernehmen müsse für das Scheitern der Ehe, kann stark abweichen und ist objektiv kaum zu beurteilen.
  • Das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien ist gestört; die Angst ist gross, der andere könnte aus einem Schuldeingeständnis einen Vorteil ziehen.
  • In der Scheidungssituation ist die emotionale Belastbarkeit des Individuums oft überstrapaziert, hinzu kommen die Belastungen der Umstellung von Alltagsgewohnheiten, neuen Erziehungsanforderungen, Wohn- und Arbeitsverhältnissen, etc.

Für die Mediation stellt sich die Frage, wie solche verdrängten und verlagerten Schuldkonflikte zu entdecken und zu fassen sind. Ständig wiederkehrender, hartnäckiger und eskalierender Streit über Kinderbelange oder die Unterhaltszahlungen können verlagerte Schuldkonflikte sein.

Geheimnisse und Projektion

Besonders schwierig ist der Zugang zu Schuldgefühlen, die mit Geheimnissen verknüpft sind: Zwei oder mehrere Familienmitglieder einigen sich darauf, über ein bestimmtes Ereignis nicht zu sprechen und schliessen damit andere Familienmitglieder von Wissen aus.

Die Projektion von eigenen, nicht akzeptierten Verhaltensweisen auf den/die Partner/in ist ein häufiges Konfliktmuster in Scheidungssituationen, dies trifft auch auf die Schuldanteile an der gescheiterten Beziehung zu. Die Projektion eigener Schuldanteile auf den Partner wird häufig in den Kinderbelangen ausgelebt.

Tabelle: Anzeichen einer Opfermentalität

Anzeichen Beschreibung
Sich weigern, nach Lösungen zu suchen Zeigen wenig Interesse an positiven Veränderungen im Leben.
Vermeiden von Verantwortung Geben anderen die Schuld, suchen nach Ausreden.
Negative Selbstgespräche Führen häufig negative Selbstgespräche und sabotieren sich selbst.
Gefühl der Machtlosigkeit Glauben nicht, schwierige Situationen ändern zu können.
Mangelndes Selbstvertrauen Fühlen sich des Guten unwürdig.
Wut und Frustration Fühlen sich frustriert, wütend, isoliert und einsam.

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