Entwicklung, psychologisch definiert

Die Theorie der Entwicklungspsychologie spielt bei der Frage nach dem, was die Menschen gerade zu den Personen macht, die sie sind, eine wichtige Rolle. Der Mensch verändert sich in seinem Leben von Geburt an immer wieder, wobei einige Verhaltensweisen und Charakterzüge beständig bleiben.

Was ist die Entwicklungspsychologie?

Das Fachgebiet der Entwicklungspsychologie beschäftigt sich grundsätzlich mit der Erforschung, Beschreibung und Bewertung der psychischen Veränderungen und Entwicklungsprozesse von Menschen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Das primäre Augenmerk der Entwicklungspsychologie liegt hierbei auf der Frage, wie sich Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten entwickeln und welche Faktoren diesen Prozess selbst sowie in Wechselwirkung beeinflussen können.

Historische Entwicklung der Entwicklungspsychologie

Im Grunde kann man seit dem 20. Jahrhundert von der Entwicklungspsychologie im wissenschaftlichen Sinne sprechen. Als „Eltern“ dieser gelten die Eheleute Karl und Charlotte Bühler, welche beide an der Universität Wien in der Sprachforschung tätig waren. Infolge des gesellschaftlichen Wandels aufgrund der Weltwirtschaftskrise bat die Stadt Wien die beiden damals, gemeinsam mit der Kinderhortnerin Hildegard Hetzer, alle Kinder, die aufgrund der Krise ihr Elternhaus verlassen mussten und somit ihr Umfeld wechselten, auf ihre Entwicklung hin zu untersuchen.

Auch der Pionier Sigmund Freud prägte durch seine Forschung die psychosexuelle Theorie, in welcher er die kindliche Entwicklung durch verschiedene Stufen und sexuelle Konflikte beschreibt. Einer der wichtigsten und bekanntesten Abschnitte in der historischen Entwicklung der Entwicklungspsychologie erfolgte weiterhin durch Jean Piaget. Im Laufe der Zeit entstanden darüber hinaus weitere einflussreiche Theorien, wie Erik Eriksons psychosoziale Theorie oder die Bindungstheorie von John Bowlby.

Mit den Fortschritten in der Forschungstechnologie und einer immer stärkeren Betonung auf die empirische Forschung gewann die Entwicklungspsychologie dabei stetig an Bedeutung. Longitudinale (Längsschnittstudien) beziehungsweise Verlaufsstudien ermöglichten es, Entwicklungsabläufe über einen festgelegten längeren Zeitraum hinweg zu beobachten und immer wieder stichprobenartig zu testen. In der modernen Entwicklungspsychologie spielen vermehrt auch biologische Aspekte, wie die Erforschung verschiedener Hirnregionen und deren Entwicklung sowie genetische Einflüsse, eine wichtige Rolle.

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Die Entwicklungspsychologie ist heute ein facettenreiches und integratives Feld, welches ein tieferes Verständnis der menschlichen Entwicklung in jeglichen Lebensphasen ermöglicht. Der Grundstein für die historische Entwicklung des Fachgebietes kann auch bereits im 17. Jahrhundert verortet werden. Zu diesem Zeitpunkt begannen Philosophen wie John Locke und Jean-Jacques Rousseau vermehrt, sich mit der Entwicklung von Kindern auseinanderzusetzen. Auch der Evolutionsgedanke Darwins nimmt Ende des 19. Die Entwicklungspsychologie umfasst verschiedene Themenfelder, welche sich alle mit den psychischen Veränderungen und Entwicklungsprozessen von Menschen über die Lebensspanne hinweg befassen.

Theorien und Modelle der Entwicklungspsychologie

Im Laufe der Jahre haben sich eine ganze Reihe an Theorien und Modelle bezüglich der Entwicklungspsychologie gebildet. Die meisten dieser lassen sich anhand bestimmter Charakteristika in verschiedene Typen einordnen. So bietet hier beispielsweise die Wahrnehmung des Menschen und seiner Umwelt als aktiv oder nicht aktiv eine passende Möglichkeit. Wichtige Pioniere der Entwicklungspsychologie sind dabei wie bereits erwähnt Piaget, Erikson und Freud. Die Theorie Piagets ist dabei primär dem selbstgestalterischen Typus zuzuordnen, wohingegen Eriksons psychosoziale Theorie in den interaktionistischen Bereich fällt.

Entwicklungsphasen

Grundsätzlich unterteilen alle Vertreter/innen und Forscher/innen der Entwicklungspsychologie das menschliche Leben in verschiedene Entwicklungsphasen. Welche Altersgruppen diese Lebensphasen dabei jeweils umfassen, variiert bei den einzelnen Theorien.

Überblick über die Phasen nach Freud, Piaget und Erikson

PhaseFreudPiagetErikson
1Orale PhaseSensomotorische PhaseUrvertrauen vs. Misstrauen
2Anale PhasePräoperationale PhaseAutonomie vs. Scham
3Phallische Phasekonkret-operatorische PhaseInitiative vs. Schuldgefühl
4Latenzphaseformal-operatorische PhaseWerksinn vs. Minderwertigkeit
5Genitalphase-Identität vs. Identitätsdiffusion
6--Intimität vs. Isolierung
7--Generativität vs. Selbstabsorption
8--Integrität vs. Verzweiflung

Jean Piaget unterscheidet in seiner Theorie der kognitiven Entwicklung vier Hauptphasen voneinander, die Kinder im Laufe des Heranwachsens durchleben. Freud prägte den Begriff der frühkindlichen psychosexuellen Entwicklung und beschäftigte sich im Rahmen der Entwicklungspsychologie mit der sexuellen Entwicklung von Menschen. Erikson beschäftigte sich hingegen mit der Entwicklung der “Ich-Identität” und psychosozialen Herausforderungen.

Entwicklungsphasen und ihre Merkmale nach Erikson

AlterLebensphaseMerkmale
0 bis 1 JahreUrvertrauen vs. Misstrauen- Urvertrauen: Durch regelmässige Befriedigung der eigenen Bedürfnisse durch die Umwelt - Misstrauen: Bei Abwesenheit von Sicherheit, Nähe und Nahrung
2 bis 3 JahreAutonomie vs. Scham- Autonomie: Emanzipation von den Eltern durch die selbstständige Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. - Scham: Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Bedürfnisse durch die Gesellschaft
4 bis 5 JahreInitiative vs. Schuldgefühl- Initiative: Eigenständige Erkundung der Umwelt - Schuldgefühle: Moralentwicklung nach Fehltaten
6 Jahre - PubertätWerksinn vs. Minderwertigkeit- Werksinn: Bedürfnis nach Lernen und tiefergehenden Fähigkeiten - Minderwertigkeitsgefühle: Ausbleiben von Erfolgserlebnissen
JugendIdentität vs. Identitätsdiffusion- Identität: Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und Abnabelungsprozess - Identitätsdiffusion: Versagen in der Findung des eigenen Sinns
Frühes ErwachsenenalterIntimität und Solidarität vs. Isolation- Intimität: Aufbau intimer Beziehung - Isolierung: Individualität und Unabhängigkeit im Vordergrund
ErwachsenenalterGenerativität vs. Selbstabsorption- Generativität: Bedürfnis nach eigener Familie - Selbstabsorption: Fokus auf eigenem Wohlergehen
Spätes ErwachsenenalterIntegrität vs. Verzweiflung- Integrität: Akzeptanz des eigenen Lebens - Verzweiflung: Gefühl des Scheiterns

Funktionsbereiche der Entwicklungspsychologie

Die Funktionsbereiche der Entwicklungspsychologie umfassen sinngemäss die verschiedenen Aspekte der menschlichen Entwicklung. Hierzu gehören sowohl die kognitive und die emotionale Entwicklung als auch die soziale und die moralische sowie die sprachliche Entwicklung.

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Forschungsgebiete der Entwicklungspsychologie

Die Entwicklungspsychologie bietet einen Ansatzpunkt für eine breite Palette von Forschungsgebieten, welche die verschiedenen Aspekte der menschlichen Entwicklung untersuchen. Das Forschungsgebiet der Entwicklungspsychologie ist dabei sehr dynamisch und befindet sich in einem ständigen Wandel. Dabei profitiert der Bereich stark von interdisziplinären Ansätzen, welche Erkenntnisse aus der Genetik, der Neurowissenschaften und der Pädagogik sowie der Soziologie und der Anthropologie verknüpfen.

Kognitive Entwicklung

Kognitive Entwicklungstheorien können einen wichtigen Beitrag bei Fragen rund um das Wissen und den Wissenserwerb von Menschen sowie dessen Aufbau und Nutzung leisten. Kognitive Entwicklung, auch „geistige“, oder „intellektuelle Entwicklung“ genannt, ist ein wichtiges Themenfeld der kindlichen Entwicklungspsychologie. Die kognitive Entwicklung beginnt noch vor der Geburt und mündet in der Regel in lebenslange Lernprozesse. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei die Ausbildung der Intelligenz ein. Denken und Intelligenz bilden gemeinsam die sogenannten „kognitiven Stützfunktionen“, eine Trias aus Wahrnehmung, Gedächtnisleistung und Sprachbeherrschung.

Die Entwicklungsschritte der kognitiven Entwicklung laufen grösstenteils zwischen dem zweiten und dem siebten Lebensjahr ab. Ein Kind lernt in dieser Zeit, seine Umwelt bewusst wahrzunehmen, mit dieser zu kommunizieren und auf diese durch Handlungen einzuwirken. Es gibt dabei unterschiedliche Theorien, wie genau sich die kognitiven Fähigkeiten bei Kindern entwickeln. Aber auch andere Faktoren üben Einfluss auf die kognitive Entwicklung von Kindern aus. Untersuchungen der jüngeren Vergangenheit belegen, dass der sozioökonomische Status der Eltern (insbesondere deren Bildung und die Bedeutsamkeit des Wohlstandes einer Familie) mit zu den wichtigsten Determinanten kognitiver Kompetenzen von Kindern zählt. Negativ auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen wirken sich demnach ein bildungsfeindliches Familienumfeld und prekäre sozioökonomische Verhältnisse aus.

Entwicklung der kindlichen Kognition in verschiedenen Altersstufen

  • Eine Entwicklung der kindlichen Kognition beginnt bereits im Säuglingsalter.
  • Mit Beginn des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder dann, sich mit räumlichen Beziehungen auseinanderzusetzen und ihre räumliche Vorstellung zu entwickeln. Eine besondere Vorliebe gilt dem Ein- und Ausräumen von Behältnissen aller Art, sowie dem Aufeinanderstapeln von Gegenständen zu Türmen.
  • Ab etwa anderthalb Jahren erkennen Kinder, dass Gegenstände gleich oder verschieden gross sein können und sortieren diese Gegenstände nun nach bestimmten Eigenschaften (zum Beispiel Form, Farbe, Material).
  • Gegen Ende des zweiten Lebensjahres besitzen sie dann eine stabile innere Vorstellung von Gegenständen und Handlungen und sind in der Lage, sich diese ins Spiel „hineinzudenken“ (zum Beispiel wird ein Stöckchen zum Löffel oder ein Schuh zum Auto).
  • Im dritten Lebensjahr kennen Kinder schon den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, können aber beides noch nicht voneinander unterscheiden. Das Denken ist Ich-bezogen, auch Zeitspannen und räumliche Grössenverhältnisse können noch nicht überblickt werden. Gleichzeitig wird das Denken zunehmend von der „magischen Phase“ bestimmt, in der viele alterstypische Ängste und Befürchtungen ihren Ursprung haben.
  • Ab etwa vier Jahren entwickeln Kinder ein enormes Gedächtnis und legen auch einen unstillbaren Wissensdurst an den Tag. Einfache Mengen und Zeitbegriffe können verstanden werden, und sie beginnen, die Hintergründe ihrer Welt zu hinterfragen.
  • Ab dem fünften Lebensjahr können Kinder die Lösung einer Aufgabe mehr und mehr durchdenken, ohne sie konkret ausprobieren zu müssen. Dennoch orientiert sich das kindliche Lernen noch stark an eigener Erfahrung und eigenem „Tun“.
  • Zwischen sechs und sieben Jahren wird dieses Denken dann zunehmend „logisch“, auch wenn es noch an das „Hier und Jetzt“ gebunden ist - die Kinder sind bereit für die Schule.

Jedes Kind entwickelt seine geistigen Fähigkeiten auf seine Weise und in seinem eigenen Tempo. Es können jedoch auch Verzögerungen auftreten - zum Beispiel durch Krankheiten oder Vernachlässigung - die frühzeitig erkannt werden sollten, um eine optimale Förderung der Kinder gewährleisten zu können. Werden Auffälligkeiten festgestellt, können verschiedene Expertengruppen (Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten, Heilpädagogen, Psychologen) ein auf die genauen Bedürfnisse des Kindes abgestimmtes Förderprogramm erarbeiten. Aber auch Eltern können diverse Fähigkeiten, wie beispielsweise die Konzentration oder die Leistungsfähigkeit ihrer Kinder, mit einfachen Methoden fördern.

Theorien der kognitiven Entwicklung

Kognitive Entwicklungsprozesse werden in verschiedenen wissenschaftlichen Theorien untersucht. Dabei gibt es keine allumfassende Theorie, sondern unterschiedliche Ansätze mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen. Eine der einflussreichsten Theorien der kognitiven Entwicklung stammt vom Schweizer Forscher Jean Piaget (1896 bis 1980). Die Kernaussage seiner Theorie besteht darin, dass Kinder keine „kleinen Erwachsenen“ sind, die einfach weniger wissen.

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  • Im präoperativen Stadium (frühe Kindheit) eignet sich das Kind die Welt mittels Sprache an und lernt, dass Symbole für Objekte stehen können. Das Denken ist egozentrisch, die Umwelt wird „vermenschlicht“ und mit „magischen Überzeugungen“ erfüllt. Die Kinder können noch keine konkrete Logik verstehen, und haben Schwierigkeiten, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
  • Im konkret-operationalen Stadium werden die Denkprozesse reifer und erwachsener. Die Kinder beginnen, Probleme logisch zu lösen und entwickeln eine Reihe von Denkoperationen, mit denen sie sich die Welt systematisch erschliessen.
  • Im formal (abstrakt-)operationalen Stadium (Jugendalter) sind Jugendliche zu hypothetischem und schlussfolgerndem Denken fähig.

Lew Wygotski (1896 bis 1934) formulierte eine Art „Gegentheorie“ zu Piaget, in der er untersuchte, welche Bedeutung der kulturelle Kontext, in dem Kinder aufwachsen, für die kognitive Entwicklung hat. Er ging davon aus, dass sich die vielfältigen Denkstrukturen eines Kindes durch den Austausch zwischen dem Kind und anderen Personen (mit Wissensvorsprung) ergeben. Diese Personen helfen einerseits dem Kind, sich mithilfe psychologischer Werkzeuge (Sprache, Zahlen- und Schriftsystem, Schemata) selbst zu formen, und geben ihm andererseits emotionalen Rückhalt und die Zuversicht, etwas schaffen zu können. Besondere Bedeutung erlangte Wygotskis Konzept der „Zone der nächsten Entwicklung“.

Heutzutage gibt es ausserdem die sogenannten domänenspezifischen Theorien: die Kernwissentheorie (Carey, Spelke) und die Informationsverarbeitungstheorien (Siegler, Case). Die Kernwissentheorie geht davon aus, dass Säuglinge mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten auf die Welt kommen, welche es ihnen erlauben, domänenspezifische Wissenssysteme (zum Beispiel mathematisches Wissen, biologisches Wissen) auszubilden. Die Informationsverarbeitungstheorien hingegen postulieren, dass Denk- und Lernprozesse in zeitlich und funktional untergliederten Teilprozessen stattfinden, die analog zur Datenverarbeitung im Computer verstanden werden können: Informationen werden über die Sinnesorgane aufgenommen, im Kurzzeitgedächtnis kontrolliert und zwischengespeichert, bevor sie in kodierter Form im Langzeitgedächtnis abgelegt werden.

Zusammenfassend leisten kognitive Entwicklungstheorien einen wichtigen Beitrag zum Verständnis kindlicher Entwicklungspsychologie.

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